KRISTIN RUBRA: Keloid – vom überleben und lieben

„Keloid“ ist der medizinische Fachbegriff für eine wuchernde Narbe. Ein passender Titel für den Debütroman der saarländischen Autorin Kristin Rubra. Auch psychische Wunden verheilen manchmal kaum, wie es das Schicksal ihres Protagonisten Leon, der als GI bei der Befreiung des KZ Dachau dabei war, zeigt.

In ihrem Debütroman „Keloid – vom überleben und lieben“ erzählt die im Saarland lebende Autorin Kristin Rubra von einer ungewöhnlichen Liebe und Beziehung, die nicht nur eine große Altersgrenze überwindet, sondern viel mehr: Leon, ein amerikanischer jüdischer Geschäftsmann, ist geprägt von den Ereignissen, die er als junger Soldat in Deutschland erlebte. Christina ist eine junge deutsche Ärztin, die erst nach und nach begreift, wie sehr der Krieg und die damit verbundenen Erlebnisse diesen Mann geprägt haben und nachwirken: „Schuld ist leichter zu ertragen als Ohnmacht“, sagt Leon an einer Stelle.

Christina, eine junge deutsche Medizinstudentin in den USA, verliebt sich Anfang der 1980er Jahre in einen Mitstudenten, der die Traumata seiner jüdischen Familie in Body-Actionpaintings austobt. Sein Vater Leon, ehemaliger GI bei den legendären Thunderbirds, die das KZ Dachau befreiten, ist strikt gegen „alles Deutsche“ und vor allem gegen sie.
Sieben Jahre später liegt Leon nach einem Verkehrsunfall in einem deutschen Krankenhaus auf dem OP-Tisch vor Christina. Aus dem Wiedererkennen entwickelt sich eine spannungsgeladene Beziehung: Leon, der Christina von alten und uralten Verletzungen anhand seiner Edelsteinsammlung erzählt, wird für sie zum wichtigsten Menschen ihres Lebens.
In KELOID – der medizinische Fachbegriff für eine wuchernde Narbe – verwebt Kristin Rubra den Werdegang der deutschen Studentin zur Oberärztin und ihre Beziehungen in eine jüdische Familie in den USA. Sie erzählt, wie entscheidend Kriegstraumata das Leben deformieren und wie sie weitergegeben werden. Aber auch unter einer solchen Last wird die Liebe intensiv gesucht und findet ungewöhnliche Wege.


Zur Autorin:

Kristin Rubra, geboren und aufgewachsen in den Sechzigerjahren am Niederrhein. Nach der Schule Beginn eines Medizinstudiums in Michigan/USA, dort Creative Writing und erste Veröffentlichungen in amerikanischem Englisch. Abschluss des Medizinstudiums in Düsseldorf. Seit den Neunzigerjahren Ärztin im klinischen Bereich.
2019 erschien die Geschichtensammlung ,Als ich deutsch wurde‘ als Band 35 der Reihe Topicana in der Edition Saarländisches Künstlerhaus. ,KELOID – vom überleben und lieben‘ ist ihr Debütroman. Bild: Privat


Zum Buch:

KRISTIN RUBRA
KELOID – vom überleben und lieben
STROUX edition, München
320 Seiten, Hardcover
€ 26,00 [D]
ISBN 978-3-948065-33-1
Erscheinungstermin: April 2024

STROUX edition
Donnersbergerstraße 32
80634 München
Telefon:  +49 89 1678 3156
Mail: info@stroux-edition.de
https://stroux-edition.de/


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Karen Gershon: Das Unterkind

Käthe Loewenthal gelangte 1938 noch mit einem der letzten Kindertransporte nach England. Dort wurde sie als Schriftstellerin Karen Gershon bekannt. Doch es dauerte Jahrzehnte, bis sie eine Form für die Erzählung ihrer Kindheit fand.

„Sie hatte ihren Koffer auf die Erde gestellt, damit sie die Hände frei hatte, um ihre Mutter zu umarmen – weil das von ihr erwartet wurde, nicht weil ihr danach zumute war. (…) Und als sie sich umsah, stand Lise noch bei ihrer Mutter, ihr fiel es schwerer als Käthe, sich von ihr zu trennen, und das machte Käthe deutlich, dass sie es verpasst hatte, genug Trennungsschmerz zu zeigen.“

Karen Gershon: „Das Unterkind“


Der Trennungsschmerz wird Käthe Loewenthal später mit voller Wucht treffen. Er wird sie ihr ganzes Leben lang begleiten. Käthe ist 15, als sie mit ihrer Schwester Lise mit einem der letzten Kindertransporte den Nationalsozialisten nach England entkommt. Auch ihrer älteren Schwester Anne wird die Flucht noch gelingen. Aber die Mädchen ahnen nicht, dass sie ihre Eltern Paul und Selma nie wiedersehen werden. Paul verstirbt vermutlich in Riga, Selma kommt wahrscheinlich im Konzentrationslager Auschwitz um.

Der Verlust der Familie, der Heimat, der plötzliche Abschied: All das trägt Käthe, die sich später Karen Gershon nennt, mit sich herum. Sie trägt, wie sie es auch in ihrer Autobiographie ausdrückt, an der Schuld der Überlebenden. Es prägt ihre Beziehungen, nicht zuletzt auch zur ein Jahr älteren Lise (Anne verstirbt früh in London an einer Krankheit):

„Jede lebte, als wäre sie die einzige Überlebende, beinahe als wäre die andere auch gestorben.“

Käthe Loewenthal, die bereits als Jugendliche mit Gedichten in der Jüdischen Rundschau ihr schriftstellerisches Talent beweist, wird später unter ihrem neuen Namen Karen Gershon mit einigen Lyrikbänden, Romanen und der 1966 erschienen kollektiven Autobiographie „Wir kamen als Kinder“ bekannt.

Erst nach Jahrzehnten kann sie über ihre Kindheit schreiben

Aber es wird Jahrzehnte dauern, bis sie in der Lage ist, die Geschichte ihrer eigenen Kindheit und Jugend bis zum Tag der Flucht im Jahr 1938 autobiographisch zu erzählen. Immer wieder arbeitet sie das Manuskript um, ringt mit der Form, mit dem Ausdruck. Sie entschließt sich, die Erinnerungen nicht in der Ich-Form zu verfassen, sondern eine (notwendige) Distanz zwischen sich und die Erzählerin zu bringen. Es ist Käthe, die von der wohlbehüteten Kindheit in einer zunächst gut situierten Familie erzählt, von der zunehmenden Ausgrenzung, der damit einhergehenden Armut und sozialen Isolation. Karen Gershon sagte dazu:

„Das ist eine Autobiografie, von mir so wahrheitsgetreu wie möglich erzählt.  Ich war nur nicht in der Lage, über mich selbst in der ersten Person zu schreiben. Käthe, das bin ich, so hieß ich in meiner Kindheit.“

„A lesser child“ erscheint 1992 im Rowohlt Verlag und erst ein Jahr nach ihrem Tod in einer englischsprachigen Ausgabe. Das lange vergriffene Buch wurde nun in der ursprünglichen Übersetzung von Sigrid Daub beim Lilienfeld Verlag wieder aufgelegt. Man muss dem Verlag dafür danken: Denn ähnlich wie Victor Klemperers Tagebücher lässt diese Autobiographie nachvollziehen, wie die Welt für die deutschen Jüdinnen und Juden ab 1933 täglich ein Stück enger und dunkler und die Luft zum Atmen stetig dünner wird. Und obwohl sich der Antisemitismus steigert und die jüdische Bevölkerung insbesondere nach dem Erlass der Rassengesetze offener Verfolgung ausgesetzt ist, glauben auch Käthe und viele ihrer Angehörigen noch nicht, dass eine Steigerung dieses Hasses möglich sei:

„Bis sie zwölf Jahre alt war, glaubte Käthe, das Unheil, das ihr widerfuhr, weil sie Jüdin war, würde innerhalb der Grenzen des Erträglichen bleiben.“

Als die älteste Schwester Anne mit dem Gedanken spielt, Zionistin zu werden, verwirft sie dieses wieder. Sie sei deutscher als der Österreicher Hitler, und lasse sich von den Nazis nicht nach Österreich vertreiben:

„Zu der Zeit glaubte niemand, dass die übrigen Deutschen den Nazis einfach erlauben würden, mit den Juden zu machen, was sie wollen.“

Es sind die Wechsel zwischen den Szenen einer „ganz normalen“ Kindheit und Jugend mit all ihren Freuden und Nöten – der Zusammenhalt und die Rivalität zwischen den drei Schwestern, den kindlichen Spielen, die Freude an Festen und Familientreffen, das Entdecken eigener Talente, das erste Verliebtsein – und den Eindrücken von einer immer bedrohlicher werdenden Außenwelt, die diese Erzählung so eindrucksvoll und bedrückend zugleich machen.

Ein wertvolles Zeitdokument

Der Erzählton ist spröde und verstärkt den Charakter eines Dokuments, das aus der Distanz einen nüchternen Blick auf die Vergangenheit wirft. Immer wieder ergänzt Karen Gershon kommentarlos Erzählungen von Verwandten und Freunden mit einem Satz zu deren späteren Schicksal, fügt nüchtern an, in welchem Konzentrationslager die jeweiligen Personen ermordet wurden oder wo sie verschwanden.

Aber auch ihre eigene Persönlichkeit und Entwicklung betrachtet sie aus der Position des Alters mit nüchterner Strenge:

„Ihre buschigen Augenbrauen waren eng zusammengezogen: ein Mädchen, das für seine Jahre zu alt war, dem das Talent zu leben fehlte und das sich selbst ernster nahm, als ihm guttat.“

Sie, die jüngste der drei Schwestern, fühlt sich schon vor ihrem zehnten Lebensjahr, als die Nazis an die Macht kamen, als „Unterkind“:

„(…) sie selbst hetzt sich ab, physisch, aber auch im übertragenen Sinn, um ihre Schwestern einzuholen. Die Tatsache, dass es ihr nie gelang, hat sie wohl zu der Überzeugung gebracht, ein Unterkind zu sein (…)“

Durch die Machtergreifung wird dieses Unterkind-Gefühl quasi verdoppelt, erlebt Käthe den Bruch von Freundschaften, weil Arier nicht mehr mit Juden verkehren dürfen oder auch wollen, die zunehmenden Verbote, den Ausschluss aus der evangelischen Schule. Auch im jüdischen Landschulheim Herrlingen – eine von drei Einrichtungen dieser Art, die von den Nationalsozialisten noch bis 1939 geduldet wurden – verliert Käthe, wo sie fernab der Familie noch einige Zeit Schulunterricht erhalten kann, dieses „Unterkind“-Gefühl nicht, misst sich mit anderen Schülern und fühlt sich unter Wert:

„(…) sondern auch weil Käthe das, was sie konnte, immer für weniger wichtig hielt als das, was sie nicht konnte.“

Die Reflektionen über diese Käthe mit ihren ganzen Eigenheiten aus der zeitlichen Distanz heraus machen dieses Buch auch zu einem besonderen Stück Literatur über das Heranwachsen eines Mädchens in bedrückenden Zeiten.

Zumindest erlebt Käthe durch den Aufenthalt in Herrlingen noch eine Gemeinschaft mit gleichaltrigen Jugendlichen, erhält sogar ein Zertifikat zur Einwanderung für Palästina, als die Reichspogromnacht auf einen Schlag hin die Situation für die deutschen Juden nochmals verschärft. Zu den bedrückendsten Szenen des Buches gehört es, wie Käthe diese Nacht und den darauffolgenden Tag in Bielefeld erlebt, wie die jüdische Gemeinschaft ängstlich zusammenrückt, wie man hinter verschlossenen Türen und Fenstern versucht, sich Halt zu geben.

Flucht nach der Reichspogromnacht

Nach dieser furchtbaren Nacht beschließen die Eltern, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Der Abschied von Kindheit und Jugend geht für Käthe und Lise rasend schnell. Das Buch schließt mit einem letzten Blick auf Bielefeld, ein Name, der für Karen Gershon ihr Leben lang für den großen Verlust, den sie erfahren musste, steht:

„Unmittelbar nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hatte, kam rechts der jüdische Friedhof. Dann folgte links das Symbol Bielefelds, die Burg Sparrenberg, aber vorher noch auf der gleichen Seite die Puddingpulverfabrik von Oetker. Ihr Geruch, ein Geruch, der zu ihrer Kindheit gehörte, umgab sie, bis all die vertrauten Gegenden – Brackwede, der Wald, die Heide – hinter ihnen lagen.“


Bibliographische Angaben:

Karen Gershon
Das Unterkind
Übersetzt von Sigrid Daub
Lilienfeld Verlag, 2023
ISBN 978-3-940357-97-7

Ilva Fabiani: Meine langen Nächte

In „Meine langen Nächte“ lässt Ilva Fabiani eine Tote auf ihre Entwicklung zur überzeugten Nationalsozialistin und ihren Dienst als „braune Schwester“ zurückblicken. Der preisgekrönte Debütroman liegt nun in deutscher Erstübersetzung vor.

„Erneut werde ich vom Wind hochgehoben und weggetragen, weg von dieser weit zurückliegenden Nacht, weg vom Ruf des Waldkauzes. Dass sich mein Leben einige Jahre später fast nur noch nachts abspielen sollte, hätte ich damals nie geahnt. Das Hu Huhu dieser kleinen nachtaktiven Kreatur würde mich in den finsteren Nächten noch lange begleiten, in denen ich verzweifelt versuchte, meine am Tag verlorene Seele zu retten.“

Ilva Fabiani, „Meine langen Nächte“


Es ist eine ungewöhnliche Erzählperspektive, die Ilva Fabiani für ihren in Italien mehrfach ausgezeichneten Debütroman gewählt hat: Anna Alrutz spricht aus dem Reich der Toten zu den Lesern, reflektiert 90 Jahre später, wie es zu ihrer großen Lebensverirrung kommen konnte, warum sie im Glauben an eine furchtbare Ideologie dazu beitrug, das Leben anderer Menschen zu zerstören.

Die Wahl dieser Perspektive erscheint wie ein intelligenter Kunstgriff: Wie kann man sich dem Unbegreiflichen fiktional annähern, zumal als Autorin, die 1970, also lang nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten geboren ist? Fabiani gelingt es durch diese Technik, die tote Anna Alrutz selbst über ihre Kindheit und Jugend und ihre ideologische Verblendung reflektieren zu lassen und auf Erklärungssuche für das Unbegreifliche zu gehen.

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Dass dies nicht ganz überzeugend aufgeht, mag zum einem daran liegen, dass selbst ein Roman, der versucht, seine Hauptfigur psychologisch so fein zu ziselieren, wie es Fabiani unternimmt, keine vollkommene Aufklärung bieten kann: Das Unbegreifliche entzieht sich immer ein Stück weit dem Wunsch nach logischer Nachvollziehbarkeit. Und darüber hinaus sind in der – freilich fiktiven – Vita der Anna Alrutz doch viele Grundlagen vorhanden, um nicht auf die „schwarze“ respektive „braune“ Seite zu rutschen.

Die verlorene Generation

Zwar gehört Anna altersmäßig zur „verlorenen Generation“, materiell spürt sie davon allerdings wenig.

„Jedem, der wie ich im Jahr 1907 geboren wurde, hätte das Jahrhundert normalerweise die Ehre zuteilwerden lassen, gleich zwei verheerende Kriege mitzuerleben.“

Doch, wie sie selbst sagt, wird sie vor dem Ersten Weltkrieg „durch eine Art kindliche Unversehrtheit bewahrt.“ Als älteste Tochter einer wohlhabenden Familie aus Braunschweig bekommt Anna die Not der Nachkriegsjahre selbst kaum mit, auch vom Hunger und der Armut ganzer Bevölkerungsschichten ist im Roman wenig die Rede. Die Familie kann es sich nach wie vor leisten, ihre Sommer im Kurort Salzgitter zu verbringen, Anna kann zudem später als eine der wenigen Frauen ein Medizinstudium aufnehmen. Ihr Vater vertritt liberale Ansichten, das Aufkommen der Nationalsozialisten betrachtet er mit Entsetzen und versucht, so gut es geht, seinen Kindern einen bildungsbürgerlich geprägten Humanismus vorzuleben.

Wohlbehütet in Krisenzeiten

Eine junge Frau, die also wohlbehütet aufwächst und in ihrem Lebensumfeld wenig von den sozialen Unruhen und Ungleichgewichten, die in ihrem Heimatland herrschen, spürt. Als in Salzgitter der Spielkamerad ihres Bruders krankenhausreif geschlagen wird, weil er Jude ist, ist Anna helfend zur Stelle, spricht gar davon, das Kind in die Familie aufzunehmen. Es fehlt ihr also nicht an Empathie und Mitgefühl. Was ihr im Wege steht, ist jedoch ein übergroßer Ehrgeiz und das Gefühl, nicht gut genug, nicht schön genug zu sein. Dass die Aufmerksamkeit der Eltern sich auf die schwerkranke jüngere Schwester Annas konzentriert sowie die vergebliche Verliebtheit in einen verheirateten, evangelischen Pastor trägt dazu bei, um die junge Frau anfällig für Verblendungen zu machen.

Die Beziehung zu einem Reichswehr-Mann und SA-Soldaten sieht sie als gewisse Aufwertung. Später, als Tote, versucht sie dies zu rechtfertigen:

„Mein Beinahe-Verlobter war ein Mörder und ich wusste nichts davon. Ich war eine ebenso dumme Gans wie viele andere Mädchen meines Alters.“

Sätze wie dieser hinterlassen einen Nachgeschmack, erinnern an die Haltung vieler Deutscher, die von „nichts etwas gewusst hatten“. In ihrem Ansatz, das Abrutschen in eine Ideologie überwiegend auf der psychologischen Ebene zu erklären, wird Ilva Fabiani an anderer Stelle noch deutlicher:

„Wie soll man den Enkelkindern denn erzählen, dass die Großmutter sich auf den Nationalsozialismus eingelassen hat, weil sie sich mit siebzehn Jahren wie eine alte hässliche und hoffnungslose Jungfer fühlte? Wie dem Wind, der mich hochhebt und wieder hinunterwirft, erklären, dass die Macht des Leitwolfs darin bestand, das Innerste jedes Einzelnen aufzuwühlen, wo sich die Enttäuschungen, die Ängste, die Schicksalsschläge und die Einsamkeit verbergen?“

Vielleicht, das kann ich nur spekulieren, lag das Motiv Fabianis, ihre Hauptfigur so zu charakterisieren, darin, ihren Lesern zu zeigen: Keiner ist vor solchen ideologischen Verführbarkeiten gefeit, jeden kann es, wenn er sich in einer Lebenskrise befindet, treffen. Ganz geht diese Rechnung für mich jedoch nicht auf, zu wenig nachvollziehbar bleibt für mich der Weg zu wohlbehüteten Mädchen hin zur „braunen Schwester“ und zurück: Wieder ist es die Liebe, dieses Mal zu einem französischen Medizinstudenten mit jüdischen Wurzeln, die Anna am Ende die Augen öffnet und erneut „umdreht“. Von der Mittäterin wird sie zu einer Frau, die Widerstand übt, den sie letzten Endes als Hochverräterin mit dem Leben bezahlt.

Zwangssterilisationen als Programm

Am bewegendsten und greifbarstem wird der Roman für mich im letzten Drittel, als Fabiani detaillierter auf das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten und deren Programm der Zwangssterilisation eingeht: Schätzungsweise bis zu 400.000 Menschen wurden dem unterworfen, weil sie als „erbkrank“ eingestuft wurden, zum Teil aus ganz willkürlichen Gründen.

Auch an der Universitätsklinik Göttingen, wo Ilva Fabiani, die als Italienisch-Dozentin an der Göttinger Universität tätig ist, Anna ihren Dienst als „braune Schwester“ tun lässt, kam es dazu: „Leider ganz real sind die 787 Frauen, die in den Räumlichkeiten der Klinik auf schreckliche Weise und vollkommen willkürlich sterilisiert wurden. Ihnen und den wenigen Krankenschwestern, die sich ihrer erbarmten, ist diese Geschichte gewidmet“, schreibt die Autorin im Nachwort.

Dort, wo sie Anna, die sich als „braune Schwester“ an den Sterilisationen beteiligt, von den einzelnen Frauen, deren Widerstand gegen den Eingriff, deren Ängsten und Verzweiflung erzählen lässt, ist das Buch am stärksten.

„Die Sterilisationen waren im Grunde einfache Eingriffe. Schwierig war hingegen die Aufnahme der Patientinnen. Manchmal wurden die Frauen von der Polizei gebracht, und wir mussten sie sofort sedieren. Die Aufsässigsten von ihnen wurden in einen Raum eingeschlossen (…). Keine Bettlaken, nur feste Wolldecken, die man nicht zusammenknoten konnte.“

Die an diesen Stellen nüchterne Erzählweise zeigt die ganze Perversion des nationalsozialistischen Systems. Wie sehr darin gerade auch Ärzte und Wissenschaftler verstrickt waren, welchen Aderlass Universitäten wie Göttingen durch die Vertreibung jüdischer und nicht gleichgeschalteter Wissenschaftler (Max Born, Felix Bernstein, Emmy Noether) erfuhren, auch das wird auf den letzten Seiten eindrucksvoll deutlich.

Der Wechsel aus poetischen Passagen und nüchterner Detailbeschreibung, die Erzählperspektive, die die Hauptfigur auf ihre Vergangenheit blicken lässt, aber vor allem die Thematik der „braunen Schwestern“ machen „Meine langen Nächte“ zu einem lesenswerten Roman, auch wenn mir die Protagonistin in ihrer Entwicklung „unfassbar“ und seltsam fremd blieb.


Bibliographische Angaben:

Ilva Fabiani
Meine langen Nächte
Übersetzt von Birgit Ulmer
Steidl Verlag, 2023
ISBN 978-3-96999-198-5

Jürgen Serke: Die verbrannten Dichter

Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung kam in einer prächtigen Neuauflage „Die verbrannten Dichter“ von Jürgen Serke wieder heraus. Wie kein anderer hat der Autor dazu beigetragen, die Literatur der Weimarer Republik wieder ins Gedächtnis zu rufen.

„Der Blumenhändler, drei Häuser weiter, kennt sie ebenfalls. An ihm vorbei geht Irmgard Keun in den Tag hinaus und in die Kneipen hinein. Sie hat eine große Tochter, eine kleine Rente und keinen Halt mehr. Die Freunde von einst sind tot. Es ist schwer, etwas Totes mit sich herumzutragen.“

Jürgen Serke, „Die verbrannten Dichter“


Als der Journalist Jürgen Serke die Autorin Irmgard Keun, die in der Weimarer Republik als junge Frau mit nur zwei Romanen für Aufsehen sorgte, Jahrzehnte später in Bonn besucht, hat sie „panische Angst, in ihrem Elend erkannt zu werden.“ Serke lernt eine 66-jährige Frau kennen, deren einzige Rettung es scheint, „die Gefühle niederschlagen, um nicht von ihnen niedergeschlagen zu werden.“

„Nur kein Gejammere!“: Das ist die Devise einer Frau, die bei den Gesprächen mit Serke lebensüberdrüssig wirkt, im Alkohol das Vergessen sucht. Wohl auch das Vergessen der Tatsache, dass sie selbst als Autorin zu den Vergessenen gehört. Zumindest letzteres wird sich ändern. Bereits 1980 kann Jürgen Serke an sein Portrait, das im „stern“ veröffentlicht wurde, einen Nachtrag anfügen: Ein Verlag wurde gefunden, der ihr Gesamtwerk herausgibt. Die Reportage sorgte für eine Wiederentdeckung der Autorin, ein wenig Nachruhm, den sie noch bis ihrem Tod 1982 genießen konnte. Ihre Bücher – „Das kunstseidene Mädchen“, „Nach Mitternacht“, „Kind aller Länder“, um nur die wichtigsten zu nennen – erfahren seither regelmäßig Neuauflagen.

Vom Widerstand der Dichter

Es ist dieser unvergleichliche Verdienst, den Jürgen Serke und Fotograf Wilfried Bauer für die deutsche Literatur leisteten: Mit ihren Artikeln über Dichterinnen und Dichter, deren Bücher im Nationalsozialismus verbrannt wurden, holten sie nicht nur deren Werke, sondern auch deren Schöpfer in das Bewusstsein zurück. Jürgen Serke hatte für die Artikelserie, die unter dem Titel „Die verbrannten Dichter“ 1976 im „stern“ erschien – damals noch ein Magazin mit einer Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren – zuvor jahrelang privat recherchiert. Eine Initialzündung war für ihn, so schreibt der heute 85-jährige im Nachwort zur Neuauflage im Wallstein Verlag, seine Zeit als Korrespondent in Prag, das Miterleben des „Aufstands der Dichter gegen den Machtmissbrauch des kommunistischen Regimes“:

„In Prag wurde ich, was ich heute bin: als Journalist ein Bewahrer des literarischen Widerstands gegen die beiden Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts in Mitteleuropa.“

Im Deutschen Reich war die nationalsozialistische Diktatur besonders gründlich, mit typisch deutscher bürokratischer Effektivität, gegen die Intellektuellen vorgegangen. „Im Mai 1933 strich Adolf Hitler eine ganze Generation von Schriftstellern aus dem Bewusstsein des deutschen Volkes“, heißt es im Vorspann zu „Die verbrannten Dichter“. Gemeint sind damit die Bücherverbrennungen, die im Mai 1933 begannen, ein symbolhafter Akt, um alles, was nicht der nationalsozialistischen Ideologie entsprach, zu vernichten. Berufsverbote, Inhaftierungen, Folter und Konzentrationslager trafen die Schöpfer dieser Werke. Manche überlebten den Terror nicht, andere, wie Ernst Toller, begingen Suizid oder starben einsam und verarmt im Exil wie Else Lasker-Schüler.

Bücherverbrennung und Menschenvernichtung

„Die Bücherverbrennung wirkte über den Zusammenbruch des «Dritten Reiches» hinaus. Was in den zwanziger Jahren gedichtet wurde, blieb weitgehend vergessen bis zum heutigen Tag.“

Wäre da nicht Jürgen Serke gewesen, der die Popularität des „stern“ nutzen konnte, um einige Namen dem Vergessen zu entreißen. Der darüber hinaus aber auch bei vielen Leserinnen und Lesern, insbesondere jedoch auch bei Verlagsmenschen das Bewusstsein schärfte für diesen literarischen Reichtum der Weimarer Republik, wie auch Verleger Thedel v. Wallmoden nun in der Neuausgabe, die zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung im Wallstein Verlag erschien, im Vorwort schreibt.  Für die Wiederentdeckung der verfemten Literatur habe wohl kaum eine andere Initiative „eine derart breite Wirkung wie Jürgen Serkes Artikelserie“ erzielt.

Die von Jürgen Serke portraitierten Autorinnen und Autoren, darunter Ernst Toller, Irmgard Keun, Claire Goll, Klabund, Erich Mühsam, Else Lasker-Schüler und andere waren nach dem Ende des Nationalsozialismus „präsent und zugleich vergessen“, so der Verleger in seinem Vorwort zum Buch.

„Es war ein Paradox: Jeder hätte diese Autorinnen und Autoren treffen können und vor allem hätte jeder ihre Bücher lesen können. Aber „die verbrannten Dichter“ spielten im literarischen Leben, in den Feuilletons und wohl auch im Deutschunterricht jener Jahre keine Rolle.“

Literarische Portraits

Bis Jürgen Serke kam. Es ist sicher diese Mischung aus journalistischem Bericht und literarischem Portrait, die Verbindung von Werk, Person und den sensiblen Kommentaren des Berichterstatters, die diese Reportagen bis heute zu einer faszinierenden Lektüre machen. Und zu einer profunden Quelle für jeden, der sich für die Literatur der Weimarer Republik interessiert. Nicht alle, die Serke in den 1970ern vorstellte, sind jedoch auch heute noch so präsent wie beispielsweise Irmgard Keun oder Alfred Döblin. Auch darin mag eine Chance der aufwendig gestalteten Neuauflage (die Artikelserie erschien in den 1970ern bald auch als Buch, später folgte eine Taschenbuch-Ausgabe) liegen: Noch einmal beispielsweise Jakob Haringer, das „Schandmaul“, das zu Gott betet oder Franz Jung, der Poet, der „Lenin die Leviten“ las, ins Gedächtnis zu holen.

Ergänzt werden die ausführlichen Portraits durch zwei weitere Kapitel mit kurzen Vorstellungen von Dichtern und ihren Büchern. In „Ein Blick zurück nach vorn“ werden unter anderem Oskar Maria Graf, Theodor Kramer, Franz Hessel und andere erwähnt, bei „Büchern, über die einst jeder sprach“ sind Werke von Gertrud Kolmar, Ernst Weiß, Johannes R. Becher und anderen zu finden. Dies sowie die zahlreichen Abbildungen – neben den eindrucksvollen, berührenden Portraits von Wilhelm Bauer auch Original-Cover, Archivfotos und Illustrationen – sowie ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis machen diesen Band zum Dokument einer literarischen Epoche, die beinahe aus unser aller Gedächtnis gelöscht worden wäre.

Und zu einem Buch, das zeigt, wie gefährdet das geschriebene Wort und seine Schöpfer immer wieder sind. Jürgen Serke im Nachwort:

„Die Nacht war lang im 20. Jahrhundert der Totalitarismen. Seit 1989 ist die europäische Welt wieder vereint. Mit dem Überfall der Ukraine durch Russland senkt sich wieder Dunkelheit auf Europa und zeigt, wie aktuell die Aufgaben des Zentrums für verfolgte Künste geblieben sind. Wieder spielt der Widerstand eine überragende Rolle.“

Die Literatursammlung von Jürgen Serke mit ihren über 2.500 Objekten (Büchern, Dokumenten, handschriftlichen Briefen, Typoskripten und Fotos) ist als Dauerausstellung mit dem Titel „Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989. Die verbrannten Dichter“ im Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen zu sehen.



Bibliographische Angaben:

Jürgen Serke
„Die verbrannten Dichter“
Lebensgeschichten und Dokumente
Wallstein Verlag, 2023
ISBN: 978-3-8353-5388-6

Ulrike Draesner: Die Verwandelten

Ulrike Draesner gibt in ihrem neuen Roman „Die Verwandelten“ den Frauen, die im Krieg und auf der Flucht Gewalt erfuhren und erfahren, eine Stimme. Ein beeindruckender Roman, der allerdings auch einiges voraussetzt – insbesondere ein Einlassen auf den spezifischen Stil der Autorin.

„Das Große Schlimme in Alissas Leben, der Lebensborn, hatte seinen Schatten auch auf mich geworfen. Der Lebensborn war unsere schwarze Sonne gewesen.“

Ulrike Draesner, „Die Verwandelten“


Das Thema der transgenerationalen Weitergabe ist immer wieder eines der deutschen Literatur. Wenig verwunderlich: Zwei Weltkriege hinterlassen über Generationen hinweg ihre Spuren in den Menschen. Rund 100 Jahre, so meint eine der Figuren in Ulrike Draesners neuem Roman, dauere es, bis die Kriegstraumata vergessen und vielleicht überwunden sind.

Skulptur in Breslau. Bild von peterart auf Pixabay

Doch noch sind die Menschen nicht verwandelt, noch wirken die grauenhaften Ereignisse nach, wie auch Kinga Schücking, Anwältin für Erbrecht, alleinerziehende Mutter eines Adoptivkindes, erfahren muss. Bei einem Vortrag begegnet sie Doro, Enkelin von Marolf, einst ein deutscher Theatermann in Breslau, der, wie es sich Zug um Zug in diesem voluminösen Roman entblättert, auch Großvater von Kinga ist. Seiner Leidenschaft für das Dienstmädchen Adele entspringt Alissa, Kingas Mutter, die in einem Lebensborn-Heim in Bayern zur Welt gebracht und schließlich von einem nationalsozialistischen Ehepaar adoptiert wird.

Spurensuche in Breslau

Die beiden Halbschwestern begeben sich auf Spurensuche: Doro entstammt der Ehe von Marolf und Else, die dessen Verhältnis zu Adele lange Zeit duldete. Auch Else ist, wie beinahe alle Frauen in diesem Roman, eine Gebrochene und zugleich Starke, eine, die sich immer wieder Lebensverhältnissen anpassen muss, die von der Außenwelt, der Männerwelt, diktiert sind und doch, trotz grauenhafter Erlebnisse im Krieg, einen ungeheuren Überlebenswillen an den Tag legt. Wie ihr Spiegelbild Adele, die zweite Frau in der Breslauer Ménage-à-trois, in der es vor allem darum geht, den bipolaren Marolf durch seine düsteren Phasen zu bringen, geschieht ihr das, was für eine Mutter zunächst als das Schlimmste erscheinen mag: Sie verliert in den Kriegswirren ihre Tochter Reni, die Mutter Doros. Doch bei beiden, sowohl bei Else als auch Adele, ist der Akt des Verlustes zunächst auch ein Akt der Befreiung, der Entlastung von der Sorge um noch einen Menschen: Der Krieg fordert seine Opfer auf vielfältige Weise. Und insbesondere von den Frauen, wie Alissas Adoptivmutter Gerda es formuliert:

„Als ich geboren wurde, hatte Deutschland Kolonien in West-, Süd- und Ostafrika. Die Geschichte unserer Generation ist noch nicht geschrieben. Wir, die Frauen von 1900, wurden in jedem der deutschen REICHE benutzt wie Teig. Durch die Kriege hindurch: geknetet, geknechtet, gebraucht.“

Einen Krieg und zwei Diktaturen überlebt

Eine der Frauen, die das am brutalsten erfahren, ist Reni, die sich zu Kriegsende in Walla verwandelt: Auf der Flucht aus Breslau mit ihrer Mutter Else mehrfach vergewaltigt, landet sie ausgehungert wieder in der Heimatstadt, um dort von ihren Eltern, die nach Ostdeutschland fliehen, im Stich gelassen zu werden. Sie nimmt eine polnische Identität an, schlägt sich durch, hat am Ende Nationalsozialismus, Kommunismus und allen anderen Ismen überlebt. Für mich die stärkste Frauenfigur in diesem vielstimmigen Buch der Frauen.

„Das polnische »wojna« hieß in der Kaninchensprache »Krieg«, aber klang nach einem ihrer anderen Wörter, »weinen«. Walla sagte, das sei sehr wahr. Im Krieg stecke das deutsche »Kriegen«, und durch das Polnische auch das »Weinen«, so waren die Wörter »wojna« und »Krieg« miteinander verbunden. Beide wirkten wie Lawinen. Das ausgesprochene Wort raste auf einen herab, riss Schutt und Staub mit sich.“

Diese Furcht vor der Lawine lässt diejenigen, die Krieg erfahren haben, oft verstummen. Ich kenne das aus der eigenen Familie: Fragten wir Enkel die Großväter und Großmütter nach ihren Erfahrungen in dieser Zeit, trat Stille ein, nahm man uns zur Seite und mahnte: „Das ist nichts für Kinder.“ Ulrike Draesner findet dafür ein geniales Wort: „Nebelkinder“ sind sie, Kinga und Doro, die von ihren familiären Verflechtungen nichts wissen, die das Schweigen ihrer Mütter zunächst suchend im Nebel tasten lässt.

„Menschen atmeten tief ein, öffneten die Lippen und heraus kamen ein, zwei Sätze, die sich niemals veränderten. Sie wurden mit einem falschen Lächeln gesagt, »es war …«, »wir schafften es …«, brachen ab. Die Gesichter klafften an sich selbst vorbei, die Münder wurden geschlossen, doch gingen nicht mehr ganz zu, und die Sätze, die sich nach außen kämpften, wurden durch die ständige Wiederholung zu Lügen.“

Auch Walla hüllt sich lange in Schweigen, überschweigt das Unsagbare. In mehreren Rezensionen wurde gewürdigt, dass es Draesner schaffe, die Grauen des Krieges darzustellen, ohne auf explizite Gewaltdarstellungen zurückgreifen zu müssen. Ein Urteil, dem ich mich anschließe: Was Walla als junge Frau durchleben muss, das Fürchterliche, wird deutlich genug in der Erzählung. Ihr Schweigen ist zudem Selbstschutz: Ihre neue, polnische Identität ist für ihr Überleben wichtig, die deutsche Vergangenheit muss in dem neuen Staat verleugnet werden.

Das Schweigen überwinden

Erst Doros Beharrlichkeit lüftet den Nebel, bricht das Schweigen. Sie und Kinga sind die Nachgeborenen, die die Hülle aufbeißen:

„Ihre Geschichten waren wie die Kätzchen, die aus der Nachbarkatze purzelten, taub und blind, umschlossen von einer Hülle, die aufgebissen werden musste. Nur dass niemand kam und biss.“

Mit Doro gibt Ulrike Draesner diesen Frauen ihre Sprache zurück, bis hin zu den antiken Vorbildern in den Metamorphosen:

„Sie wurden zu Bacchantinnen. Was das war, verstand ich damals nicht und verstand es sofort.
Es war die Gewalt-Zurück.
Es war Die-Frauen-Zusammen.
Das Sprechen der stummen Zungen.“

Mit dem Sprechen beginnt die Zurück-Verwandlung in diesem multiperspektivischen, klug konstruierten, sprachgewaltigen Buch.

Der ganz spezifische Draesner-Sound

Diese Sprachgewalt, die Sprachverliebtheit ist zugleich Draesners Markenzeichen, aber auch mein Kritikpunkt an „Die Verwandelten“: Mit ihrer „Grammatik der Gespenster“ durch die Lektüre einiger ihrer Romane vertraut (hier die Besprechung von „Schwitters“), war ich entsprechend eingestimmt auf die Lektüre ihres neuen Romans, wusste, es bedarf des konzentrierten, aufmerksamen Lesens und des Einlassen-Könnens in eine Sprache, die von literarischer Kunst zeugt. Aber, bis sich auch der Nebel über der Erzählung lichtet, war es diesmal für mich ein Ringen: Durch die mehrfachen Wechsel der Erzählperspektiven, die Vielstimmigkeit, das Vor- und Zurückschreiten in den zeitlichen Ebenen brauchte es seine Zeit, um in die Erzählung an sich zu finden. Manche Formulierung für meinen Geschmack zu sehr „l‘art pour l’art“, den Erzählfluss in meinen Augen eher behindernd denn erleuchtend. Und trotz der Vielstimmigkeit: Durch die Stimme jeder Frau hört man Ulrike Draesner, haben Doro, Kinga, Else, Alissa, Walla, Gerda und die anderen einen ähnlichen „Sound“.

Und dennoch: Das Ringen lohnt. Und während der Roman einen zunächst eher auf einer intellektuellen Ebene abholt, packt er einen mit seinem Fortschreiten auch emotional: Insbesondere, als die Stimme von Reni alias Walla mehr und mehr Raum erhält, als die Frauenfigur, die ein Schlüssel in dieser Geschichte ist, ihr Schweigen bricht und greifbare Gestalt annimmt. Walla, deren Schicksal auch exemplarisch steht für das vieler Frauen, prägt diesen beeindruckenden Roman bis zu dessen Ende.


Bibliographische Angaben:

Ulrike Draesner
Die Verwandelten
Penguin Verlag, 2023
ISBN: 978-3-328-60172-2

RICHARD PLANT: Die Kiste mit dem großen S

Richard Plant ging 1933 ins Exil. Als schwuler Jude hatte er unter den Nationalsozialisten nichts Gutes zu erwarten. In der Schweiz schrieb er den Kinderroman „Die Kiste mit dem großen S“, nun wiederentdeckt im Gans Verlag.

Richard Plant: Die Kiste mit dem großen S

1933: Freunde raten Richard Plaut, Deutschland zu verlassen. Der 1910 in Frankfurt geborene Sohn eines Arztes und sozialdemokratischen Stadtrats, jüdisch und schwul, hat unter den Nationalsozialisten viel zu befürchten. Er geht in die Schweiz und beginnt dort, parallel zu seinem Studium an der Universität Basel, Detektivromane und Kinderbücher zu schreiben, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

1936 erscheint die „Die Kiste mit dem großen S“. Jahrzehnte später sagt Richard Plaut, der sich nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten 1938 und der Zuerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft 1945 Richard Plant nennt, dass in diesen Roman subtil eigene Erfahrungen aus dem Schweizer Exil eingeflossen seien: Einsamkeit, Fremdsein, erste Liebe.

Der Roman erzählt von den vier Kindern der Familie Baumann. Die Eltern sind zur Kur, da wird auch noch die Haushälterin krank: Plötzlich sind die Kinder ganz auf sich gestellt. Da geschieht Unvorhergesehenes und auf die Kinder kommt eine große Herausforderung zu. Das Buch ist ein spannend und lustig erzählter Kinderkrimi, Coming-of-Age-Roman, die Geschichte einer Jungensfreundschaft oder auch schwule Lovestory. Die erste Liebe wird durch die Geschehnisse auf eine harte Probe gestellt.

Zum Buch:

Die Neuausgabe im Gans Verlag beinhaltet über 30 Illustrationen des Buchillustrators Leo Meter, den Richard Plants Schwester Elisabeth im Exil geheiratet hatte. Sie waren in der niederländischen Ausgabe von 1937 enthalten. Außerdem wird das Buch ergänzt durch ein Geleitwort von Barbara Meter (Filmemacherin, Amsterdam) und eine Kurzbiografie Richard Plauts von Raimund Wolfert.

Zum Autor:

Richard Plant (zuvor Richard Plaut) wurde 1910 in Frankfurt am Main geboren. Er floh 1933 in die Schweiz, floh 1938 weiter in die USA. Bekannt wurde er durch sein Buch „Rosa Winkel. Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen“, das 1991 auf Deutsch erschien. Richard Plant starb am 3. März 1998 in New York City.

Link zur Leseprobe


Stimmen zum Buch:

“Man gerät beim Lesen in eine abenteuerliche Zeitreise und kann sich überlegen, wie so etwas heute aussehen könnte, im Zeitalter von Handys und ganz anderen Möglichkeiten. Kinder bleiben Kinder – und Abenteuer eben Abenteuer. Schön, dass der Gans Verlag sich um diese verschütteten Kostbarkeiten jüdisch-deutschsprachiger Autorinnen und Autoren kümmert.” – Andrea Wanner, Titel kulturmagazin

“Aus heutiger, insbesondere kindlicher Sicht war das beginnende 20. Jahrhundert eine sehr skurrile Welt. Und genau diese wird in „Die Kiste mit dem großen S“ in ihrem Alltag authentisch wiedergegeben. Eine reizvolle und mutige Idee des Gans Verlags.” – Claudia Grothus, zugetextet.com

“Ungeachtet des Alters des Textes funktioniert der Roman als Detektiv- und versteckte Liebesgeschichte.” – Michael Fassel, literaturkritik.de


Richard Plant – Die Kiste mit dem großen S

Gans Verlag, April 2023
210 Seiten, Fadenbindung, Klappenbroschur
Buchreihe: Historische Kinder- und Jugendbücher jüdisch-deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, Band 3
29,90 Euro
ISBN 978-3-946392-30-9

https://www.gansverlag.de/


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Gans Verlag.

ANETTE L. DRESSLER: Brockesstraße Beletage

Ein Debütroman in der Stroux edition: „Brockesstraße Beletage“ erzählt die Geschichte zweier Frauen, die kurz nach Kriegsende eine Zweckgemeinschaft eingehen müssen.

Die altansässige Lübeckerin Alma Curtz muss im Jahr 1947 zwangsweise die aus Masuren geflüchtete Frieda Markuweit in ihre Wohnung in der Brockesstraße aufnehmen. Beide Frauen sind Kriegerwitwen, sonst gibt es aber keine Übereinstimmung. Alma träumt davon, ihren Kurzwarenladen wieder eröffnen zu können und endlich wieder einmal tanzen zu dürfen. Frieda sehnt sich zurück nach der verlorenen Idylle ihres Beamtenhaushaltes. Der Roman schildert die auseinanderklaffenden Lebenswelten dieser beiden Frauen vor dem Hintergrund von Gaunereien, Schwarzhandel, Tanzwut, Swing, vom Hunger nach Leben und Liebe.

Zur Autorin:

Anette L. Dressler wuchs mit ihrer Schwester in Lübeck und am Ostseestrand auf. Sie studierte in Berlin Französisch und Englisch und unterrichtete die Fächer als Lehrerin und Dozentin. Sie lebt mit ihrem Mann in Berlin und Lübeck und schreibt Kurzrezensionen für ein Kulturportal.
Die Spurensuche nach der Herkunft und dem Ankommen ihrer Familie in Schleswig-Holstein nach Ende des Zweiten Weltkrieges inspirierte sie zu ihrem Debütroman „Brockesstraße Beletage“.

Stimmen zum Buch:

„Die Frauen trennen Welten, und doch zwingt sie die Wohnungsnot der deutschen Nachkriegsjahre, sich die Wohnung in Lübeck zu teilen. Ein anstrengendes Unterfangen, das Dressler manchmal anrührend, dann wieder humorvoll und kurzweilig beschreibt.“ – Waltraud Günther, Evangelisches Gemeindeblatt

„Was der 300-Seiten-Roman auf jeden Fall leistet, ist ein sehr nahbarer Einblick in das Nachkriegsdeutschland in Bezug auf Alltäglichkeiten: Ein Mocca faux, hier des Öfteren Mukkefukk bezeichnet, hinterlässt ein Lächeln. Man erfreut sich über das Wissen um Nylonstrümpfe, Lebensmittelbeschaffung, Flohbeseitigung oder Ausgehmöglichkeiten der damaligen Zeit in Lübeck. Sehr sanft und verhalten wird die Annäherung zwischen den beiden Frauen erzählt und doch bietet sich ein Exempel für die Migration der Gegenwart – Fremdes wird irgendwann zu Vertrautem.“ – katkaesk

„Anette L. Dressler ist in Lübeck aufgewachsen. Ihr erster Roman „Brockesstraße Beletage“ ist nicht nur eine Hommage an ihre hanseatische Heimatstadt, sondern vor allem auch ein zeitgeschichtlich hochinteressantes Porträt der Nachkriegszeit des Jahres 1947, das zwei starke Frauen mit bemerkenswertem Schicksal in den Mittelpunkt stellt.“ – Kulturbowle

„Brockesstraße Beletage“ ist ein fesselnder Roman, der mich in eine Zeit voller Widersprüche und Veränderungen entführt und zugleich die universellen Themen von Verständnis, Toleranz und Solidarität behandelt.“ – Angélique’s Leseecke


Zum Buch:


ANETTE L. DRESSLER
Brockesstraße Beletage
in Lübeck St. Lorenz Nord
STROUX edition, München
328 Seiten, Hardcover
€ 24,00 [D]
ISBN 978-3-948065-28-7
https://stroux-edition.de/


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

#MeinKlassiker (36): Hildegard E. Keller sagt: Endlich! Etty Hillesum – Chronistin ihrer Zeit

Erstmals liegen sämtliche Schriften Etty Hillesums in deutscher Sprache vor. Endlich, sagt Literaturexpertin Hildegard E. Keller. Denn die Tagebücher der jungen Niederländerin werden als philosophische Lebenskunst, Mystik des Alltags und Ethik des Mitleidens gefeiert. Für Keller ist Hillesum #MeinKlassiker.

2016 bat ich einige Literaturblogger*innen, Autor*innen und andere Menschen aus dem Literaturbetrieb, doch einmal ganz frei über ihre Klassiker zu schreiben: Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Bücher, die einen das ganze Leben über begleiten. Der Zuspruch und das Interesse war enorm: Es gab 35 Beiträge unter dieser Rubrik auf dem Blog, der seinerzeit noch unter Sätze&Schätze firmierte. Sie werden nach wie vor gelesen: Klassiker machen neugierig. Allen, die bisher zu der Reihe beigetragen haben, an dieser Stelle nochmals mein herzlichster Dank!
Inzwischen ist mein Literaturblog wiederbelebt. Und als ich neulich einen Beitrag über meinen Klassiker schrieb, „Die Insel des zweiten Gesichts“ von Albert Vigoleis Thelen, wurde einmal mehr deutlich, wie groß, auch im Trubel der Neuerscheinungen, das Interesse an Autor*innen ist, deren Werke die Jahre überdauern.
Die Idee, #MeinKlassiker mit dem Blog wieder mit neuem Leben zu erfüllen, war da – und ich war ganz positiv überrascht, dass schon einige literaturaffine Menschen meiner Einladung gefolgt sind und hier über ihre Klassiker schreiben werden. Ich freue mich sehr über den Auftakt zu #MeinKlassiker 2.0 durch Hildegard E. Keller, die mit Etty Hillesum eine ganz besondere Frau vorstellt.
Ein Werk, das die Jahre überdauert hat und eine Neuerscheinung ist.


Ein Gastbeitrag von Hildegard E. Keller

Im Mittelalter stellte man sich die Liebe als noble Dame vor: Vrouwe Minne, Frau Minne, Lady Love. Die ersten Dichterinnen im deutschen und niederländischen Sprachraum, deren Namen wir kennen und deren Werke erhalten geblieben sind, dienten ihr als Sprachrohr. Es sind grosse Namen. Es sind Klassikerinnen. Es sind auch die einzigen schreibenden Frauen zwischen 1100 und 1300. Dichten ist für sie Dienst an ihrer Chefin, denn die Liebe ist die heimliche Göttin an Gottes Seite.

Der Ozean im Fingerhut. Filmstill (2012). © Bloomlight Productions.

Im Hörspiel Der Ozean im Fingerhut (2011) brachte ich drei dieser Klassikerinnen zusammen: die alte Hildegard von Bingen (1098-1179), die in ihrem langen Leben über fast alles geschrieben hat; Mechthild aus Magdeburg (um 1207-1282), die uns ihr Buch Das fliessende Licht der Gottheit hinterliess und die geheimnisvolle Hadewijch (sie schrieb um 1250), die in mittelalterlichem Niederländisch Lieder, Visionen und Briefe dichtete. Die inoffizielle Hauptperson des Hörspiels ist aber Etty Hillesum (1914-1943). Sie gehört zu den Klassikerinnen, die genug bekannt sind, dass sich jemand für ihr Werk interessiert, genug unbekannt, dass man sie neu entdecken kann. Das Hörspiel inszeniert eine fiktive Begegnung. Da die vier nur jenseits von Ort und Zeit zusammenfinden konnten, erschuf ich mit literarischen Mitteln einen Begegnungsraum. Für mich war es Forschung mit künstlerischer Freiheit, ein Abenteuer, auf Mittelhochdeutsch âventiure.

Der Ozean im Fingerhut. Filmstill (2012). © Bloomlight Productions.

Etty Hillesum spricht mit ihren christlichen Kolleginnen über die gemeinsamen Themen: das Schreiben, die Liebe, Gott und die Welt. Etty sah sich selbst als Chronistin ihrer Zeit, ist aber weit mehr als eine jüdische Zeitzeugin. In ihrem nur neunundzwanzig Jahre langen Leben, das in Auschwitz gewaltsam beendet wurde, hat sie lieben gelernt wie keine. Zwei Jahre lang beschreibt sie in Tagebüchern ihren inneren Weg. Sie schildert auch, wie sich im nationalsozialistisch besetzten Amsterdam ihr Lebensraum verengt, wie es sie immer stärker nach innen drängt. Ihre Tagebücher und Briefe wirken auch achtzig Jahre nach ihrem jähen Abriss atemberaubend und erfrischend. Als ich 2010 mein Hörspiel schrieb, musste ich mich auf internationale Ausgaben ihres Werks stützen, die niederländische Originalausgabe, die englische, italienische, französische und spanische, denn die gab es alle, meist gut kommentiert. Was fehlte, war die deutschsprachige Gesamtausgabe. Dies fand ich so unerhört, dass ich einen deutschen Verlag zu gewinnen suchte, doch das Projekt versandete. Das ist gut so. Denn vor wenigen Tagen ist sie endlich bei C.H. Beck erschienen: die erstmals vollständige und neu übersetzte Gesamtausgabe: «ICH WILL DIE CHRONISTIN DIESER ZEIT WERDEN. Sämtliche Tagebücher und Briefe 1941–1943.» Hg. von Pierre Bühler. Aus dem Niederländischen von Christina Siever und Simone Schroth ausgezeichnet übersetzt. Die rund tausend Seiten lesen sich hervorragend, man ist dankbar für den grosszügigen Kommentar- und Bilderteil, diese Ausgabe erfüllt einen meiner Herzenswünsche. Eine Pflichtlektüre für alle.

Der Ozean im Fingerhut. Filmstill (2012). © Bloomlight Productions.

Wie schon die meisten internationalen Ausgaben hilft das neue Gesamtwerk beim Lesen. Damit meine ich den wichtigen Zwei- und Mehrsprachenraum, in dem Etty Hillesum gelebt, gedacht, geschrieben hat. Literatur, Weltliteratur, aber besonders auch russische und deutsche Literatur bedeuteten ihr viel. Einer ihrer Hausdichter, Rainer Maria Rilke, vor allem aber die Begegnung mit Julius Spier, nach der Reichskristallnacht aus Berlin nach Amsterdam geflohen, trugen dazu bei, dass Etty Hillesum zahlreiche Passagen auf Deutsch in ihr niederländisches Original einfügte. Diese Koexistenz von Niederländisch und Deutsch, die in der neuen Ausgabe mit Serifen bzw. serifenloser Schrift sichtbar gemacht wird, ist wesentlich. Etty Hillesum pflegte das Neben- und Miteinander der zwei Sprachen ganz bewusst, in Amsterdam wie auch später im Durchgangslager Westerbork. Es war eine Geste des inneren Widerstands gegen den Hass, den die Situation aufoktroyierte. Sprachlich und überhaupt in nur jeder denkbaren Weise nutzte Etty Hillesum jeden Moment, um in ihrer Liebesfähigkeit zu wachsen.  

Mittwochmorgen, 29. April [1942].

Dass ich so stark lieben kann! Mein Inneres blüht in alle Richtungen auf und die Liebe wird immer stärker und größer und ich lerne auch immer besser, sie zu ertragen und nicht darunter zermalmt zu werden. Und durch dieses Ertragen fühlt man, dass man immer stärker wird. Dass ich so sehr lieben kann!
Er ist ganz großartig. (S. 450)

5 Uhr nachmittags.

An ihm bin ich eigentlich erst schöpferisch geworden – verrückt, manche Dinge kann ich überhaupt nicht mehr auf Niederländisch sagen. An ihm sind meine schöpferischen Kräfte zum ersten Mal erwacht und an ihm werden sie auch zum ersten Mal eine Form annehmen. Er muss mich später wieder von sich wegstoßen, in den Raum hinein. In einem einzigen klaren Augenblick sehe ich dies plötzlich sehr deutlich: dass ich mich nicht danach sehnen sollte, ein Leben lang bei ihm zu bleiben oder ihn heiraten zu wollen. An ihm bin ich zu einer Form gelangt, aber er muss sich von mir wegstoßen, sodass ich später in einem kosmischen Raum zu einer neuen Form gelangen werde, unabhängig von ihm. (S. 451)

Der Ozean im Fingerhut. Filmstill (2012). © Bloomlight Productions.

Endlich kann diese Klassikerin des literarischen Humanismus neu gelesen werden. Alle, die diese bahnbrechende Gesamtausgabe in die Welt gebracht haben, verdienen Hochachtung. Das gilt ganz besonders für die Übersetzerinnen. Am 5. April findet die Buchpräsentation in Zürich statt, mit dem Herausgeber Pierre Bühler, der Übersetzerin Christina Siever, Marja Clement und mir; Moderation Verena Mühlethaler. Am 12. April werde ich den Experimentalfilm Der Ozean im Fingerhut, den ich 2012 auf der Grundlage des gleichnamigen Hörspiels produziert habe, zeigen.

Ein Beitrag von Hildegard E. Keller


Bibliografie:

Etty Hillesum
Ich will die Chronistin dieser Zeit werden
Sämtliche Tagebücher und Briefe (1941 – 1943)
C.H.Beck Verlag, München, März 2023
Hardcover, 989 S., mit 46 Abbildungen
ISBN 978-3-406-79731-6

Von Etty Hillesum. Herausgegeben von Klaas A.D. Smelik, Deutsche Ausgabe herausgegeben von Pierre Bühler. Mit einem Vorwort von Hetty Berg. Aus dem Niederländischen von Christina Siever und Simone Schroth.

Buchvernissage in Zürich:
https://citykirche.ch/buchvernissage-und-mystikreihe-zu-etty-hillesum/


Zur Autorin dieses Beitrags:

Von 2009 bis 2019 war Hildegard Keller Literaturkritikerin im Fernsehen (Jurymitglied beim Bachmannpreis, ORF/3sat; Kritikerteam des Literaturclubs SRF/3sat). Seit 2019 konzentriert sie sich auf ihre künstlerischen Projekte (Literatur, Film, Storytelling) und gibt die Edition Maulhelden heraus. Seit den frühen 1990er Jahren lehrte sie deutsche Literatur an Universitäten im In- und Ausland (USA, GB, NL, D, ARG, TUR), zehn Jahre lang als Professorin an der Indiana University in Bloomington (USA), wo sie ihren ersten Dokumentarfilm (Whatever Comes Next, 2014) geschaffen hat; heute lehrt sie Multimedia-Storytelling an der Universität Zürich. Ihr Werk umfasst Romane, Hörspiele, Radiofeatures, Podcast, Filme und Performances. Ihr Hörspiel DIE STUNDE DES HUNDES war für den Deutschen Hörbuchpreis 2009 nominiert und wurde mit dem Theophrastus-Preis ausgezeichnet. Sie ist zudem Herausgeberin, Übersetzerin und Biografin von Alfonsina Storni; die fünfbändige Werkauswahl wurde in der Edition Maulhelden veröffentlicht. 2021 erschien mit WAS WIR SCHEINEN ihr erster, vielbeachteter Roman: Eine Lebensreise mit Hannah Arendt. Am 28. März erscheint er auf Italienisch (Quel che sembriamo. Übersetzt von Silvia Albesano. Guanda; Buchpremiere am 30. März in Venedig).

Homepage von Hildegard Keller:
https://www.hildegardkeller.ch/

Edition Maulhelden:
https://www.editionmaulhelden.com/

Den Film und das Hörspiel „Der Ozean im Fingerhut“ gibt es zu kaufen, weitere Information und Bestellmöglichkeiten unter info@hildegardkeller.ch.

Gabriele Tergit: Der erste Zug nach Berlin

„Der erste Zug nach Berlin“ ist eine literarische Überraschungstüte und eindrucksvolles Zeitzeugnis zugleich: Knallbunt und doch auch düster, tragisch und komisch zugleich, wie von leichter Hand geschrieben und doch voll tiefem Ernst.

„Anfang Mai verabschiedete ich mich von der ganzen Bande und wir gingen noch mal ins Twenty-One. Ich ging in meinem großen Abendkleid von Chanel zum Aerodrom mit einem Pfauenfächer, das Neueste aus Paris.“

Gabriele Tergit, „Der erste Zug nach Berlin“


Voilà, hier haben wir sie: Die 19-jährige Maud, eine nicht dumme, aber zunächst reichlich naiv daher plaudernde Angehörige des amerikanischen Geldadels. Mehr durch Zufall ­– und auch, weil sie vor der Heirat mit dem Sohn vom Governor Perry noch eine kleine Sause erleben will – wird sie Mitglied einer amerikanischen Mission ins Nachkriegsdeutschland. Der Verlobte sieht das kritisch:

„Er sagte, ich sei eine Närrin, nach dem wilden Europa zu gehen, wenn ich in dem schönen New York mit seinem sanften Klima und noch sanfteren Sitten bleiben könnte. Dass ein Mensch aus Vergnügen nach Europa ginge, habe er überhaupt noch nicht gehört.“

In der Tat betrachtet Maud die Reise, die die Gruppe nach London und dann in das zerbombte Deutschland und in den Osten führt, zunächst wie einen abenteuerlichen Jux. Sie ist Zeugin zahlreicher erregter politischer Diskussionen, die sie kaum nachvollziehen kann – ein handwerklicher Kunstgriff, der den Lesern auch heute noch die Augen öffnet für das Klima, in dem die Nachkriegspolitik der Besatzungsmächte stattfand.

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Patriotismus und kapitalistische Gier

Die Erfahrung des Krieges als Nährboden für überbordenden Patriotismus und kapitalistische Gier: Im Preisausschreiben einer englischen Zeitung wird dazu aufgerufen, „alle Dinge aufzuschreiben, die wir aus dem Empire bekommen können oder auf die wir verzichten können und die noch immer woanders gekauft werden“. Der Brexit lässt grüßen.

„Der erste Zug nach Berlin“ ist ein schmaler Roman Gabriele Tergits, den die jüdische Schriftstellerin unter dem Eindruck ihrer eigenen ersten Berlin-Reisen 1948 und 1949 schrieb. Man kann davon ausgehen, dass die Autorin, die sich vor ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland auch als Journalistin beim Berliner Tageblatt und Gerichtsreporterin einen Namen gemacht hatte, die Verhältnisse in Deutschland weitaus scharfsinniger und klüger kommentierte als ihre Kunstfigur Maud.

Naivität als Stilmittel

Doch gerade deren Blauäugigkeit ist ein genialer Kunstgriff Tergits, der es dadurch gelingt, die Grausamkeiten, Härten und Absurditäten dieser Zeit aus einer quasi neutralen Position zu schildern – nicht nur die Kriegsgewinnler und Kollaborateure erhalten so einen Auftritt, sondern auch die Interessensvertreter aus den Besatzungsmächten, die zum Teil durchaus auch Sympathien für den Antisemitismus des Hitlerstaates hegten. So bekommt in diesem schmalen Buch, das nun erstmals nach dem Original-Typoskript erschien (zu Lebzeiten von Gabriele Tergit blieb es unveröffentlicht), jeder sein Fett ab.

In ihrem Nachwort betont Herausgeberin Nicole Henneberg, die sich um die Wiederentdeckung Gabriele Tergits verdient gemacht hat, zur Erzählerin Maud:

„Aber Maud ist nicht nur naiv, sondern auch abenteuerlustig und fest entschlossen, ihre Augen weit aufzureißen und alles mitzumachen, auch wenn sie die Verhältnisse um sie herum nicht versteht und die Gespräche noch viel weniger.“

Sie werde so zu einer „Kamera mit weit geöffneter Blende“.  Ein idealer Ausgangspunkt, meint Henneberg, „um alles ohne Unterschied aufzunehmen und zu schildern (…), ohne zu werten oder zu zensieren. Was so entsteht, ist eine Szenenfolge, die auf dem schmalen Grat zwischen Satire und Tragik balanciert (…).“

Maud ist zwar Ohrenzeugin – „Ich hörte gespannt zu und dachte, wie schön es ist, etwas zu lernen“ – aber stürzt sich in ihrer Blauäugigkeit erst einmal von einer Verliebtheit in die andere, bis sie in den Armen eines Deutschen landet, dessen exzellente Manieren und selbstsicheres Auftreten Eindruck hinterlassen. Erst spät erkennt sie, dass dieser Herbert Stegen, der sich als Journalist bei den Engländern andient, einst ganz eng mit Goebbels war: Nur einer von mehreren Mittätern und Mitläufern in diesem Roman, die zeigen, wie nahtlos es für viele Hitler-Anhänger auch nach dem verlorenen Krieg weiterging. Überhaupt trifft Maud auf zahlreiche Deutsche, die der Nazi-Ideologie ungebrochen anhängen, so auf ein Zimmermädchen, „sie war sehr groß, hatte blonde Zöpfe um den Kopf“, das sich weigert, „den Feinden den Koffer auszupacken“. Die anschließende Diskussion mit den englischen Reisemitgliedern zeigt die Schizophrenie jener Zeit:

Miss Battle-Abbey sagte: „Jeder kann sich ein Beispiel daran nehmen. Hitler hat wirklich den Selbstrespekt des deutschen Volkes wieder hergestellt.“

Für das langsame Erwachen und den Erkenntnisgewinn Mauds sorgen letztlich nicht nur ihre eigenen Erlebnisse, sondern vor allem der Kontakt zum amerikanischen Journalisten Merton, der ihr „das andere Deutschland“ zeigt.

Düstere Schlüsselszene

Eine Schlüsselszene dieses trotz seines leichten Grundtons, der mitunter auch an die Romane Irmgard Keuns erinnert, düsteren Romans ist der Besuch der beiden bei dem deutschen Journalisten Reinhold, der von den Nazis gefoltert und im KZ gequält vor den Augen der Amerikaner an Auszehrung stirbt. Die Suche durch „Schutt und Asche“ nach einem Arzt wird für Maud wie zu einem Abstieg in die Hölle, insbesondere beim Blick ins ärztliche Wartezimmer:

„Es saßen da Tod und Teufel, Krankheit und Hunger, eine alte Frau, fett und gierig und neidisch, und ein junger Mann, er hielt eine Uhr in der Hand und grinste, ein Geschöpf war da voll von Bandagen mit Auswuchs und ein kleines Kind mit einem aufgeblähten Bauch. Ich stand im Zimmer und ich wusste, Krankheit, Tod und Teufel und Hunger würden mich holen, wenn ich nicht aufhörte zu denken und mitzuleiden und zu wollen, wenn ich nicht so rasch wie möglich aus Europa floh.“

Die ganze Erschütterung, die auch Gabriele Tergit bei ihren beiden Berlin-Reisen Ende der 1940er-Jahre erfahren haben muss, werden hier spürbar. Und wie Maud zog es Tergit, die an „ihrem“ Berlin hing, nie mehr zurück, sie blieb in London, das ihr zur neuen Heimat geworden war und wo sie 1982 starb. Maud, das Mädchen im Chanelkleid und mit dem Pfauenfächer, kehrt nach drei Monaten um einiges klüger und reifer geworden, in die Vereinigten Staaten zurück, heiratet ihren Clark Perry und lebt im „modernsten Flat in New York“. Merton, jene Romanfigur, die die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge am klarsten durchschaute und kommentierte, sieht sie nur noch einmal, als „lay preacher“, etwas verkommen aussehend, an einer Ecke stehen:

„Nur drei Leute hörten ihm zu: der eine war bucklig, der andre war blind, der dritte war lahm.“

„Der erste Zug nach Berlin“ ist eine literarische Überraschungstüte und eindrucksvolles Zeitzeugnis zugleich: Knallbunt und doch auch düster, tragisch und komisch zugleich, wie von leichter Hand geschrieben und doch voll tiefem Ernst.

Das letzte Wort soll Merton gehören:

„Dieses Spiel spielt die Menschheit seit einigen tausend Jahren“, sagte Merton. „Ich bin der Letzte, der findet, dass es auf ein paar Hundert Quadratmeilen ankommt. Aber solange das der Maßstab für Ehre ist, solange alle nationale Leidenschaft sich auf ein paar Quadratmeilen Land irgendwo erstrecken kann, soll man sehr vorsichtig mit territorialen Änderungen sein, die nächste Generation muss immer dafür sterben. Wir alle leben in einer Welt.“


Bibliographische Angaben:

Gabriele Tergit
Der erste Zug nach Berlin
Schöffling Verlag, 2023
ISBN: 978-3-89561-475-0

GANS VERLAG: Frühjahr 2023

Der Gans Verlag ist ein noch junger Verlag aus Berlin. Schwerpunkt sind neben wiederentdeckten Kinderbüchern jüdischer Autoren ungewöhnliche neue Texte aus der Indie-Literaturszene.

Das Frühjahrsprogramm 2023 bietet ein großartiges Beispiel wiederentdeckter Exilliteratur: “Die Kiste mit dem großen S” von Richard Plant, ein Autor, der, jüdisch und homosexuell, im nationalsozalistischem Deutschland doppelt gefährdet war. Darüber hinaus kamen drei weitere neue Bücher heraus: Mit “Schrift unter Tage” Essays und Kolumnen von Jan Kuhlbrodt, das Jugendtheaterstück “Vampirgirl” von Sophie Reyer und das literarische Debüt des Theatermanns Ron Rosenberg, “Haben Tauben Hoffnung”, bezaubernde Vater-Tochter-Geschichten.

Richard Plant: Die Kiste mit dem großen S

1933: Freunde raten dem jungen, jüdischen und schwulen Mann, Richard Plaut, wie er damals noch heißt, Deutschland zu verlassen. Er geht in die Schweiz und verliebt sich in einen jungen Gärtner. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, schreibt er Detektivromane und Kinderbücher: „Die Kiste mit dem großen S“. Jahrzehnte später sagt er, dass in diesen Roman subtil eigene Erfahrungen aus dem Schweizer Exil eingeflossen seien: Einsamkeit, Fremdsein, erste Liebe. Der Roman erzählt von den vier Kindern der Familie Baumann. Die Eltern sind zur Kur, da wird auch noch die Haushälterin krank: Plötzlich sind die Kinder ganz auf sich gestellt. Da geschieht Unvorhergesehenes und auf die Kinder kommt eine große Herausforderung zu. Das Buch ist ein spannend und lustig erzählter Kinderkrimi, Coming-of-Age-Roman, die Geschichte einer Jungensfreundschaft oder auch schwule Lovestory. Die erste Liebe wird durch die Geschehnisse auf eine harte Probe gestellt.

Zeichnungen: Mit über 30 Illustrationen von Leo Meter (aus der niederländischen Ausgabe von 1937). Geleitwort von Barbara Meter (Filmemacherin, Amsterdam). Kurzbiografie Richard Plauts von Raimund Wolfert.

Der Autor: Richard Plant (zuvor Richard Plaut) wurde 1910 in Frankfurt am Main geboren. Er floh 1933 in die Schweiz, floh 1938 weiter in die USA. Bekannt wurde er durch sein Buch „Rosa Winkel. Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen“, das 1991 auf Deutsch erschien.

Richard Plant – Die Kiste mit dem großen S
ET April 2023 | ca. 210 Seiten
Fadenbindung | Klappenbroschur | über 30 Zeichnungen
Buchreihe: Historische Kinder- und Jugendbücher jüdisch-deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, Band 3, 29,90 Euro | ISBN 978-3-946392-30-9

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Ron Rosenberg – Haben Tauben Hoffnung

Autor Ron Rosenberg macht in Berlin und Zürich sonst Theater mit der Altersgruppe „Ü60“. In seinem Debütband geht es jedoch um „U7“, nämlich um seine Tochter – aber auch um ihn. Es geht um Fragen, wie sie nur Kinder stellen können, um Hupkonzerte und Doraden, um Pfützen und Sterne. Oder um Träume. Und warum es möglich ist, Träume zu sehen, wenn doch die Augen geschlossen sind. Kinderfragen. Wissen Eltern darauf wirklich eine Antwort? Und dann geht es auch noch darum, wie die Tochter dem Vater hilft, sich als Vater zu begreifen – und erwachsen zu werden. Rosenberg erzählt auf eine leichte und schmunzelnde Art, dass es nur so eine Freude ist, den beiden, Tochter und Vater, auf dem Weg durch die weite Welt ihrer Geschichten zu folgen.
Leseprobe: „Wir könnten mit den Tauben reden, lächelt mich mein Kind an. Mit den Tauben reden, wiederhole ich und bin irritiert. Wir sollten uns Zeit nehmen, fährt es fort, mit ihnen ins Gespräch kommen, ihnen sagen, dass wir da sind, für sie, auch wenn sie barfuß sind.“

Zeichnungen: Mit Zeichnungen des Berliner Künstlers Özgür Erkök-Moroder.

Der Autor: Ron Rosenberg, geboren 1976, ist Kurator des internationalen Kinder- und Jugendfilmfestivals in Riga, Theaterregisseur beim Senior Lab in Zürich und den Golden Gorkis in Berlin, zudem unterrichtet er an der Regensburger Akademie für Darstellende Kunst.

Ron Rosenberg – Haben Tauben Hoffnung

ET April 2023 | ca. 128 Seiten | DIN A5
Klappenbroschur | Klebebindung | ca. 10 Zeichnungen
Buchreihe: Gegenwarten, Band 3
Preis: 19,90 EUR (D) | ISBN: 978-3-946392-21-7

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Sophie Reyer – Vampirgirl

Bram Stoker hält der damaligen weithin prüden Gesellschaft mit der Figur des blutrünstig-lustvollen Dracula einen Spiegel vor, sagt Sophie Reyer. Ihr Vampir sei in einer postbürgerlichen, entzauberten Welt angekommen – in Gestalt eines Mädchens. Es gehe in Vampirgirl um jugendliche Todessehnsucht, Unsicherheit, Gender und die erste Liebe, die ewig dauern soll. Reyer hat ein Stück über eine Dreiecksbeziehung mit großen Gefühlen und coolen Songs geschrieben und spielt virtuos und schnell mit (Jugend-)Sprache.

Zeichnungen: Mit Zeichnungen des Berliner Künstlers Petrus Akkordeon.

Die Autorin: Sophie Reyer, geboren 1984, studierte Germanistik und Komposition. Sie veröffentlicht Lyrik, Prosa sowie Texte fürs Theater und ist Lehrende an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich. Sie lebt mit ihrer Schildkröte Kasimir in Baden bei Wien.

Sophie Reyer – Vampirgirl
ET April 2023 | ca. 112 Seiten | DIN A5
Fadenbindung | Klappenbroschur | ca. 10 Zeichnungen
Buchreihe: Theatertexte 1
Preis: 21,90 Euro | ISBN: 978-3-946392-31-6

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Jan Kuhlbrodt – Schrift unter Tage

Der Philosoph und Gastprofessor des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, Jan Kuhlbrodt, geboren 1966 in Chemnitz, versammelt in diesem Band Texte, die in einer Isolation, die vor Corona einsetzte, aber auch nachher anhält, entstanden sind, die auf Lektüren reagieren. Die Texte bewegen sich mit Hamann und Derrida in der jüngeren und jüngsten Philosophiegeschichte, blicken bei Elke Erb, Felix Philipp Ingold und Oleg Jurjew auf Gedichte oder eine in Romanen vorgestellte Welt, sie entwerfen Thesen beispielsweise zum Reim und zum Experiment, um sich in der papiernen realen Welt bewegen zu können. Und sie setzen das Gelesene und Geschriebene in einen historischen, aber auch biografischen Kontext.

Leseprobe: „Welche Bücher würdest du verbieten? Meine! Die Frage, welche Bücher ich verbieten würde, lässt den Aufklärer in mir zusammenzucken. Natürlich keines, wäre die politisch korrekte Antwort, weil jedes Verbot den jeweiligen Text einem potentiellen Diskurs entzieht; durch ein Verbot wird ein Text vom Markt gewischt, ökonomisch und inhaltlich. Zumindest könnte man das meinen. In einer Demokratie, wo die Freiheit des Wortes gilt, sollte also ein Verbot von Büchern sich selbst verbieten. Allerdings sorgt diese Freiheit auch dafür, dass so manches Wort ungehört verhallt, und andere bleiben unwidersprochen, auch wenn sie den krudesten Blödsinn verbreiten. Aber so einfach ist das nicht. …“

Zeichnungen: Mit einer Zeichnung des Chemnitzer Künstlers Carlfriedrich Claus auf dem Cover.

Der Autor:
Jan Kuhlbrodt, geboren 1966, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und Literatur am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, lehrte dort auch als Dozent und Gastprofessor. Er lebt als freier Schriftsteller und Herausgeber in Leipzig.

Jan Kuhlbrodt – Schrift unter Tage
ET April 2023 | ca. 168 Seiten | DIN A5
Fadenbindung | Klappenbroschur
Buchreihe: Gegenwarten Wissenschaft, Band 2
Preis: 29,90 EUR (D)
ISBN: 978-3-946392-29-3

Link zur Leseprobe


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Gans Verlag.