ANETTE L. DRESSLER: Brockesstraße Beletage

Ein Debütroman in der Stroux edition: “Brockesstraße Beletage” erzählt die Geschichte zweier Frauen, die kurz nach Kriegsende eine Zweckgemeinschaft eingehen müssen.

Die altansässige Lübeckerin Alma Curtz muss im Jahr 1947 zwangsweise die aus Masuren geflüchtete Frieda Markuweit in ihre Wohnung in der Brockesstraße aufnehmen. Beide Frauen sind Kriegerwitwen, sonst gibt es aber keine Übereinstimmung. Alma träumt davon, ihren Kurzwarenladen wieder eröffnen zu können und endlich wieder einmal tanzen zu dürfen. Frieda sehnt sich zurück nach der verlorenen Idylle ihres Beamtenhaushaltes. Der Roman schildert die auseinanderklaffenden Lebenswelten dieser beiden Frauen vor dem Hintergrund von Gaunereien, Schwarzhandel, Tanzwut, Swing, vom Hunger nach Leben und Liebe.

Die Autorin:
Anette L. Dressler wuchs mit ihrer Schwester in Lübeck und am Ostseestrand auf. Sie studierte in Berlin Französisch und Englisch und unterrichtete die Fächer als Lehrerin und Dozentin. Sie lebt mit ihrem Mann in Berlin und Lübeck und schreibt Kurzrezensionen für ein Kulturportal.
Die Spurensuche nach der Herkunft und dem Ankommen ihrer Familie in Schleswig-Holstein nach Ende des Zweiten Weltkrieges inspirierte sie zu ihrem Debütroman „Brockesstraße Beletage“.

Informationen zum Buch:
ANETTE L. DRESSLER
Brockesstraße Beletage
in Lübeck St. Lorenz Nord
STROUX edition, München
328 Seiten, Hardcover
€ 24,00 [D]
ISBN 978-3-948065-28-7
https://stroux-edition.de/

Leser*innenstimmen zum Buch:

“Was der 300-Seiten-Roman auf jeden Fall leistet, ist ein sehr nahbarer Einblick in das Nachkriegsdeutschland in Bezug auf Alltäglichkeiten: Ein Mocca faux, hier des Öfteren Mukkefukk bezeichnet, hinterlässt ein Lächeln. Man erfreut sich über das Wissen um Nylonstrümpfe, Lebensmittelbeschaffung, Flohbeseitigung oder Ausgehmöglichkeiten der damaligen Zeit in Lübeck. Sehr sanft und verhalten wird die Annäherung zwischen den beiden Frauen erzählt und doch bietet sich ein Exempel für die Migration der Gegenwart – Fremdes wird irgendwann zu Vertrautem.” – katkaesk

“Anette L. Dressler ist in Lübeck aufgewachsen. Ihr erster Roman „Brockesstraße Beletage“ ist nicht nur eine Hommage an ihre hanseatische Heimatstadt, sondern vor allem auch ein zeitgeschichtlich hochinteressantes Porträt der Nachkriegszeit des Jahres 1947, das zwei starke Frauen mit bemerkenswertem Schicksal in den Mittelpunkt stellt.” – Kulturbowle

Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

DIE KÖNIGIN VON TROISDORF: Shortlist beim Literaturpreis Ruhr 2022

Mit seinem Debütroman “Die Königin von Troisdorf” landete Andreas Fischer auf der Shortlist beim Literaturpreis Ruhr 2022. Für den Autor fühlt sich das bereits jetzt an wie ein Hauptgewinn.

Andreas Fischer kann sein Glück noch immer nicht richtig fassen: „Für mich ist das jetzt bereits schon wie ein Hauptgewinn“. Denn mit einem Debütroman, der zudem in einem eigens dafür gegründeten Verlag veröffentlicht wurde, auf der Shortlist eines bedeutenden Literaturpreises zu landen, das ist eher die Ausnahme denn die Regel. Und spricht für die Qualtität seines Romans „Die Königin von Troisdorf. Wie der Endsieg ausblieb“.

Der Literaturpreis Ruhr ist die wichtigste ideelle wie materielle Auszeichnung für Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die im Ruhrgebiet leben, sowie für Autorinnen und Autoren von außerhalb, die über die Region schreiben. Er wird seit 1986 jährlich vom Regionalverband Ruhr vergeben und vom Literaturbüro Ruhr organisatorisch und konzeptionell betreut.

53 Bücher unterschiedlicher Genres prüfte die Jury für den Literaturpreis Ruhr 2022, fünf kamen nun auf die Shortlist. Neben bekannten Namen wie Hilmar Klute, Jan Weiler und Jörg Hilbert auch die Debütanten Annika Büsing und Andreas Fischer. Die Eltern des Autors kamen ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, der Vater aus Essen, die Mutter aus Gelsenkirchen. Erst nach dem Krieg wurde das Paar im rheinischen Troisdorf heimisch, so spielt sich aber ein Großteil der Familiengeschichte, die Fischer beschreibt, im Ruhrgebiet ab.

Unter den Nominierten ist Fischer in einer Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung: Alle anderen veröffentlichten ihre Bücher in namhaften Verlagen, Andreas Fischer gründete nach einigen Versuchen, sein Manuskript unterzubringen, kurzerhand seinen eigenen Verlag, den „eschen 4 verlag“.

„Ich habe trotz der anfänglichen Schwierigkeiten bei der Verlagssuche und bei der Suche nach einem Vertrieb, was für einen Neuverleger mit nur einem Buch im Portfolio ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint, immer an meinen Text geglaubt“, so der Autor und Filmemacher. Viele positive Reaktionen von Leserinnen und Lesern, in Blogs und Medien gaben ihm nach der Veröffentlichung im Frühjahr 2022 recht: Sein Buch greift ein Thema auf besondere Art und Weise auf, das viele Menschen berührt.

So heißt es in der Jurybegründung für die Auswahl zur Shortlist beim Literaturpreis Ruhr:
„Über drei Generationen und hundert Jahre hinweg (von 1914 bis 2014) erzählt Andreas Fischer die Geschichte der eigenen Familie, deren Wurzeln in Gelsenkirchen liegen. Er berichtet in klarer Prosa und mit Originaldokumenten angereichert von den Kriegen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Menschen prägen, wie sie sie im Innern begrenzen und ebenso über sich hinauswachsen lassen. So entstehen trotz der nüchternen Erzählung komplexe Charaktere. Das gilt insbesondere für Oma Lena, die „Königin von Troisdorf“. Eine Familiengeschichte, die viele in Deutschland kennen – in dieser Umsetzung einzigartig lesenswert.“

Autor im Glück: Andreas Fischer. Bild: Isabelle Höpfner

Bereits in mehreren Dokumentarfilmen beschäftigte sich der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Filmemacher Andreas Fischer mit der Frage, wie sich kriegsbedingte Verluste und Traumata generationenübergreifend auf Familien auswirken, unter anderem in Söhne ohne Väter (3sat / SWR) und Der Hamburger Feuersturm 1943 (NDR). In „Die Königin von Troisdorf“ nahm er seine eigene Familiengeschichte zur Folie, erzählt von den Eltern, die im rheinischen Troisdorf ein gutgehendes Fotoatelier betreiben. Nach außen hin demonstriert man seinen Status: Häuser. Neues Auto. Sonntäglicher Kirchgang. Doch hinter der gutbürgerlichen Fassade legen die Familienmitglieder verstörende Verhaltensweisen an den Tag. Was treibt die Eltern um, die den Zweiten Weltkrieg als junge Erwachsene erlebten? Warum verabscheut die Oma, die zwei Weltkriege erlebte, ihren Enkel?

Mit seinem Roman zeigt Andreas Fischer auf, wie lange die Ideologie des Nationalsozialismus noch nachwirkt, wie sehr faschistische Verblendung und Kriegstraumata Familien über Generationen hinweg vergiften und prägen. „Auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine ist dieses Thema hochaktuell“, betont Andreas Fischer. „Ebenso erreichten mich aber auch viele Anschreiben älterer Leserinnen und Leser, bei denen nach der Lektüre eigene Erinnerungen wieder auflebten.“

Die erste Auflage war bereits im Juni vergriffen, inzwischen ist die zweite Auflage da. „Gerade zur rechten Zeit“, sagt Andreas Fischer. Denn die Nominierung für den Literaturpreis Ruhr hat insbesondere beim Buchhandel viel Interesse hervorgerufen. Der Preisverleihung am 15. September, die in Witten stattfindet, sieht Andreas Fischer zwar mit viel Vorfreude, aber auch mit Gelassenheit entgegen: „Allein die Nominierung ist schon eine wunderbare Anerkennung für mein Buch!“

Alle Informationen zum Literaturpreis Ruhr finden sich gebündelt auf der Homepage des Literaturbüros Ruhr: https://literaturbuero-ruhr.de/literaturpreis-ruhr/

Bibliographische Angaben:

Andreas Fischer
Die Königin von Troisdorf.
Wie der Endsieg ausblieb
eschen 4 verlag, Berlin
473 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen, 22,50 €
ISBN: 978-3-00070-369-0
Erscheinungstermin: 31.3.2022

Kontakt zum Verlag:

eschen 4 verlag
Eschenstr. 4
12161 Berlin
030 81006740
verlag@eschen4.de
https://www.eschen4.de/

Presseanfragen und Rezensionsexemplare: Birgit Böllinger, Telefon 0821 4509-133, kontakt@birgit-boellinger.com

Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag.

Deniz Ohde: Streulicht

Es ist kein Roman der lauten Töne, dieses einprägsame Debütwerk von Deniz Ohde, es ist tatsächlich ein „leise schreiendes“ Buch, wie es Stefan vom Blog „Poesierausch“ bezeichnete. Ein beeindruckender Roman.

Bild: Bild von Ralf Vetterle auf Pixabay

„Niemand hatte sich je die Zeit genommen, den Scheffel ausfindig zu machen, unter dem mein Licht stand; der Scheffel war der Satz selbst, der Scheffel waren die Wände, gegen die nachts die Aschenbecher flogen, der Scheffel war »Sei still« und »Sprich lauter«, zwei Forderungen, die ich gleichzeitig erfüllen sollte. Paradox oder nicht, schlussendlich war es meine eigene Schuld, dass ich Ihnen nicht Folge leisten konnte.“

Deniz Ohde, „Streulicht“

Es ist kein Roman der lauten Töne, dieses einprägsame Debütwerk von Deniz Ohde, es ist tatsächlich ein „leise schreiendes“ Buch, wie es Stefan vom Blog „Poesierausch“ bezeichnete. Und ein Debüt, das einen so sehr einnimmt beim Lesen, dass es zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist. Und das einen in der Konsequenz gerade dazu zwingt, genauer hinzuschauen, sensibler zu werden für das, was Ausgrenzung und Alltagsrassismus tatsächlich bedeuten.

Die Ich-Erzählerin in diesem Entwicklungs- und Bildungsroman trägt von Beginn an ein Stigma: Der Vater Alkoholiker, die Mutter der Armut und der Enge der Türkei entflohen, das Elternhaus ein Messiehaushalt, vom Vater und dem langsam dahinsiechendem Großvater vollgemüllt. Obwohl das Mädchen, das im Streulicht einer Industrieanlage im Ruhrgebiet aufwächst, Freunde aus der Mittelschicht hat, obwohl sie sich unbewusst anzupassen versucht, leise bleibt, zurückgenommen, instinktiv nicht auffallen will, trägt sie das Stigma an sich: Das Aussehen, die ärmliche Kleidung, die mit den Modetrends nicht mithalten kann und nach Zigarettenrauch stinkt, allein schon der Vorname, der genügt, um zu zeigen, dass sie anders ist. Als im Schulhof das erste Mal das „K“-Wort fällt, wird von allen Seiten beschwichtigt: Die Lehrerin bezeichnet die Rangelei unter Schülern, die Aggression als „Unfall“, die Mutter meint, das sei ein Schimpfwort, mit dem die Tochter nicht gemeint sein könnte: „Du bist Deutsche“.

Ganz behutsam, in immer dichteren Kreisen, steuert Deniz Ohde auf den Kern ihrer Erzählung zu: Was es bedeutet, qua Herkunft festgelegt, etikettiert zu sein, immer wieder auf unsichtbare Grenzen zu stoßen. So begreift die Ich-Erzählerin nicht, was ihr und anderen die Lehrer bei der Aufnahme auf das Gymnasium sagen wollen, als sie ihren Schülerinnen und Schülern immer wieder predigen, sie gehörten nun zur „zukünftigen Elite“.

„Es handelte sich dabei um eine implizite Aufforderung, so viel ahnte ich damals schon, aber welches Verhalten genau von mir verlangt wurde, was genau damit zusammenhing, dass ich zur Elite gehören sollte, verstand ich nicht, und es war auch keine Frage, die ich mir bewusst stellte, sondern vielmehr eine allgemeine Ratlosigkeit, die sich daraus ergab.“

Verstärkt wird diese Ratlosigkeit durch unachtsame Äußerungen der besten Freundin, für die Reitunterricht und Ballett Selbstverständlichkeiten sind, von kleinen Bemerkungen, die auf ihr Äußeres abzielen, von der Scham und den Zuständen zuhause, die verhindern, dass jemand von außen in dieses Haus kommen kann.

„Es hatte etwas mit meinem geheimen Namen zu tun und damit, dass ich wenig Gemüse aß, dass mein Vater mir alle paar Wochen etwas Obst schnitt und der Meinung war, so bliebe ich gesund, dass ich zum Mittagessen Tiefkühlpizza bekam und niemand in unserer Wohnung an irgendeinem Tisch aß, weil diese voller Zeitungen und leerer Döschen waren.“

Und doch, trotz all der Hindernisse, die zwischenzeitlich zum Schulversagen und Arbeitslosigkeit führen, bringt die Protagonistin einen ungeheuren Bildungswillen und charakterliche Stärke mit. Auf dem zweiten Bildungsweg holt sie den Schulabschluss nach, kommt an die Universität, lässt das Streulicht hinter sich – um natürlich auch an dem neuen Ort an die alten Muster und Grenzen zu stoßen. Das Kind, das früh weiß, dass es „mindestens dreihundert Kilometer Distanz zwischen mir und dem Ort schaffen würde“, wird zur Erwachsenen, die befürchtet, dass ihr nichts anderes übrigbleibt, „als mich an den Ort zu gewöhnen.“ Und doch liegt, als sie ihren Vater besucht, auch etwas Tröstliches in dem Satz, den er ihr beim Weggehen mitgibt: »Wenn`s nichts wird, kommst wieder heim.«

Der bereits mit dem Literaturpreis 2020 der Jürgen-Ponto-Stiftung ausgezeichnete Roman ist ein Buch der leisen Töne, der langsamen Entwicklung, der dennoch mit beeindruckender Klarheit von einer Gesellschaft erzählt, die auf der Illusion basiert, es bestünden Chancengleichheit und Bildungsmöglichkeiten für alle. Ruhig, fast schon bedächtig, und mit ganz feinen, beinahe schon poetischen Alltags- und Umgebungsbeschreibungen, die auch die Industriebrache in ein weicheres, ein Streulicht tauchen, widerlegt Deniz Ohde mit diesem beeindruckenden Roman diese Grundannahme. „Streulicht“ beeindruckt mit der Klarheit, mit der einem vor Augen geführt wird, wie unterschwellig Klassifizierung geschieht und wirkt.

Birgit Böllinger

Informationen zum Buch:

Deniz Ohde
Streulicht
Suhrkamp Verlag, 2020
Hardcover mit Schutzumschlag, 284 Seiten, 22,00 Euro
ISBN 978-3-518-42963-1

Malu Halasa: Mutter aller Schweine

Es sind die Frauenfiguren, die dieses Buch prägen: Sie verkörpern Tradition und Rebellion im Jordanien der Gegenwart.

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Bild von falco auf Pixabay

„Meine Geschwister in Amerika glauben, dass ihre Heimat noch genau so ist wie früher, aber das Gegenteil ist der Fall. Kriege und Revolutionen haben alles verändert. Das gebrochene Versprechen des Arabischen Frühlings ist nur eine weitere schwere Narbe für eine Region mit einer langen Vorgeschichte der Selbstverletzung. Leute wie ich sehnen sich nach was anderem, aber bis das passiert, haben ganz klar die Männer das Sagen.“

Malu Halasa, „Mutter aller Schweine“


Samira, die dieses bittere Fazit zieht, ist eine der Frauen in diesem Roman, die vergeblich auf neue Zeiten im Nahen Osten hofften. Doch sie ist auch eine, die ihr Schicksal in die Hände nimmt: Die junge Jordanierin knüpft Kontakte zu einer Gruppe syrischer Flüchtlingsfrauen, politisiert sich, rebelliert gegen die Umstände und verschwindet am Schluss dieses Buches in einer chaotischen Nacht, in der sich alles zuspitzt, um auf ihre Weise für eine bessere Welt zu kämpfen.

Es sind die Frauenfiguren, die dieses Buch prägen: Laila, die selbstständig wirkende Lehrerin, die von ihrer Ehe enttäuscht ist, Samira, die den Makel „der Ledigen“ vor sich her trägt, ihre Schwiegermutter und Mutter Fadhma, die weiß, wie es ist, nur geduldet zu sein. Die drei sind sich jedoch ähnlicher, als sie es sich selbst eingestehen wollen: Es verbindet sich der Zorn auf die Verhältnisse, der Wunsch, aus den Konventionen und Zwängen ihrer engen Welt auszubrechen.

Malu Halasa: Bekannt durch Sachbücher zum Nahen Osten

Die US-amerikanische Schriftstellerin Malu Halasa, die sich vor allem mit Sachbüchern zu Kultur und Politik des Nahen Ostens einen Namen gemacht hatte, arbeitet in ihrem Romandebüt auch einen Teil ihrer Familiengeschichte auf. Sie kommt als die amerikanische Verwandte – Malus Vater ist der Sohn Fadhmas, ihre Mutter, eine Philippin, die „einzige Ausländerin“ in dem auch in den USA weitverzweigten Familienclan – zu Besuch, mitten hinein in chaotische Zustände.

Denn ihr Onkel Hussein, der einzige Sohn Fadhmas, der in Jordanien blieb, hat sich von seinem gerissenen Onkel Abu Satar, einem gierigen Schwarzmarkthändler, in ein problematisches Geschäft treiben lassen: Der Christ Hussein züchtet Schweine mitten in der Levante – die Muttersau „Umm al-Chanasir“ und ihre Produkte, vor allem die Fleisch- und Wurstwaren, die Hussein vertreibt, sind den rechtgläubigen Muslims ein ziemlich großer Dorn im Auge.

Der Fiedler auf dem Dach

Die Mutter aller Schweine, die sich am liebsten zur Musik von „Der Fiedler auf dem Dach“ bewegt, ist für den Schlachter zunächst jedoch „die Zukunft“. Und so kommt es, dass eine deutsche Maschine namens „Wurstmeister“ in der Levante landet und sich dort unter anderem auch Blutwurst, wenn ihre Pelle türkis eingefärbt ist gegen den bösen Blick, zunächst wie geschnitten Brot verkauft.

Doch das Schweineglück währt nicht lange: Zu angespannt sind die Verhältnisse auch in Jordanien, das in jener Zeit sowohl von syrischen Flüchtlingen als auch von ultrakonservativen muslimischen Strömungen überrollt wird.

Als das Schwein seine eigenen Kinder frisst, ist klar, dass Hussein, der „König der Schweinekoteletts“ abgedankt hat. In einem furiosen Finale stehen sich die verschiedensten politischen und religiösen Gruppen gegenüber, Frauen und Männer, Christen und Muslims – und es wird klar: unter den Konflikten der Region leiden alle gleichermaßen, selbst die Ferkel, die ihren Ställen entkommen, die nahegelegene Stadt überfluten wie eine biblische Plage.

Burleske Einfälle und schwarzer Humor

Malu Halasa erzählt diese Geschichte einer christlich-jordanischen Familie kenntnisreich, gibt Einblicke in die verwirrenden politischen Zustände und in die alles überlebende einzigartige Kultur der Region. Das ist gewürzt mit einer reichlichen Prise schwarzen Humors und etlichen burlesken Einfällen. Dennoch wirkt der Debütroman, der von Sabine Wolf aus dem Englischen übersetzt wurde, nicht ganz rund – etliche Sprünge in der Erzählung, der stete Wechsel der Erzählperspektive und die fehlende Fokussierung auf ein, zwei Hauptfiguren hindern den Lesefluss. Es wird vieles angerissen, was die Psychologie einzelner Protagonisten anbelangt, aber nicht vertieft – dagegen wären die Einschübe aus „Schweineperspektive“ durchaus verzichtbar gewesen.

Aber dennoch ist „Mutter aller Schweine“ eine furiose Darstellung der verwickelten Verhältnisse am Beispiel einer Familie und eine Verbeugung vor den starken Frauen in jenem Teil der Welt.

Ein Videoclip zum Buch findet sich hier.


Informationen zum Buch:

Malu Halasa
Mutter aller Schweine
Übersetzt von Sabine Wolf
Elster & Salis Verlag
Gebunden, Fadenheftung, Schutzumschlag, Lesebändchen
348 Seiten, CHF 25.40
ISBN 978-3-906903-14-9

Nora Gantenbrink: Dad

Roadmovie und Coming-of-Age, Biographisches und Fiktion und am Ende leider mucho Kitsch trotz des lakonischen Tons.

„Von allen Momenten mit meinem Vater war dieser der schlimmste. Denn als er dort so lag, wurde mir klar, dass es vorbei war. Es gab für uns keine Hoffnung mehr auf eine gemeinsame Zeit. Die meisten Jahre meines Lebens war mein Vater nicht da gewesen, und jetzt würde er für immer fortbleiben. Ich nahm das Buch aus seinen Händen und ging raus. Er hätte nicht gewollt, dass ich ihn so sehe.“

Nora Gantenbrink, „Dad“


Sich die eigene Biographie mit all ihren Brüchen und schwierigen Episoden anzueignen, dies scheint ein Trend bei Debütromanen zu sein. Vielleicht braucht es für den ersten Roman diesen „therapeutischen“ Druck, der einen zum Schreiben bringt, vielleicht liegt das Biographische auch einfach nahe, weil, je jünger die Autorin, der Autor sind, desto geringer auch die Welt- und Lebenserfahrung ist. Sei es, wie es will: Im besten Falle kommt ein großer literarischer Wurf zustande und in vielen anderen Fällen gut lesbare Bücher, so „Süßwasser“ von Akwaeke Emezi, „Alles, was passiert ist“ von Yrsa Daley-Ward, jüngst „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber oder nun auch der im Februar erschienene Roman „Dad“ von Nora Gantenbrink.

Die Stern-Reporterin, die bereits den Erzählband „Verficktes Herz“ veröffentlichte, nähert sich in ihrem Roman einer Sehnsucht an, die wohl bei fast allen betroffenen Menschen nie zu stillen ist und je nach Konstitution das Leben stärker oder schwächer prägt: Die Sehnsucht nach einem Elternteil, das nie vorhanden oder kaum greifbar war.

Bild von StockSnap auf Pixabay

Von der Reeperbahn zurück in die Provinz

Das Buch führt seine Leser direkt von der Reeperbahn in die deutsche Provinz und dann um die halbe Welt. Die Journalistin Marlene lebt auf dem Kiez, schlägt sich mit freien Aufträgen für Musikmagazine durch und ist, abgesehen von zwei engen Jugendfreunden, mehr oder weniger bindungsscheu: Das ganze Leben auf Provisorium eingestellt:

„Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich nicht so enden möchte wie mein Vater.“

Dabei hat sie mit ihm etwas ganz Wesentliches gemeinsam, wie die Mutter feststellt:

„Den Hang zum Rausch und die Sehnsucht nach Sonne.“

Selten ist der Vater, der lieber Dad genannt werden möchte, für seine Tochter da: Sein Hang zum Rausch führt ihn zu den Hotspots der Hippiekultur in den 1970er-Jahren, nach Marrakesch, Goa und Thailand. Immer auf der Suche, immer auf der Flucht.

Keine Heldengeschichte

Die intensivste Zeit gemeinsam haben die beiden, als er todkrank, mit HIV infiziert, im Krankenhaus liegt – aber da ist es bereits zu spät, die offenen Fragen zu klären. Marlene begibt sich auf Spurensuche: zu den ehemaligen Kumpels, zu den Orten, an denen ihr Vater auf seinem immerwährenden Trip war. Eine desillusionierende Reise voller lakonisch-komischer Momente.

„Am Ende ist die Geschichte meines Vaters keine Heldengeschichte geworden, weil mein Vater eben kein Held ist. Aber die meisten Menschen sind keine Helden. Auf manche meiner Fragen habe ich Antworten gefunden, auf andere nicht. Manche Fragen sind damit selbst zu einer Antwort geworden. Ich glaube, dass mein Vater mich geliebt hat. Aber das Leben noch mehr.“

„Dad“ ist eine Mischung aus Fiktion und Biographie, ein Coming-of-Age-Roman aus der Retrospektive erzählt, ist Roadmovie und Provinzroman zugleich. Dass Marlene das Alter ego der Autorin ist, die auch in ihrem Leben ihrem Vater nachspüren musste, darüber erzählte Nora Gantenbrink bereits in mehreren Interviews.

Cool, zart und lebensklug

Gantenbrink psychologiert nicht zu tief, sondern erzählt lieber flüssig. Das hat seine lakonischen Momente, die großartig sind, das ist cool und zart und lebensklug zugleich. Nur leider überspannt sie in meinem Augen die Geschichte vom treuen Freund aus Kindertagen am Ende deutlich – natürlich ist Oleg, eine Mischung aus Seelenkumpel und Vaterersatz, seit Jahren heimlich in seine Marlene verliebt, schreibt ihr täglich Briefe, die er nie absendet, aber nach seinem frühen Unfalltod in ihre Hände gelangen.

Das ist ein wenig „mucho, mucho“, um Udo Lindenberg zu imitieren, der auf dem Cover zitiert wird. Das Zitat auf dem Cover löste bei mir übrigens ein breites Grinsen aus – wem fällt noch was auf?

„I love Gantenbeins Schreibe mucho, mucho.“ Udo Lindenberg


Informationen zum Buch:

Nora Gantenbrink
Dad
Rowohlt Verlag, 2020
Hardcover, 240 Seiten, 20,00 Euro
ISBN: 978-3-498-02535-9