„Das erste große Geschäft, das die Welt revolutioniert hat, war …nun?“
Zickler dachte nach, was Helphand zuvor gesagt hatte. Religion – Zucker fürs Volk.
(…)
„Aber Zucker wurde immer billiger. Das nächste große Geschäft musste her.“
Jetzt wusste Zickler natürlich schon, worauf es hinauslief: Opium. (…)
Mittlerweile, so führte Helphand aus, habe sich die Industrie tatsächlich gegenüber der agrarischen Produktion und den Genussmitteln, mit denen einst das große Geld verdient worden war, einen Vorrang erarbeitet. Das Genussmittel der Gegenwart sei etwas anderes: Energie.
Steffen Kopetzky, „Risiko“
Wenn Putin und Obama dieser Tage um die Deutungshoheit im Anti-Terrorkrieg rangeln, so glauben vermutlich nur noch hoffnungslose Romantiker, hier ginge es allein um humanitäre Hilfe für die syrische Bevölkerung und den Schutz westlicher demokratischer Werte. Es geht vor allem um die Stoffe, die das Weltgetriebe schmieren: Macht und Öl.
Wer Wind sät, wird Sturm ernten: Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten werden der Nahe Osten und die Arabische Welt vom Westen als eine Art riesiges Depot betrachtet. Die Erdölvorkommen und andere Rohstoffe weckten und wecken Begehrlichkeiten. Die Kriege der jüngsten Zeit – wesentlich von wirtschaftlichen Motiven angetrieben – sie sind der Boden, auf denen der Terror wächst. Öl und Macht sind sowohl Motiv und Ziel aller machtstrategischen Planspiele, die die sogenannten Großmächte steuern. Das ist heute so, das war vor einem Jahrhundert so.
Ein wahnwitziges Unterfangen
Der Krieg ist die Mutter fast allen Wahnsinns: Und so erinnert Steffen Kopetzky in seinem über 700 Seiten starken Roman „Risiko“ an ein wahnwitziges deutsch-türkisches Unternehmen, das einige deutsche Soldaten mitten in das „great heartland“ imperialistischer russischer und britischer Politik führen sollte. Noch nie hatten zuvor Deutsche Afghanistan betreten – doch 1914 machte sich ein von Berlin gesteuerter Trupp nach Kabul auf, um von dort aus in einem deutsch-türkischen Bündnis die Völker des zerfallenden Osmanischen Reiches in einem „Dschihad“ gegen die Russen und Briten aufzuwiegeln. Was Lawrence of Arabia wenig später gelang – die zerstrittenen Stämme und Völker zu vereinen – endet bei dem deutschen Unternehmen in einem Fiasko.
Die Realität holt die Berliner Planspiele ein: Die Wirklichkeit am Tigris, in der siechenden Stadt Isfahan, in der Salzwüste Kewir und im harschen afghanischen Gebirge ist eben eine andere als das, was sich die Strategen in der wilhelminischen Hauptstadt zusammenträumten. Wobei der Motor dieser wahnwitzigen Operation ein durchaus erfahrener Orientalist war: Max von Oppenheim, der sich unter anderem als Archäologe einen Namen gemacht hatte.
Der Krieg als Stategiespiel
Nicht von ungefähr nannte Kopetzky seinen Roman jedoch auch nach einem Brettspiel, das, wie sich der Kaffeehaussitzer auch in seiner Besprechung erinnert, Mitte der 80er-Jahre vor allem von der männlichen Jugend begeistert gespielt wurde: „Risiko“ taucht im Buch als „Großes Spiel“ auf, das deutsche und türkische Offiziere fesselt. Der Krieg als Spiel – die Menschen und Einheiten werden zu Figuren, die strategischen Gesichtspunkten geopfert werden.
Geschickt treibt Kopetzky dieses Spielmotiv immer wieder voran, verknüpft die Erzählebene mit historischen Hintergründen, zeigt die politischen und militärischen Verwerfungen auf. Daneben führt er neben seinen fiktiven Hauptfiguren – unter anderem wird das Buch getragen von einem jungen bayerischen Marinefunker und dessen Gegenspieler, einem englischen Spion (der in die Rolle eines indischen muslimischen Prinzen schlüpft, zunehmend Identität sowie Verstand verliert und dabei nicht von ungefähr an den oben genannten Lawrence of Arabia erinnert) – auch historische Personen ein, unter anderem Max von Oppenheim als Stratege ohne Fortune. Der Vater von Albert Camus als algerisch-französischer Soldat hat ebenso einen Auftritt wie ein Verwandter von Robert Musil.
Zehn Jahre Recherche gingen dem Schreiben voraus
Für Kopetzky spricht, dass er besser als seine Strategen im Buch die Fäden in der Hand behält, die Nebenstränge der Erzählungen gut verknüpft und zusammenführt. Rund zehn Jahre soll der Autor für dieses Buch recherchiert haben – diese akribische Kenntnis über ein Einzelunternehmen in diesem „Großunternehmen“ des Ersten Weltkriegs geht allerdings manches Mal auch zu Lasten des Erzählflusses: „Risiko“ ist, wie es im Deutschlandradio hieß, ein „pompöses Orient-Abenteuer“, manche „Troddel“ an diesem Faktenteppich ist denn aber auch ein wenig zuviel. An einigen wenigen Stellen braucht man als Leser durchaus langem Atem oder die Geduld eines Wüstenbewohners, um im Bild zu bleiben.
Dennoch: „Risiko“ ist ein gut lesbarer Abenteuerroman, hat seine Schmökerqualitäten und bietet einen Einblick in ein politisches Unterfangen, das uns heute wieder berührt – die Namen Damaskus, Aleppo, Kabul, sie prägen wieder unsere Nachrichten. Dass das Buch allerdings nicht von der Long- auf die Shortlist gelangte, ist in meinen Augen verständlich: Bis auf einige Längen durchaus flüssig erzählt, bleibt es sprachlich jedoch auf einer konventionellen Ebene. Und die Deutungsebene hinkt hinter dem Erzählen hinterher – die Figuren bleiben stellenweise eindimensional und blass, die eingebaute Liebesgeschichte ein wenig seicht (und ist im Grunde auch überflüssig), manchmal greift Kopetzky auch stilistisch etwas daneben. Dazu mehr in der Besprechung der „Zeit“, deren Tenor ich jedoch nicht teile: So trocken wie die Wüste ist „Risiko“ durchaus nicht – aber eben auch kein Roman, der Leser mitreißen wird, die wenig Affinität zu solchen Themen haben.
Bibliographische Angaben:
Steffen Kopetzky
Risiko
Klett-Cotta Verlag, 2015
ISBN: 978-3-608-93991-0