Bertolt Brecht: Kuhle Wampe und andere Filme

Bertolt Brecht war zwar vom Medium Film fasziniert, hatte aber damit kein Glück. BB und der Film – das war weniger episches Theater, sondern ein Drama ohne Ende.

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Dabei fing alles so gut an: Bereits 1923 arbeitet Brecht, damals 25 Jahre alt, mit dem Regisseur Erich Engel und mit Karl Valentin zusammen. Die „Mysterien eines Frisiersalons“ erinnern streckenweise an den Surrealismus im „andalusischen Hund“ von Luis Buñuel, sind aber auch komisch, humoristisch und ein wenig chaotisch. Der Film galt lange als verschollen, wurde jedoch in den 70erJahren wiederentdeckt und restauriert.

1930 machte sich Georg Wilhelm Pabst an die Verfilmung der Dreigroschenoper. Brecht, zunächst noch aktiv mit dabei, überwirft sich mit Regisseur und Produktionsfirma, will den Film, auch vor dem Hintergrund des aufkommenden Nationalsozialismus, mit eindeutigerem politischen Inhalt versehen. Die Streitigkeiten führen zum sogenannten Dreigroschenprozeß. Brecht schrieb unter dem Titel „Der Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment“ eine Analyse des Rechtsstreits, die er zusammen mit dem Filmexposé und dem Text der „Dreigroschenoper“ veröffentlichte.

1931 ist BB jedoch wieder bereit für das Medium Film – er arbeitet mit Slatan Dudow und Hanns Eisler „Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt?“. Der 1932 erschienene Streifen ist benannt nach dem Zeltplatz Kuhle Wampe in Berlin am Müggelsee, einer der vielen Originalschauplätze, an denen gedreht wurde. Geschildert wird das Schicksal einer Arbeiterfamilie und eines jungen Pärchens, dessen Verbindung angesichts der Massenarbeitslosigkeit ohne Zukunft erscheint. Der Film hat – auch durch den Dreh an Originalschauplätzen und mit „echten“ Arbeitslosen neben erfahrenen Schauspielern – streckenweise dokumentarischen Charakter, zeichnet ein realistisches Bild der Verelendung in der Weimarer Republik. Kuhle Wampe war der einzige eindeutig kommunistische Film dieser Zeit – bis hin zu Arbeitern, die das Lied der „Solidarität“ singen – und wurde nicht nur unter großen Schwierigkeiten gedreht, sondern prompt auch von der Zensur verboten. Nach Protesten wird der Film mit einigen Änderungen freigegeben, Brecht macht dem Zensor das ironische Kompliment, dieser zumindest habe den Film wirklich verstanden – nicht als Darstellung eines individuellen Schicksals, sondern als offene Kritik an den gesellschaftlichen Bedingungen: „Der Inhalt und die Absicht des Films geht am besten aus der Aufführung der Gründe hervor, aus denen die Zensur ihn verboten hat.“

Dann die Zeit des Exils. Letztlich verschlägt es Brecht, wie viele andere Autoren, nach Hollywood. Wie andere ist er gezwungen, dort zu antichambrieren und arbeitet für den Broterwerb an Drehbüchern für die Traumfabrik mit. Seine Erfahrungen in dieser Zeit hat er in den bitteren Hollywood-Elegien verarbeitet.

1943 jedoch hat Brecht die Chance, an einem ambitionierten Filmprojekt mitzuwirken. Unter der Regie von Fritz Lang, ebenfalls einem Exilanten, entsteht „Hangmen also die“ – „Auch Henker sterben“. Die beiden Künstler kannten und schätzten sich bereits in den Tagen der Berliner Zeit. Als Brechts Lage im schwedischen Exil angespannt wird, sorgte Lang, der in Hollywood schnell Fuß gefasst hatte und seine Karriere fortsetzen konnte, mit dem European Film Fund dafür, dass Brecht, Weigel, sowie die beiden Kinder und Ruth Berlau Visa für die USA bekamen, 1941 traf die Familie in Los Angeles ein.

Der Film „Auch Henker sterben“ erzählt bereits ein Jahr nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich in Prag 1942 vom tschechischen Widerstand und der Fahndung der Gestapo nach dem Attentäter. Doch schon während der Dreharbeiten kommt es zwischen Lang und Brecht zu Differenzen. Der cholerische Lang tobt gegenüber Brecht und dem ebenfalls linksgerichteten Co-Autoren John Wexley, er „scheiße auf Volksszenen“, er wolle ein Hollywoodpicture machen. Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung – Brecht sollte wesentlich weniger als Wexley erhalten -, Kürzungen im Skript, charakterliche Unverträglichkeiten taten ihr weiteres. Die Zusammenarbeit wurde zum Desaster und gipfelte in einer Anhörung vor der „Screen Writer`s Guild“, weil Wexley als der eigentliche Autor genannt werden wollte, Brecht jedoch nur unter ferner liefen aufgeführt wurde. Die Schiedsstelle entschied zugunsten des Amerikaners. Brecht legte danach die Arbeit am Film nieder, begegnete auch Fritz Lang nicht mehr.

Doch was übrig bleibt: Zum einen überstand auch diese Episode die Freundschaft zwischen Brecht und Hanns Eisler, der als Komponist auch an den früheren Filmen mitgearbeitet hatte. Und vor allem: „Hangmen also die“ ist, wenn auch viele der Ideen und Vorstellungen Brechts nicht verwirklicht werden konnten, eines der wichtigsten Filmwerke geworden, das noch während des Nationalsozialismus eindeutig Stellung gegenüber der deutschen Tyrannei bezog.

Lang setzte dem verlorenen Freund BB später noch ein cineastisches Andenken, so der Filmwissenschaftler Peter Ellenbruch:

„Im Gegensatz zu Brecht, der ein Gegner Langs geblieben sein soll, hat sich Lang immer wieder positiv zu Brecht geäußert, ihn als einen wichtigen Autor geschätzt und sich von seinem Werk inspirieren lassen. So baute er 1963 eine Brecht-Hommage in LES MEPRIS von Jean-Luc Godard ein – in welchem er sich selbst spielte – und die Buchstaben „BB“ stehen innerhalb des Films plötzlich nicht mehr für die Hauptdarstellerin Brigitte Bardot, sondern einen Moment lang für Bert Brecht.“

Christof Weigold: Der Mann, der nicht mitspielt

Ein neuer Ermittler in der Stadt der gefallenen Engel: Mit Hardy Engel führt der Autor Christof Weigold einen Detektiv aus Hollywoods Anfangsjahren ein.

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„Als ich an einem Sonntagnachmittag Anfang September nach Hause kam, stolperte ich auf der Treppe über eine scharfe Rothaarige. Ich hatte am Freitag ein misslungenes Casting bei Hal Roach gehabt, danach auf dem Nachhauseweg einen oder drei auf das Labor-Day-Wochenende getrunken und dachte zuerst, ich würde sie nur träumen.
Aber sie saß da wirklich, auf der Treppe vor meinem Zimmer im ersten Stock im Halbdunkel, und rauchte eine Zigarette. Nachdem ich das Gaslicht im Flur aufgedreht hatte – obwohl das laut meiner Vermieterin Mrs. Balzheimer tagsüber strikt verboten war – vergaß ich zunächst sogar, mich zu entschuldigen und meinen Hut zu lüften.
Sie war Anfang Zwanzig, und über ihren Körper war ein knappes Kleid gespannt, so eng wie eine zweite, nachtblaue Haut.“

Christof Weigold: Der Mann, der nicht mitspielt


Das eigentlich Schlimme am Skandal um Harvey Weinstein fand ich: Es war ja nichts Neues. Da die Filmindustrie ein System ist, in dem es um sehr viel Geld, Karrieren und Schönheit geht, konnte man sich an allen Fingern ausrechnen, dass dort systematisch das geschieht, was geschieht, wenn korrumpierte Männer Macht ausüben. Das eigentlich Schlimme an diesem Skandal ist es, dass es mehr als ein Jahrhundert dauerte, dass mit #MeToo eine Protestbewegung begann, die es vielleicht erreicht, die Strukturen von „Hollywood Babylon“ wirklich zu ändern.

Hollywood Babylon – lange Skandalgeschichte

1965 brachte der avantgardistische Filmregisseur Kenneth Anger unter dem Titel „Hollywood Babylon“ einen voluminösen Schinken heraus, der all die Skandale der Traumfabrik seit ihrem Start in den sonnigen Hügeln Kaliforniens auflistete. Das Buch: Eine knallige und dramatische Abfolge von Drogenexzessen, Sexorgien, Suiziden und Mordfällen. Ein Schmökerstoff auch für Voyeure, ist das Buch zwar auf Krawall angelegt und nicht unbedingt sorgfältig recherchiert, aber es zeigt eines – in Hollywood ging es hinter den Kulissen immer schon weitaus heftiger zu als auf der Leinwand. Das Buch wurde selbst zum Skandal, war jahrelang verboten und durfte erst 1975 wieder veröffentlicht werden. Wenn es darum geht, den schönen Schein zu wahren, ist den Mächtigen von Hollywood jedes Mittel recht.

Fatty Arbuckle ein Vergewaltiger?

So auch im Fall des Stummfilm-Komikers Fatty Arbuckle, dem Anger ebenfalls ein großes Kapitel widmete: War es doch das erste Mal, dass einer der Schauspiel-Götter vor Gericht landete. 1921 wird der Filmstar wegen der Vergewaltigung mit tödlicher Folge an einer jungen Schauspielerin, Virginia Rappe, angeklagt.

Die Suche nach den wirklichen Hintergründen – Fatty Arbuckle wurde übrigens freigesprochen, aber seine Karriere war zerstört –  dies ist der erste Fall von Hardy Engel, einem Deutschen, der der durch den Weltkrieg zerstörten Heimat gen Hollywood entfloh, hoffte, dort als Schauspieler Fuß zu fassen versucht und sich schließlich als Privatdetektiv durchschlägt. Ein Kriminalroman, der in der Stadt der gefallenen Engel spielt, das hat Potential – leider kann es „Der Mann, der nicht mitspielt“ nicht ganz erfüllen.

Auftakt einer Reihe bei Kiepenheuer & Witsch

Der Kriminalroman war der Auftakt zu einer neuen Reihe bei Kiepenheuer & Witsch und der erste Roman des Theater- und Drehbuchautors Christof Weigold. Die Filmerfahrung des Autoren macht sich bei diesem Roman, der immerhin rund 630 Seiten braucht, um sich zu entfalten, positiv bemerkbar: Verfolgungsjagden in finsteren Vierteln, Recherchen in Opiumhöllen, erotische Zwischenspiele mit seiner schönen Auftraggeberin Pepper – der Krimi bietet eine Menge an filmreifer Szenen. Durchaus originell und intelligent ist zudem die Lösung des Falls: Virginia Rappe starb tatsächlich an einer Bauchfellentzündung, Weigold konstruiert daraus ein finsteres Geflecht aus Promiskuität, Schwangerschaftsabbrüchen und Vergewaltigung. Und zeigt die Filmmogule – im Mittelpunkt dabei der in meiner Heimatstadt geborene Carl Laemmle – als zynische Geldmacher, die sich eine Moralinstanz kaufen, um Hollywoods Glanz wieder aufzupolieren. Tatsächlich wurde nach Virginia Rappes Tod 1922 die „Motion Picture Association of America“ gegründet, die das Image der Filmindustrie reinwaschen und eine Art freiwilliger Selbstzensur einführen sollte. Schöner Schein.

Ein Lexikon der Stummfilmzeit

Dass Weigold sich ganz offensichtlich in die Geschichte der Filmindustrie reingekniet hat und eine ganze Menge dieses Wissens in seinen Roman packt, das ist zugleich auch dessen Manko: Der Arbuckle-Fall wäre die perfekte Vorlage für einen hard-boiled-Thriller im Stile James Ellroys, er könnte ähnlich konstruiert sein wie „Die schwarze Dahlie“ oder „Stadt der Teufel“. Dazu aber ist das Buch stellenweise zu langatmig, die Geschichte zu konstruiert, zu vollgepackt mit Playern und Namedropping – fast ein Lexikon der Stummfilmzeit.

„Der Mann, der nicht mitspielt“ ist solide Unterhaltung, glänzt durch gute Recherche und durch hollywoodreife Szenen. Inzwischen ist bereits der zweite Fall, “Der blutrote Teppich”, erschienen, in dem sich Weigold einer Tat widmet, die bis heute ungeklärt ist: Dem Mord an Regisseur William Desmond Taylor. Fall 3 ist für den Herbst 2020 angekündigt – Stoff für den Privatermittler Hardy Engel bietet „Hollywood Babylon“ also zur Genüge.


Informationen zum Buch:

Christof Weigold
Der Mann, der nicht mitspielt
Kiepenheuer & Witsch, 2018
Hardcover, 640 Seiten
ISBN: 978-3-462-05103-2

Zur Autorenseite:

https://www.christofweigold.com/

Dinçer Güçyeter (Hg.): Cinema

64 Lyrikerinnen und Lyriker nähern sich in „CINEMA“ auf ihre ganz eigene Weise der Kunstform des Films an. Das ist formal wie inhaltlich weitgefasst und spannend.

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„Im Kino gewesen. Geweint.“

Lange, lange ist es her, dass Franz Kafka diese Worte in sein Tagebuch schrieb. Das Kino war für ihn, wie Hanns Zischler in dem wunderbaren Band „Kafka geht ins Kino“ schreibt, ein Fluchtpunkt. Das Kino: Ein Sehnsuchtsort. Einsam sein zu können, ohne sich einsam zu fühlen, im Dunkeln für zwei Stunden in fremde Welten versinken, eine Eintrittskarte raus aus der Realität. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal im Kino geweint habe, es muss beim „englischen Patienten“ gewesen sein. Das Kino hat für mich inzwischen leider viel von seiner Magie verloren, die großen „Filmpaläste“ der heutigen Zeit scheue ich wie der Teufel das Weihwasser. All die Popcornschmatzer, Gummibärchentütenraschler, Handylichterwinker, Colarülpser, Dauerquassler, sie nerven mich unendlich. Am liebsten hätte ich wohl das Kino für mich allein.

Lyrikanthologie feiert die große Leinwand

Ein wenig davon, wie das war, als man in die Programmkinos seiner Stadt schlurfte, sich gespannt in den Kinosessel lümmelte, als mit dem Vorspann die Stimmen verstummten und jeder auf die Leinwand starrte, etwas von diesem speziellen Kinogefühl bringt eine Lyrikanthologie der beiden nimmermüden Herausgeber Dinçer Güçyeter und Wolfgang Schiffer zurück. Ein Eindruck, den wohl auch Bettina Baltschev vom Deutschlandfunk hatte:

Dass das Nachdenken über Film bei so manchem Dichter, und wahrscheinlich auch bei so manchem Leser, nostalgische Gefühle auslöst, verwundert nicht. Erinnerungen an Nachmittagsfilme, an Spätfilme, an Technicolor oder an die letzte Reihe im Vorstadtkino erzählen von einer verschwundenen Welt. Eine Welt, die einige jüngere Dichterinnen und Dichter wohl nur noch vom Hörensagen kennen, weshalb sie sich gleich neueren Formaten widmen, Serienhits wie „True Detective“, „Mad Men“ und „Monk“.

Vom Lang- zum Prosagedicht

64 Lyrikerinnen und Lyriker nähern sich in „CINEMA“ auf ihre ganz eigene Weise der Kunstform des Films. Das ist formal wie inhaltlich weitgefasst und spannend – die Gedichte reichen vom Lang- und Prosagedicht bis hin zum gereimten Kurzzeiler. Das offene Format – eingeladen wurden zeitgenössische Dichterinnen und Dichter, sich frei assoziierend mit ihren Texten zu beteiligen – ermöglicht auch inhaltlich eine große Spannbreite:

„Die hier Vorgestellten jedoch haben mit ihren bis auf wenige Ausnahmen unveröffentlichten Texten von der kurzen Notiz über die lange Kindheitserinnerung bis zur literarischen Sinfonie, mit ihren lyrischen Antworten auf Kur- und Dokumentarfilme, auf Pornos und Hochglanz-Kino, auf TV-Serien, den Fernseh-Tatort, den Amateurstreifen und das 3D-Dolby-Surround-Spektakel, auf Western, Liebesfilme und Krimidramen, sie haben CINEMA in der Summe eine Hommage geschrieben, deren poetische Stimmen so vielfältig sind und eindringlich werden können wie die bewegten Bilder, die sie – wer weiß, vor wie langer Zeit bereits – auf den Weg gebracht haben.“

Diese Vielfalt macht diesen Kinogang zu einem echten Überraschungsei. Da erinnert sich Jörg Sundermeier, Verleger des „Verbrecher Verlags“ an den Tupfenrock seiner Mutter:

Tupfenrock,
Bunt
Wie ein Heimatfilm.

und Silke Vogten, die „angepisst“ am Flughafen von Helsinki sitzt, „wo ich unfreiwillig gelandet bin“, ist plötzlich mit sich und der Welt versöhnt, weil:

„ich sehe in Wolken die vorüberziehen
und dann denke ich an Aki Kaurismäki
an einen schwarzen Hund so
unvergesslich im Leben der Bohème

und bin von 0 auf 100 mit allem versöhnt.“

Diese biographischen Texte zeigen, wie sehr das Kino, der Film in unseren Alltag, in unser Denken und unsere Auffassungen von der Welt hineingreift, der Film vielleicht als präsenteste und prägendste Kunstform. Sie zeigen aber auch die enge Verknüpfung von Film und Lyrik: Sofort hat man beim Lesen die bunten Tupfenröcke vor Augen, sofort sieht man den schwarzen Hund – Lyrik vermag Bilder in uns wachzurufen, die einen eigenen, inneren Film in Gang setzen.

Bekannte Namen der zeitgenössischen Lyrik

Neben bereits sehr bekannten Namen aus der zeitgenössischen Lyrik wie beispielsweise Kerstin Becker, Nora Gomringer und Ulrike Almut Sandig, deren Langgedicht „Gesänge des Funkturms“ (das vom 1927 entstandenen Film „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ inspiriert ist) allein schon den Kauf dieser Anthologie für jeden Lyrikleser und Kinogänger nötig macht, ist „CINEMA“ auch ein „Who is who“ der zeitgenössischen Lyrikszene, die im Literaturbetrieb eben meist nur eine Nebenrolle spielt.

Wer in diesem Film sonst noch seinen Auftritt hat, ist auf der Homepage des Verlags zu finden. Ich habe mich sehr gefreut, auch auf Gedichte von Marina Büttner zu stoßen – offenbar teilen wir unseren Filmgeschmack. Die Blogbetreiberin des feinen Blogs „Literatur leuchtet“ hat ein Hommage-Trio, eng an den Filmen bleibend, für die Anthologie geschrieben. Ihre Verbeugung vor dem wunderbaren Film „Die Poetin“ über Elizabeth Bishop ist ein kleines Kunstwerk:

the art of losing isn`t hard to master
so nebenbei: vergiß mich

und halte eine hand und lass
mich. der abstand
– versatzpfand –
zu dir fällt in den bereich
des unausweichlichen
des alltäglichen vergehens und vergessens.“

In ihrer ansonsten wohlmeinenden Kritik bezeichnet Bettina Baltschev „die sicher gut gemeinte Offenheit für alle denkbaren Themen und Formen“ als „Geburtsfehler“ der Anthologie, sie führe „zu einer gewissen Beliebigkeit“. Ich empfinde dieses anders: Für mich ist „CINEMA“ wie ein Gang ins Kino – man ahnt, was einen erwartet, und wird dennoch von Szene zu Szene neu überrascht.

Informationen zum Buch:

Cinema
Lyrikanthologie
Herausgeber: Wolfgang Schiffer und Dinçer Güçyeter
Elif Verlag, 2019
ISBN 978-3946989196

Tania Blixen: Jenseits von Afrika

Eine Liebeserklärung an Afrika: Das ist Tania Blixens bekanntestes Buch, ein hymnisches Sehnsuchtsbuch. Denn sie ist, als sie es schreibt, längst “Out of Africa”.

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„Ich hatte eine Farm in Afrika …“

Tania Blixen, “Jenseits von Afrika”

„Ich hatte eine Farm in Afrika …“: Es wird wohl vielen so gehen – kaum hört oder liest man diesen Satz, steigen beinahe schon ikonographische Bilder im inneren Kino auf. Die Farm. Die Löwen. Die Kuckucksuhr. Die Flüge über die Savanne. Meryl Streep und Robert Redford in Safari-Schick.

Doch häufig, wenn sich Hollywood daran macht, einen Bestseller zu verfilmen, erkennt man von der Romanvorlage wenig wieder. Eine werkgetreue oder zumindest werknahe Verfilmung wäre in diesem Fall zugegebenermaßen auch ein schwieriges Unterfangen gewesen. Manch einer, der sich nach dem Kinobesuch das Buch der dänischen Schriftstellerin Tania Blixen kaufte, wird wohl enttäuscht gewesen sein. Denn eine klassische Liebesgeschichte erzählte Blixen in dem 1937 erschienenen „Jenseits von Afrika“ nicht. Tatsächlich ging sie in ihrem Erinnerungsbuch kaum auf die Beziehung zwischen ihr und dem englischen Abenteurer Denys Finch Hatton ein, allenfalls kann sich der Leser diese Liebesverbindung aus Andeutungen und Reminiszenzen an gemeinsame Flügen und Löwenjagden erschließen. Und der ebenso leichtlebige wie lebenslustige Baron, im Film charmant verkörpert von Klaus Maria Brandauer? Er ist im Buch nicht mehr als eine Randnotiz.

Hollywood nahm sich mehrere Puzzlesteine zur Vorlage

Hollywood – genauer: Drehbuchautor Kurt Luedtke – bediente sich für den Film an mehreren Quellen, unter anderem aus Blixens Briefen, aus Biographien über die Schriftstellerin und aus ihren Novellen. So erst wurde aus vielen literarischen Puzzlesteinen ein Bild, ein Film, der das Buch erst richtig bekannt machte.

Wer sich aber von den cineastischen Bildern befreit, der wird einen biographischen Roman vorfinden, der einen mit ganz anderen Bildern und Themen gefangen nimmt. Das gedruckte Original ist eine Liebeserklärung ganz anderer Art. Tania Blixen schrieb dieses Buch – das sich formal keinem Genre eindeutig zuordnen lässt – als sie nach fast zwei Jahrzehnten wieder jenseits von Afrika in ihrer dänischen Heimat lebte. Fern von Kenia und seinen Bergen schwelgte Blixen in der Vergangenheit, verfasste ein Sehnsuchts- und Wehmutsbuch und hielt die Erinnerungen an ein Leben, das so ganz anders gewesen sein musste als jenes in Dänemark, zwischen den Seiten fest. Es ist ein beinahe lyrisch-hymnischer Rückblick auf eine Welt, aus der die Autorin hinausgefallen ist und die – das ahnt sie schon beim Schreiben – so bereits auch am Untergehen, im Wandel ist. Out of Africa.

„Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngong-Berge.“

Liebeserklärung an eine Landschaft

So klar, nüchtern und präzise beginnt dieser literarische Zwitter zwischen biographischem Erzählen und poetischem Verklären. Es ist eine Liebeserklärung an eine Landschaft und eine Lebensform zugleich. Am traumhaftesten zu lesen ist dieses Buch dort, wo Tania Blixen scheinbar ungehemmt, aber sprachlich durchdacht und durchstilisiert, über die Berge, Weiten, Wälder Afrikas zu sprechen beginnt:

„Im afrikanischen Hochland ist die frühe Morgenluft so handgreiflich frisch und kalt, dass uns fortwährend dieselbe Vorstellung überkommt: Wir sind nicht auf der Erde, sondern im dunklen, tiefen Wasser, wir gehen auf dem Grund des Meeres. Es ist nicht einmal sicher, ob wir uns bewegen. Was da kalt gegen das Gesicht drückt, das sind die Strömungen des tiefen Wassers, und das Automobil sitzt vielleicht ganz still auf dem Meeresgrund, wie ein träger Zitterrochen, glotzt mit seinen zwei großen hellen Lampen vor sich hin und lässt die Unterwasserwelt Revue passieren.“

Was Blixen da Revue passiert lässt, das sind die Sensationen der Landschaft. Eindrücke einer überwältigenden Tier- und Pflanzenwelt, denen Tania Blixen auch noch Jahrzehnte später nachhängt, als hätten sich die Bilder für immer in ihre Netzhaut gebrannt:

„In den Savannen standen die alten krummen Dornbäume einzeln und für sich, und das Gras duftete würzig nach Thymian und Porst, manchmal so heftig, dass es in den Nasenlöchern brannte. Die Blumen, die man in der Steppe oder an den Schlingpflanzen der jungfräulichen Wälder fand, waren so winzig wie Dünengewächse, doch wenn die lange Regenzeit begann, erblühten viele verschiedene Arten von üppigem, schweren Lilien und verströmten einen betäubenden Duft. Nach allen Seiten war die Aussicht weit und unendlich. Alles in dieser Natur strebte nach Größe, Freiheit und hohem Adel.“

Freiheit, das macht das Buch jedoch auch deutlich, ist ein Zustand, den nur wenige Privilegierte erreichen können. Eine typische Vertreterin der Herrenvölker, die sich den afrikanischen Kontinent unterworfen hatten, ist Tania Blixen, die von 1913 bis 1931 in Britisch-Ostafrika lebt, nicht. Natürlich ist sie als Betreiberin einer Kaffeeplantage Nutznießerin und Vertreterin des kolonialen Systems. Andererseits jedoch bemüht sie sich aufrichtig und ernsthaft, mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt zu kommen, Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen zu verbessern, zugleich aber auch die alten Traditionen zu würdigen.

Die Hierarchien bleiben bestehen

Und dennoch, liest man aufmerksam, so wird deutlich, dass die Annäherung nicht gelingt, dass die Hierarchien – hier die weiße Frau, dort ihre schwarzen Mitarbeiter – bestehen bleiben, dass in ihr selbst die Überzeugung einer scheinbar angeborenen Überlegenheit weiterlebt. In Nebensätzen klingt dies durch – beispielsweise wenn ein Afrikaner sie mit „Tieraugen“ anblickt, wenn das Verhalten der Menschen auf ihrer Farm beschrieben wird, als handele es sich um drollige Kindereien. Tania Blixen ist „out of Africa“ – strenggenommen war sie jedoch auch niemals darin.

Die Schriftstellerin Ulrike Draesner zeigt in ihrem klugen Nachwort zur aktuellen Manesse-Ausgabe das Widersprüchliche und Paradoxe, das den Zugang zu diesem Buch beinahe zwangsläufig prägen muss, auf.

„Brixen ist keine Britin, sondern innerhalb der weißen, männlich-britisch dominierten Gesellschaft selbst zweifach in der Minderheit. Sie pflegt ein anderes Verhältnis zu den Eingeborenen als der Klischeekolonialist. Afrika-Ost ist ein Sammelbecken für Menschen, die Geld machen wollen, doch ebenso für Träumer und Sucher, für aus ihren Heimatgesellschaften Herausgefallene. Solche Weltenwanderer bevölkern das Buch, werden darin aber auch mythisiert – die Farm erscheint als Refugium. Tiere und Menschen jeder Rasse und Art leben hier in Frieden, Ausgestoßene werden unterstützt, Kranke gepflegt: Ein sehr „heiliges“, überheiliges Bild entsteht.“

Ein überheiliges Bild, geprägt von der Verklärung die die Erinnerung an bessere Zeiten mit sich bringt. „Out of Africa“: Nach dem Tod von Finch Hatton und dem Verlust ihrer Farm kehrt Blixen 1931 zurück nach Dänemark. Nach Afrika kam sie nie mehr. Aber wie Ulrike Drasner so schön schreibt: „Das stimmt, wenn man die Biographie liest. An physisches Reisen denkt. Und doch ist es falsch. Sie schrieb dieses Buch.“

Neugestaltung der Manesse-Bibliothek

„Jenseits von Afrika“: Auch eines der ersten Bücher, die den Grundstock für eine mittlerweile recht umfangreiche Klassiker-Sammlung aus der Manesse Bibliothek bei mir bildeten. Ein vertrauter Anblick, die kleinformatigen, edlen Bücher in ihren weißen Schutzumschlägen – eine Gestaltung, die seit 1944 Bestand hat. Nun hat sich der Verlag zu einer radikaleren Umgestaltung entschlossen, einen Eindruck davon vermittelt das Video:

Die Argumente des Verlags sind verständlich: Man wolle vermitteln, dass die Klassiker im Programm auch heute noch viel zu sagen haben und Auskunft über die großen Menschheitsfragen geben, dafür erschien die bisherige, relativ strenge Gestaltung nicht mehr so gut geeignet. Da auch vermehrt Klassiker der Moderne ins Programm kamen, habe man die strikten Vorgaben der Reihengestaltung zunehmend als Einschränkung empfunden.

Das ist nachvollziehbar – auch wenn mein Sammlerherz noch etwas betrübt zuckt und das Gewohnheitstier in mir leise trauert. Ein wenig fühle ich mich – auch wenn die Bände in neuer Gestaltung nach wie vor qualitativ hochwertig gemacht sind und nun durch gestaltetes Vorsatzpapier, farblich abgestimmte Fadenheftung und Lesebändchen optisch ein rundes Bild ergeben – ein wenig fühle ich mich jetzt dennoch „Out of Africa“. Aber auch Tania Blixen wusste: The times, they are a- changin`.

Informationen zum Buch:

Tania Blixen
Jenseits von Afrika
Übersetzt von Gisela Perlet
Manesse Verlag, 2017
ISBN: 978-3-7175-2438-0

Patricia Highsmith: Der talentierte Mr. Ripley

Tom Ripley: Einer der sympathischsten amoralischen Mörder der Literatur. Ein Dorian Gray des Kriminalromans?

Highsmith
Bild: (c) Michael Flötotto

“Aber er fühlte sich einsam. Es war anders als der Eindruck, allein und doch nicht allein zu sein, den er in Paris gehabt hatte. Er hatte sich ausgemalt, daß er einen fröhlichen neuen Freundeskreis erwerben und ein neues Leben beginnen würde, ein Leben voller neuer Ansichten, Haltungen und Gewohnheiten, die denen, die er sein ganzes bisheriges Leben lang gekannt hatte, weit überlegen waren. Doch jetzt sah er ein, daß es unmöglich war. Er würde sich von anderen Leuten fernhalten müssen, und das immer.”

Patricia Highsmith, “Der talentierte Mr. Ripley”, 1955


Nun, ganz so schlimm kommt es nicht. Tatsächlich gelingt es Tom Ripley im Verlauf von vier weiteren Romanen ein Leben voller neuer Ansichten zu führen – und das nicht einmal zu schlecht. Die kurz aufflackernde Depression ist bei Ripley bald überwunden – und ein geringer Preis für einen Mord. Und als Leser freut man sich beinahe, dass er, dieser ambivalente Held, sich aus seelischen Nöten und äußeren Gefahren einmal mehr herausgewunden hat. Doch so ist es oftmals bei Patricia Highsmith: Die Grenzen zwischen “Gut” und “Böse” verschwimmen, der Sünder, der in jedem von uns steckt (wer wünschte sich nicht ab und an, sein eigenes Leben gegen ein scheinbar besseres tauschen zu können?), wird fast zum Sympathieträger.

Manchen Herrschaften sieht man einfach alles nach. Tom Ripley ist so einer. Immerhin mordet der smarte Junge aus den USA sich durch halb Europa und fünf Romane (die Zahl der Leichen bleibt zwar überschaubar, aber gezählt habe ich sie nicht), lügt, betrügt und ist an und für sich durch und durch amoralisch. Und dennoch möchte bei jedem Wiederlesen einfach nur, dass er davon kommt – was oft genug nur um Haaresbreite geschieht und mit etwas „windigen“ Tricks auch der Autorin. Doch die kriminalistische Logik steht bei Patricia Highsmith eben nicht im Vordergrund – wie man der Meisterin des psychologischen Spannungsromans auch Unrecht tut, wenn man sie „nur“ in einem Genre verortet, der Kriminalliteratur. So wie man – das nur nebenbei – auch der Kriminalliteratur natürlich ebenfalls Unrecht tut, wenn man sie per se als Literatur zweiten Ranges betrachtet. Aber das ist wie die ewig leidige Unterscheidung zwischen E- und U-Kultur: Uralte Klischees, die irgendwie überleben.

Tom Ripley – ein faszinierender Charakter

Zurück zu Patricia Highsmith und einem meiner Lieblingshelden aus ihrer Feder: Was die Tom-Ripley-Romane so faszinierend macht, ist die Charakteranlage der Figur. Von Buch zu Buch gewinnt Ripley immer mehr an Kontur und bleibt bei aller Vertrautheit doch rätselhaft. Mit dem ersten Roman nimmt er die Identität eines anderen an: Er wird zu dem von ihn ermordeten Millionärssohn Dickie Greenleaf. Und auch in den späteren Büchern schlüpft er immer wieder in verschiedene Rollen, spielt einen verschollenen Maler in London, gibt in Berlin in einer Bar den Transvestiten in Frauenkleidern: Tom Ripley, in mehr als einem Sinn einfach nicht zu fassen.

Ripley begleitete Patricia Highsmith vier Jahrzehnte

Wer ist dieser Mann? Immerhin reicht die Zeitspanne der Veröffentlichungen von 1955 bis 1991, er begleitete Highsmith demnach über vier Jahrzehnte ihres Lebens. Ripley selbst bleibt jedoch jung: Die Ripley-Welt vom talentierten Mr. Ripley bis zu Ripley unter Wasser umfasst nur wenige Jahre.

„Im ersten Band haben wir es mit einem Mann ohne Bildung und fast ohne Herkunft, mit einer Vollwaise und einem verzweifelten Liebenden zu tun. (…) Tom Ripley ist einer der wenigen, die in der Highsmith-Welt davonkommen, und sein Schicksal heißt nicht nur Überleben (wie etwa für die Hauptfigur des Romans „Der Schrei der Eule“), sondern unvermischter Triumph.“

Paul Ingendaay, der mit Anna von Planta beim Diogenes Verlag die neuübersetzte Werkausgabe der Highsmith-Romane und Stories herausgab, begleitet Ripleys Entwicklung in seinen Nachworten:

„… daß wir ihn, nach insgesamt fünf Romanen, die seinen Titel im Namen tragen, genau zu kennen meinen, was aber ein Irrtum sein könnte. Denn obwohl keiner seiner Tricks und Winkelzüge ein Geheimnis ist, weil die Bühne in jedem Augenblick ganz ihm gehört, sind seine seelischen Antriebskräfte durch die spätere Verwandlung in einen wohlhabenden, entspannten Serienhelden womöglich etwas in Vergessenheit geraten.“

Das genau aber ist es, was mich an diesen Romanen fesselt: Eben nicht die Frage, ob und wie Ripley wieder einmal davon kommt – das weiß man ja bereits, spätestens beim zweiten Wiederlesen. Sondern die Frage: Wer sind Sie, Mr. Ripley? Wenn Ingendaay vom „verzweifelten Liebenden“ des ersten Buches schreibt, müsste er eigentlich hinzusetzen: Ein Liebender im Rahmen seiner Möglichkeiten. Tatsächlich verbindet Ripley mit dem oberflächlichen Dickie, den er in Italien im Auftrag des Vaters aufspürt, eine eher einseitige Freundschaft.

Ein kaltblütiger Narzisst

Ripley wünscht sich vor allem die äußeren Attribute des verwöhnten Millionärssöhnchens und Kunstdilettanten: Materielle Sicherheit, die Freiheit gibt, Leichtigkeit, Anerkennung durch Wohlstand. Die „Freundschaft“ zwischen den beiden ist niemals durch Ebenbürtigkeit gekennzeichnet – und so wachsen in Ripley Neid und Eifersucht auf den Lebensstil des anderen. In einer Szene schlüpft er in die Kleider des anderen – symbolhaft deutet dies auf den späteren Mord hin, durch den Ripley dann Identität und vor allem das Geld Dickies übernehmen kann, der Grundstock für seinen späteren Wohlstand. Ohne Zweifel: Tom Ripley ist verliebt in Dickie – aber nicht so sehr verliebt, dass er aus Leidenschaft zum anderen mordet. Sondern die Leidenschaft gilt: Vor allem ihm selbst. Und dennoch wird er einem beim Lesen nicht unsympathisch, ist kein kaltblütiges Monster – das ist die Kunst der Highsmithschen Psychologie.

Von einer Art nüchternen Distanz zu anderen Menschen sind Ripleys Beziehungen auch in den späteren Büchern geprägt: Seiner wohlhabenden Frau Héloise begegnet er mit derselben zärtlichen Zuneigung wie seinen Antiquitäten und Bildern, die er ungern missen möchte, aber auf die er notfalls auch verzichten könnte – den stets ist sein Status wackelig, stets droht, dass die Schatten der Vergangenheit in einholen könnten. Nur zu wenigen Menschen, immerzu Männern, womit die homoerotische Komponente der Dickie-Tom-Beziehung des ersten Buches weitergeführt wird (obwohl Patricia Highsmith ihren Helden „asexuell“ anlegte), knüpft Ripley ein intensiveres Band: Zum todkranken Nachbarn Jonathan, den Ripley aus einer Laune hinaus zum Auftragsmörder macht (Ripley`s Game) und zu dem amerikanischen Millionärssohn Frank (Der Junge, der Ripley folgte) – es blitzt ein anderer Ripley auf, der einen eigenen Wertekodex in sich trägt, der die Sünden der Vergangenheit wieder gutmachen möchte.

Parallelen zu Dorian Gray von Oscar Wilde

Highsmith-Biograf Andrew Wilson sah Parallelen zu Oscar Wildes „Dorian Gray“ – ein etwas unglücklicher Vergleich, wie ich finde. Denn auch wenn in den Ripley-Romanen der Geschmack in der Hauseinrichtung, beim Essen, in der Kleiderwahl, kurz im ganzen Lebensstil eine große Rolle spielt, auch wenn Ripley nach und nach seinen Musik- und Kunstgeschmack verfeinert – das wirkt nur dezent dekadent. Vor allem aber: Im Gegensatz zu Dorian Gray ist Tom Ripley kein bißchen vom Wahnsinn gestreift – wenn er tötet, dann aus Selbsterhaltungstrieb, zwar nüchtern und gefühllos, jedoch nicht aus Lust oder Wahn. Ein Narzisst, ja, aber kein Wahnsinniger.

Noch ein weiterer Aspekt, warum es sich, abseits der faszinierenden Hauptfigur lohnt, die Ripley-Romane zu lesen: Sie führen einen durch halb Europa, Paris, London, Berlin, Salzburg, usw. (und die Frisur sitzt immer) – und Patricia Highsmith erweist sich hier einmal mehr als Meisterin der atmosphärisch dichten Ortsbeschreibungen. Wer Ripley durch Salzburg folgt, wird die Stadt beim Lesen vor Augen haben. Das Berlin der 1970er-Jahre in „Der Junge, der Ripley folgte“: Von der Mauer begrenzt, vom „heißen Herbst“ (der RAF-Terrorismus wird im Buch erwähnt) geschüttelt, geprägt auch von der Party-, Disco- und Underground-Szene, die zahlreiche Künstler in dieser Zeit nach Berlin lockte. Zwar erntete eben dieser späte Ripley auch viel Kritik, weil Patricia Highsmith der Beziehung zwischen den beiden Männern mehr Sorgfalt widmete als der kriminalistischen Story, die etwas verquer ist – aber die Atmosphäre des Romans wiegt alle losen Fäden auf.

Und am Ende ist es einfach so: Für Ripley-Fans kann dieser seltsame, eigenartige Held doch gar nichts falsch machen.

PS: Mehrere der Ripley-Bücher wurden verfilmt, insbesondere der erste Roman. Und auch wenn Matt Damon („Der talentierte Mr. Ripley“, 1999, Regie: Anthony Minghella) der Beschreibung in den Büchern optisch näher kommt – für mich wird er immer aussehen wie der schöne Alain Delon („Nur die Sonne war Zeuge“, 1960, Regie: René Clément).