JUTTA WEBER-BOCK: Das Vermächtnis der Kurfürstin

Das Schicksal der historischen Christiane Ruthardt, die als uneheliche Tochter unter Vormundschaft aufwächst, spiegelt die abhängige Situation der Frauen Anfang des 19. Jahrhunderts wieder. Jutta Weber-Bock spürt in ihrem neuen historischen Roman dem Kampf der jungen Frau um ein eigenständiges Leben nach.

»Das Vermächtnis der Kurfürstin« beschreibt als Fortsetzung von »Das Mündel des Hofmedicus« (2020) das Leben von Christiane als junge Frau, die weiter um jeden Schritt in ein selbstbestimmtes Leben kämpfen muss. Christiane wächst als Mündel des Hofmedicus von Klein auf, der von seiner Schwester Elisabeth Hehl vergiftet wird. Diese will dadurch die Vormundschaft über Christiane erlangen. Doch Christiane flieht und arbeitet als Kammerzofe bei verschiedenen Herrschaften in Süddeutschland. Ohne die Zustimmung Elisabeths kann sie jedoch weder heiraten noch sich niederlassen. Auf bestickten Servietten erhält Christiane eine geheimnisvolle Nachricht von der Kurfürstin, die sie zur Aufklärung ihrer Herkunft und einem vielversprechenden Erbe führen soll. Doch auch Elisabeth ist auf das Vermögen aus. Sie versucht ihre Vormundschaft auszuspielen und setzt damit nicht nur Christiane mit ihren skrupellosen Intrigen unter Druck. Damit entfaltet die Autorin ein spannendes, fiktives Ränkespiel um die historische Person der Christiane Ruthardt.

Die Handlung:
Nach dem Tod von Christianes Ziehvater liegt das Sorgerecht bei dessen Schwester, der Bergrätin Elisabeth Hehl. Um ihrem Einfluss zu entgehen und eine gute gesellschaftliche Stellung zu erlangen, flieht Christiane. Doch eine standesgemäße Heirat wird ihr von Elisabeth verwehrt. Als Christiane herausfindet, dass Kurfürstin Mathilde ihr eine ansehnliche Geldsumme vermacht hat, schmiedet Elisabeth einen teuflischen Plan, wie sie nicht nur an das Vermögen herankommen, sondern Christiane für immer zu ihrem Mündel machen kann.


Zur Autorin:

Jutta Weber-Bock wurde 1957 in Melle geboren und ist dort aufgewachsen. Schon als Kind übten alte Mühlen und Fachwerkhäuser eine große Faszination auf sie aus, ihre Neugier auf Geschichte und Geschichten war geweckt. Sie studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Osnabrück und ist ausgebildete Gymnasiallehrerin. Im Jahr 1983 ist Jutta Weber-Bock mit einer Liebe nach Stuttgart gekommen und aus Liebe zur Stadt geblieben. Heute lebt sie im Heusteigviertel und joggt bei jedem Wetter zum Fernsehturm oder wandert in Istrien, auf der Suche nach Riesen und alten Bahnstrecken. Sie ist freie Schriftstellerin sowie Dozentin und in verschiedenen Autor:innenvereinigungen aktiv. »Das Vermächtnis der Kurfürstin« ist ihr zweiter Roman zum Leben der Giftmörderin Christiane Ruthardt.
https://weber-bock.de/


Stimmen zum Buch:

“Christiane Ruthardt (…) war die letzte Person, die im damaligen Württemberg hingerichtet wurde. 1845 wurde das Urteil gegen Christiane Ruthardt vollstreckt. Ein Schicksal, das Weber-Bock berührte.” – Portrait in der Neu-Ulmer Zeitung

Auf einer ganzseitigen Reportage in der Stuttgarter Zeitung (“Gift für den Gatten” am 11.07.2022) geht Adrienne Braun im Gespräch mit Jutta Weber-Bock auf das Schicksal der Stuttgarterin Christiane Ruthardt ein.

“Das Vermächtnis der Kurfürstin” ist die Fortsetzung des historischen Romans “Das Mündel des Hofmedicus” (…). Erzählt wird auch hier von Christiane Ruthardt, einer jungen Frau, die zu Beginn des 19. Jht. um ein selbstbestimmtes Leben kämpft, gegen Bevormundung, dunkle Machenschaften und Ränkespiele. Und die Autorin entwirft bis ins Detail hinein Bilder vom damaligen Leben.” – SWR 4, Kultur in Baden-Württemberg

Jutta Weber-Bock gibt in Interviews bei der “Leserkanone”
und bei Buchwurm.info Auskunft zu ihrem neuen Buch. Auch bei “Carmens Bücherkabinett” ist ein ausführliches Gespräch mit der Autorin erschienen.

Ein umfangreiches Interview führte Gerhard Keck mit Jutta Weber-Bock für die Südwest Presse/Neckar-Chronik in Freudenstadt.

“Mit ihrem eindrücklichen, bildhaften Erzählstil nimmt mich Jutta Weber-Bock mit auf eine Reise in eine Zeit, wo Frauen fast keine eigenen Rechte hatten. Beim Lesen merke ich immer wieder, wie aufwendig und genau sie recherchiert hat um mir das Bild dieser Zeit noch eindeutiger vor Augen zu führen. Ich habe diese Reise sehr genossen.” – Gaby Hochrainer beim “Krimi und mehr”-Blog

“Besonders gut hat mir die ausführliche Recherche der Autorin Jutta Weber-Bock gefallen, vieles von dem, was sie in ihrem Roman erwähnt ist, nachvollziehbar und historisch belegt. So beschreibt sie nicht nur das Leben des Adels oder anderer höher gestellter Personen, auch das Leben der Dienstboten ist anschaulich beschrieben.” – Manuela Hahn bei “Lesenswertes aus dem Bücherhaus”.

“Christiane, die junge Heldin dieses historischen Romans, gelingt es wegen ständiger Widrigkeiten nicht, sich ein selbst bestimmtes und gut situiertes Leben aufzubauen. (…) Aber sie ist eine echte Kämpferin, gibt nicht auf und ist arbeitet hart. Das zahlt sich schon etwas aus. Sehr gut recherchiert wurde gerade das Leben der einfachen Leute und Dienstboten im 19. Jahrhundert. Sie wurden teilweise fast wie Sklaven gehalten und schlechter behandelt als die verwöhnten Hunde ihrer Herrschaften. Unterhaltsam, sozialkritisch, flüssig geschrieben und informativ ist das Buch.” – Nur eine vieler positiver Leser*innenstimmen bei Osiander


Bibliographische Angaben:

Jutta Weber-Bock

Das Vermächtnis der Kurfürstin
Gmeiner Verlag, Meßkirch,
April 2022
Taschenbuch, 480 Seiten
EUR 15,00 [D] / EUR 15,50 [A]
ISBN 978-3-8392-0113-8

Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Autorin.

Frederic Wianka: Die Wende im Leben des jungen W. | Lutz Seiler: Stern 111

Zwei Wenderomane im Vergleich: Lutz Seilers “Stern 111” und “Die Wende im Leben des jungen W.” von Frederic Wianka.

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Bild von Peter Dargatz auf Pixabay

„Ein blendendes Weiß darunter, ein unendlicher Raum für frisch Gelerntes, für ständig Gehörtes, für die historischen Gesetzmäßigkeiten, für korrekt Phantasiertes, Platz für den zur Wissenschaft erklärten Mummenschanz – die Spekulation mit der Welt. Ich war gefangen an diesem Tisch, in diesem Raum, in dieser Welt, der einzigen, die denkbar war in diesem Moment, in dieser Zeit, in diesem Land.“

Frederic Wianka, „Die Wende im Leben des jungen W.“

„Die kleinen Unglücke summierten sich, eine feindliche Stimmung baute sich auf. Ein Glas ging zu Bruch, und sofort trat Carl mit bloßem Fuß in einen der Splitter. Ihn packte die Wut. Draußen fielen die Grenzen, und er saß in Gera-Langenberg fest. Verlassen von Gott und der Welt.“

Lutz Seiler, „Stern 111“

Vom Volkseigenen Betrieb Plastmaschinenwerk in Schwerin, materiell gesichert, im Jugendkollektiv geborgen, doch die Gedanken unfrei, zur prekären freien Künstlerexistenz in Berlin, malend wie ein Besessener, doch immer am Abgrund balancierend, außerhalb stehend, gescheiterte Beziehungen, zu viel Alkohol und zu wenig Begabung zur Freundschaft: DIE Wende, der Zusammenbruch des politischen Systems, sie markiert auch eine wesentliche Wende im Leben des Ich-Erzählers aus dem Debütroman von Frederic Wianka.

Der Zufall wollte es, dass ich kurz nach der Lektüre von „Stern 111“ von Lutz Seiler, der damit den Preis der Leipziger Buchmesse errang, zu diesem Roman griff. Beide Bücher sind eng verwandt und doch so unterschiedlich: Wenderomane, Berlinromane, Künstlerromane, Liebesromane. Beide Protagonisten lernen einen Handwerksberuf in der DDR, beide zieht es nach Berlin, beide leiden am Werther-Syndrom der einseitigen Liebe, beide wollen sich als Künstler ausdrücken, der eine als Poet, der andere als Maler.

Würde man einfache Vergleiche ziehen und zur Küchenpsychologie neigen, könnte man einen ebenso einfachen Schluss ziehen: Der eine meistert schließlich sein Leben und ringt sich, trotz aller Selbstzweifel, hervorragende Gedichte ab, weil die erste prägende Ebene in einem Menschenleben, die Beziehung zu den Eltern stimmig ist. Der andere jedoch, der kurz als Maler reüssiert, sich dann allerdings in einer Gedankenspirale über das eigene Ungenügen verfängt, der an seinen eigenen Ansprüchen scheitert, kommt aus unglücklichen Verhältnissen, unehelich geboren, einem emotional kalten Stiefvater ausgeliefert. Der junge W. wählt den Freitod.

„Ich habe Einzelheiten verdrängt und in einer selektiven Erinnerung gelebt, weil das komplettierte Bild mein Leben zeigt, als das, was es ist: von Beginn an eine Lüge. Und ein Selbstbetrug in vielem, was ich tat.“

Dennoch wäre dieser Rückschluss auf die Auswirkungen familiärer Geborgenheit beziehungsweise dysfuntkionaler Familien auf die Entwicklung eines Menschenlebens zu eindimensional. In beiden Romanen ist ein entscheidendes Moment tatsächlich die Wende, die die beiden jungen Männer in eine ganz neue Lebenssituation hineinwirft: Plötzlich frei. Und plötzlich von allen guten Geistern verlassen – der junge W. ohne Freunde, Familie, Bezugspunkte, der junge Carl plötzlich aus dem Nest geworfen, damit konfrontiert, dass seine scheinbar so angepassten Eltern unter den ersten Republikflüchtlingen sind mit Fernziel USA.

Wie umgehen mit dieser scheinbar grenzenlosen Freiheit, mit einem anderen Wertesystem, mit völlig anderen Koordinaten? Nach mehr als 30 Jahren deutscher Einheit machen die jüngsten politischen Entwicklungen deutlich, wie viele Illusionen geplatzt sind, wie viel Arbeit noch notwendig ist, um wirklich „zusammenzufügen, was zusammengehört“. In beiden Büchern, sowohl in „Stern 111“ und in „Die Wende im Leben des jungen W.“, geht es auch um das Scheitern von Utopien und Träumen. Die Wende, sie hätte ein Neuanfang für beide Teile des Landes sein können, doch siegt die Macht der Märkte, was Seiler am Beispiel der sofort einsetzenden Gentrifizierung in Berlin durchspielt, Wianka am Kunstmarkt.

Beide Romane haben deutlichen autobiografischen Hintergrund, beide Autoren sind in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen: So sind diese Bücher auch Dokumente einer deutschen Geschichte, die im „Westen“ nicht wirklich so wahrgenommen wird. Und sie stehen trotz der Fiktionalisierung für Authenzität.

Zum Stilistischen:

Schon mit „Kruso“ tat ich mir streckenweise schwer. Seiler schreibt schön. Das ist nicht spöttisch gemeint: Er bietet Absätze, die funkeln, die von einer makellosen Sprache sind. Aber dann wiederum erscheint mir der Stil manches Mal auch etwas behäbig, zu verklausuliert-rätselhaft zudem – die surrealen Anklänge samt schwebender Ziege in „Stern 111“ nahmen mich nicht mit.

Der junge W. entwickelt einen eigenartigen Sog, Wianka schreibt eigenwillig und poetisch- bildhaft, auch wenn er sich manchmal in seinem Stil etwas vergaloppiert. Solche Satzkonstruktionen wirken zu gewollt, zu getragen: „Glaubenfrei und wissend sah ich Dich, als ich um die Abtei bog, gefestigt wir mir schien.“
Darüber kommt man jedoch, hat man sich in den Stil eingelesen, schnell hinweg, lässt sich hineinziehen in diese Lebensgeschichte.

Der Titel von Wiankas Roman drängt diesen Hinweis nun noch förmlich auf: Wer diese beiden Romane liest, der sollte, könnte auch wieder zu „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Penzdorf greifen. Der zeigt: Man scheitert nicht nur an der Liebe, sondern auch und vor allem an den Verhältnissen.

Informationen zu den Büchern:

Frederic Wianka
„Die Wende im Leben des jungen W.“
PalmArtPress 2020
Hardcover, 350 Seiten, 25,00 €
ISBN: 978-3-96258-050-6

Lutz Seiler
„Stern 111“
Suhrkamp Verlag 2020
Hardcover, 528 Seiten, 24,00 €
ISBN: 978-3-518-42925-9


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Sibylle Knauss: Eine unsterbliche Frau

Die Sibylle von Cumae ist eine unsterbliche Frau. Und nach diesem Roman auch eine Romanfigur, die man so schnell nicht vergisst.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Ich wüsste gerne, wie es sich anfühlt zu lieben, dachte sie. Einmal in all den Leben, die immer wieder durch mich hindurchziehen, möchte ich das erfahren. Sie wusste viel über die Liebe und was sie den Menschen antut, die von ihr befallen sind. Ein Orakel erfährt alles, aber nicht dasjenige, was nur erfahren, indem es erlitten wird. Sie hatte Menschen gesehen, die krank an Liebe waren, und solche, die in einem Maße davon beseligt schienen, dass es ihr ein Rätsel blieb. Die Liebe machte sie ratlos. Das war peinlich in ihrem Beruf. Die Liebenden bestürmten sie mit ihren Fragen, die Liebende haben: Liebt er mich? Werde ich glücklich sein? Ist die Geliebte mir treu? Wie kann ich den Geliebten zurückgewinnen, der mir untreu ist? Und sie erteilte ihren Rat, blieb gewohnheitsmäßig im Vagen und Zweideutigen, und wusste um das Verfehlte und Angemaßte daran. Denn die Liebenden ließen sich nicht raten. Sie blieben unbeirrbar in ihrem Verlorensein an einen anderen Menschen. Sie begehrten nicht Rat, sie begehrten Erlösung.“

Sibylle Knauss, „Eine unsterbliche Frau“.

Erlösung, das ist das, worauf die unsterbliche Frau selbst nicht hoffen kann. Verdammt zu einem Leben, dessen Jahre so unzählig und unzählbar sind wie der Sand am Meer. Eine Begegnung am Strand zur falschen Zeit, ein unbedacht geäußerter Wunsch und schon ist man zur Unsterblichkeit verdammt. Ovid erzählte die Geschichte der Sibylle von Cumae in seinen Metamorphosen, die Schriftstellerin Sibylle Knauss spinnt die Erzählung um ihre Namensvetterin weiter. In ihrem Roman erliegt die Sibylle der „verdammten gottlosen Göttlichkeit“ des Schönlings Apollo, sein Geschenk für eine Nacht: Er macht sie unsterblich.

Und so durchwandern wir mit der Seherin die Jahrhunderte und Jahrtausende. Sie erkämpft sich einen Platz als Orakel, ihr Ruhm dringt bis Rom. Dort feilscht sie mit Lucius Tarquinius Superbus um die „Sibyllinischen Bücher“ und lernt einen Mann kennen, der dem apollonischen Liebeskünsten fast nahekommt. Das Glück ist von kurzer Dauer, zu gewalttätig sind die Zeiten, die die Seherin im Laufe ihres allzulangen Lebens durchschreitet. Einer ist immer dabei, einen, den kann, auch wenn sie das möchte, sie nicht vergessen, buchstäblich „in tausend Jahren nicht“. Bis in unsere Gegenwart und etwas darüber hinaus in eine düstere Zukunft, in der alle zivilisatorischen Strukturen zusammengebrochen sind, rückt ihr Apollo immer wieder auf den Pelz: Zwar altert die Sibylle regelmäßig, doch dann, wenn sie greis und zerbrechlich ist und den Tod herbeisehnt, verpasst ihr der grausame Gott eine Frischzellenkur.

Wir Leser profitieren von dieser Unsterblichkeit: Gelingt es doch der anderen Sibylle, der Schriftstellerin, dadurch uns einen Spiegel vorzuhalten. Wie wenig die Menschen sich bessern, wie wenig wir uns im Grunde von den alten Griechen und den kriegslüsternen Römern unterscheiden, wie viele Generationen sterben müssen, ohne dass der Mensch im humanitären Sinn Fortschritte macht, dies könnte ein Fazit der Sibylle von Cumae an ihrem Lebensende sein, träfe es denn endlich ein.

„Und als der Krieg nach dreißig Jahren vorbei war, ganze Landstriche verwüstet, Dörfer menschenleer, Städte niedergebrannt, blieb ihr nach all dem Entsetzlichen: zu begreifen, dass niemand klug aus der Geschichte wird, der nicht weiß, dass man selbst ein Teil davon ist, mithandelnd, mitleidend, mitverwoben ins Ganze.“

Das alles ist jedoch nicht von einem melancholisch-bitteren Unterton geprägt, sondern von einer sehr feinen Ironie in einer wunderbaren und unterhaltsamen Sprache. Immer wieder streut Sibylle Knauss in den Erzählfluss amüsante Bemerkungen ein, blitzen ihr trockener Humor und eine gewisse Scharfzüngigkeit durch.

Die Sibylle von Cumae: Eine unsterbliche Frau. Und nach diesem Roman auch eine unvergessliche Frau, eine ungewöhnliche Gestalt der Literatur.

Mehr Informationen zum Buch:
Sibylle Knauss
„Eine unsterbliche Frau“
Klöpfer.Narr 2019
Gebunden, 268 Seiten, 22,00 Euro
ISBN 978-3-7496-1003-7

Mehr zum Buch auf der Homepage der Autorin: https://www.sibylle-knauss.de


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Neil MacGregor: Shakespeares ruhelose Welt

„Shakespeares ruhelose Welt“ ist ein schön aufgemachter Bildband, der am Beispiel von 20 Objekten mitten hineinstößt in das turbulente London Shakespeares.

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Bild von Martin Ludlam auf Pixabay

„Es liegt eine merkwürdige Kraft in Dingen: Sie können, einmal hergestellt, unser Leben verändern.“

Neil MacGregor, „Shakespeares ruhelose Welt“

Seltsam ist`s, im Nebel zu wandeln…seit Tagen hängt eine Nebelwand über der Fuggerstadt. Von der Straße dringen die Geräusche nur wie in Watte gepackt in mein Arbeitszimmer. Selbst das Augsburger Rathaus, sonst vom Bürofenster fast handgreiflich nah, bleibt in ein diffuses Licht gehüllt. Das Wahrzeichen der Stadt im Nebelkleid. Ich überlege, ob vor 400 Jahren, als der Grundstein für diesen Bau, der, so ein neuzeitlicher Slogan, „Bürgersinn und Bürgerstolz“ repräsentieren soll – und – so ist doch anzunehmen – auch in der freien Reichsstadt zum Repräsentationszweck der wenigen Privilegierten, der wenigen wirklich „Freien“, vor allem auf dem Rücken des städtischen „Unterbaus“ erhoben wurde, ein Bau, der wahrscheinlich Leben&Kraft der Handwerker, Arbeiter, Arbeitssklaven kostete – gut, ich überlege, ob dieser Bau auch schon vor vierhundert Jahren wochenlang im Nebel versank. Und warum sich die Augsburger Patrizier darin überschlugen, Florenz, die mächtige Konkurrentin im Handel, durch Kopieren des Renaissancestils zu übertrumpfen, statt Eigenes zu gestalten, und ob auch an der Themse heute Nebel herrscht…

Vom nebeligen Augsburg 2014 zur Grundsteinlegung 1615 in der freien Reichsstadt sind es nur wenige Schritte zurück in das London der 1590er Jahre. Ein Denkmal wie das Augsburger Rathaus vermag immer noch Geschichten zu erzählen vom Ehrgeiz und den Ambitionen reicher Kaufleute, von Machtbewusstsein und Machtdemonstrationen, von Konkurrenz und Wettbewerb in einer bereits globalisierten Welt.

Einer, der solche Geschichten ebenfalls trefflich wiedergibt, ist Neil MacGregor. Der Kunsthistoriker war Leiter der National Gallery in London, seit etlichen Jahren ist er der oberste Hüter des Sammelsuriums im British Museum. Bereits mit seiner „Geschichte der Welt mit 100 Objekten“ landete er einen Bestseller. Zum Shakespeare-Jubiläumsjahr kam nun ein „Sequel“ – bewusste Wortwahl, denn dieses Buch lebt mit und vom Medium Bild und der multimedialen Weiterverwertung als Radioreihe und Hörbuch. „Shakespeares ruhelose Welt“, ein schön aufgemachter Bildband, der am Beispiel von 20 Objekten mitten hineinstößt in das turbulente, von der Pest gebeutelte, von den Iren und Schotten in die Zange genommene, den Spaniern und Katholiken unterwanderte, Magie-gläubige, nach Italien schielende und von aufständischen Lehrlingen gerüttelte London unter Elisabeth I.

Neil MacGregor erhebt nicht den Anspruch, Shakespeares Dramen zu analysieren oder Neues aus dem Dichterleben zu enthüllen.

„Vom Charisma der Dinge bewegt, unternimmt dieses Buch zwanzig Reisen in eine vergangene Welt – dies aber nicht in der Absicht, uns irgendeinem bestimmten Heiligen oder Helden näher zu bringen, schon gar nicht der Gestalt im Zentrum des Geschehens selbst, William Shakespeare. Wir wissen über das, was er tat, recht wenig, können nicht hoffen, mit auch nur annähernden Sicherheit aufzudecken, was er dachte, woran er glaubte. Shakespeares innere Welt bleibt, so bitter das ist, im Dunkeln. Stattdessen aber erlauben uns die Objekte in diesem Buch, an den Erfahrungen seines Publikums teilzuhaben (…).“

Wahren Shakespearianern bietet dieser opulente Bildband also keine neuen Erkenntnisse zu Leben und Werk. Es ist aber auch weitaus mehr als nur ein „coffee table book“, das sich im Jubiläumsjahr hübsch auf dem Wohnzimmertisch ausmacht. Kein „biopic“ auf Papier to go ohne inhaltlichen Anspruch – sondern ein fundiert und lebendig geschriebener Führer durch die englische Geisteswelt und Geschichte dieser dramatischen Zeit. Das Buch eröffnet einen Blick auf die Welt, in der der Dichter und seine Anhänger lebten. Unterstützt von den Shakespeare-Kennern des British Museums, das im vergangenen Jahr die Ausstellung „Shakespeare: Staging the world“ zeigte, verknüpft Neil MacGregor historisches Geschehen, Zeitkolorit, Dokumentiertes mit den Dramen und der Gedankenwelt Shakespeares. Und zeigt damit auch auf, wie modern der Dichter zu seiner Zeit war…

Ein Beispiel: Noch die Eltern des Dramatikers, mutmaßt Neil MacGregor, hatten wohl nie das Ticken einer Uhr gehört. Zimmeruhren waren um 1590 etwas Neues, ein Statussymbol. „Zeit des Wandels, Wandel der Zeit“ ist dieses Kapitel überschrieben. Mit den Uhren wird das Diktat der Zeit ein anderes, wird sich der Alltag der Menschen verändern. Reflektionen über die Zeit – sie sind auch ein fester Bestandteil Shakespearscher Werke. MacGregor verknüpft dieses geschickt, zeigt, was die Stunde geschlagen hat – sowohl im Alltag der Leute, als auch auf der Bühne des „Globe“.

Weil man vom Schöpfer von „Romeo und Julia“, „Othello“, „Hamlet“ und „Macbeth“ so wenig wissen kann, bringt der MacGregor die Welt, in der Shakespeare lebte, auf andere Weise nahe – mit Gabeln, Mützen, Kelchen, Spiegeln. In einem, dem letzten Kapitel macht der Kunsthistoriker das Shakespear`sche Werk zum Objekt: Denn nicht nur die Dinge haben die Macht (siehe Eingangszitat), das Leben der Menschen  zu verändern.

Auch die Worte, die Sprache können es auf den Kopf stellen, uns zu Taten bewegen, eine Welt zum Einsturz bringen. So mancher ist in ein Shakespeare-Stück gegangen und kam, wie nach einem Sommernachtstraum, als ein anderer heraus. Und auch  450 Jahre nach seiner Geburt ist der große Dramatiker und Lyriker William Shakespeare immer noch ein großer Weltveränderer – der Zauber und die Macht seiner Worte ungebrochen. Sein Werk hat die Jahrhunderte überlebt, und viel mehr als das: Es ist immer noch in uns lebendig. Dies verdeutlicht Neil MacGregor eben vor allem im letzten Kapitel „Shakespeare erobert die Welt“. Lauten könnte es auch: „Shakespeare hilft, in der Welt zu bestehen“. Denn selbst in den dunkelsten Winkeln hilft und trägt das Dichterwort weiter – sei es bei der Trauung von Marcel Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto, sei es im Gefängnisalltag auf Robben Island. Für ein einziges Buch durften sich die Gefangenen rund um Nelson Mandela für die lange Dauer der Haft entscheiden – die Wahl fiel auf Shakespeares gesammelte Werke.

Neil MacGregor, „Shakespeares ruhelose Welt“, C. H. Beck, 2013, 347 Seiten mit 125 farbigen Abbildungen, 29,95 Euro.

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Ruth Klüger: Zerreißproben

Das als Schuld empfundene Überleben – Ruth Klüger trägt diese Last ihr Leben lang mit sich mit. Ihre Gedichte erinnern an Verlorenes, sind “Zerreißproben”.

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Bild von Barak Broitman auf Pixabay

Jom Kippur (Auszug)

Und jedes Jahr wie jedes Jahr
zehrt und zerrt der Hunger der Toten
an dem Fleisch der Lebendigen. Löset die Knoten!
Seid wie ein Kamm im verfilzten Haar.

„Auch hinter einem älteren Bruder, der die Naziherrschaft nicht überlebt hat, bin ich hergelaufen. Yom Kippur heißt der jüdische Fasten- und Versöhnungstag. In meiner Vorstellung sind die Toten aber nicht versöhnlich, weil sie uns nicht verzeihen, dass wir sie überlebt haben.“

Ruth Klüger, „Zerreißproben“


Das als Schuld empfundene Überleben – Ruth Klüger trägt diese Last ihr Leben lang mit sich mit. Wie andere Brandmale, Verletzungen und Ab-Stempelungen, seelisch und körperlich. Nicht nur durch die Nummer am Handgelenk bleiben die Opfer auch Jahrzehnte nach dem Holocaust gebrandmarkt und gepeinigt: „Denn die Folter verläßt den Gefolterten nicht, niemals, das ganze Leben lang nicht“, schreibt Ruth Klüger im ersten Teil ihrer Autobiographie, „weiter leben“ (deutsche Erstausgabe: 1992, Wallstein Verlag Göttingen). Erst in ihren 60igern entschließt sich Ruth Klüger dazu, „dieses Stück Mahnmal“ entfernen zu lassen.

„Da habe ich sie dann endlich auswendig gewußt, denn vorher hatte ich immer Mühe gehabt, sie mir zu merken: A-3537. Sie war immer nur eine Hundemarke in dem Sinne, daß die eigentliche Zahlenfolge bedeutungslos war und ich sie nie als eine Einheit empfunden habe, nicht einmal wie eine Haus- und Telefonnummer, warum sollte ich sie mir dann merken? Die Ziffern waren nur auf der Haut, nicht im Kopf. Nur als Tatsache, als Phänomen, als Zeichen waren sie wichtig, aber dann so sehr, daß man sie für die Toten anbehielt. Anbehielt? Wie ein Kleidungsstück?
Für die Buchhaltung in Auschwitz, wenn man diese makabren Genauigkeiten so nennen kann, war sie unnötig, denn ob markiert oder nicht, die Juden wurden vernichtet.“
(„unterwegs verloren“, Paul Zsolnay Verlag, 2008).

Das Ende der Freundschaft mit Martin Walser

Ruth Klüger verfügt über einen klaren, analytischen Verstand, der vor keiner „Zerreißprobe“ zurückschreckt, der Innerstes offen legt, auch dieses in den familiären und freundschaftlichen Bindungen. Und ihr Verstand ist nicht korrumpierbar, nicht durch Sentiment manipulierbar: Davon zeigt auch das Ende ihrer jahrzehntelangen Freundschaft zu Martin Walser, dem sie in „Tod eines Kritikers“, Walsers Marcel Reich-Ranicki Aufarbeitungsroman, „geradezu klassische Muster der Diskriminierung“ vorwirft.

„Lieber Martin, seit wir uns vor 55 Jahren kennenlernten, ist viel Wasser in den Bodensee geflossen, und nicht nur heilig-nüchternes, für Hölderlins Schwäne zum Tunken geeignetes. Damals war die große Mordwelle gerade vorbei, und Deutschland stand am Anfang der großen Gleichgültigkeitswelle. Darauf folgte die Welle des triefenden Philosemitismus. Jetzt sieht es hierzulande nach einem Rückfall aus in das, was wir Juden in der Nazizeit ironisch-wehmütig >den guten, alten Riches von 1910< nannten, nämlich die gemäßigte Judenverachtung weiter Bevölkerungsschichten aller Klassen, mit der sich (scheinbar) leben ließ. In Deiner Friedenspreisrede hast Du über eine Moralkeule gejammert, mit der Ungenannte Dich und andere Deutsche bedrohen. Jetzt spielst Du >Sieger und Besiegte<, und dabei ist Dir selber unversehens die von Dir heraufbeschworene Keule in die Hände gerutscht, aber wo, bitte, steckt denn hier die Moral?” („unterwegs verloren“ – auch für diese Freundschaft gilt der Buchtitel, auch dies ein weiterer Verlust, denn: „Denn das Judesein ist kein Klub, aus dem man austreten kann.“).

Die Welt der Eltern – die Welt von Arthur Schnitzler

Zeit wird es an dieser Stelle, die biographischen Fakten aufzureihen: Ruth Klüger wird 1931 in Wien geboren, die Eltern, „junge Menschen aus Arthur Schnitzlers Welt“, die Kindheit beinahe behütet – denn an viel kann sich Ruth Klüger später nicht erinnern aus dieser Stadt, in der sie die ersten elf Jahre verbrachte: Mit dem Judenstern an der Kleidung macht man keine Spaziergänge, schreibt sie trocken. Wien ist kalt, kinderfeindlich, „bis ins Mark judenfeindlich“. 1997 kehrt sie für einige Zeit nach Wien zurück, vor der Statue des heiligen Nepomuk kommen ihr einige Zeilen:

Am Bauernmarkt (Auszug)

Lieber Scheinheiler, mach was Fein`s:
nimm dich der jüdischen Kundschaft an,
damit ich nicht ertrinken tu am Bauernmarkt eins.

(In „Zerreißproben”).

Denn die Rückkehr nach Österreich und Deutschland – Jahrzehnte später – bleibt, trotz mancher freundschaftlicher Verbindungen immer auch von „unsichtbaren Gefahren“ geprägt.

Im Alter von elf Jahren wird Ruth Klüger mit ihrer Mutter zunächst nach Theresienstadt, dann Auschwitz und Christianstadt deportiert. Der bewunderte Vater, der ältere Halbbruder – sie überleben nicht.

Mit einem Jahreszeitlicht für den Vater (Auszug)

Meine Kerze will dein Augenlid berühren,
wenn dein Aug´ sie auch nicht sehen kann.
Blinde Väter barfuß durch die Welt zu führen
steht sich leider nur für Königstöchter an.
Wind weht vom Stillen Ozean.

„Ich habe dieses Gedicht jahrelang mit mir herumgetragen und daran herumgebastelt. Ich habe es mir im Stehen und Gehen aufgesagt und es verändert. Jede Änderung war wie ein neues Hinterherlaufen (>mit kurzen Kinderschritten<). Es ist die Suche nach einem Vater – wenn man ein solches Hinterherlaufen eine Suche nennen kann -, den ich nicht gefunden habe. Wie sollte ich auch? Ich habe ihn als Achtjährige zuletzt gesehen und weiß nichts Wissenswertes über ihn. Eines habe ich allerdings im Laufe dieser Bemühungen wiederentdeckt und wiedergewonnen, nämlich die Muttersprache, mein österreichisch gefärbtes Deutsch.“ (Zerreißproben“)

Emigration in die USA

Mit ihrer Mutter gelangt Ruth Klüger 1947 in die USA. Sie erkämpft sich, gegen mancherlei Widerstände, auch gegen materielle Not, gegen eine beklemmende Ehe ein Studium und macht ihren Weg als Germanistin, unter anderem lehrt sie an den Universitäten von Virginia, Princeton und in Irvine/Kalifornien. 1988 nimmt sie eine Gastprofessur in Göttingen wahr. Eine Annährung mit dem Land der Täter wird schrittweise wieder möglich. Mit ihren beiden autobiographischen Büchern „weiter leben“, das von der Kindheit in Wien und der Wirklichkeit in den Konzentrationslagern erzählt, sowie „unterwegs verloren“, das die amerikanischen Jahre und die deutsche Annährung schildert, wird Ruth Klüger auch im deutschsprachigen Raum als Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin bekannt. In den beiden Büchern finden sich auch bereits Hinweise auf die Gedichte – erste schrieb sie bereits 1944 im KZ – die sie ihr Leben lang verfasste.

2013 erschienen einige Gedichte eines Lebens beim Paul Zsolnay Verlag, von der Autorin selbst kommentiert – unter dem programmatischen Titel „Zerreißproben“.

„Ich möchte Gedichte vorstellen, die etwas mit meinem Leben zu tun hatten, und sagen, was es war. Oft war es etwas, was ich verdrängen wollte und das sich nicht verdrängen ließ.“

So handelt diese Lyrik von Verlusten und Ängsten, von den Erinnerungen an das Geschehen am Heldenplatz, die Kindheit in Wien, das Geschehen in den Lagern, aber auch von den späteren Jahren, dem „Scheidungsblues“, den Gefühlen für die eigenen Kinder – Ruth Klüger hat zwei Söhne – und natürlich auch von ihrem Beruf, der ungebrochenen Liebe zur deutschen Dichtung.

Deutsche Sprache (Auszug)

In diesen Lauten, die ich zu verlernen
versuchte, weil die spitzen Konsonanten
das wunde Fleisch der Kinderjahre kannten (…)

In diesen Lauten löst sich nun die schmale,
die Kinderstimme (…)

und zeigt mir (…) den Trost der klaren, offenen Vokale.


Informationen zum Buch:

Ruth Klüger
Zerreißproben
dtv Verlag, 2016
ISBN: 978-3-423-14519-0