
“Im Volksgarten” erschien erstmals 1896 in der Sammlung “Wie ich es sehe”.
Karl Kraus hatte die Prosaskizzen Peter Altenbergs (1859 – 1919), den er aus dem Kaffeehaus kannte, kurzerhand an den S. Fischer Verlag geschickt. Nach “Wie ich es sehe” folgten noch weitere Buchpublikationen, dennoch lebte der Bohemien stets am Rande des Existenzminimums. Hier findet sich ein ausführliches Portrait.
»Ich möchte einen blauen Ballon haben! Einen blauen Ballon möchte ich haben!«
»Da hast du einen blauen Ballon, Rosamunde!«
Man erklärte ihr nun, daß darinnen ein Gas sich befände, leichter als die atmosphärische Luft, infolgedessen etc. etc.
»Ich möchte ihn auslassen – – –«, sagte sie einfach.
»Willst du ihn nicht lieber diesem armen Mäderl dort schenken?!?«
»Nein, ich will ihn auslassen – – –!«
Sie läßt den Ballon aus, sieht ihm nach, bis er verschwindet in den blauen Himmel.
»Tut es dir nun nicht leid, daß du ihn nicht dem armen Mäderl geschenkt hast?!?«
»Ja, ich hätte ihn lieber dem armen Mäderl geschenkt!«
»Da hast du einen andern blauen Ballon, schenke ihr diesen!
»Nein, ich möchte den auch auslassen in den blauen Himmel!« –
Sie tut es.
Man schenkt ihr einen dritten blauen Ballon.
Sie geht von selbst hin zu dem armen Mäderl, schenkt ihr diesen, sagt: »Du lasse ihn aus!«
»Nein«, sagt das arme Mäderl, blickt den Ballon begeistert an.
Im Zimmer flog er an den Plafond, blieb drei Tage lang picken, wurde dunkler, schrumpfte ein, fiel tot herab als ein schwarzes Säckchen.
Da dachte das arme Mäderl: »Ich hätte ihn im Garten auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut, nachgeschaut – – –!«
Währenddessen erhielt das reiche Mäderl noch zehn Ballons, und einmal kaufte ihr der Onkel Karl sogar alle dreißig Ballons auf einmal. Zwanzig ließ sie in den Himmel fliegen und zehn verschenkte sie an arme Kinder. Von da an hatten Ballons für sie überhaupt kein Interesse mehr.
»Die dummen Ballons – – –«, sagte sie.
Und Tante Ida fand infolgedessen, daß sie für ihr Alter ziemlich vorgeschritten sei!
Das arme Mäderl träumte: »Ich hätte ihn auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut und nachgeschaut – – –!«
Peter Altenberg
“Im Volksgarten” ist einer der Sprechtitel auf André Hellers wunderbarer Schallplatte “Bei lebendigem Leib”. Beim Zuhören sieht man die Ballons förmlich in den Himmel verschwinden…eigentlich müssten all die wienerisch-federleicht-melancholischen Skizzen, die Altenberg mit Worten malte, gesprochen gehört werden. Weil man dann auch versteht: Auslassen, loslassen, ist immer schwieriger für den, der von vornherein wenig hat…