Volker Weidermann: Träumer – als die Dichter die Macht übernahmen

Vor 100 Jahren gab es ein einzigartiges Ereignis in Deutschland: In Bayern übernahmen Dichter die Macht. Florian Pittroff über das Buch von Volker Weidermann.

Florian_Träumer
Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Beitrag von Florian Pittroff

Es hätte auch ein dickes, unspannendes Sachbuch werden können. Aber weit gefehlt. Es ist ein außergewöhnliches Buch und ein interessantes zugleich geworden. Volker Weidermann erzählt auf 284 Seiten ein eigentlich trockenes Kapitel der deutschen Geschichte wie einen spannenden Roman, ja fast wie einen Krimi.

Wann gab es das schon einmal – eine Revolution, durch die die Dichter an die Macht gelangten? Doch es gibt sie, die kurzen Momente in der Geschichte, in denen alles möglich erscheint, heißt es  im Klappentext. Und das Buch selbst startet mit den Worten: „Natürlich wäre es ein Märchen gewesen, nichts als ein Märchen, das für ein paar Wochen Wirklichkeit  geworden war. Und jetzt war es eben vorbei“.

Zur Zeit der Münchner Räterepublik

Wir schreiben das Jahr 1919. Es ist die Zeit der Münchner Räterepublik und der Leser ist immer am Ort des Geschehens. Eben nicht nur dabei, sondern mittendrin als Augenzeuge der Geschehnisse damals in München. Das Buch von Volker Weidermann fängt Stimmen und Stimmungen in dieser hochexplosiven und aufgeladenen Atmosphäre sehr gut ein.

Fast könnte man sagen,  der Leser ist auf Du und Du  mit Kurt Eisner, Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke, Oskar Maria Graf, Thomas Mann und all den anderen. Volker Weidermann  erklärt nicht  nur, sondern  entwickelt eine spannende und gleichzeitig leichtfüßige Geschichte, die eher als Roman denn als Erklärstück durchgeht. So macht Geschichte Spaß. Wäre es so mal in der Oberstufe des Gymnasiums gewesen.

Oskar Maria Graf in seiner Lederhose

Da pilgert zum Beispiel Oskar Maria Graf mit Lederhose durch München, rettet einen Soldaten vor Prügeln, um danach aber irgendwie den Anschluss an die Revolution zu verpassen und lieber im „Franziskaner“ Bier und Wurst bestellt. Da kommt Thomas Mann nicht besonders gut weg: „Hört, ich bin weder eine Jude, noch ein Kriegsgewinnler, noch sonst etwas Schlechtes, ich bin ein Schriftsteller, der sich dies Haus (seine Villa in Bogenhausen) von dem Gelde gebaut hat, das er mit seiner geistigen Arbeit verdient. (…).“ Das mit dem Verdienst durch geistige Arbeit stimmte so nicht ganz: Das Haus hatte noch vor dem 1. Weltkrieg die mit dem reichen jüdischen Mathematikprofessor Alfred Pringsheim verheiratete Schwiegermutter  bezahlt. Weidermann: „Mann war in diesen Tagen von antisemitischer Stimmung ganz erfüllt  und er war sicher, dass München (…) diese fundamentale Abneigung mit ihm teilte“.

Eine Besonderheit dieses Buches sind eben diese Worte und Sätze, die Weidermann den Protagonisten in den Mund legt. Ob Oskar Maria Graf, Ernst Toller, Erich Mühsam oder all die anderen dies tatsächlich so gesagt haben, dafür gibt es natürlich keine wirklichen Belege. Das tut in diesem Falle auch nichts zur Sache. Die Zitate machen das Buch zu einem einfühlsamen und lebendigen Werk. Sie untermauern die Gefühle, das Denken und die Beweggründe aller Personen, die sich in München in den Jahren 1918/1919 Gedanken umdie Zukunft Deutschlands und Bayern gemacht haben.

Last but not least erfährt der Leser dann in einem Nachwort noch, wie es weitergegangen ist, mit dem einen oder anderen Dichtern nach diesen rauschhaften Tagen.


Informationen zum Buch:

Volker Weidermann
Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen
Kiepenheuer & Witsch, 2017
ISBN: 978-3-462-04714-1


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

www.flo-job.de

Hans Weinhengst: Turmstraße 4

Hans Weinhengst wurde als Autor beinahe vergessen: Der Österreicher schrieb seine Texte in Esperanto. So auch seinen Roman über das Elend der Nachkriegsjahre.

soap-factory-586662_1920
Bild von Tina T. auf Pixabay

„Wenn er auch seinen Eltern und Geschwistern in Liebe verbunden war: Aber seit der Kündigung des Vaters herrschten innerhalb der Familie niederschmetternde Schwermut und abstoßende Gereiztheit. Zu seinem bisherigen Elend und zu den Widrigkeiten seines hoffnungsleeren Arbeitslosendaseins kam nun eine neue Sorge: Er fürchtete um seine Geliebte. Ihn bedrückten nicht einfach nur Eifersucht, sondern die lähmende Angst, ihm würde das bei weitem Beste genommen, das er je gehabt hatte, das einzige Licht in seinem dunklen Alltag, von dem er hoffte, es könnte seine herzerwärmende Sonne in einer kalten, egoistischen Welt sein.“

Hans Weinhengst, „Turmstraße 4“, 1934


Wien, 1930: Die Liebe in Zeiten von Armut und Massenarbeitslosigkeit. Eine tieftraurige, aussichtslose Angelegenheit. Dem jungen Pärchen Martha und Karl ist kein Glück vergönnt, die Zweisamkeit währt nicht lange. Dies allein schon aus praktischen Gründen: Die beiden leben mit ihren Familien in beengten Verhältnissen, in einem der abgewirtschafteten Wohnblöcke der Wiener Arbeiterviertel Wiens, Turmstraße 4. Der Mietblock, er spielt eine zentrale Rolle in diesem Roman aus der Zwischenkriegszeit. Das Buch beginnt mit einer eindringlichen Schilderung dieser Behausung:

„Ein grauer, heruntergekommener Wohnklotz. Das ist das Haus Nummer 4 in der Turmstraße. Wenn ich „grau“ sage, beschreibe ich die Farbe der Mauern nicht ganz treffend. Sie sind in Wahrheit undefinierbar widerwärtig (…). Das Hausinnere zeigt auf den ersten Blick unverhohlen, dass die gesamte Konstruktion einzig dem Streben nach Ausbeutung folgt: Das Stiegenhaus und die Gänge sind schmal, der erdrückend enge Hof – „Lichthof“ genannt – ist der den Bauvorschriften geschuldete einzige freie Raum, die Wohnungen sind winzig, dafür aber zahlreich.“

Schriftsteller und Antifaschist

Und der sprachliche Stil dieses österreichischen Autoren Hans Weinhengst zeigt ebenfalls unverhohlen, dass hier einer einem besonderen Streben folgt: Weinhengst (1904 – 1945) war Schriftsteller, Übersetzer, Sozialdemokrat und Antifaschist. Und so bleibt bei seinem einzigen Roman, „Turmstraße 4“, der 1934 erstmals erschien, manches Mal der literarische Stil zugunsten einer Botschaft, die vermittelt werden soll, auf der Strecke, nimmt das Buch eher die Form einer engagierten Reportage denn eines belletristischen Werkes an:

„Wenn es abends zu schneien begann, bildeten sich lange Schlangen Arbeitswilliger vor den Aufnahmestellen für Schneearbeiter. Viele dieser hungernden und unzureichend bekleideten Personen mussten nach mehrstündigem Stehen in eisigem Wind aufgeben und fortgehen – oder weggetragen werden. Später, im Verlauf des Morgens, wenn man mit den Einstellungsmodalitäten begann, kam es oft zu wilden Handgreiflichkeiten wegen der wenigen Stunden schlecht bezahlter Arbeit. Wer je Zeuge einer solchen Szene wurde, und wer einmal gesehen hat, wie die mehreren Hundert, die nicht das Glück hatten, eine Schaufel in die Hand zu bekommen, mit hängenden Köpfen – manche in Tränen ausbrechend – davonschlichen, nennt diese Menschen nie wieder „arbeitsscheue Schmarotzer“.“

Doch über diese stilistischen Ausreißer kann man gut und gerne hinwegsehen – lohnens- und lesenswert ist dieser Roman allemal. So unmittelbar, so eindrücklich erzählt Hans Weinhengst von den Mühen der Arbeiterebene, gibt einen eindrücklichen Blick frei auf das Leben der Menschen, die das Elend des Ersten Weltkrieges und dessen Folgen auszubaden hatten. Vom Krieg traumatisierte Väter, ausgezehrte, überarbeitete Frauen, eine Jugend ohne Perspektiven – Arbeitslosigkeit, drohende Wohnungslosigkeit, Armut und der Zwang in die Kleinkriminalität, um überhaupt zu überleben, das sind die Möglichkeiten, die sich Martha, Karl und ihresgleichen eröffnen.

Roman wurde in Esperanto verfasst

Die anrührende Liebesgeschichte mit ihrem tragischen Ende ist der kleine Kunstgriff, den sich Weinhengst erlaubt, um so einer wohl erhofften breiten Leserschaft ein reales Abbild seiner Zeit zu geben. Einem breitem Publikumserfolg stand jedoch vor allem ein besonderer Umstand im Wege: Hans Weinhengst war einer der bedeutendsten Verfechter des Esperanto in Österreich. Als führendes Mitglieder der sozialistischen Esperanto-Bewegung schrieb und veröffentlichte er seine Texte – Lyrik, Erzählungen sowie seinen einzigen Roman –  ausschließlich in dieser Kunstsprache. So wurde das Buch in einem ungarischen Esperanto-Verlag 1934 verlegt, erst fast 80 Jahre später erschien es nun erstmals in deutscher Übersetzung durch Christian Cimpa.

Es lag nicht nur allein am aufkommenden Faschismus in Österreich, dass Hans Weinhengst als überzeugter Anhänger der Esperanto-Bewegung oftmals isoliert war. Kurt Lhotzky zeichnet im Nachwort zu der deutschsprachigen, beim Wiener Verlag „edition atelier“ erschienenen Ausgabe die wechselvolle Geschichte der österreichischen Esperanto-Bewegung nach. Leute wie Weinhengst waren davon überzeugt, die Kunstsprache könne zur internationalen Verständigung beitragen, dazu, dass sich Proletarier aller Länder auch sprachlich vereinigen können – meist aber stießen die sogenannten „Arbeiteresperantisten“ jedoch sowohl bei den sozialistischen Parteien als auch bei den Esperanto-Gesellschaften auf Widerstand und Ablehnung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hans Weinhengst auch von der österreichischen Literaturgeschichte fast vergessen. Auch wenn der Roman stilistisch nicht in der ersten Liga spielt – ein Verdienst des Verlages ist es dennoch, ihn nun nach so langer Zeit zugänglich zu machen. „Turmstraße 4“ ist ein beinahe dokumentarisches Buch, das unmittelbar, ehrlich und authentisch von der Armut, ihren Folgebedingungen und der Unmöglichkeit, dem ganzen Kreislauf aus eigener Kraft zu entkommen, erzählt.


Bibliographische Angaben:

Hans Weinhengst
Turmstraße 4
Aus dem Esperanto von Christian Cimpa
Edition Atelier, 2018
ISBN: 978-3-903005-35-8

Eine eigene Erwähnung wert ist mir die wunderbare Titelgestaltung durch Jorghi Poll, die mir schon bei „Marylin“ von Arthur Rundt so sehr ins Auge fiel.

Peter Rosegger: Weltgift

Peter Rosegger, ein Naturtalent, avancierte zum Volksschriftsteller und Bestsellerautor. In “Weltgift” zeigte er seine ironische, kritische Seite.

wood-3291167_1920
Bild von holzijue auf Pixabay

„Hadrian Hausler war mit seiner That überaus zufrieden. Jetzt hing er nicht mehr in der Luft, jetzt stand er fest auf der Scholle. (…) Welch eine Aufgabe! Sie, die heute noch lachen über den durchgebrannten Kompagnon Hausler, werden mir noch ein Denkmal setzen. Ein Denkmal war immer mein Ideal. Eins aus Erz auf Sandsteinsockel. Marmor hält nicht in diesem Klima.“

Peter Rosegger,, “Weltgift”


Peter Rosegger? Irgendwo, irgendwann hatte ich das Vorurteil aufgegriffen, der Rosegger sei eine Art österreichischer Ganghofer und mich nie mit ihm beschäftigt. Meine Neugierde wurde durch den Septime Verlag in Wien geweckt – er gab nun den 1903 erstmals veröffentlichten Roman „Weltgift“ wieder heraus, verbunden mit dem Hinweis auf dessen sozialkritische Aktualität, die uns heute wieder ansprechen könnte.

Rosegger (1843 – 1918), als Waldbauernbub in eine Region mit hohem Analphabetismus hineingeboren, der kaum Chancen auf eine gute Bildung hatte, wurde durch sein erzählerisches Talent früh entdeckt. Einige Förderer und Gönner (darunter ein Bierbaron) ermöglichten ihm den Besuch der Grazer Handelsakademie. Von da an war kein Halten mehr: Rosegger avancierte schnell zum vielgelesenen Autor, ein Volksschriftsteller, der 1913 sogar für den Literaturnobelpreis im Gespräch war.

Parallelen zu Ludwig Ganghofer

Parallelen zu Ganghofer gibt es durchaus, insbesondere in sozialen und politischen Fragen – Haltungen, vom Zeitgeist geprägt, die sich aus unserer heutigen Perspektive einer simplen schwarz-weiß Bewertung entziehen. Beide konservativ in ihren Ansichten, Rosegger monarchietreu, Ganghofer deutlich nationalistisch. Beide verfassten, angesteckt vom Weltenbrand, während des Ersten Weltkriegs kriegsverherrlichende Texte, obwohl Rosegger beispielsweise vor der Jahrhundertwende ein aktives Mitglied der pazifistischen Bewegung in Österreich war. Die Werke der beiden Autoren wurden posthum von den Nationalsozialisten für deren Zwecke vereinnahmt. Und beide sind bis heute schwer einzuordnen, werden je nach Standpunkt nach wie vor für gewisse Zwecke genutzt oder abgelehnt, wie auch ein Artikel anlässlich des 170. Geburtstages von Rosegger im österreichischen „Profil“ zeigt.

Parallelen im Werk sind zu finden in der Auseinandersetzung mit der sozialen Lage der Bauern, dem Auseinanderklaffen der Klassen, den Konflikten, die im Zuge der Industrialisierung entstehen, aufgezeigt oftmals am Gegensatz von Stadt und Land.

Flucht aufs Land als Heilmittel

So begeht auch die Hauptfigur des Romans „Weltgift“, Hadrian („Hadri“) Hausler – kein Häusler, sondern Sohn aus gutem Hause, jedoch nirgends daheim und auch in sich unbehaust – Landflucht: Der Fabrikantensohn, seines verschwenderischen, sinnlosen Lebens in der Stadt überdrüssig, schlägt die Firmennachfolge aus und versucht in der österreichischen Provinz als Gutsherr Fuß zu fassen. Und scheitert auch daran grandios. Von einem betrügerischen Verwalter eh schon um das letzte Hemd gebracht, ruiniert ihn ein Hochwasser vollends. Einziger Halt ist sein junger Geselle Sabin, den der von der Frauenwelt enttäuschte Hausler- seine Geliebte heiratet des besseren Ertrags wegen seinen Vater- in fast schon homoerotischer Weise verehrt. Zwar ist diese – zudem einseitige Männerfreundschaft – zurückhaltend dargestellt. Doch sowohl dies als auch andere Szenen des Romans wurden bei dessen Erscheinen von der konservativen Öffentlichkeit als „lüstern“ empfunden. Gerald Schöpfer zitiert in seinem Nachwort zu „Weltgift“ aus dem „katholischen Schulvereinskalender“ von 1903:

„Darum findet sich in seinen Geschichten so manches, was ein reines Gemüt abstößt und ein gläubiges Herz im Innersten verwundet. Aber gerade diese pikante Sauce behagt dem lüsternen Gaumen der meisten Leser.“

Heute könnte wohl das persilreinste Herz kaum mehr erotisch Anstößiges in diesem Roman finden: Rund um Hausler finden sich allerlei junge Leute, bändeln an und heiraten am Ende ordnungsgemäß. Während die Städter, allen voran Hausler und seine ehemalige Geliebte, wegen ihrer Gewandung das „grüne Fräulein“ genannt, verderben.

Sozialkritische Elemente im Landroman

Aber auch das sozialkritische Element ist eher durch die enthusiasmisierte Leseraugen zu entdecken: Mit dem Begriff „Weltgift“ meint Rosegger die „Verdorbenheit“ der Städte, die ländlichen Tugenden entgegengesetzt wird, die aber auch schon auf das Land zugreift:

„Es ist bekannt, daß im Landvolk das Ideal vom Guten mehr gilt, als das vom Schönen. Je ursprünglicher ein Volk, je mehr lebt es in der tüchtigen That, je weniger hat es mit der Kunst zu schaffen. Je mehr ein Volk sich verfeinert, um so mählicher entfernt es sich von dem Begriff Tugend, um so mehr nähert es sich dem, was man unter Brüdern Kunst nennt. In den Städten macht Tugend niemand mehr Freude, nur wenigen Ehre, sie ist verachtet wie eine altväterische Sache, und an ihre Stelle ist vielfach der Schönheitssinn getreten.“

Das ist das Problem dieses Romans: Man könnte in ihn alles Mögliche hineindeuten. Wenn einer der Bergbauernbuben, in der Stadt zum Mediziner herangebildet, seine Philosophie des Übermenschen, die Züge der Euthanasie in sich trägt, auspackt – dann weiß man nicht, soll es einen gruseln oder ist dies ironisch verpackte Zeitkritik. Vieles davon würde sich nur mit einer eingehenderen Beschäftigung mit der Biographie des Schriftstellers klären – dafür jedoch spricht mich dessen Werk wiederum nun doch nicht stark genug an.

Das Werk des einstigen Volksschriftstellers wird heute, so ließ ich mir sagen, allenfalls noch im österreichischen Fernsehen durch verkitschte Verfilmungen vermittelt. Jö schau – das ist allerdings auch nicht schön: Denn durch seinen eigenartigen Humor, der immer wieder zwischen den Zeilen herausspringt, vermittelt Rosegger durchaus, zumindest in „Weltgift“, dass da was Widerspenstiges in ihm lauert. Und diese feine Ironie wiederum macht den Roman durchaus als “Schmankerl” lesenswert.


Bibliographische Angaben:

Peter Rosegger
Weltgift
Septime Verlag
ISBN: 978-3-902711-59-5

Paul Klee: Gedichte

Dichter malen mit Worten. Maler schreiben mit Bildern. Manche können beides. So Paul Klee (1879-1940), der dichtende Maler, malende Dichter, Dichtermaler.

der_luftballon_by_paul_klee_1926
“Der Luftballon”, 1926. Bildquelle: Wikimedia Commons

“Je schreckensvoller die Welt ist, desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.“

Paul Klee


Dichter malen mit Worten. Maler schreiben mit Bildern. Manche können beides. So Paul Klee (1879-1940), der dichtende Maler, malende Dichter, Dichtermaler. Er wirkt nicht nur durch sein bildnerisches Werk. Auch durch seine Tagebücher. Vor allem jedoch durch seine Gedichte. Klee war schon früh ein intensiver Leser, verfasste bald eigene Texte. Das Schreiben wird intensiver, als er seine spätere Frau Lily Stumpf kennenlernt. In den Tage-, den sogenannten „Geheimbüchern“, sind um die Jahrhundertwende zahlreiche Gedichte an und über „Eveline“ zu finden. Und, so meint sein Sohn Felix später, der vielfach Begabte sei sich „in seiner künstlerischen Entwicklungszeit“ nicht immer in klaren gewesen, „ob er zur Musik, zur Malerei oder zur Dichtung“ greifen sollte. Die Malerei wird sein Hauptmedium werden – doch der spielerische, fast schon dadaistische Umgang mit Sprache bleibt ein Erkennungsmerkmal Klees, sei es in seinen verschnörkelten Bildtiteln oder in den „Schriftbildern“.

428px-paul_klee_1916
Paul Klee als Soldat, 1916. Bildquelle: Wikimedia Commons

In diesem Beitrag möchte ich mich auf eine Lebensphase Klees konzentrieren, die für ihn – wie für andere Künstler seiner Generation – prägend wurde: Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges.

Auch Paul Klee wird von der Kriegsmaschinerie erfasst, ist ab 1916 zum Militärdienst verdonnert. Er kommt als Kunstmaler bei den „Königlich-Bayrischen Fliegertruppen“ an verschiedenen Orten in Einsatz, muss die Tarnbemalung der Kampfflugzeuge ausbessern.

Ab Januar 1917 ist er auf einem Flugplatz bei Augsburg stationiert, auch hier als Maler, Schreiber und gelegentlich als Fotograf.

Wenn Flugschüler vom Himmel fallen

Perversion des Krieges: Flugschüler fallen ständig mit ihren Maschinen vom Himmel, verunglücken tödlich während der Ausbildung. Das Flugzeug als neues technisches Kampfmittel wird hinter der Front erprobt, auch hier um den Einsatz des Lebens. Klee muss diese Trümmerreste fotografisch dokumentieren, hält sich das mit kaum verdeckten Zynismus vom Leib:

“Habe heute den kaputten Aeroplan aufräumen helfen, auf dem zwei Flieger vorgestern ihr Leben lassen mußten. Er war übel zugerichtet. Die Arbeit war ganz stimmungsvoll.”

Sich wappnen durch Distanz zum Geschehen?

„Ich bin gewappnet,
ich bin nicht hier,
ich bin nicht in der Tiefe,
bin fern…
ich bin so fern…
Ich glühe bei den Toten.“ (1914).

(Alle Gedichtzitate aus: „Gedichte“, Paul Klee, Herausgeber Felix Klee, erschienen im Arche Verlag)

Wie jedoch das Schreckliche in der Kunst ausdrücken? Wie das Grauen, das eine Katastrophe auslöst, in Wort und Bild festhalten? Klee, der noch 1914 mit August Macke zur berühmten Tunisreise aufbricht – „Die Farbe hat mich!“ – kommt zurück in ein Europa, das bereits brodelt. Wenige Monate später ist nichts mehr, wie es vorher war. Anders als seine Malerkollegen Franz Marc und August Macke lässt Klee sich nicht vom Hurra-Patriotismus anstecken. Klee bleibt der kühle Skeptiker, dem diese Aufwallungen wohl schon vom Charakter her fremd sind. August Macke fällt bereits im September 1914 in der Champagne, Franz Marc am 4. März 1916 in Verdun. Dieses Datum hat für Klee eine besondere Bedeutung: Einen Tag später, am 5. März, erhält er seinen Einberufungsbefehl.

Der Pafizist im erzwungenen Kriegsdienst

Dabei ist er Pazifist. Heute wird dazu oft der Zusatz gestellt: Ein „passiver“. Was hat das zu bedeuten? Kriegsdienstverweigerung gab es zu Zeiten des 1. Weltkrieges nicht. Verweigern gab es in einem Staat, der letztendlich Militärstaat war, nicht. Wer verweigerte, wurde als Psychopath eingestuft, von Militärärzten wieder fronttauglich gemacht. Klees deutscher Vater hatte sich nie um die Einbürgerung seines Sohnes in die Schweiz, wo Klee geboren war, bemüht. Also war für den Künstler, der damals in München lebte, der Weg vorgezeichnet. Er hatte Frau und Kind. Hätte er desertieren sollen?

Traum

Ich finde mein Haus: leer,
ausgetrunken den Wein,
abgegraben den Strom,
entwendet mein Nacktes,
– gelöscht in die Grabschrift.
Weiß in weiß.
(1914).

Spurensuche im Werk: Da ist der Widerstand durchaus zu spüren.

 “Ich habe diesen Krieg längst in mir gehabt. Daher geht er mich nichts an. Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten, mußte ich fliegen. Und ich flog. In jener zertrümmerten Welt weile ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt. Somit bin ich abstract mit Erinnerungen’.”

Dieser Tagebucheintrag von 1915 wird oftmals dafür angeführt, dass Klee ein kühler, beinahe distanzierter Beobachter des von ihm als „wahnsinnig“ bezeichneten  Krieges gewesen sei, fast ungerührt geblieben sei von der „Urkatastrophe“. War es so?

Es scheint auch, als verlasse die in Tunesien gefundene Farbe wieder das Bild. Kleinformatige Zeichnungen, oft auf amtlichem Vordruckpapier, auf Flugzeugmaterial hergestellt, Entwürfe ohne Farbe, aber nicht farblos. Dies war freilich auch dem Materialmangel geschuldet. Und inhaltlich eben durchaus nicht distanziert vom Geschehen rings um ihn. Schon die Titel sprechen Bände: „Die beiden Schreie“, „Der Tod für die Idee“ oder auch „Fitzlibutzli“, diese Ironisierung des Kaisers Wilhelm II, der Titel angelehnt an das Gedicht von Heinrich Heine, an den „vitzlibutzli“.

klee_fitzlibutzli
“Fitzlibutzli”, 1918, Bildquelle: Wikimedia Commons

Klee desertiert anders, muss wohl auch Abstand nehmen durch die Flucht nach Innen. Denn während der gesamten Einsatzzeit hängt wie ein Damoklesschwert die Möglichkeit, dass er doch an die Front versetzt wird, über ihm. Nicht von ungefähr in dieser Zeit auch seine Lektüre, beispielsweise „Robinson Crusoe“. Kleine Fluchten mit Hilfe der Literatur? Oder der Künstler, gefangen auf einer seltsamen Insel? Denn dem Grauen an der Front gegenüber steht der langweilige Alltag, der Stumpfsinn und Bürokratismus in der Kaserne, die Entfernung zur Familie, der Stubendienst. Anhand vieler Postkarten, die Klee an seine Frau und den Sohn schreibt, wird deutlich, welche Einschränkungen die kreative Seele in dieser fremden Welt erleben muss. Aber er hat auch Glück – Vorgesetzte, die sein Talent respektieren, ihm gewisse Freiheiten geben. Selbst die Arbeit an Ausstellungen ist möglich. Es entstehen „Schubladenbilder“ – Skizzen, die er in der Schreibstube fertigt, die er schnell in eine Schublade schieben kann, wenn jemand kommt.

Das Fliegen als Distanz zur Realität

Klee behält also Bodenhaftung. Das „Fliegen“ in seinen Tagebucheintragungen ist nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Der Flug, das Abheben, dies meint zum einem die Distanz in der Kunst zur Realität:

 “Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten, musste ich fliegen. Und ich flog.”

Auch die religiösen, die mythischen Themen nehmen zu. „Und es ward Licht“ heißt ein Bild. Klee entdeckt später weitere Flugobjekte, in seinen letzten Lebensjahren werden die Engelsbilder zu einem wichtigen Bestandteil seines Schaffens.

Elend

Land ohne Band,
neues Land,
ohne Hauch
der Erinnerung,
mit dem Rauch
von fremden Herd.
Zügellos!
wo mich trug
keiner Mutter Schoß.
(1914)

Doch ganz realitätsabgewandt ist Klee, wie oben schon angeführt, eben nicht.
„Der Krieg fördert die Production im ethischen Sinne“, schreibt er. Was meinen soll: Die Auseinandersetzung mit dem Kriegs-Wahnsinn findet durchaus ihren Niederschlag, wenn auch nicht so eindeutig und plakativ erkennbar wie in Noldes „Soldaten“ oder Beckmanns „Kriegserklärung“. Bei Klee geschieht dies verschlüsselter, weniger deutlich, erkennbar jedoch an einigen stilistischen Mitteln: Winkelformationen, Zickzack-Linien, die auch aggressiv zu deuten sind, tauchen in dieser Zeit auf – und interessanterweise hören die auch kurz nach dem Krieg wieder auf. Symbole für Bedrohung, Angst, für Krieg und Zerstörung. Mit Mitteln des Konstruktivismus gegen die allgemeine Destruktion.

Eine deutliche Sprache spricht das Bild “Der Held mit dem Flügel”: Eine verstörende Radierung, die einen missgestalteten Krieger mit verkümmertem Engelsflügel zeigt.

Klee notiert dazu am Bildrand:

“Von der Natur mit einem Flügel besonders bedacht, hat er sich daraus die Idee gebildet, zum Fliegen bestimmt zu sein, woran er zugrunde geht.”

Irmgard Keun: Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften

Irmgard Keun erzählt in diesem Buch “Lausmädchengeschichten”: Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg aus der Sicht einer frechen Göre.

boots-774533_1920

„Wenn sie meinen, ein Kind hätte keine Sorgen, dann ist das dumm von ihnen. Immer sagen sie: Ach, so eine sorglose Kindheit, nie kommt sie wieder. Aber ein Kind hat bestimmt viel mehr Sorgen als ein Erwachsener.“

Irmgard Keun, „Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften“, 1936

Eine Autorin, ein Sprachstil, eine Erzählperspektive – und doch zwei so unterschiedliche Bücher. In ihrem 1938 erschienenen Roman „Kind aller Länder“ wirkt der Stil zum Teil aufgesetzt, das kindliche Geplauder auf den Leser auch ermüdend. Ganz anders dagegen ist dies bei den Erzählungen, die Irmgard Keun zwei Jahre zuvor verfasste. Auch hier lässt die Autorin den Leser die Welt (oder vielmehr die „kleine“ Welt des Mädchens, die auf die Heimatstadt Keuns, Köln, schließen lässt) durch die Augen eines Kindes betrachten. Zu den überwiegend vergnüglichen, eher leichtgewichtigen Geschichten passt die kindliche erzählerische Stimme gut.

Lausmädchengeschichten von Irmgard Keun

Es sind „Lausmädchengeschichten“: Die junge Protagonistin, eine Drittklässlerin, ist eine Renitente, die gegen die falsche Moral Erwachsener aufbegehrt. Man könnte die Erzählungen – die aufeinander aufbauen und somit eine Art Fortsetzungsroman ergeben – in der Tradition der Geschichten Ludwig Thomas verorten. Ein Kind decouffriert die Scheinmoral der Erwachsenen, rebelliert gegen altjüngferliche Tanten, bissige Nachbarinnen, scheinheilige Lehrerinnen. Das wäre insofern gute Unterhaltungsliteratur.

Wäre da nicht das emanzipatorische Element: Es ist ein Mädchen, ein „Wildfang“, das mit seiner „Buben-Gang“ die Nachbarschaft in Atem hält. Und der Zeitpunkt, an dem Keun ihre Erzählungen verortet hat: Die Lausmädchengeschichten spielen im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges.

Frühkindliche Skepsis

Keun gibt ihrer kleinen Heldin eine frühkindliche Skepsis mit: Wenn in der Schule Hurra-Patriotismus gepredigt wird, wenn vom „perfiden Albion“ die Rede ist, so stellt die Protagonistin dem die Erfahrungen ihrer Lebenswelt gegenüber – die Lebensmittelknappheit, die in allen Haushalten herrscht, die Hamsterei und das Betteln bei den Bauern, die existentiellen Sorgen, die den Alltag prägen, die Männer mit den „abgeschossenen Armen“, die aus dem Krieg zurückkehren. Und dominiert wird der Ton vor allem durch das kindliche Mitgefühl, das Kategorien wie „Freund und Feind“, die dem Nationalismus entspringen, einfach noch nicht kennt.

Einen zentralen Platz nimmt dabei die Erzählung „Wir schreiben an den Kaiser“ ein:

„Und ich schreibe dem Kaiser, dass ich mit sehr viel klugen erwachsenen Leuten gesprochen habe, und die meinten nun, Frieden wär viel schöner als Krieg, und überhaupt dauerte der Krieg jetzt lang genug und wäre eine Schweinerei, als Kaiser würde er so was sicher gern wissen, und er müsste doch immer in seinem Schloß sein und regieren, aber ich könnte ja herumlaufen und hören, was die Leute reden. Und das Beste wäre, er würde abdanken.“

Kindermund tut Wahrheit kund

Wie bei „Kind aller Länder“ ist es also auch in diesen Erzählungen der Kindermund, der frech und vergnüglich Wahrheit kundtut, jene Wahrheit, die Erwachsene offen nicht zu formulieren wagen. Bedenkt man, dass einige dieser Erzählungen vor 1936 zum Teil noch in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden, so könnte man diese „kindliche Weltanschauung“ auch als mutiges, satirisches Mittel von Irmgard Keun werten: Eintreten für Pazifismus war im Nationalsozialismus ein gefährliches Unterfangen. Verpackt in diese Lausmädchengeschichten kann man jedoch die eine oder andere Spitze auch als Seitenhieb der Autorin auf die Ereignisse im „Dritten Reich“ interpretieren.

Das erste Buch im Exil

Verwegen genug dazu war die Keun, die 1935 beim Landgericht Berlin eine Schadenersatzklage wegen des Verdienstausfalles, den sie durch die Beschlagnahmung ihrer ersten Bücher erlitten hatte, einreichte – natürlich ohne Erfolg. 1936 entschloss sie sich dann zum Exil – die Lausmädchengeschichten erschienen als ihr erstes Exil-Buch und fanden zunächst, auch bedingt durch die politischen Umstände, wenig Resonanz.

Im Gesamten sind die Erzählungen politisch jedoch überwiegend harmlos und unverfänglich. Ein idealer Lesestoff ebenfalls für die Leser der Nachkriegszeit: Wie Hiltrud Häntzschel in ihrer rororo-Monographie über Irmgard Keun berichtet, werden die „unverfänglichen Episoden“ zu ihrem auflagenstärksten Buch nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Insbesondere in „schicken neuen Illustrierten, in der „Ford-Revue“ zum Beispiel, werden ihre kleinen Geschichten gern gedruckt und sicherlich nicht schlecht honoriert.“

Neuauflage kam 1959

Eine der dezidiert pazifistischen Stories – „Als ich Bazillenträger war“ – wurde von Irmgard Keun erst nachträglich, bei einer Neuauflage 1959, dem Buch hinzugefügt. Weil der kleine Bruder der Erzählerin Scharlach hat, wird sie für einige junge Soldaten zum Mädchen, mit dem sie unbedingt freundschaftlich verkehren möchten, in der Hoffnung, sich mit Scharlach anzustecken und so der Rückkehr an die Front zu entgehen.