SABINE SCHIFFNER: Zeynep suchen

Während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Istanbul lernt die Schriftstellerin Sabine Schiffner eine Stadt kennen, in der Größe und Verfall dicht beieinander liegen. „Zeynep suchen“ ist ein literarisches Tagebuch, eine Spurensuche und ein Reiseführer an verwunschene Orte zugleich.

»Zeynep suchen ist eine zugleich zugewandte und reflektierte, poetische und persönliche Begegnung mit Istanbul und seinen Menschen – eines der ehrlichsten und offenherzigsten Bücher über die heutige Türkei, die ich kenne.«

Stefan Weidner, Schriftsteller und Übersetzer

Einst begegneten sie sich beim Schüleraustausch in Bremen, Jahrzehnte später macht sich Schriftstellerin Sabine Schiffner auf die Suche nach ihrer damaligen Austauschschülerin und Freundin Zeynep. Ein halbes Jahr hält sie sich in Istanbul auf, erzählt auf ihrem Blog wie eine moderne Scheherazade jeden Tag von dieser faszinierenden, widersprüchlichen Stadt mit ihrer multikulturellen Gesellschaft.

Im Gepäck hat Sabine Schiffner Lektüren von Karl May, Homer bis Orhan Pamuk. Ihre Recherchen führen sie durch geschichtsträchtiges Gelände, sie entdeckt verwunschene Orte und dramatische Schicksale, sie fragt nach der verdrängten Vergangenheit, recherchiert über Geschichte und Schicksal der armenischen und griechisch-orthodoxen Bevölkerung und stellt ihr eigenes Türkeibild auf den Prüfstand. Damit gelingt ihr eine eindringliche Schilderung der politischen und sozialen Verhältnisse einer Stadt, in der Größe und Verfall dicht beieinander liegen und in der die Menschen im Spannungsfeld zwischen Moderne und einer immer konservativeren, rückwärtsgerichteten Politik ihre Verortung suchen. »Zeynep suchen« ist zugleich ein sehr persönliches literarisches Tagebuch und ein Reiseführer, der an unbekannte Stätten Istanbuls entführt.


Stimmen zum Buch:

„Überhaupt ist die heimliche Heldin dieses Romans die Sprache, die sich in jedes Abenteuer stürzt, um ihr Gegenüber kennenzulernen. Sabine Schiffner, die selbst fünf Sprachen fließend spricht, lässt uns an ihrer faszinierenden Methode der Annäherung teilhaben.“ – Ulrike Anna Bleier im Tageblatt Luxemburg (Literaturbeilage März/April 2024)

„Zeynep suchen“ ist ein gut gefüllter Wissensspeicher. Gleichsam ein – pardon! – Goldenes Füllhorn vom Bosporus. Die Texte erreichen eine schöne Tiefe und Breite. Immerzu verspürt man den Recherche-Ehrgeiz der Autorin. Kaum ist eine aktuellere Lektüre vorstellbar, um sich auf einen Aufenthalt in Istanbul vorzubereiten. – Martin Oehlen, Bücheratlas


Zur Autorin:

Sabine Schiffner, 1965 in Bremen geboren, lebt in Köln. Die Schriftstellerin und Übersetzerin arbeitete nach ihrem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften zunächst als Lektorin und Regisseu­rin für Film und Theater. Seit 1995 ist sie als Schriftstellerin tätig, insbesondere für ihre Lyrik erhielt sie etliche Preise und Stipendien, u.a. die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung Weimar 2014. Für ihren Roman »Kindbettfieber« wurde sie 2005 mit dem Preis der Jür­gen-Ponto-Stiftung ausgezeichnet. Zuletzt erschienen der hochgelobte Gedichtband »wundern« (Quintus 2022) sowie der Psychothriller »Nachtigallentage« (Quintus 2023).
Bild: Lisa Art


Zum Buch:

Bereits während ihres Istanbulaufenthalts dank des Galatastipendiums der Stadt Köln führte Sabine Schiffner ein Blogtagebuch aus Istanbul, das auf social media (Insta, FB) viel Aufmerksamkeit fand. In ergänzter Fassung, mit zahlreichen Abbildungen, erscheint »Zeynep suchen« nun Ende Januar im Dağyeli Verlag.

Sabine Schiffner
Zeynep suchen
Ein Blog-Roman aus Istanbul
360 Seiten, kartoniert, 24,00 €
ISBN 978-3-910948-02-0

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Sabine Schiffner: Nachtigallentage

Die Nachtigall singt für die Liebenden: Doch die Protagonistin in diesem Roman hat zwar Vögel im Garten, aber vor allem eine Männerleiche im Keller. „Nachtigallentage“ von Sabine Schiffner ist ein poetisches Lesevergnügen mit einer äußerst sympathischen, traumverlorenen Hauptfigur.

„Irgendwie ist alles ja schon fast so, als ob ich die Hauptfigur in einem Stück Literatur bin. Ich habe doch immer davon geträumt, aber dass sich mein Leben eines Tages in einen Roman verwandeln würde, dass hätte ich nicht gedacht. All das, was ich dir hier erzähle, kommt mir vor, als sei es erfunden und nicht erinnert.“

Sabine Schiffner, „Nachtigallentage“


Gevatter Freud hätte an diesem Roman seine helle Freude gehabt: Ein verträumtes Stück Literatur, eine Protagonistin, immer wieder an der Grenze zwischen Wachzustand und Tagtraum, beinahe somnambul. Die Kölner Schriftstellerin Sabine Schiffner betreibt in diesem Roman ein vergnügliches (und zugleich spannendes) Spiel auf mehreren Ebenen: Erzählt wird von einem Gattenmord und seinen Folgen, aus Sicht der Täterin, die dies ihrem späteren Geliebten, einem Polizisten gesteht. Doch schon im Vorsatz wird gewarnt:
„Es könnte so gewesen sein. Aber in Wirklichkeit war es ganz anders.“

Von außen betrachtet, klingt alles traumhaft schön: Ein Haus mit einem wunderbaren Garten, ein Mann und zwei niedliche Kinder. Sigune Vorinsfeld (allein schon dieser Name!) könnte glücklich oder wenigstens zufrieden sein. Aber, ach:

„(…) Sigune hat nur noch eine schwache Erinnerung an den Gesang der Nachtigall, vielleicht würde sie sie nicht einmal wiedererkennen, vielleicht verklärt sie in der Erinnerung die Sängerin (…). Seit Sigune von zu Hause ausgezogen ist, hat sie jedenfalls nie wieder eine Nachtigall singen gehört.“

Die Nachtigall, ein Symbol für die Liebe, die den Frühling ankündigt, sie flattert zugleich wie ein roter Faden und ein blaues Band durch diesen Roman: Immer wieder werden Zeilen des Liedes „Frau Nachtigal“ von Achim von Arnim aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ zitiert.

Nachtigall, ick hör dir trapsen

Schon bald hört man die Nachtigall durch die vermeintliche Vorstadtidylle trapsen: Eins der Kinder ständig krank, der Gatte Andreas meist abwesend, ohne einen größeren Teil zur Finanzierung der Familie beizutragen, Sigune schlägt sich mit gelegentlichen Lektorats-Jobs durchs Leben und ist im Grunde ständig überfordert und dauernd müde. Liebesgezwitscher zwischen ihr und Andreas ertönt schon lang nicht mehr (wenn es denn je erklungen wäre), herrscht Schweigen und viel Unausgesprochenes. Sigunes Ventil ist messerscharf: Regelmäßig ritzt sie sich an den Armen, seelische Narben, die nach außen sichtbar werden.

Bild von wal_172619 auf Pixabay

Die sprichwörtliche Leiche im Keller

Und an einem von „diesen langweiligen Sonntagen in einem dieser typisch deutschen verregneten Maimonate“, in dem die Nachtigall natürlich nicht für Sigune singt, geschieht es, dass ihr Andreas nachts im dunklen Flur ins Messer läuft. Was sich danach entwickelt, ist Psychothriller und augenzwinkernde Komödie zugleich: Sigune, in ihrer ganzen tollpatschigen Verträumtheit und freundlich-liebenswürdigen Art, ist sicher eine der sympathischsten Mörderinnen, die mir bislang in der Literatur begegnet sind. Wobei es sogar offen bleibt, ob es ein Mord ist oder Andreas einfach nur ins offene Messer rennt …

Jedenfalls: Sigune hat nun eine Leiche, die sie loswerden muss und erst einmal kurzerhand im Keller einmauert. Kritisch wird die Situation erst, als sie sich ausgerechnet in Thomas, den Polizisten, der nach dem verschwundenen Mann fahndet (aufgrund einer Anzeige der Geliebten von Andreas, die nun auch auf der Bildfläche erscheint), verliebt. Thomas zieht bei ihr ein, will den Keller sanieren, die Leiche muss weg. Da helfen auch keine Beschwörungsformeln mit Achim von Armin mehr:

Nachtigal ich hör dich singen,
Das Herz möcht mir im Leib zerspringen,
Komme doch und sag mir bald,
Wie ich mich verhalten soll.

Welche organisatorische und kriminelle Energie Sigune plötzlich aufbringt, ist amüsant bis hin zu den Verwicklungen mit rumänischen Gangstern und nervigen Nachbarn. Das hat, trotz der Leiche im Keller, urkomische Momente:

„Sigune muss an ihre Großmutter denken, was die wohl sagen würde, wenn sie sehen könnte, was sie hier tut, in ihrem alten Küchenbüffet den Leichnam ihres Mannes transportieren?“

Trouble in der Vorstadt und Sigune, in deren Kopf es ziemlich „saust“, bleibt nur die Flucht nach vorn, was Thomas anbelangt: In die Erzählebene schiebt Sabine Schiffner immer wieder in kurzen Häppchen eine zweite Ebene ein, ein Dialog zwischen Sigune und Thomas, der sich vor den Augen der Leser immer mehr als nachgereichtes Geständnis entfaltet. Wie Thomas die Nachricht aufnimmt, dass er da eine Mordsfrau an seiner Seite hat? Das weiß die Nachtigall …

Der Garten als Paradies und Fluchtort

Dass „Nachtigallentage“ trotz des turbulenten Plots nicht „nur“ als Mordsgeschichte mit komödiantischen Zügen zu lesen ist, liegt auch an der Sprache der Autorin: Man spürt, vor allem wenn Sigune ihren Garten betrachtet, der ihr kleines Paradies, Rückzugs- und Fluchtort vor den quengelnden Kindern ist, dass Sabine Schiffner von der Lyrik kommt. Das ist voller poetischer Momentaufnahmen:

„Der nächtliche Dunst ist feucht und schwer. In das Dunkelgrün der Rhododendronblätter im Garten mischt sich als einziger Lichtblick das kleine Weiß der süßen Blüten vom Waldmeister, der nahe am Haus wächst.“

Zudem thematisiert „Nachtigallentage“ ganz unaufdringlich hinter der Kriminalgeschichte ein wichtiges Thema: Die Rolle der alleinerziehenden Frau, die Sigune in der Ehe mit Andreas faktisch ist, die unter allen ihren Pflichten (Versorgerin, Ernährerin, Mutter in ständiger Ansprechbereitschaft) nicht mehr weiß, wer sie eigentlich ist, wovon sie träumt und was sie möchte. Sie sei keine Nachtigall, sondern lang schon eine Lerche, meint Sigune an einer Stelle. „Nachtigallentage“ erzählt auch von einer gescheiterten Beziehung und der großen Sehnsucht, es doch noch einmal besser zu treffen – am Ende wünscht man der sympatischen Mörderin Sigune, dass die Nachtigall noch einmal für sie trällert.

Die Nachtigall ist in der persischen Literatur ein Symbol sowohl für die Liebenden als auch für die Figur des Dichters. Eine Symbolik, die Sabine Schiffner wunderbar in diesem feinen Roman, der mit Dichtung und Wahrheit spielt, zusammenbringt.


Bibliographische Angaben:

Sabine Schiffner
Nachtigallentage
Quintus Verlag, Berlin, 2023
ISBN: 978-3-96982-065-0

Homepage von Sabine Schiffner:
https://sabineschiffner.de/

Eine weitere Besprechung gibt es beim Bücheratlas.