Gianrico Carofiglio im Gespräch: „Der Plot ist für mich fast nur ein Vorwand, um über Menschen zu schreiben.“

Ein kleiner, stiller Roman des berühmten Krimiautoren Gianrico Carofiglio: Eine Vater-Sohn-Beziehung, die sich während zweier schlafloser Tage völlig wandelt.

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EIN GASTBEITRAG VON VERONIKA ECKL

Der italienische Autor Gianrico Carofiglio über seinen soeben auf Deutsch erschienenen Roman Drei Uhr morgens.

Er ist einer der berühmtesten italienischen Krimiautoren, war Anti-Mafia-Staatsanwalt, Berater des italienischen Parlaments und Senator – Gianrico Carofiglio aus Bari weiß, wovon er spricht, wenn er seinen Avvocato Guerrieri oder seinen Maresciallo Fenoglio in seiner Heimatstadt ermitteln lässt. Dass Carofiglio auch außerhalb des mörderischen Milieus ein Meister der psychologischen Beobachtung ist, ist bei seinen Lesern diesseits des Brenners weniger bekannt. Nun hat der in Wien und Bozen ansässige Folio Verlag einen kleinen, stillen Roman Carofiglios auf Deutsch herausgebracht: Drei Uhr morgens erzählt von einer Vater-Sohn-Beziehung, die sich völlig wandelt, als die beiden Protagonisten 48 schlaflose Stunden miteinander verbringen müssen. Veronika Eckl traf Gianrico Carofiglio vor der Präsentation der Neuerscheinung im Münchner Literaturhaus. Der Autor trank während des Gesprächs nur Wasser, war aber vor allem eins: hellwach.

Signor Carofiglio, wir sind es gewohnt, dass Ihre Bücher uns ab der ersten Seite nach Apulien versetzen – in die Bars und Gerichtssäle von Bari, in graue Carabinieri-Kasernen, ans Meer. Warum spielt Drei Uhr morgens im französischen Marseille?

Carofiglio: Drei Uhr morgens ist der einzige meiner Romane, der auf einer wahren Begebenheit beruht. Schriftstellern passiert es oft, dass sie zum Beispiel auf einem Fest angesprochen werden: Ach, Sie sind Schriftsteller? Ich habe da etwas erlebt, darüber müssten Sie schreiben! Normalerweise taugen diese Anekdoten nicht für einen Roman, aber diese Erzählung eines Freundes hat mich sofort elektrisiert. Er berichtete mir, dass er als Jugendlicher Epileptiker war und von dem berühmten französischen Neurologen Henri Gastaut in Marseille behandelt wurde, in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Koryphäe auf dem Gebiet der Epilepsie. Für eine abschließende Untersuchung musste er sich einer Art Reizüberflutung aussetzen und durfte zwei Tage und Nächte nicht schlafen – was heute kein Arzt mehr so anordnen würde. Vater und Sohn waren also 48 schlaflose Stunden, der Sohn gepuscht von Wachmacher-Pillen, in Marseille unterwegs. Mir war sofort klar, dass die unterschwellige Energie, die in dieser besonderen Situation steckt, perfekt für einen Roman ist.

Marseille und Bari sind einander ja gar nicht so unähnlich….

Carofiglio: Nein, beide sind mediterrane Hafenstädte. Aber Marseille ist etwas ganz Besonderes. Ich habe 2010 einen Monat als Schreibstipendiat dort verbracht und war fasziniert. Man glaubt in manchen Straßenzügen in Nordafrika zu sein, sieht Hässliches, Verwahrlosung, spürt Gefahr, die in der Luft liegt – und fährt dann morgens mit dem Boot hinaus in die Calanques, durch ein türkisblaues Meer, und alles ist voller Schönheit und Licht. Dieser Kontrast zwischen Licht und Schatten macht Marseille zum idealen Ort für die Geschichte von Antonio und seinem Vater.

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Gianrico Carofiglio: Bild: © Francesco Carofiglio

Der Titel des Romans spielt mit einem Zitat des amerikanischen Autors F. Scott Fitzgerald: „In der dunklen Nacht der Seele ist es immer drei Uhr morgens.“ Der fast 18 Jahre alte Antonio und sein Vater wirken beide sehr einsam. Warum?

Carofiglio: Die Dunkelheit in uns, mit der wir uns auseinandersetzen müssen und die viele meiden, ist eine Grundsituation der menschlichen Existenz. Im Roman verkehre ich das Ganze jedoch ins Gegenteil: Es kommt Licht ins Dunkel, der ernste, korrekte, etwas unnahbare Vater und sein Sohn, der in so jungen Jahren bereits durch eine Krankheit verunsichert wurde, lernen einander kennen. Der Sohn, der bis dahin der Meinung war, der Vater habe ihn und die Mutter verlassen, entdeckt, dass die Geschichte der Eltern sich anders zutrug, als er glaubte. In Marseille entfliehen die beiden ihrer Einsamkeit für zwei Tage.

Vater und Sohn flanieren durch die Stadt, um sich wach zu halten. Dabei entdecken sie die Talente des jeweils anderen und lernen, stolz aufeinander zu sein…

Carofiglio: Ja, der Vater entdeckt, dass der Sohn dasselbe mathematische Talent hat wie er selbst…

… und der Sohn ist zum ersten Mal richtig stolz auf seinen Vater, als der bei einer Jam-Session in einem Marseiller Club auf dem Klavier improvisiert. Warum ist Jazz so wichtig in dieser Geschichte?

Carofiglio: Das Wesen des Jazz ist es, dass er unvollendete Musik ist. Die Unvollendetheit, das Unperfekte interessieren mich. Ich habe beim Schreiben aber auch an meinen Vater gedacht. Er hat als alter Mann nach und nach sein Gedächtnis verloren, aber was er noch konnte, war Jazz spielen.

Man hat als Leser den Eindruck, dass sie für diesen Roman sehr viel recherchiert haben. Über Jazz, über Epilepsie, über die Figur des Arztes, den es ja wirklich gab und der auch so hieß…

Carofiglio: Ja, das habe ich tatsächlich. Der Roman handelt von Krankheit und Heilung, das kann man nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Ehrliches Schreiben, das den Leser ernst nimmt, ist gut informiertes Schreiben. Als ich in Italien mit dem Buch auf Lesereise war, kam es zu bewegenden Szenen. Eine junge Frau, die Epileptikerin ist, sagte mir, sie habe dank des Romans ihrer Mutter verständlich machen können, wie sie sich fühle. Eine andere erhob sich von ihrem Platz und erklärte, sie sage jetzt zum ersten Mal in der Öffentlichkeit, dass sie Epileptikerin sei – viele empfinden Epilepsie als Stigma. Ich werde jetzt sogar zu ärztlichen Fachkongressen eingeladen, weil ich die Krankheit angeblich so realistisch dargestellt habe.

Trotzdem ist es kein Buch über Krankheit.

Carofiglio: Es ist, um es mit diesem schönen deutschen Wort zu sagen, ein Bildungsroman. Antonio macht eine Entwicklung durch. Er lernt, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Ohne diese zwei schlaflosen Nächte hätten Vater und Sohn einander wahrscheinlich nie richtig kennengelernt. Viele Menschen leben ja nebeneinander her, ohne sich zu kennen.

Aus der Finsternis ans Licht – im Grunde ist das doch gar nicht so weit weg von Ihren Kriminalromanen mit ihren einsamen Ermittlern, oder?

Carofiglio: Nein, denn als Schriftsteller versucht man, Ordnung ins Chaos der Welt zu bringen. Mich interessiert die Entwicklung, die Menschen durchmachen, auch im Krimi. Der Plot ist für mich fast nur ein Vorwand, um über Menschen zu schreiben.

Antonios Entwicklung geht am Ende recht schnell vonstatten. Als Vater und Sohn am Meer zwei Französinnen kennenlernen, glaubt man als Leser, der Vater werde sich jetzt in ein erotisches Abenteuer stürzen. Dann aber ist es Antonio, der bei einem Fest in einer Villa seine sexuelle Initiation erfährt. Zuvor hat sein Vater ihm noch erzählt, dass er selbst als Jugendlicher seine Unschuld bei einer Prostituierten verloren hat. Ist das nicht ein wenig dick aufgetragen? Wer erzählt seinem Sohn denn so etwas?

Carofiglio: Finden Sie? Hm, das ist natürlich schon auch der Ausnahmesituation geschuldet, in der beide sich befinden.

Kann man eigentlich wirklich 48 Stunden lang nicht schlafen?

Carofiglio: Ja, ich habe das einmal durchgezogen, als ich noch Staatsanwalt war und wir mit Hochdruck an einem Mordfall arbeiteten. Danach hat sich um mich herum alles gedreht, aber wir haben den Mörder gefasst.

Haben Sie irgendwelche Pillen eingeworfen?

Carofiglio: Nein, aber ich habe sehr viel Espresso getrunken.

Informationen zum Buch:

Gianrico Carofiglio
„Drei Uhr morgens“
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
Folio Verlag, Bozen und Wien
Gebunden mit Schutzumschlag, 186 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-85256-769-3

Über die Autorin dieses Beitrags:

Veronika Eckl studierte Romanistik und Germanistik. Es folgten journalistische Lehr- und Wanderjahre bei der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, der »Katholischen Nachrichten-Agentur« und beim »Bayerischen Rundfunk«. Nach ihrer Redakteursausbildung ging sie nach Rom, wo sie längere Zeit als Journalistin arbeitete und das Latium für sich entdeckte. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Lehrerin für Deutsch, Französisch und Italienisch.

Barbara Honigmann im Gespräch: „Er war immer fremd“

In „Georg“ portraitiert Barbara Honigmann ihren Vater. Über den Journalisten und Bohemien, über das Gefühl von Heimat und die Bedeutung des Wohnortes spricht sie im Interview mit Veronika Eckl.

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EIN GASTBEITRAG VON VERONIKA ECKL

Siebzig Jahre alt ist die Schriftstellerin Barbara Honigmann im Februar geworden, und sie ist noch einmal eingetaucht in ihre eigene Vergangenheit und die ihrer deutsch-jüdischen Familie. Nach Ein Kapitel aus meinem Leben, in dem sie von ihrer Mutter erzählt, zeichnet sie in Georg ein Porträt ihres Vaters, des Journalisten Georg Honigmann. Der ging, von seiner Frau zum Kommunismus „verführt“ – so die Autorin mit einem Augenzwinkern -, nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Londoner Exil nach Ostberlin, obwohl er doch nach eigener Aussage „über Hermann Hesse nie hinausgekommen war“. In der ihr eigenen heiteren Lakonie beschreibt Honigmann das Schicksal des nicht religiösen jüdischen Remigranten, der mit der Entscheidung für den Kommunismus wohl dem ewigen Zwischen-den-Stühlen-Sitzen ein Ende bereiten wollte.

Veronika Eckl traf Barbara Honigmann, die seit Jahrzehnten in Straßburg lebt, bei der Vorstellung von Georg im Münchner Literaturhaus und sprach mit ihr über ihre Eltern, über Fremdheit und über die Wohnungen, die in Honigmanns Werken zwar eher beiläufig beschrieben werden, aber doch eine zentrale Rolle spielen.

Ihr jüngstes Werk Georg beginnt damit, dass Ihr 60 Jahre alter Vater, grau im Gesicht, nach der Trennung von Ihrer Mutter in einem möblierten Zimmer in Berlin sitzt, wo Sie, die Teenager-Tochter, ihn besuchen. Warum haben Sie gerade diese sehr eindrückliche, berührende Szene an den Anfang gestellt?

Die Erinnerung an meinen Vater in diesem Zimmer ist für mich ein Schreckensbild, ein Alptraum, der sich mir tief eingeprägt hat. Georg war ja nun nicht mehr jung, er war ohnehin älter als die Väter meiner Freundinnen, und ihn so unbehaust zu sehen, war furchtbar.

Dieses Gefühl der Unbehaustheit zieht sich durch das ganze Buch, in dem Sie das Leben Ihres Vaters erzählen.

Ja, er war ein sehr wurzelloser Mensch, das war wohl sein Charakter. Er hat mit elf Jahren seine Mutter verloren – vielleicht ist das zu küchenpsychologisch gedacht, aber es heißt immer, dass Kinder, die einen so einschneidenden Verlust erleben, es schwer haben, je wieder einen Halt zu finden. Mein Vater war immer fremd. Wenn er eine neue Frau hatte –  er heiratete in seinem Leben vier Mal, und zwar immer dreißigjährige Frauen – zog er mit seinem Koffer bei ihr ein, in eine Wohnung, die nach einem anderen Geschmack eingerichtet war.

Und damit war er zufrieden?

Er war Bohemien. Er wollte seine Zeitung, sein Buch, seine Ruhe. Und er musste in seinem Leben an so vielen verschiedenen Orten zurechtkommen – in der Odenwaldschule in Hessen, als Auslandskorrespondent in London und im englischen Exil, interniert in Kanada, im Ostberlin der Nachkriegszeit – dass ihm Wohnungseinrichtung nun wahrlich nicht wichtig war. Bei anderen kippte das ja nach dem Erlebnis des Krieges ins Gegenteil: Meine Schulfreundinnen lebten eher in kleinbürgerlichen Wohnungen, in denen eine heile Welt aufgebaut wurde, mit dem Foto des gefallenen Opas im Goldrahmen.

Sie lebten nach der Trennung Ihrer Eltern bei Ihrer Mutter…

… ja, und sie war ganz anders: Sie liebte es, Wohnungen einzurichten und zog auch leidenschaftlich gern um. Die meiste Zeit habe ich mit ihr in einer schönen Wohnung in Karlshorst gelebt, einem Ostberliner Villenvorort mit einer Russengarnison, wo auch die Kapitulation unterzeichnet wurde. Meiner Mutter gefiel die Neue Sachlichkeit, eine Wohnung hatte in ihren Augen hell und leer zu sein. Damit wollte sie sich abgrenzen von der spießigen Wohnkultur der Nachkriegszeit mit ihren Schrankwänden voller Nippes.

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Das Portraitbild wurde freundlicherweise von Barbara Honigmann selbst zur Verfügung gestellt. Bildnachweise: honorarfrei/Babu

Prägen denn die Wohnungen der Eltern die Kinder?

Oh ja, sicherlich. Mich interessieren Wohnungen, so wie meine Mutter. Wenn ich irgendwo eingeladen bin, frage ich oft: „Kann ich mir die Wohnung ansehen?“ Wie meine Mutter mag ich es sachlich und praktisch. Bei mir stehen überall Bücher, damit ist eh schon alles voll. Dann braucht man doch nur noch einen Platz für den Schreibtisch und den Computer und ein Sofa, auf das man sich lümmeln und auf dem man ein Buch lesen kann.

Sie selbst zogen 1984 mit Ihrem Mann von Ostberlin nach Straßburg. Warum?

Es war ein Aufbruch ins Innere des Judentums. Meine Eltern waren ja nicht religiöse Juden, während ich auf der Suche war. Man hatte mir Straßburg als anregenden jüdischen Ort beschrieben, und das stimmt auch. Hier gehört die Präsenz der Juden einfach dazu, et ça se passe bien. Weil die Stadt klein ist, vermischen sich die Milieus, anders als in London oder New York. Hier leben etwa 15 000 Juden, es ist etwas geboten, auch intellektuell. Wir leben auf einer Insel der Seligen, Juden aus den banlieues von Paris oder Toulouse, die sich dort nicht mehr wohlfühlen, ziehen jetzt hierher. In Straßburg spüren wir keinen Antisemitismus.

Sie haben damals eine Wohnung in der Rue Edel bezogen, die Sie selbst als „Straße der Ankunft“ beschreiben, weil hier viele Neuankömmlinge aus den unterschiedlichsten Ländern leben. Aus diesem Mikrokosmos heraus ist „Chronik meiner Straße“ entstanden.

Ja, es hatte sich in mir viel angesammelt, Begegnungen mit den Nachbarn, Beobachtungen, Fragmente. Ich wollte so etwas schreiben wie Wilhelm Raabes Chronik der Sperlingsgasse. Eine Chronik, denn das Buch beschreibt auch die vergehende Zeit. Wir leben heute noch in der Rue Edel, wo es nach wie vor viele Sozialwohnungen gibt, aber auch Studenten-WGs. Es ist, wie man in Frankreich sagt, ein populäres Viertel, aber kein Ghetto. Ich wüsste nicht, warum ich umziehen sollte.

Ist Ihnen Frankreich Heimat geworden?

Ach, das mit der Heimat, das ist so ein deutsches Ding. Ich frage mich nicht jeden Tag, wo meine Heimat ist, ich wohne jetzt hier, ich habe meine Wege. Aber im Nachhinein bewundere ich unseren Mut damals: Wir kannten in Straßburg keinen Menschen, ich musste Französisch lernen, neben all dem Jüdischen, das mir neu war – so etwas macht man nur einmal im Leben, mit Mitte 30 ging das noch.

Haben Sie nie Heimweh nach Berlin?

Nein, ich verspüre da keinerlei Nostalgie. Meine Eltern mochten Berlin überhaupt nicht, meine Mutter war Österreicherin, mein Vater stammte aus Hessen. Heute bin ich relativ oft in Berlin, weil mein Sohn mit seiner Familie dort lebt und ich die Enkelkinder besuche. In den Osten fahre ich überhaupt nicht mehr, da habe ich nichts zu tun. Und Westberlin ist mir ja völlig fremd, da kenne ich mich nicht aus. Mein Sohn lebt im Übrigen dort, weil die Mieten in Paris ihm zu hoch geworden sind. An Berlinerischem ist mir nur die Berliner Schnauze geblieben, die ich heute in der Stadt vermisse.

Das Grab Ihres Vater ist auch in Berlin…

Ja, auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee.

Besitzen Sie denn heute noch Gegenstände aus den Wohnungen Ihrer Eltern?

 Von meiner Mutter habe ich noch ganz massive, solide Bücherregale und solche, in denen man Bettzeug verstauen kann. Die sind aus Ostberlin mit nach Frankreich umgezogen, ebenso wie ein Schaukelstuhl, der in meinem Zimmer stand, als ich ein Kind war. Von meinem Vater habe ich gar nichts, nichts Materielles, er besaß ja auch nichts. Aber seine Briefe hat er mir hinterlassen, von denen ich einige in meinem Buch verwendet habe.

Mehr Information:

Georg (2019). Hanser Verlag, 18 Euro
Chronik meiner Straße (2015). dtv, 9,90 Euro, Hanser Verlag, 16,90 Euro

Über die Autorin dieses Beitrags:

Veronika Eckl studierte Romanistik und Germanistik. Es folgten journalistische Lehr- und Wanderjahre bei der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, der »Katholischen Nachrichten-Agentur« und beim »Bayerischen Rundfunk«. Nach ihrer Redakteursausbildung ging sie nach Rom, wo sie längere Zeit als Journalistin arbeitete und das Latium für sich entdeckte. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Lehrerin für Deutsch, Französisch und Italienisch.

Jutta Reichelt im Gespräch: Wie war der Weg vom Manuskript zum Buch?

Das Schreiben ist nur ein Teil der Arbeit. Wie aber kommt ein Manuskript zum Verlag? Die Schriftstellerin Jutta Reichelt im Interview über ihre Erfahrungen.

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Jutta Reichelt, 1967 in Bonn geboren, studierte Jura und Soziologie in Bonn und Bremen. Freie Schriftstellerin, lebt und arbeitet in Bremen, unterrichtet Literarisches Schreiben, leitet diverse Literaturwerkstätten, gehört dem Masken-Ensemble des Bremer Blaumeier-Ateliers an. Bisher erschienen von ihr Erzählbände, die Romane „Nebenfolgen“ und „Wiederholte Verdächtigungen“. Jutta Reichelt erhielt mehrere renommierte Auszeichnungen, u. a. war sie Stipendiatin der „Bremer Romanwerkstatt“, Preisträgerin des Tübinger Würth-Literaturpreises sowie des Irseer Pegasus. Und in der Blogosphäre kennt man sie durch ihren eigenen Blog „Über das Schreiben von Geschichten“, auf dem sie wertvolle Schreibtipps teilt.

Höchste Zeit einmal für ein Interview mit Jutta zu der Geschichte ihres Romans: Wie wurde aus den wiederholten Verdächtigungen der wunderbare Roman, den ich nicht oft genug empfehlen kann?

Liebe Jutta, Du hast fast sechs Jahre an Deinem Roman „Wiederholte Verdächtigungen“ gearbeitet – wann kam der Punkt für Dich während dieser Zeit, als Du wusstest: Jetzt ist es soweit – ich will das Manuskript einem Verlag vorstellen?

Ich glaube nach etwa drei Jahren entwickelte sich bei mir (auch durch die Rückmeldungen anderer AutorInnen) die Einschätzung, dass die „Wiederholten Verdächtigungen“ sich auch in einem größeren Literaturverlag würden behaupten können. Von dem Zeitpunkt an habe ich das Manuskript immer mal wieder verschickt.

Wie geht man als Autorin dabei vor – einfach ein Manuskript einzuschicken, ist da wohl wenig erfolgsversprechend?

Nach allem, was ich höre, ist es der am wenigsten erfolgversprechende Weg – aber hin und wieder kommen wohl auch so Veröffentlichungen zustande. Das Problem ist, dass es gerade für „literarische AutorInnen“ generell schwierig ist – jedenfalls bilde ich mir ein, dass es erheblich einfacher wäre, wenn ich mal einer meiner Krimi-Ideen nachginge. Anders gesagt: eine gute Agentur zu finden ist ähnlich schwer, wie einen guten Verlag zu finden.

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Jutta Reichelt. Bild: Caro Dirscherl

Hast Du Dir gezielt mehrere Verlage ausgesucht und kontaktiert?

Ich habe in einer ersten Runde nacheinander Kontakt zu vier größeren Agenturen aufgenommen, bei denen ich mich auf Empfehlungen anderer AutorInnen beziehen konnte. Da gab es durchweg positive Reaktionen, allerdings  auch immer ein „aber“.

Ich erzähle mal von einer Absage,  weil es eine schöne Geschichte ist und weil sie mir tatsächlich sehr weitergeholfen hat: Ich erhielt von einem Agenten eine sehr knappe Absage (wofür man schon fast dankbar sein muss, weil manche Agenturen sich überhaupt nicht melden) und vom selben Agenten nochmals sechs Monate später eine weitere. Er entschuldigte sich, dass er so spät erst reagierte, wusste also offenbar nicht mehr von der früheren Absage. Er lobte dann sehr den Ton, die Sprache, die „fast makellose Prosa“, monierte aber, dass er in die Geschichte nicht richtig reingekommen wäre, dass ihm das alles zu lang gedauert hätte. Als ich das las, dachte ich: Das darf nicht wahr sein! Die Geschichte, die ich vor mir sehe, die ich in den „Wiederholten Verdächtigungen“ erzähle, ist so stark, es muss mir doch gelingen, dafür eine Form zu finden. Und dann habe ich jeden Absatz, jeden Satz daraufhin überprüft, welche Funktion er für den Text hat – und etwa 50 Seiten gestrichen…

 Wie war das emotional für Dich – ein Stück Arbeit, die ja auch ein Stück Deines Lebens ist, zur „Bewertung“ durch Lektoren und Verlagsmitarbeiter aus der Hand zu geben?

 Was ich schwierig finde, ist der Umstand, den ich eben angedeutet habe: Dadurch, dass die Agenturen und Verlage derart mit Manuskripten überschwemmt werden, gelingt es den wenigsten, den Ablauf zu gewährleisten, den sich vermutlich alle Beteiligten wünschen würden: Eingangsbestätigung und innerhalb von 6 – 8 Wochen eine Entscheidung. Manche Agenturen schreiben z. B. auf ihrer Homepage: „Wenn Sie nach 3 –6 Monaten nichts von uns gehört haben, können Sie davon ausgehen, dass wir kein Interesse haben.“ Da ist dann die Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die das Manuskript für die Autorin, den Autor hat und der Bedeutung, die ihm vom Gegenüber entgegengebracht wird, schon frustrierend. Und, dass alles so lange dauert: Bei einem größeren Verlag sah es längere Zeit ganz gut aus – und dann wurde es doch nichts und es waren wieder insgesamt neun Monate vergangen, in denen ich auch nichts anderes hatte versuchen können.

Wie gingst Du mit Absagen um?

Das war ganz unterschiedlich. Es gab welche, die ich  recht sportlich nehmen konnte, bei denen ich mich wie eben geschildert auch gefreut habe, dass vieles offenbar stimmt und dann aber auch ein oder zwei, die mich wegen ihres Tons  geärgert haben. Und natürlich ist es eine Enttäuschung. Aber es waren für mich immer eher Tage als Wochen oder gar Monate, in denen sich das auf meine Stimmung ausgewirkt hat. Und man muss einfach auch sehen, dass es für den großen Aufwand, den es für einen Verlag bedeutet, ein Buch zu „machen“, einfach auch nicht reicht, es „nur“ gut oder sehr gut zu finden – es muss dann wirklich begeistern oder zumindest die Hoffnung wecken, es würde genug LeserInnen begeistern.

Veröffentlicht wurde „Wiederholte Verdächtigungen“ bei Klöpfer&Meyer, einem Verlag der sich neueren Stimmen der deutschen Literatur öffnet. Wie fandet ihr zusammen?

Ich habe 2008 den Preis der Jury des Irseer Pegasus erhalten, der in eben diesem Jahr sein zehntes Jubiläum feierte, weswegen eine schöne Anthologie erschien – im Klöpfer & Meyer Verlag. Huber Klöpfer, der Verleger, brachte die druckfrischen Exemplare direkt nach Irsee und es kam zu einer kurzen Begegnung zwischen uns, auf die ich mich dann berufen konnte, als ich ihn vor gut zwei Jahren anschrieb. Und dann gab es noch einen weiteren Anknüpfungspunkt nach Tübingen, wo der Verlag sitzt, der sicherlich ein „Türöffner“ war: Ich hatte 2001 den Würth-Preis der Tübinger Poetik-Dozentur erhalten, verbunden mit einer Laudatio von Herta Müller.

Vom Vertrag bis zur Veröffentlichung: Wie lange hast Du dann noch am Manuskript gearbeitet? Wie sah Deine Zusammenarbeit mit dem Verlagslektorat aus?

Im  Frühjahr 2014 hatte ich die Zusage von Hubert Klöpfer, dass er das Buch verlegen wird, im Sommer haben wir uns dann in Tübingen getroffen und über Details gesprochen und dann war klar, dass der Text im Spätsommer ins Lektorat ginge und ich bis dahin Zeit hätte ihn nochmals zu überarbeiten. Zunächst dachte ich daraufhin: Ich habe den Text jetzt schon so oft überarbeitet, ich warte erstmal ab, was die Lektorin Petra Wägenbaur dazu sagt. Aber dann habe ich bei einer weiteren Lektüre des Textes festgestellt, dass ich mit dem letzten Drittel des Textes und auch mit dem unmittelbaren Ende noch nicht vollkommen zufrieden war und habe also den Sommer über nochmals sehr konzentriert an dem Text gearbeitet.

Die Zusammenarbeit mit der Lektorin war dann sehr entspannt, von wechselseitigem Respekt geprägt. Aber da war der Text auch schon in einer sehr „guten Verfassung“ – was ich auch den beiden wunderbaren Autoren-Kolleginnen Ulrike Ulrich und Kerstin Becker zu verdanken habe, die den Text über die Jahre mehrfach gelesen haben.

Und wieviel Einfluss hattest Du als Autorin auf die Buchgestaltung?

Ich hatte die Möglichkeit, Vorschläge zur Cover-Gestaltung zu formulieren, aber eher, um zur Ideenfindung beizutragen und weniger, um einen sehr konkreten Vorschlag zu machen, der dann übernommen wird. Aber ich hatte die Zusage, dass ich bei allem (Cover, Klappentext, Vorschau) eine Art Veto-Recht habe. Bei der Vorschau war es dann auch keine Frage, dass meine Änderungswünsche angenommen wurden, was oft vor allem ein Zeitproblem ist. Für mich war wichtig, dass es bei dem Titel bleibt und ansonsten kann ich sehr gut andere ihre Arbeit machen lassen und anerkennen, dass sie davon mehr verstehen als ich – zum Beispiel von Gestaltung.

Wiederholte Verdächtigungen ist Deine vierte Buchveröffentlichung – fängt für Dich mit dem fünften Buchprojekt dieses Procedere der Verlagssuche dann wieder von vorne an? Oder wird es von Buch zu Buch aufgrund wachsender Kontakte – so wie ja auch der Kontakt zu Klöpfer&Meyer durch ein persönliches Zusammentreffen entstand – einfacher?

Was den „neuen Roman“ betrifft, gibt es von meiner wie auch von Verlagsseite die Absicht, weiter miteinander zu arbeiten – was mich auch deswegen sehr freut, weil ich die Zusammenarbeit mit dem ganzen Verlagsteam als ungewöhnlich angenehm empfunden habe: sehr engagiert, qualitativ hochwertig und humorvoll. Aber ich habe mittlerweile auch noch ein paar andere Projekte, die nicht in das Profil von  Klöpfer & Meyer passen (ein Kinderbuch und einen „anderen“ Schreibratgeber um mal die zu nennen, die schon weit gediehen sind) – und da bin ich wieder auf der Suche und merke, dass ich jetzt schon in einer besseren Position bin, als noch vor einem Jahr – aber mal schauen, vielleicht versuche ich es auch noch mal mit einer Agentur …

Kathrin Schmidt im Gespräch: „Preisvergaben sind als demokratische Veranstaltungen nicht denkbar“

Kathrin Schmidt, die mit „Du stirbst nicht“ 2009 den Deutschen Buchpreis errang, im Interview.

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2019 gehörte ich mit zum Team der Bloggerinnen und Blogger, die den Deutschen Buchpreis unter dem Hashtag #buchpreisbloggen begleiteten. Wir baten auch die Autorinnen und Autoren der vergangenen Jahre, mit uns über ihre Erfahrungen mit dem Deutschen Buchpreis zu sprechen. Auf Buchrevier hatte Tobias Nazemi bereits Julia Franck im Gespräch, Linus von Buzzaldrins Bücher interviewte Terézia Mora. Und hier kommt nun Kathrin Schmidt zu Wort, die Buchpreisträgerin des Jahres 2009.

Sechs Jahre sind seit der Auszeichnung von „Du stirbst nicht“ mit dem Deutschen Buchpreis vergangen. Werden Sie noch manchmal im Alltag darauf angesprochen?

Im Alltag? Was ist das? Ich schreibe ja alle Tage, und ich esse oder wasche alle Tage, und alle Tage legen sich zu meinem Leben übereinander. Sicher spricht mich wer an, aber kaum auf den Buchpreis. Das ist weit weg, lange her. Bekannte erwähnen ihn manchmal, „weißt Du noch?“, Unbekannte wissen davon nichts.

Wie geht man damit um, wenn man mit einem doch so sehr persönlichen Buch wie „Du stirbst nicht“ nun – trotz zahlreicher Veröffentlichungen zuvor – plötzlich so sehr in der Öffentlichkeit steht?

Ich finde das Buch nicht „persönlicher“ als meine anderen Romane. Ich kann ja überhaupt nur schreiben, wenn ich eine gewisse Distanz zum Gegenstand gewonnen habe. Das ist bei „Du stirbst nicht“ keinesfalls anders gewesen. Keine „Aufarbeitung“. Keine „Therapie“. Das lag hinter mir. Ich konnte die Erinnerungen an die Krankengeschichte einer anderen Person mitgeben, aber die Krankengeschichte ist ja hoffentlich nicht alles…

Die Freude über den Preis – so äußerten Sie das in einem Interview mit dem Tagesspiegel 2009 – kam einher mit belastenden Gedanken: Der Verlag diskutierte über Nachdruck, Verkaufszahlen, etc. Wie sehr setzt dies eine Schriftstellerin unter Druck, wie sehr beeinflusste es auch Ihre Arbeiten im Anschluss?

Das stürmte in den ersten Wochen auf mich ein, verlor sich aber bald. „Richtige“ Bestsellerautoren erleben das öfter, gewöhnen sich daran, denke ich. Ich brauchte mich zum Glück nicht daran zu gewöhnen, denn es war ein einmaliges Ereignis. Dass es mich nicht unter Druck gesetzt hat, würde ich heute nicht mehr sagen. Ich tat mich schwer mit dem nächsten Roman, der aber im nächsten Jahr nun kommt. Zum Glück hatte ich Kurzprosa und Gedichte, und zwar nicht zur Überbrückung. Und der Verlag war, wie vorher schon, keinesfalls drängend oder treibend.

Dem Deutschen Buchpreis werden ja zahlreiche Kritikpunkte vorgehalten. Unter anderem, es würden vorwiegend Bücher prämiert, die die einschneidenden Themen der deutschen Geschichte – Nationalsozialismus, Teilung, Fall der Mauer – zum Inhalt hätten. Ist das für sie – zumal sie sich in der Bürgerrechtsbewegung engagiert haben – ärgerlich, dass diese Themen so abgetan werden?

Das interessiert mich eigentlich nicht. Ich habe inzwischen oft genug erlebt, wie das Feuilleton tickt. Damit meine ich nicht die ehrlichen, guten Kritiker, die es zum Glück noch gibt. Aber oft wird ein subjektiver Eindruck nicht als subjektiver Eindruck verkauft, sondern als objektive Gegebenheit. Wenn das Gegenteil der Fall wäre, also stets nicht vordergründig politische Bücher gewählt würden, wären die Kritikpunkte auch gegenteilig. Als Korrektiv vielleicht gar nicht schlecht? Aber drauf geben muss man, glaube ich, nicht viel.

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Kathrin Schmidt bei der Buchpreisverleihung 2009. Bild: (c) Claus Setzer.

Sie wurden bei der Preisverleihung 2009 noch als „Karin“ Schmidt aufgerufen – war das auch ein wenig symptomatisch dafür, dass man, selbst 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, im „westdeutsch“ geprägten Literaturbetrieb viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die mit dem Schreiben in der ehemaligen DDR begonnen hatten, kaum kannte und las?

Das scheint mir ein Trugschluss zu sein. Wenn ich an die 80er Jahre denke, eigentlich also auch an den Beginn meiner eigenen Publikationserfahrung, so waren Schriftsteller meines Alters aus dem Gebiet der DDR dem westdeutschen „Literaturbetrieb“ Garanten für Aufmerksamkeit und Erfolg, und zwar nicht unbedingt abhängig davon, ob sie in der DDR verblieben oder ausgereist waren. Auch Literaturpreise gingen in den 80ern und 90ern oft an in diesem Sinne ostdeutsche Autoren. Unter den zehn Trägern des Buchpreises finden sich fünf ostdeutsch geborene und zwei mit „Migrationshintergrund“, dazu kommt ein Österreicher. Bleiben zwei Preise für genuin „westdeutsche“ Autoren. Dass Herr Honnefelder mich Karin nannte, war ihm womöglich peinlicher als mir unangenehm, ich habe einfach keinen Namen, den man sich merkt. Durs Grünbein hat es besser. Übrigens auch ein Ostdeutscher

In der von Marlene Streeruwitz angestoßenen Debatte haben Sie sich auch Gedanken darüber gemacht, wie eine demokratische Preisvergabe für „einen“ Roman des Jahres aussehen könnte. Vorschläge?

Preisvergaben sind als demokratische Veranstaltungen nicht denkbar. Wenn jeder Autor, den der Buchpreis trifft, auch an jene dächte, die ihn nicht bekommen, könnte er sich vielleicht sogar leichter und ehrlicher freuen. Bei mir war das übrigens einer der ersten Gedanken. Er ebnete die Freude nicht ein, mäßigte sie aber und sorgte für Bodenhaftung. Ich habe mich damit wohlgefühlt.

Weitere Informationen:

Die Jury begründete ihre Entscheidung 2009 für Schmidts Roman „Du stirbst nicht“ so:

„Der Roman erzählt eine Geschichte von der Wiedergewinnung der Welt. Silbe für Silbe, Satz für Satz sucht die Heldin, nach einer Hirnblutung aus dem Koma erwacht, nach ihrer verlorenen Sprache, ihrem verlorenen Gedächtnis. Mal lakonisch, mal spöttisch, mal unheimlich schildert der Roman die Innenwelt der Kranken und lässt daraus mit großer Sprachkraft die Geschichte ihrer Familie, ihrer Ehe und einer nicht vorgesehenen, unerhörten Liebe herauswachsen. Zur Welt, die sie aus Fragmenten zusammensetzt, gehört die zerfallende DDR, gehören die Jahre zwischen Wiedervereinigung und dem Beginn unseres Jahrhunderts. So ist die individuelle Geschichte einer Wiederkehr vom Rande des Todes so unaufdringlich wie kunstvoll in den Echoraum der historisch-politischen Wendezeit gestellt.“

Gerrit Bartels schrieb in der Zeit: „Die Auszeichnung trifft die Richtige.“

2014 äußerte sich Kathrin Schmidt zur Gender-Debatte um den Buchpreis in der Welt: „Eine Quote für den Buchpreis ist Frauenkohlsuppe.“