MATTHIAS ZIMMER: Calixt

Was ist, wenn Vater und Sohn lange durch eine Mauer, vor allem aber auch durch unterschiedliche Weltanschauungen von einander getrennt sind? Einen Generationenkonflikt mit politischen Hintergründen schildert Matthias Zimmer in seinem Roman “Calixt”.

Von Roger Willemsen wurde der Politikwissenschaftler und ehemalige Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Matthias Zimmer als politischer Redner gewürdigt: Als “fast philosophische Rede im Bundestag, ein Glanzstück” bezeichnete Willemsen eine von Zimmers Reden. Doch nicht nur im politischen Umfeld zeigt sich Zimmer wortgewaltig: Mit “Calixt” legte der gebürtige Marburger nach seinem erfolgreichen Debüt “Morandus” nun einen neuen Roman in der Edition Faust vor.

Was ist es, was unser Leben prägt – was sich uns einprägt über Generationen hinweg? Kann man auf Erinnerungen bauen? Aus den unterschiedlichen Perspektiven von Vater und Sohn entsteht ein neuer Blick auf die Vergangenheit und auf die Frage, was es braucht, um dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben.

Der berühmte Historiker Rudolf Herzberg blickt auf sein Leben: seine Laufbahn in der DDR, seine sozialistische Grundüberzeugung, sein Familienleben. Gleichzeitig sieht sich sein Sohn, der vor vielen Jahren aus der DDR geflohen war, vor die Aufgabe gestellt, eine Rede zum 30. Jahrestag des Mauerfalls vorzubereiten. Dazu muss er sich seiner Vergangenheit stellen, aber auch dem, was seinem Vater wichtig war.


Zum Autor:

Matthias Zimmer ist gebürtiger Marburger und an der Mittelmosel
aufgewachsen. Nach beruflichen Stationen in Bonn und dem kanadischen
Edmonton lebt und arbeitet er seit mehr als 20 Jahren in Frankfurt am
Main, unterrichtete an der Universität zu Köln und war einige Jahre
Mitglied im Deutschen Bundestag. Sein Romandebüt Morandus ist 2021 ebenfalls in der Edition Faust erschienen.


Bibliographische Angaben:

Matthias Zimmer
“Calixt”
Edition Faust, Frankfurt a. M., 2023
Roman, Klappenbroschur, 240 Seiten
ISBN 978-3-949774-16-4


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

ALFRED SCHMIDT: Gröttrup und das Universum der erfinderischen Zwerge

Helmut Gröttrup war einer genialsten deutschen Ingenieure des vergangenen Jahrhunderts. Alfred Schmidt erzählt in seiner Romanbiographie die wechselvolle Lebensgeschichte dieses Mannes.

Der Wettlauf zum Mond war das Prestigeprojekt während des Kalten Krieges. Auf beiden Seiten stützten sich die Weltmächte auf deutsche Erfinder: Für die USA war Wernher von Braun tätig. Auf Seiten der Sowjetunion ein Mann, der weitaus unbekannter blieb – und doch einer genialsten deutschen Ingenieure des vergangenen Jahrhunderts war. Helmut Gröttrup entwickelte als junger Mann unter den Nationalsozialisten gemeinsam mit Wernher von Braun die ersten ballistischen Raketen der Neuzeit und arbeitete nach dem Krieg – zunächst freiwillig, dann als Deportierter – mit dem Ukrainer Sergei Koroljow für das sowjetische Raketenprogramm.

Als er mit seiner Familie endlich nach Deutschland zurückkehren durfte, schmuggelte ihn der britische Geheimdienst aus der DDR heraus. Später war er wesentlich an der Erfindung der Chipkarte beteiligt, gehörte zu den Pionieren der jungen Branche „Informatik“ und verantwortete zuletzt die Entwicklung neuartiger Prüfautomaten für Geldscheine. Sein Mitwirken an der unheilvollen Raketentechnologie blieb ihm ein lebenslanges Thema, seiner Mitverantwortung konnte und wollte er sich nicht entziehen.

Für seine Romanbiographie über Helmut Gröttrup konnte der Autor Alfred Schmidt mit engen Familienangehörigen und Mitarbeitern des bereits 1981 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Erfinders Gespräche führen und viele bisher unbekannte Dokumente einsehen. Die romanhafte Verknüpfung der extremen Wendungen und Ereignisse eines Lebens nahe der Weltpolitik des 20. Jahrhunderts fügt sich hier zu einer überaus spannenden Zeitreise.

Zum Autor:

ALFRED SCHMIDT wurde 1952 in Mittelfranken geboren und studierte Elektrotechnik an der TU München. Schon in seiner Studienzeit schrieb er über lokale und politische Ereignisse. Auch als Produktmanager für Banknotenbearbeitung und Mitglied in einem Münchner Bezirksausschuss blieb er dieser Leidenschaft treu. Seit längerem trägt er als Autor zum Wissen in Wikipedia bei. Mit seinem Interesse für Geschichte ist Alfred Schmidt überzeugt, dass man die Vergangenheit kennen muss, um die Gegenwart zu verstehen. Dabei sucht er nach den Motiven, die Menschen bewegen und die Welt verändern. Gröttrup und das Universum der erfinderischen Zwerge ist sein erster Roman.

Stimmen zum Buch:

Alfred Schmidt im Interview bei WDR 5, “Neugier genügt” und bei Literatur Radio Hörbahn

“Ein informativeres Buch über Gröttrup gibt es derzeit nicht und wird es wohl
auch in Zukunft nicht geben.” – Wolfgang Kaufmann in der Preussischen Allgemeinen, 30. Juni 2023

Buchtipp von Günther Freund beim Borromäusverein: “Die faszinierende Lebensgeschichte und weltgeschichtliche Zeitreise wird sehr empfohlen.”

Buchvorstellung in den Badischen Neuesten Nachrichten und der Thüringer Allgemeinen sowie dem Computermagazin c’t

Zum Buch:


ALFRED SCHMIDT

GRÖTTRUP und das Universum der erfinderischen Zwerge
STROUX edition, München
354 Seiten, Klappenbroschur, € 24,00 [D]
ISBN 978-3-948065-29-4
Erscheinungstermin: 17. Oktober 2022
https://stroux-edition.de/


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

Frederic Wianka: Die Wende im Leben des jungen W. | Lutz Seiler: Stern 111

Zwei Wenderomane im Vergleich: Lutz Seilers “Stern 111” und “Die Wende im Leben des jungen W.” von Frederic Wianka.

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Bild von Peter Dargatz auf Pixabay

„Ein blendendes Weiß darunter, ein unendlicher Raum für frisch Gelerntes, für ständig Gehörtes, für die historischen Gesetzmäßigkeiten, für korrekt Phantasiertes, Platz für den zur Wissenschaft erklärten Mummenschanz – die Spekulation mit der Welt. Ich war gefangen an diesem Tisch, in diesem Raum, in dieser Welt, der einzigen, die denkbar war in diesem Moment, in dieser Zeit, in diesem Land.“

Frederic Wianka, „Die Wende im Leben des jungen W.“

„Die kleinen Unglücke summierten sich, eine feindliche Stimmung baute sich auf. Ein Glas ging zu Bruch, und sofort trat Carl mit bloßem Fuß in einen der Splitter. Ihn packte die Wut. Draußen fielen die Grenzen, und er saß in Gera-Langenberg fest. Verlassen von Gott und der Welt.“

Lutz Seiler, „Stern 111“


Vom Volkseigenen Betrieb Plastmaschinenwerk in Schwerin, materiell gesichert, im Jugendkollektiv geborgen, doch die Gedanken unfrei, zur prekären freien Künstlerexistenz in Berlin, malend wie ein Besessener, doch immer am Abgrund balancierend, außerhalb stehend, gescheiterte Beziehungen, zu viel Alkohol und zu wenig Begabung zur Freundschaft: DIE Wende, der Zusammenbruch des politischen Systems, sie markiert auch eine wesentliche Wende im Leben des Ich-Erzählers aus dem Debütroman von Frederic Wianka.

Der Zufall wollte es, dass ich kurz nach der Lektüre von „Stern 111“ von Lutz Seiler, der damit den Preis der Leipziger Buchmesse errang, zu diesem Roman griff. Beide Bücher sind eng verwandt und doch so unterschiedlich: Wenderomane, Berlinromane, Künstlerromane, Liebesromane. Beide Protagonisten lernen einen Handwerksberuf in der DDR, beide zieht es nach Berlin, beide leiden am Werther-Syndrom der einseitigen Liebe, beide wollen sich als Künstler ausdrücken, der eine als Poet, der andere als Maler.

Zwei Figuren, zwei Schicksale

Würde man einfache Vergleiche ziehen und zur Küchenpsychologie neigen, könnte man einen ebenso einfachen Schluss ziehen: Der eine meistert schließlich sein Leben und ringt sich, trotz aller Selbstzweifel, hervorragende Gedichte ab, weil die erste prägende Ebene in einem Menschenleben, die Beziehung zu den Eltern stimmig ist. Der andere jedoch, der kurz als Maler reüssiert, sich dann allerdings in einer Gedankenspirale über das eigene Ungenügen verfängt, der an seinen eigenen Ansprüchen scheitert, kommt aus unglücklichen Verhältnissen, unehelich geboren, einem emotional kalten Stiefvater ausgeliefert. Der junge W. wählt den Freitod.

„Ich habe Einzelheiten verdrängt und in einer selektiven Erinnerung gelebt, weil das komplettierte Bild mein Leben zeigt, als das, was es ist: von Beginn an eine Lüge. Und ein Selbstbetrug in vielem, was ich tat.“

Dennoch wäre dieser Rückschluss auf die Auswirkungen familiärer Geborgenheit beziehungsweise dysfuntkionaler Familien auf die Entwicklung eines Menschenlebens zu eindimensional. In beiden Romanen ist ein entscheidendes Moment tatsächlich die Wende, die die beiden jungen Männer in eine ganz neue Lebenssituation hineinwirft: Plötzlich frei. Und plötzlich von allen guten Geistern verlassen – der junge W. ohne Freunde, Familie, Bezugspunkte, der junge Carl plötzlich aus dem Nest geworfen, damit konfrontiert, dass seine scheinbar so angepassten Eltern unter den ersten Republikflüchtlingen sind mit Fernziel USA.

Wieviel Freiheit verträgt ein Leben?

Wie umgehen mit dieser scheinbar grenzenlosen Freiheit, mit einem anderen Wertesystem, mit völlig anderen Koordinaten? Nach mehr als 30 Jahren deutscher Einheit machen die jüngsten politischen Entwicklungen deutlich, wie viele Illusionen geplatzt sind, wie viel Arbeit noch notwendig ist, um wirklich „zusammenzufügen, was zusammengehört“. In beiden Büchern, sowohl in „Stern 111“ und in „Die Wende im Leben des jungen W.“, geht es auch um das Scheitern von Utopien und Träumen. Die Wende, sie hätte ein Neuanfang für beide Teile des Landes sein können, doch siegt die Macht der Märkte, was Seiler am Beispiel der sofort einsetzenden Gentrifizierung in Berlin durchspielt, Wianka am Kunstmarkt.

Beide Romane haben deutlichen autobiografischen Hintergrund, beide Autoren sind in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen: So sind diese Bücher auch Dokumente einer deutschen Geschichte, die im „Westen“ nicht wirklich so wahrgenommen wird. Und sie stehen trotz der Fiktionalisierung für Authenzität.

Zum Stilistischen:

Schon mit „Kruso“ tat ich mir streckenweise schwer. Seiler schreibt schön. Das ist nicht spöttisch gemeint: Er bietet Absätze, die funkeln, die von einer makellosen Sprache sind. Aber dann wiederum erscheint mir der Stil manches Mal auch etwas behäbig, zu verklausuliert-rätselhaft zudem – die surrealen Anklänge samt schwebender Ziege in „Stern 111“ nahmen mich nicht mit.

Der junge W. entwickelt einen eigenartigen Sog, Wianka schreibt eigenwillig und poetisch- bildhaft, auch wenn er sich manchmal in seinem Stil etwas vergaloppiert. Solche Satzkonstruktionen wirken zu gewollt, zu getragen: „Glaubenfrei und wissend sah ich Dich, als ich um die Abtei bog, gefestigt wir mir schien.“
Darüber kommt man jedoch, hat man sich in den Stil eingelesen, schnell hinweg, lässt sich hineinziehen in diese Lebensgeschichte.

Der Titel von Wiankas Roman drängt diesen Hinweis nun noch förmlich auf: Wer diese beiden Romane liest, der sollte, könnte auch wieder zu „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Penzdorf greifen. Der zeigt: Man scheitert nicht nur an der Liebe, sondern auch und vor allem an den Verhältnissen.


Informationen zu den Büchern:

Frederic Wianka
„Die Wende im Leben des jungen W.“
PalmArtPress 2020
Hardcover, 350 Seiten, 25,00 €
ISBN: 978-3-96258-050-6

Lutz Seiler
„Stern 111“
Suhrkamp Verlag 2020
Hardcover, 528 Seiten, 24,00 €
ISBN: 978-3-518-42925-9

Heide Hampel: In der Erinnerung sieht alles anders aus

Die künstlerische Auseinandersetzung von Anke Feuchtenberger mit dem Werk von Brigitte Reimann: Eine passende Hommage an eine große Autorin.

20190902_1994„Ich mag Leute, die gern und ausgelassen lachen, die nicht mit sich geizen; ich habe meist gefunden, daß die Verschwender mehr Reserven haben als die Krämer, die ihr Gesicht ängstlich hüten, ihre Kraft und Empfindung rationieren.“

Brigitte Reimann, Zitat aus „Das grüne Licht der Steppen“.


Ein pralles Leben: Vier Ehen, unzählige Affären, dem Heimatland verhaftet und doch mit dessen Enge und dem Eingesperrtsein hadernd, als Stasi-Mitarbeiterin angeworben, später jedoch gegen das System anrennend. Früh literarisch hervorgetreten und ausgezeichnet, gegen Ende des Lebens wegen der angeblichen „Dekadenz“ ihrer Werke mit Veröffentlichungsverboten konfrontiert.

Immer schwankend zwischen den Polen, kettenrauchend, trinkend, feiernd, dann wiederum der Rückzug in das Innere, an den Schreibtisch. Geselligkeit und Einsamkeit im Wechsel: Brigitte Reimann war eine Kerze, die an beiden Enden brannte.

Eine der großen schreibenden Frauen der DDR

Unter den großen Namen der in der DDR schreibenden Frauen taucht ihrer neben denen von Christa Wolf, Monika Maron, Irmtraud Morgner, Sarah Kirsch immer an vorderster Stelle auf. Und dennoch gilt Brigitte Reimann immer wieder, vielleicht auch bedingt durch ihren frühen Tod, als eine, die es „wiederzuentdecken“ gilt. Eine wunderbare Einstiegsmöglichkeit in Leben und Gedankenwelt dieser unbändigen Autorin bietet nun der Steffen Verlag mit dem neu erschienenen Kunstband „In der Erinnerung sieht alles anders aus“.

26 kraftvolle Bilder, „jedes für sich ein inhaltlich wie formal eigenständiges Gebilde“, wie Herausgeberin Heide Hampel in ihrem Vorwort betont, der 1963 geborenen Künstlerin Anke Feuchtenberger bilden eine Art künstlerischen Leitfaden durch die Gedankenwelt der Schriftstellerin. Die Berlinerin, gut eine Generation jünger als die 1933 in der Nähe von Magdeburg geborene Brigitte Reimann, war schon früh eine Leserin des Werks der Älteren, setzte sich insbesondere mit dem späten, unvollendet gebliebenen Roman „Franziska Linkerhand“ auseinander.

„Wir haben gelernt, den Mund zu halten, keine unbequemen Fragen zu stellen, einflußreiche Leute nicht anzugreifen, wir sind ein bißchen unzufrieden, ein bißchen unehrlich, ein bißchen verkrüppelt, aber sonst ist alles in Ordnung.“

Zitat aus „Franziska Linkerhand“.

Sozialistische Kunst wird ironisch aufgegriffen

Von „Ankunft im Alltag“, einem frühen Roman, der die Entwicklung dreier Abiturienten beschreibt, die sich zum Arbeitseinsatz im Kombinat „Schwarze Pumpe“ melden, bis zum formal weitaus spannenderen und inhaltlich vom desillusionierten Blick auf das System geprägten Spätwerk „Franziska Linkerhand“ war es ein langer Weg. Diesen Weg gehen die Bilder Anke Feuchtenbergers mit, farbintensiv, surreal und auch ironisch Züge der „sozialistischen Kunst“ aufgreifend, bei Arbeiter- und Industrieszenen wie „Der Nabel der Welt“, ein Bild, das erst auf den zweiten Blick die doppelte Deutungsmöglichkeit enthüllt.

Den Bildern gegenüber gestellt sind jeweils Zitate aus den Briefen, Tagebüchern und Romanen Brigitte Reimanns, von Herausgeberin Heide Hampel und Winfried Braun aus der Fülle der Texte großartig zusammengestellt. Schlaglichtartig werden da die schriftlich fixierten Haltungen von Brigitte Reimann zu ihrer Rolle als Frau, Geliebte, Arbeitende, als Schriftstellerin sowie als gesellschaftliches und politisches Wesen beleuchtet.

Reimann, ein “Widerspruchsbündel”

„Haltungen“ – den Plural habe ich dabei bewußt gewählt: Ursula Maerz übertitelte 1997 ihren Beitrag in der Zeit über die damals erst erschienenen Tagebücher Brigitte Reimanns mit „Das Widerspruchsbündel“. Eine passende Bezeichnung für eine Frau, die das Leben ausschöpfen wollte – und das ist nun einmal so, die Sache mit dem Leben, dass es sich eben nicht auf eine unwidersprüchliche Formel reduzieren lässt.

„Früher dachte ich an das Leben, an mein unbemessenes Leben, wie an einen Hirsetopf im Märchen, du löffelst und löffelst und kommst nicht auf den Grund, wunderbar, die Hirse quillt von selbst nach, und der Topf wird niemals leer …“

Zitat aus „Franziska Linkerhand“.

Ein schon sehr von Meloncholie geprägtes Zitat, entstand der Roman doch in einer Zeit, als Brigitte Reimann nach langer Krebserkrankung dem Tod entgegensah: 1973 verstarb sie, erst 40-jährig, in Ost-Berlin. „Frauen wie Blumen“ heißt das Bild, das Anke Feuchtenberger zu diesem Zitat gestellt hat – es zeigt eine Krankenhausszene, die Figur der Betrachterin erinnert an eine der Menschen von Käthe Kollwitz, es ist plastisch und zart dabei zugleich. Und ist ein gutes Beispiel dafür, wie die intensive Auseinandersetzung der bildenden Künstlerin mit der schreibenden Kollegin ein Gesamtkunstwerk ergibt, eine Buchveröffentlichung, die die passende Hommage an das „Mädchen auf der Lotusblüte“ ist.


Bibliographische Angaben:

Heide Hampel | Brigitte Reimann
„In der Erinnerung sieht alles anders aus“
Steffen Verlag, 2019
ISBN 978-3-95799-078-5

Zur Homepage von Anke Feuchtenberger: http://www.feuchtenbergerowa.de/

Katja Lange-Müller: “Drehtür”

Es ist die Sprache dieser Autorin, die mitreißt: Lakonisch, frech, böse, zubeißend. Die bittere Lebensbilanz einer Krankenschwester, gemildert durch Humor.

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Bild von SeppH auf Pixabay

„Das Bedürfnis, dem Artgenossen beizustehen, das wir mit vielen Tieren teilen, selbst so niederen und unsympathischen wie Wespen oder Ameisen, nannten und nennen neunmalkluge Schwachköpfe Helfersyndrom, als sei das eine multiple, entsprechend komplizierte Krankheit, eine Psycho-Seuche, die nur Exemplare unserer Gattung befällt. Warum zum Henker soll es krank sein, den Mitmenschen gesund sehen zu wollen – oder tot, falls Heilung nicht mehr möglich ist? Und was würde aus der Welt, wenn alle auf dem Gebiet der Medizin Tätigen plötzlich kuriert wären von diesem angeblichen Helfersyndrom, wenn sie es unwiederbringlich verloren hätten?! Katastrophaleres als jede Katastrophe spielte sich ab in den Städten und Dörfern, den Wäldern, Steppen, Wüsten sämtlicher Länder unseres verkommenen Planeten.“

Katja Lange-Müller, „Drehtür“


Es ist die Sprache dieser Autorin, die mitreißt: Lakonisch, frech, böse, zubeißend. Rund neun Jahre musste man seit „Böse Schafe“ (2007) auf den nächsten Roman der Schriftstellerin warten. Und der ließ mich, bei allem Lesefluss den der sprachliche Schwung auslöste, zunächst ein wenig verdutzt zurück: Ist denn diese Aneinanderreihung von Anekdoten über das Helfen und die Helfer ein Roman? Und ist es tatsächlich ein Roman mit einem Leitmotiv, wie in den Feuilletons zu lesen war, ein Roman über die Helfer“kultur“ (es ist derzeit immer gut einem Ausdruck das Wort „Kultur“ anzuheften und ihn dadurch aufzuwerten)?

Eine moderne Scheherazade

Ja und Ja: Ja zum Roman, ja zum Leitmotiv – denn „Drehtür“ ist ein Buch, das man auch mit viel Genuss und unter neuen Blickwinkeln ein zweites Mal lesen kann: Da erzählt eine moderne „Scheherazade“ (Katja Lange-Müller nimmt selbst in einem Interview Bezug auf diese orientalische Figur) buchstäblich nicht nur von ihrem, sondern auch um ihr Leben. Ob das gut geht, möge sich der interessierte Leser selbst erlesen.

Asta, 65 Jahre alt, jahrzehntelang im Auslandsdienst als Krankenschwester ge- und verbraucht, sitzt am Münchner Flughafen vor einer „Drehtür“, irgendwo am Rande, zögernd, wohin der Weg sie führen soll. Kettenrauchend, Geschichten aneinander reihend, mit Wörtern jonglierend: Es ist, als sei die Hauptfigur in einem Niemandsland gelandet, nicht mehr gebraucht, nirgends mehr dazu gehörend:

„Asta denkt – und schweigt. Mit wem, fragt sie sich, soll ich reden?  Ich kenne doch keinen mehr, hier am Boden meines Vaterlandes, das nicht meines ist, weil es mir ebenso wenig gehört wie die Muttersprache; ich steh bloß drauf.“

One Way to Munich

Weil sich zuletzt die Fehler im Dienst am Kranken häuften, wohl auch, weil Asta immer unverträglicher im Umgang mit den Kollegen wurden, haben diese ihr als „generöse“ Geste einen Urlaub für immer geschenkt – ein One-Way-Ticket nach München, für Berlin, den eigentlichen Herkunftsort der Schwester, hat das Geld nicht mehr gereicht. Und so sitzt sie nun am Rande dieses glitzernd-gläsernen Ungetüms und sinniert:

„Ja, die Kollegen in Managua sehen das ganz richtig; ich habe genug geholfen. Nur wohin ich nun soll oder will, das weiß ich nicht. Kein Geld, kein Zuhause, keine Familie, keine Freunde, keine Perspektive…“

Während sie zögert vor dem Weitergehen, dienen ihr Passanten, Fluggäste, Wartende, Servicepersonal und Arbeiter als „Opfer für ihre Projektionen“: Gesicht für Gesicht rufen in Asta Erinnerungen an Freundinnen, Wegbegleiter, Verflossene, Mithelfer hervor, an Episoden und Ereignisse. So lassen sich aus diesen Geschichten nicht nur ein ostdeutscher Lebenslauf rekonstruieren – Asta absolvierte ihre Ausbildung in Ost-Berlin und Leipzig, eine der eindrücklichen Geschichten dieser Scheherazade handelt von einem nordkoreanischen Koch, den sie mit unsäglichen Zahnschmerzen nachts unweit der Botschaft (die auch heute noch so grausig aussieht, wie im Buch beschrieben) aufgabelt. Sie hilft ihm – gerät aber schon hier an die Grenzen des Helfens: Was der Mann außerhalb der Botschaft suchte, bleibt offen, wohin er verschwindet, was mit ihm geschieht, ist ebenso ungewiss.

Und so kristallisiert sich bei den verschiedenen Episoden immer wieder diese Grundthematik heraus, die Katja Lange-Müller schon durch ein dem Buch vorangestelltes Nietzsche-Zitat durchklingen lässt:

„Es scheint mir, daß ein Mensch, bei dem allerbesten Willen, unsäglich viel Unheil anstiften kann, wenn er unbescheiden genug ist, denen nützen zu wollen, deren Geist und Wille ihm verborgen ist.“

Ob der in München ausgesetzten Krankenschwester Asta am Ende zu helfen ist? Man lese selbst. Es lohnt sich.

Anbei das oben erwähnte Interview in der FAZ, in dem die Autorin auch über autobiographische Bezüge (sie arbeitete selbst als Hilfsschwester in der Psychiatrie, das Schreiben half ihr, mit der Erfahrung des Sterbens von Patienten zurecht zu kommen), über „gut“ und „böse“ und natürlich das „Helfersyndrom“ reflektiert:
FAZ-Interview mit Katja Lange-Müller.


Bibliographische Angaben:

Katja Lange-Müller
Drehtür
Kiepenheuer & Witsch, 2016
ISBN: 978-3-462-04934-3