
Bild: (c) Michael Flötotto
„Ich könnte sagen, daß mich keine menschliche Begegnung wirklich überrascht, wäre da nicht diese eine Sorte von Mensch, auf die ich fortgesetzt stoße und die in mir jedesmal ein belustigtes Staunen auslöst. Ich meine die alte Engländerin, die meistens mit entsprechenden Mitteln allein lebt und überall in der ganzen Welt zu finden ist, selbst an Orten, wo man sie am wenigsten vermutet. Man wundert sich schon kaum mehr, wenn man hört, daß in der Villa auf dem Hügel am Rande einer kleinen italienischen Stadt eine Engländerin wohnt, die einzige, die es weit und breit gibt, und wenn einem eine einsame Hazienda in Andalusien gezeigt wird, muß man beinahe darauf gefasst sein, daß dort seit vielen Jahren eine alte Engländerin lebt. Mehr ist man schon überrascht zu erfahren, daß die einzige weiße Person in einer gottverlassenen Stadt mitten im ländlichen China kein Missionar, sondern eine Engländerin ist und da für sich lebt, keiner weiß, weshalb.“
W. Somerset Maugham, aus der Erzählung „Die alte Engländerin“.
Es sind jedoch nicht nur die alten Engländerinnen, die an jeder Ecke des Globus auf einen lauern – auch deren männliches Pendant ist weit verbreitet. Eine Reise ohne Anekdoten von Zusammentreffen mit Engländern kann eigentlich nicht wahrhaft als Reise bezeichnet werden. Gleichwohl an welche Ecke der Welt es einen verschlägt, man kann sich sicher sein: Ein Angehöriger des Vereinigten Königreiches war bereits da, ist immer noch da oder wird gleich kommen. Als ob ihnen die eigene Insel immer wieder zu eng wird, zählen sie mit Sicherheit zu den reiselustigsten Völkern.
Unter Elizabeth I. & Co. eroberten sie die Welt noch mit ihrer Flotte, unter der heutigen Lizzie mit ihren Badelaken. Und nicht von ungefähr machte der Franzose Jule Vernes in seinem Klassiker „In 80 Tagen um die Welt“ einen britischen Gentleman, Phileas Fogg, zur Hauptfigur.
Mag man den „Playa del Ingles“ jedoch innerlich verfluchen und vermeiden, die Reisefreudigkeit der Briten hat auch ihre guten Seiten: Nicht nur die englische Küche, auch die englische Literatur wurde dadurch unendlich bereichert. Im literarischen Trio stelle ich heute drei Beispiele solcher reisender und schreibender Briten vor – drei Männer, drei Generationen, und doch durch eine literarische Tradition und freundschaftliche Bande miteinander verknüpft. Und zwischendrin schmuggle ich noch eine Information in eigener Sache rein, über die ich mich freue wie über jedes Treffen mit einem Reise-Briten…
William Somerset Maugham:
„Was kann einer von England wissen, der nur England kennt?“, diese Frage lässt William Somerset Maugham in einer seiner Erzählungen fallen. Maugham (1874-1965) selbst war ein Kosmopolit, wie er im Buche steht: Geboren als Sohn eines englischen Anwalts in Paris, studierte er später in Heidelberg, dann in London. Als Mitglied des MI5 kam er im Ersten Weltkrieg durch ganz Europa und die USA, aber auch als Zivilist unternahm er immer wieder ausgedehnte Reisen, unter anderem in die Südsee. Maugham, der als Kind zunächst nur französisch sprach und nach dem frühen Tod seiner Eltern erst im Alter von zehn Jahren zu Verwandten nach England kam, starb letztendlich in seiner wahren Heimat – an der französischen Riviera.
Unter den zahlreichen Erzählungen, die er neben seinen Romanen (zu denen mit „Der Menschen Hörigkeit“ einer meiner Favoriten zählt) schrieb, dominieren jene, die in die weite Welt entführen. Allerdings: Ein Zuckerschlecken, so scheint es, ist der Aufenthalt in tropischer Hitze oder der Südsee-Sonne für die meisten seiner Protagonisten nicht. Da sieden die Leidenschaft, da kocht das Blut. Mord, Mesalliancen und Malaria strecken reihenweise Ladies&Gentlemen nieder, es wird geliebt, gelitten, gestritten, gemeuchelt, gemordet und dazu vor allem viel gesoffen, um der Langeweile des Kolonialalltags zu entkommen. Neben den Kolonialgeschichten dominieren das erzählerische Werk des W. S. Maugham die Erzählungen rund um den Schriftstellerspion Ashenden: Einige der schreibenden Kollegen und Nachfolger Maughams haben sich da abgeguckt, wie man wirklich schön schreibt. Denn William Somerset Maugham war nicht nur ein lakonischer, aber immer auch freundlich gestimmter Beobachter menschlicher Umtriebe, sondern daneben auch einer, der ebenso elegant wie bissig-humorvoll schreiben konnte.
William Somerset Maugham, „Gesammelte Erzählungen“, Zwei Bände in Kassette, Diogenes Verlag, ISBN 978-3-257-06490-2
Zwei Kostproben:
Aus der Erzählung „Das runde Dutzend“:
„So ist das mit dem Ruhm“, meinte er bitter. „Wochenlang war ich der Mann in England, über den am meisten gesprochen wurde. Schauen Sie mich doch an. Sie müssen meine Fotografien in den Blättern gesehen haben. Mortimer Ellis.“
„Tut mir furchtbar leid“, sagte ich und schüttelte den Kopf.
Er machte eine kleine Pause, um seiner Eröffnung Wirkung zu verleihen.
„Ich bin der berühmte Bigamist.“
Aus der Erzählung „Der schöpferische Impuls“:
„Denn es muß festgestellt werden, daß es bei Mrs. Albert Forrester ungewöhnlich gutes Essen, ausgezeichnete Weine und vorzügliche Zigarren gab. Jedem, der literarische Gastfreundschaft genossen hat, muss dies bemerkenswert erscheinen, denn literarische Menschen denken in der Regel hoch und leben einfach; ihre Seele ist mit geistigen Dingen beschäftigt, und sie bemerken nicht, daß der Braten hart ist und die Kartoffeln kalt. Das Bier mag noch angehen, aber der Wein ist eher ernüchtern, und sich an den Kaffee heranzuwagen ist nicht ratsam.“
Patrick Leigh Fermor:
Wie William Sommerset Maugham war auch Patrick Leigh Fermor (1915-2011) ein Reisender, ein Schreibender und ein Spion – er arbeitete für den SOE (Special Operation Executive). In Griechenland gilt er bis heute noch als Held – Fermor organisierte aus dem Untergrund heraus den Widerstand gegen die Nazis und war 1944 wesentlich beteiligt an der Entführung des dortigen Befehlshabers Heinrich Kreile nach England.
Fermor, Sohn eines Geologen, reiste schon früh durch die Welt – auch ihm war die Wanderlust in die Wiege gelegt worden. Die Wanderlust pflegte er im buchstäblichen Sinne: Sein Hauptwerk sind jene drei Bücher, in denen er seine Fußwanderung nach Konstantinopel festhält. Die Reisebücher, allesamt erst lange nach der Wanderung geschrieben und erschienen, sind nicht nur für Wandervögel ein Genuss. Bereichert durch das immense politische und kulturelle Wissen des Schriftstellers sind sie wahrhaftige Literaturreisen, auf die man gerne mitgenommen wird.
Unter diesen Perlen ragt der einzige Roman, den der Autor, Spion im Dienste Ihrer Majestät, der 2004 geadelt wurde, wie ein kleines schillerndes literarisches Juwel hervor. “Die Violinen von Saint-Jacques” (das englische Original erschien 1953) erzählt vom Untergang einer Antilleninsel Ende des 19. Jahrhunderts. Vom Vulkanausbruch, der eine französische Kolonialgemeinschaft mit sich reißt, berichtet Jahrzehnte später die einzig Überlebende. Ihren jungen Zuhörer entführt sie ebenso wie die Leser dieses Romans zu einem sprachlich opulenten Ausflug in eine buchstäblich versunkene Welt. Patrick Leigh Fermor schwelgt in Dekor und Details im Stil eines Oscar Wilde. Französische Eleganz, karibische Exotik, Liebe, Leidenschaft und Lavahitze: Eine kleine Geschichte (190 Seiten), ganz nah am Kitsch im positiven Sinne, die einen mit ihrer Anmut vollständig aus dem Alltag entreißen kann.
Patrick Leigh Fermor, „Die Violinen von Saint-Jacques“, Neuauflage 2013, Dörlemann Verlag, ISBN 9783908777977.
Bruce Chatwin:
Chatwin blieb wenig Zeit zu schreiben: Der 1940 in Sheffield geborene Schriftsteller starb bereits 1989 in Nizza. Mit 18 Jahren begann Chatwin als Botenjunge bei „Sotheby`s“ – und war wenige Jahre später dort verantwortlich für die Abteilung für impressionistische Kunst. Dort wie später bei seiner Stelle bei der Sunday Times hielt es ihn jedoch nicht lange. Ihn zog es auf Reisen und zum Schreiben: Sein Vorbild war Patrick Leigh Fermor, zu dem ihn eine enge Freundschaft verband. Chatwins Asche wurde neben einer kleinen Kirche auf der griechischen Halbinsel Peloponnes, wo Patrick Leigh Fermor lebte, beigesetzt.
Titel seines ersten Buches war „In Patagonien“, wo er sich nach der Kündigung bei der Sunday Times aufhielt, eine Besprechung seines bekanntesten Buches, „Traumpfade“, findet sich auf dem Blog unter diesem Link:
https://saetzeundschaetze.com/2016/02/13/bruce-chatwin-traumpfade/
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