Lesezeichen von: Ingeborg Bachmann

Wie fragil, wie unlebbar sie war, wie viel Ingeborg Bachmann in sie investierte, in diese Liebe zu Paul Celan – das zeigt ihr Briefwechsel.

Bild von Ylanite Koppens auf Pixabay

Paul, Lieber,
Einer dieser toten Sonntage. Ich blättre wieder im Mandelstam und lese die letzten Jessenin-Gedichte wieder. „…du singst kein Blatt vom Zweig.“ Ich schreibe trotzdem und bin ängstlich froh darüber, es geht langsam, noch ist nichts entschieden und fertig. Und sonst ist nichts. Gleichgültigkeit fast in dieser Einsamkeit. Ein Tag wie der andere. Keine Menschen. Hans arbeitet nebenan, ab und zu gehen wir ins Kino am Wochenende wie alle Leute hier. Es ist ein ganz gutes Leben, man bedarf so wenig, wenn man begriffen hat. Es wird sowieso nur eine Atempause sein, eine dieser wenigen, die man uns zugesteht. Und die „Lösung“ gibt es wohl nicht, die ich gesucht habe und vielleicht wieder einmal versucht sein werde, zu suchen. Man hütet sich, Fragen zu stellen, bei soviel offenbarer Sinnlosigkeit. Welche Instanz wüßtest Du? Daß ich darum auch niemand drum bitten kann, Dich zu beschützen – das fällt mir auch ein. Daß ich nur meine Arme habe, um sie um Dich zu legen, wenn Du da bist, nur wenige Worte, um Dir etwas zu sagen, ein Blatt Papier, um Dir meinen Namen nach Paris zu schicken. Ach, Paul.

Ingeborg

Ingeborg Bachmann an Paul Celan, Neapel, 10.8.1958.

Quelle:
„Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Der Briefwechsel“, Suhrkamp

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

13 Gedanken zu „Lesezeichen von: Ingeborg Bachmann“

  1. Dieser Briefwechsel ist mit das schönste und bewegendste, was ich je gelesen habe. Es kommt keine andere Korrespondenz an diese Intensität heran, in den guten Jahren wie in den schlechten Jahren.

      1. „Lieber Dichter Paul Celan, nun erhalte ich vom Verlag Ihre Adresse und kann Ihnen
        persönlich danken für das tiefe Erlebnis, das mir Ihre Gedichte gaben. Sie sehen viel
        von jener geistigen Landschaft die sich hinter allem Hiesigen verbirgt, und haben die
        Kraft des Ausdrucks für das leise sich öffnende Geheimnis. … Auch ich muß diesen
        inneren Weg gehen der von ‚Hier‘ ausgeht nach dem unerhörten Leiden meines Volkes,
        und der weitertastet aus der Qual.
        Alle guten Wünsche
        Ihre Nelly Sachs“

  2. Danke für diesen feinen Beitrag, ich werde mehr lesen, deinen Artikel begeistert mich sehr. Gerade habe ich mich intensiv mit Ingeborg Bachmann und Max Frisch beschäftigt, das kommt jetzt zur richtigen Zeit.
    Ein schönes Wochenende wüschen wir aus dem hohen Norden,
    Dina & co

  3. Ich habe ‚Herzzeit‘ erst vor kurzem gelesen und es hat mich tief beeindruckt und bewegt und ich werde mich immer mal wieder darin vertiefen..

  4. Mich hat dieser Suhrkamp-Band auch sehr berührt und zugleich fasziniert, wie beide ihre Liebe und Beziehung, das Leid und das Scheitern in Worte fassen konnten. Interessant auch zu lesen: ein Band über die Beziehung zwischen Bachmann und Frisch im Piper-Verlag erschienen. Viele Grüße

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