Hildegard Keller & Christof Burkard: Frisch auf den Tisch

Hildegard Keller und Christof Burkard servieren Weltliteratur besonders schmackhaft – mit eigens für jeden Schriftsteller passend entworfenen Rezepten.

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Bild von Светлана Бердник auf Pixabay

„Diese in allen Wassern gewaschenen Nudeln müssen 20 Minuten über leichtem innerem Feuer des Lesers aufgesetzt werden. Die Mahlzeit ist nahrhaft wie ein Märchen.“

Walter Benjamin

Essen und Lesen gehen nicht nur phonetisch gut zusammen. Beides hat im besten Falle mit Genuss zu tun, beides schafft Pausen vom Alltag, bringt Zeiten der Muse. Ein gutes Buch macht meist Appetit auf mehr. Nicht umsonst spricht man von Lesefutter. Und die Gerüche und Gewürze eines leckeren Essens können einen für kurze Zeit in andere Länder und Welten entführen – etwas, das auch beim Kopfreisen mit guter Literatur passiert.

Dass Literatur auch durch den Magen geht, das beweisen die Maulhelden: Hildegard Keller, die Literaturwissenschaftlerin und Autorin, die Lesenden unter anderem durch den Literaturclub im Schweizer Fernsehen und vom Bachmannpreis bekannt sein wird, bildet mit ihrem Ehemann, dem Juristen Christof Burkard, in der Küche und auf der Bühne ein kongeniales Gespann.

Hinter die Kulissen, sprich auf den heimischen Herd des Paares, durfte das „Tagblatt“ blicken und berichtete:

“Ihre Aufgabenteilung: «Hildegard ist das literarische Gewissen», sagt Christof Burkard, «Christof ist der Menü- und Geschichtenerfinder», ergänzt Hildegard Keller. Gekocht wird aber nicht einfach, was in den Romanen gegessen wird, die beiden übersetzen Werke und Autoren in kulinarisch-literarische Performances.”

Etliche der kurzen Streifzüge durch die Literatur und die leckeren Rezepte, die davon inspiriert sind, veröffentlichten Keller & Burkard als Kolumne im „Literarischen Monat“. Sie gründeten zusammen 2019 auch die „Edition Maulhelden“, deren zweiter Titel „Frisch auf den Tisch“ eben nun jene „Weltliteratur in Leckerbissen“ serviert, ergänzt durch drei neue, weitere Gänge mit Max Frisch, Rosa Luxemburg und Walter Benjamin sowie einem ausführlichen Küchengeplauder der beiden Herausgeber.

Kolumnen um die großen Hechte der Literatur

Die Kolumnen drehen sich also um die großen Hechte der Weltliteratur und Kultur: Um den oben zitierten Walter Benjamin, viele Schweizer Autoren wie Friedrich Glauser, Gottfried Keller und Max Frisch sind vertreten, aber auch Ingeborg Bachmann, Hannah Arendt und Hildegard von Bingen haben ihren Auftritt an der literarisch-kulinarischen Tafel.

Ein abwechslungsreiches Menü, das den Leserinnen und Lesern da serviert wird, die einzelnen Gänge ganz unterschiedlich gewürzt: Mal mit einer dezenten Prise Ironie wie bei Max Frisch, mal mit Gewürzen und Gerüchen aus Nordafrika angereichert wie bei Glausers Taboulé oder einem Dessert, das wie ein Gedicht ist, für Ingeborg Bachmann. Allerdings eines, das sowohl Könnerschaft als auch Mut erfordert:

„Und wehe, wenn der Ofen während des Backens geöffnet wird, scheint Ingeborg Bachmann zu flüstern. Profiteroles sind Poesie pur und werden nicht ganz angstfrei hergestellt. Man kann an ihnen scheitern.“

In den locker-luftig geschriebenen Essays erfährt man auch allerlei Neues zu Leib- und Magendichtern. Von Robert Walsers Liebe zur Wurst ahnte ich bislang nichts. Wie man dagegen Kartoffelstock zu essen hat, das weiß man vielleicht bereits aus Kellers „Seldwyla“. Meine Lieblingsstelle in diesem Buch jedoch ist die, mit der Max Frisch ganz vortrefflich charakterisiert wird:

„Wie bringen wir diesen Frisch auf den Teller? Das Ringen mit der Form und der Kantigkeit des Lebensbei gleichzeitigem Hoffen auf die wahre Essenz lässt nur ein Gericht zu: Die gefüllten Teigtaschen à la Max – im Volksmund Ravioli – sind nichts anderes als Architektur auf dem Teller. Sie bilden ab, wie Faber sein Leben durch diese ziemlich schiefe Liebe erneuern will. Wilder Inhalt ist gebändigt im bürgerlichen Rechteck und schwimmt schließlich doch in einer schönen Brühe.“

Guten Appetit!

Übrigens: Das Buch im handlichen Format ist sehr schön gestaltet und ist mit seinen vielen liebevollen Details – freigestellten Zitaten, Illustrationen von Hildegard Keller und den Rezepten von Christof Burkard – etwas für literarische Feinschmecker.


Informationen zum Buch:

Hildegard Keller & Christof Burkard
Frisch auf den Tisch. Weltliteratur in Leckerbissen
Edition Maulhelden, Zürich, 2020
14×21,5 cm, gebunden, zweifarbiger Druck, Rezeptseiten in Farbe, mit bedrucktem Vorsatz, 13 Zeichnungen in Farbe, mit Lesebändchen, 144 Seiten
24,80 CHF, 21,— € (D), 21,50 € (A)
ISBN: 978-3-907248-01-0

Ina Hartwig: Wer war Ingeborg Bachmann?

Die “bruchstückhafte” Biographie der Literaturkritikerin Ina Hartwig wirft einen Blick auf die “dunkle” Seite der Bachmann – und lässt viele Fragen offen.

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Bild: Birgit Böllinger

„Am Rande der Veranstaltung (Anmerkung: Gemeint ist eine Wahlkampfveranstaltung 1965 in Bayreuth) sind etliche Fotografien entstanden, darunter eine besonders schöne Frontalaufnahme, in der ein ganzes Soziotop sich auf dem Sofa drängelt. Und wen sieht man direkt zur Rechten Willy Brandts sitzen? Niemand anderes als eine über das ganze Gesicht strahlende, fein frisierte, mit Perlenkette umhängte Ingeborg Bachmann.
Alle Krisen wirken wie weggewischt. Sie sitzt, wieder einmal Königin, genau in der Mitte des Bildes – eine demokratische Königin.“

Ina Hartwig, „Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken“


Gleich von vorneweg: Nein, wer Ingeborg Bachmann war, beantwortet auch dieses Buch nicht. Als ob überhaupt eine schriftliche Biographie einen Menschen gänzlich erklären könnte, das sei einmal  dahin gestellt. Doch die österreichische Schriftstellerin beschäftigt über ihr Werk hinaus wie kaum eine andere deutschsprachige Autorin die literaturwissenschaftliche Nachwelt – da wird einerseits ihre hermetische Lyrik nach Lebensspuren untersucht, werden ihre Prosatexte in Zusammenhang mit ihren schmerzhaften Lieben – Paul Celan und Max Frisch – in Zusammenhang gebracht, da wird ihr Nachlass, insofern ihn die Erben der Öffentlichkeit freigegeben haben, penibel durchforscht.

Bruchstückhafte Biographie hinterlässt Fragen

Das Feld der Veröffentlichungen über Bachmann ist weit – es reicht von Erhellendem, das einem als Leser beispielsweise die Gedichte weiter erschließen kann (so das hier erst kürzlich besprochene Buch „Wir sagen uns Dunkles“) bis hin zu Büchern, die eher einen bruchstückhaften Eindruck und das Gefühl, am Ende überwiegt denn doch die Spekulation, hinterlassen. Zu letzterem gehört leider auch das Buch der Literaturkritikerin Ina Hartwig.

 „In Ina Hartwigs Bachmann-Biografie fehlt dieses plausibel aus dem Werk und aus zuverlässigen Quellen erarbeitete Neue. Denn Ingeborg Bachmanns «Fluchtweg nach Süden», die Jahre in Neapel, Ischia und später in Rom sind durch den Briefwechsel mit Hans Werner Henze (2004) bereits gut erschlossen. Auch zu Bachmanns unstetem Leben, ihrem Unglück mit Männern, ihren Abstürzen in wüste Mengen von Alkohol und Psychopharmaka – dazu hat Ina Hartwig keine neuen Fakten zu bieten, weil auch ihr der freie Zugang zum Nachlass nicht gänzlich gewährt wurde“, urteilt Franz Haas in seinem Artikel „Das große Buch Bachmann“ am 7. Januar 2018 in der NZZ.

Ein etwas voyeuristischer Blick auf die Bachmann

Mir bietet dieses Buch nicht nur wenig Erhellendes zu den Schattenseiten im Leben der „Diva“, sondern konzentriert sich viel zu sehr darauf – auch wenn Hartwig, die sich selbst im Buch als „biographische Detektiven“ bezeichnet, ab und an versucht, die „bodenständige“, pragmatische und lebenszugewandte Seite der Ingeborg Bachmann hervorzuheben. Doch sie bedient zugleich den voyeuristischen Blick auf eine zutiefst unglückliche, zerrissene Frau. Dass Ina Hartwig immer wieder darauf zurückgreift, wie sehr das Leben der Dichterin „mystifiziert“ wurde, wie viele ihrer Zeitgenossen über den Drogenkonsum Bachmanns hinwegsahen, erscheint mir dabei fast wie eine Selbstvergewisserung der Biographin, hier müsse man einen Vorhang heben – dabei waren die Abhängigkeiten Bachmanns längst bekannt, in der Deutung des Werks und des Lebens bringt das wenig weiter.

Richard Kämmerlings beurteilt das Buch in der „Welt“ positiver, weil „spannend“ für die Leser, als Franz Haas. Und stellt am Ende doch die Fragen:

„Der Eindruck einer pasolinihaften Seite Ingeborg Bachmanns lässt sich nicht ganz vertreiben“, schreibt Ina Hartwig einmal. Wirklich? Wessen Fantasien sind dies denn eigentlich? Wo sind wir nun da gelandet, in welchem Fassbinder-Film? Haben wir nicht mit Mohnblüten begonnen? Am Ende kann Ina Hartwig die Frage, wer „die Bachmann“ denn nur wirklich war, nicht beantworten. Aber sie fügt dem in vielen Farben schillernden Mosaik einen schmutzig glänzenden Stein hinzu.“

Mag man an der Hinzufügung des schmutzig glänzenden Steins wenig Neues oder Wertvolles für die Bachmann-Lektüre empfinden, so bringt ein weiterer Stein auf dem Weg, den Hartwig hinzufügt, dagegen doch weiter: Das ist ihre Beschäftigung mit der Freundschaft (die Ina Hartwig gerne zur Beziehung ausdeuten würde) zwischen Ingeborg Bachmann und Henry Kissinger, anhand dessen, so Hartwig, „die Zeitgenossenschaft Ingeborg Bachmanns in ihrer vollen, abenteuerlichen Dimension hervortritt.“

Blick auf die politische Seite der Dichterin

Tatsächlich ist dies ein Gewinn bei der Lektüre dieser bruchstückhaften, zum Teil auch sprunghaft wirkenden Biographie: Der Blick auf die philosophisch und politisch denkende Dichterin, die sich mit Heidegger, Wittgenstein und Simone Weil beschäftigte, die sich wach und dezidiert zu Fragen der Nachkriegs- und Europapolitik, der Wiederaufrüstung und anderen brennenden politischen Themen äußerte.

„Um 1960 war noch völlig offen, was aus Europa werden könnte und werden sollte. Ein geeinigtes Europa, das war nicht nur die Antwort auf die Verheerungen des Nationalsozialismus und des Faschismus, sondern zugleich ein attraktives Zukunftsmodell für die zwischen Ost und West aufgeteilte Welt, deren Grenze mitten durch Deutschland lief. Alle politischen Bewegungen erzeugten erhebliches Misstrauen, und Bachmanns Freund Kissinger gehörte, von der anderen Seite des Atlantiks auf Europa schauend, zu den ganz besonders Misstrauischen. Dass Bachmann sich an seiner nordamerikanischen Perspektive abarbeitet und gleichzeitig versucht, eine europäische für sich zu entwickeln, dürfte der politische Nukleus dieser Überlegungen sein.“

Ina Hartwig resümiert am Ende ihres Buches:

„Ingeborg Bachmann war eine geerdete Persönlichkeit, kompliziert und schwierig zwar, gefährdet ohnehin, aber auch witzig, klug, praktisch, dem Alltag zugewandt und schon früh erstaunlich politisch denkend. Ihre sagenhafte Karriere war befeuert worden von den Aufmerksamkeitsströmen und Geldzuwendungen der transatlantischen Kulturpolitik des Kalten Kriegs, von der sie extrem profitierte als Dichterin, als Intellektuelle und nicht zuletzt als Freundin bedeutender Personen der Zeitgeschichte. Sie war ein Medienprofi und eine hellwache Beobachterin ihrer eigenen Epoche, was ihr bis zur Ermüdung besungenes Diventum am Ende doch sehr relativ aussehen lässt.“

Schade eigentlich, dass die Literaturkritikerin durch ihr beinahe zwanghaftes Entblättern der „dunklen Seite“ Bachmanns eher eine neue Note im Lied von der unglücklichen Diva anschlägt und trotz mancher Ansätze die politische, intellektuelle Dichterin wieder einmal dahinter zurücktritt.


Bibliographische Angaben:

Ina Hartwig
Wer war Ingeborg Bachmann?
S. Fischer Verlage, 2018
ISBN: 978-3-596-03270-9

Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles

“Wir sagen uns Dunkles” ist die erste umfassende Arbeit über die komplizierte Beziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Ein Stück Literaturgeschichte.

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Bild von Erika Varga auf Pixabay

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Paul Celan, aus „Corona“.

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

(…)

Sie dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!
Es kommen härtere Tage.

Ingeborg Bachmann, aus „Die gestundete Zeit“.

„Schon in frühen Versuchen, aus der Zeit mit Celan in Wien und danach, fallen Celan-Anklänge auf, das Aufsaugen seines spezifischen Tons, der schwungvollen Daktylen, des verzaubernden Genitivs, der suggestiven Wie-Vergleiche (…). Aber auch in ihrer berühmten Lyrik aus den fünfziger Jahren greift Bachmann Celan` sche Bilder auf und entwickelt sie in ihrem Sinn weiter. Die gestundete Zeit ist ohne Celan nicht zu denken.“

Helmut Böttiger, „Wir sagen uns Dunkles“

Immer schon bewegte mich die geistige Verwandtschaft, die aus den Gedichten Ingeborg Bachmanns und Paul Celans spricht. Auch ohne viel über ihre Verbundenheit zu wissen – eine Verbindung ist spürbar, eine Seelen-Verwandtschaft zu erlesen, die weit über die Tatsache hinausgeht, dass beide zur selben Zeit zu ihren Worten fanden, dass sie, Kinder ihrer Zeit, versuchten, die Lyrik nach der dunklen Zäsur des Nationalsozialismus  neu zu definieren.

Ihre Sprache: Jeweils einzigartig, solitär, aus dem lyrischen Aufbruch der Nachkriegsdichtung herausragend und doch so miteinander verwandt. Inzwischen meint man viel auch über die komplizierte Liebesbeziehung dieser beiden Sprachkünstler zu wissen. Der 2009 beim Suhrkamp Verlag unter dem Titel „Herzzeit“ erschienene Briefwechsel gab eine Ahnung.

Wie sehr das Paar, das die meiste Zeit seit dem Kennenlernen im Wiener Frühling 1948 eigentlich kein Paar im klassischen Sinne war, zeitlebens im Denken, Arbeiten und Fühlen miteinander verbunden war, das arbeitet nun der Schriftsteller und Kritiker Helmut Böttiger in seinem jüngsten Buch kongenial heraus.

Der Geheimcode einer Liebe

„Wir sagen uns Dunkles“: Jene Zeile aus Celans Gedicht „Corona“ wird zum Leitmotiv dieser Liebe, die für beide tragisch endet. Sie wurde auch treffend zum Titel von Böttigers Annäherung an „Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan“. Der Autor entziffert diesen „Geheimcode der Liebe“ zwischen den beiden Lyrikern nah an den Quellen, den Gedichten, Texten und Briefen der beiden, an Aussagen von Zeitzeugen und Freunden. Niemals nur im Ungefähren psychologisierend und im Dunkeln stochernd, immer zurückhaltend interpretierend und doch so aufschlussreich gerade auch über Ungesagtes, das sich zuweilen nur über eine enge, sich am Biographischen orientierende Gedichtinterpretation erschließt.

„Im Windschatten, tausendfach: du./Du und der Arm,/mit dem ich nackt zu dir hinwuchs,/Verlorne.“

Paul Celan, aus „Weiß und Leicht“.

Das Gedicht entstand nach einer Wiederbegegnung 1957, beide erlebten und lebten – obwohl Celan, in Paris nicht länger „unbehaust“ und schon längst mit Gisèle Lestrange verheiratet war – eine kurze Zeit der „Liebeseuphorie“. Böttiger schreibt:

„Verbannt“ und „Verloren“: Es war die Vision, dass die beiden Dichter, die sich „aus dämonischen Gründen“, wie Ingeborg Bachmann einige Jahre zuvor erkannt hatte, gegenseitig ausschlossen, dass diese Solitäre zusammengedacht werden konnten. Und dazu gehörte auch eine neue Form von Gelassenheit: Es konnte gesprochen und geschwiegen werden, und „einiges ging seiner Wege“, unbehelligt. Das Gedicht Celans hat einen hymnischen Ton, es zeugt von einem Augenblicksglück. Das so unterschiedliche, aber doch auch gemeinsame Schicksal hatte zwei Versprengte zusammengeführt.“

Helmut Böttiger zeichnet die Verbindung der beiden chronologisch nach, von der ersten Begegnung 1948 über das belastete und belastende Wiedersehen bei der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf (1952) bis zum Bruch, den Celan, schon gezeichnet von seiner psychischen Erkrankung, herbeiführte. Mit viel Gespür arbeitet Böttiger die Konflikte heraus, die eine erfüllende Liebesbeziehung verhinderten, angefangen von den unterschiedlichen Lebenserfahrungen – Celan, Jude, KZ-Überlebender, ein Flüchtender, Bachmann, aufgewachsen in der sie einengenden Klagenfurter Provinz, Tochter eines Lehrers und NSDAP-Mitglieds – bis hin zu der so unterschiedlichen Aufnahme in der literarischen Welt.

Austausch über die Philosophie Heideggers

Ingeborg Bachmann, in der Gruppe 47 auch als „Fräuleinwunder“ bestaunt, Celan, der nach wie vor Erfahrungen mit einem latenten Antisemitismus in der Literaturwelt machen muss. So sehr die beiden ein intellektueller Austausch, beispielsweise über die Philosophie Heideggers, über die Entwicklung der Literatur und ähnliche Fragen verband, so sehr trennte sie auch der unterschiedliche Erfolg. Die öffentliche Anerkennung der Lyrikerin Bachmann: Paul Celan empfand dies als Verletzung, sah die Konkurrenz, wie Helmut Böttiger herausarbeitet.

Bezüglich der Gruppe 47, der Auseinandersetzungen in der Literatur in jenen Jahren, ihren Tendenzen und Strömungen kann Helmut Böttiger natürlich aus dem Vollen schöpfen: Sein zuletzt veröffentlichtes Buch, „Die Gruppe 47“ warf bereits einen erhellenden Blick auf diese literarischen Netzwerker. Wie sehr sich sowohl Bachmann als auch Celan hier als „Fremde“ fühlen mussten, machen gut platzierte Zitate deutlich.

Anpassungsfähigkeit an den Literaturbetrieb fehlte

Dies macht auch deutlich: „Wir sagen uns Dunkles“ will eben nicht den voyeuristischen Blick auf die Liebesleiden zweier traumatisierter Menschen bedienen. Das Buch ordnet diese Beziehung in eine Literatur- und Personengeschichte ein, die, wenn man sich für diese Lyriker und die Literatur jener Jahre interessiert, ein Stück Literaturgeschichte ist. Zudem gibt das Buch Aufschluss gibt darüber, wie entscheidend auch im Literaturbetrieb Anpassungsfähigkeit und ein Stück Aktivismus sind. Beides brachten Bachmann und Celan nicht mit. Helmut Böttiger schreibt flüssig, einfühlsam, klug und gibt nicht zuletzt auch Interpretationshilfen für die hermetische Lyrik dieser beiden poetischen Sterne.

Zugleich macht das Buch auch offensichtlich, dass vor allem Ingeborg Bachmann jene war, die – obwohl auch sie diese Liebe nicht leben konnte – anhaltend um sie, um Paul Celan rang. Vielleicht war sie unter diesen beiden Menschen, beide nicht besonders „lebenstüchtig“, beide immer auch dem Dunklen, der Schwermut und Melancholie zugeneigt, denn doch die Leidensfähigere, wer weiß?

Helmut Böttiger versucht beiden gerecht zu werden:

„Am 27. September 1961 setzte Ingeborg Bachmann noch einmal zu einem langen Brief an, den sie nicht abgeschickt hat. Es ist ein bewegender Brief, der ihre ganze Verzweiflung über eine Beziehung zu ihm ausdrückt, und gleichzeitig spricht er vollkommen klar aus, dass sie mit Celans psychischem Zustand, seiner Erkrankung überfordert war.“

„weil ich mich nicht schützen kann dagegen, weil mein Gefühl für Dich immer zu stark bleibt und mich wehrlos macht.“

Im April 1970 nimmt Paul Celan sich das Leben. Ingeborg Bachmann stirbt drei Jahre später.

Helmut Böttiger beendet sein Buch mit einer Interpretation von Ingeborg Bachmanns Erzählung „Drei Wege zum See“:

Vor allem aber ist Trotta der unerreichbare, ferne Geliebte – „die einzige und große Liebe“. Sie war nur in der Literatur zu verorten. In der Literatur, in der Legende und im Märchen, wo auch die berühmten zwei Königskinder aufzufinden sind, die nicht zueinanderkommen konnte.

Informationen zum Buch:

Helmut Böttiger
Wir sagen uns Dunkles
Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan
DVA, München 2017
ISBN: 978-3-570-55416-6

11 Bücher, die frau gelesen haben sollte, bevor …

In einer Liste der Welt-Redaktion von „11 Büchern, die du bis zu deinem 30sten lesen solltest“ ist KEINES einer weiblichen Autorin. Da muss ich dagegenhalten.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Die Online-Kultur-Redaktion der Welt liebt derzeit offenbar Bücherlisten. Solche nach dem Motto „25 Bücher, die Sie gelesen ….blablabla“. Und das alles in einem locker-seichtem Unterhaltungston. Meist überfliege ich diese Art von Artikeln, doch einer der letzten dieser Art stieß in den sozialen Netzwerken auf viel Protest. Zurecht. Denn unter den „11 Büchern, die du bis zu deinem 30sten lesen solltest“ ist KEINES von einer weiblichen Autorin. Und das im Jahre 2016 – dass Frauen auch im Literaturbetrieb immer noch strukturell bedingte Benachteiligung erfahren, das ist hinlänglich bekannt. Aber man möchte doch meinen, dass es für die unter 30jährigen heute eine genügend große Auswahl an prägenden AUTORINNEN gibt? Und seit der „Zeit-Bibliothek der 100 besten Bücher“ (eine Frau auf der Liste) und dem männerlastigen Kanon Reich-Ranickis sind nun wirklich ein paar Jährchen vergangen …

Ich habe überlegt, welche 11 Bücher von Frauen ich gelesen habe, bevor ich 30 wurde (also vor 20 Jahren), die mich geprägt, beeinflusst, begeistert haben. Mir sind auf Anhieb zwei Dutzend und mehr eingefallen.

Aber ich beschränke mich mal auf die nachfolgenden elf Freundinnen – und stelle die Frage, welche Bücher von Schriftstellerinnen für euch bedeutend sind, in den Raum.

Virginia Woolf, Mrs. Dalloway, 1925: Zu sehen, wie im Laufe eines Tages die Fassade bröckelt, eine Frau sich und ihr Leben in Frage stellt, wie Verletzungen zu Tage treten – unter dem Eindruck dieses Romans überlegte ich mir kurz den Schwenk zu einem Psychologiestudium.

Anna Seghers, Das siebte Kreuz, 1942: Für mich eines der eindrücklichsten Bücher über Widerstand, Freiheitswillen vs. Diktatur. Und von Anna Seghers bin ich seither einfach nur beeindruckt.

Ilse Aichinger, Die größere Hoffnung, 1948: Wer sich selbst ein Visum gibt, wird frei. Einer der Schlüsselsätze, die hängengeblieben sind, auch drei Jahrzehnte später noch. Ein Buch, mit dessen spröder Sprache ich gerungen habe, das mir aber genau deswegen immer in Erinnerung bleibt.

Doris Lessing, Das goldene Notizbuch, 1962: Ganz zurecht eine „Bibel“ der Frauenliteratur – Doris Lessing beschreibt in diesem Roman ein Kernthema, den Versuch, Unabhängigkeit und den Wunsch nach Intimität zusammenzubringen. Da finden sich eigene Lebensthemen wieder.

Simone de Beauvoir, Memoiren einer Tochter aus gutem Hause, 1968: Das war mein erstes Buch, das ich von de Beauvoir las (und danach holte ich mir alle weiteren), 15 Jahre war ich alt und saß fortan auf gepackten Koffern.

Toni Morrison, Sehr blaue Augen, 1979: Toni Morrison – eine von 14 Frauen, die bislang den Nobelpreis für Literatur erhalten haben …Ihr Romandebüt: So zornig, so wütend, so packend – auch eine Anklage gegen die Welt der Männer, insbesondere der weißen Männer. Schärfte meinen Blick für gewisse Strukturen.

Ingeborg Bachmann, Malina, 1980: Ihr einziger Roman endet mit dem Satz: „Es war Mord“. Ein weibliches Ich verschwindet. Eigentlich ein trauriges Buch – die Frau erliegt  der Utopie der Liebe. Faszinierende Sprache, aber so traurig wollte ich nicht werden.

Monika Maron, Flugasche, 1981: Der stark autobiographische Roman erzählt vom Mut einer Frau, die als Journalistin bei der Recherche über Umweltverschmutzung in Bitterfeld von der Partei unter Druck gesetzt wird. Ich las das mit großer Hochachtung, wollte mir ein Stückchen Mut abschneiden.

Christa Wolf, Kassandra, 1983: Die Seherin, die sich langsam freimacht von falschen Bindungen, die immer unbeirrbarer und aufrechter wird, auch wenn der Preis der Tod ist. Eines dieser starken Bücher, die zu Lebensbüchern, zu einer Art ethischen Richtschnur wurden.

Marguerite Duras, Der Liebhaber, 1984: Dieses Buch zu lesen war in meinem Abitur-Jahrgang ein „Muss“. Exotik, Erotik. Erst ein späteres Wiederlesen, auch unter dem Eindruck der Lektüre von „Der Schmerz“, eröffnete mir einen anderen Blick auf die Autorin. Der Preis der Selbstbestimmung wird mit persönlichem Leid bezahlt.

Giaconda Belli, Bewohnte Frau, 1988: „Die Fackel ist entzündet“ – dieser Roman über Widerstand, Liebe und die Emanzipation einer Frau führte bei mir zu einigen Semestern Studium der lateinamerikanischen Literatur und zu einer anhaltenden Begeisterung für die Lyrik der Nicaraguanerin.

Und wer waren die Schriftstellerinnen, die euer Leseleben prägten?

Lutz Seiler: Die römische Saison

Römisches Abenteuer: Lutz Seiler erzählt von Schreibblockaden in der Villa Massimo und Fußballfreuden in der ewigen Stadt.

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Bild von Mauricio A. auf Pixabay

„Wozu die Qual? Der Gedanke, alles sein zu lassen, stand im Raum und beruhigte mich. Ich sah Rom, und Rom war der Ort, wo das Schreiben aufgegeben werden konnte. Auf dem Rückweg von V. zur Villa Massimo machte ich einen Umweg über die Via Aurelia. Ich rannte nicht mehr, der Ausblick über die Stadt und den Fluss wurde mir gereicht wie zur Belohnung nach Wochen sinnloser Qual, eine absurde Verkehrung der Dinge, sicher, aber das war egal. Noch einmal der sagenhafte Petersplatz, die gewaltige Kuppel, dann die Piazza del Risorgimento mit einem Reiterstandbild, ein Denkmal für die Arma dei Carabinieri.”

Lutz Seiler, „Die römische Saison“


Ingeborg Bachmann sagte in einem Fernsehinterview sinngemäß, in Rom sei sie eine bessere Wienerin. Zu jener Zeit schrieb sie bereits an „Malina“, jenem Roman über eine Schriftstellerin, die nicht am Schreiben, sondern am Leben zerbricht.
Aus einer räumlichen Distanz zu den Herkunftsräumen zu schreiben – manchen, wie der Bachmann, ist erst oder auch nur dieses möglich. Mit einigem Abstand meint man, man könne dieses einleiten:

„Phase 1: Rekonstruktions- und Vergegenwärtigungsarbeit, Aufbereitung der Erlebnismaterials, eine Art Erinnungsmaschinerie.“

Doch da sitzt Lutz Seiler, in diesem riesigen Atelier, einst für einen Bildhauer eingerichtet, in der Villa Massimo, verloren in dem riesigen Raum, verloren in der Fülle des Material, und es geht: nichts. Endlich hat er, was sich jeder Schriftsteller wünscht: Zeit, viel Zeit, um an seinem ersten Roman zu schreiben. Die Villa Massimo, eigentlich ein Ruhepol in der Hitze und dem Trubel der italienischen Metropole. Doch wer selbst schreibt, weiß, dass, hat einen erst das Monster namens „Blockade“ im Griff, alles zur Ablenkung und Störung gereichen kann: Der Fleck an der Wand. Die makellos weiße Wand. Die Größe des Raums. Die Enge des Raums. Die Stille. Die Geräusche der Gärtner vor dem offenen Fenster. Lutz Seiler will „Von Rom nach Hiddensee“ (so der Name der ersten Erzählung in diesem Buch) und kommt nicht weit.

„Und Rom, Roma, Roman – klang das etwa nicht nach einer beinah natürlichen Steigerung der Dinge? Stattdessen Krise. Herzrasen, Hitze, Schweißausbrüche und Schlaflosigkeit, Magenkrämpfe und zu hoher Blutdruck – was folgte, war die rasche Entfaltung des kompletten Spektrums meiner hypochondrischen Möglichkeiten, ähnlich übertrieben, wie das Scheitern des Romans mit dem Einsturz des Kolosseums zu vergleichen, der im Aberglauben der Römer den Untergang Roms und dieser wiederum das Ende der Zeiten bedeutet: lächerlich – und nein, kein Vergleich, natürlich nicht. Aber ein Schriftsteller, der nicht schreibt, ist nichts wert, vor allem vor sich selber nicht.“

Das Kolosseum ist nicht eingestürzt, Rom bleibt die „ewige Stadt“ und der Roman wurde, wie wir wissen, vollendet – grandios vollendet: „Kruso“, der erste Roman des Lyrikers und Erzählers, erschien 2014 und erhielt den Deutschen Buchpreis. Ein poetisches, sprachgewaltiges Buch – mit viel römischen Schweiß und Schlaflosigkeit erkauft. Eine begeisterte Besprechung von „Kruso“ findet sich beim „Kaffeehaussitzer“ (“Im Rausch der Sprache”).

Vom Überwinden der Schreibblockade

Wie Lutz Seiler seine Schreibblockade überwand? Durch Loslassen, durch Leben. Irgendwann während seines Aufenthaltes in Rom anno 2011 beschließt Seiler, nicht mehr hinter dem symbolträchtigen Schrank, den er sich im Atelier sozusagen als Schutzwall zum Schreibtisch gerückt hatte, zu sitzen. Er geht raus, erkundet die Stadt, begleitet den Sohn Viktor zum Fußballtraining (dieser Beschäftigung ist die zweite, herrlich amüsante Erzählung des Bandes, „Die römische Saison“, gewidmet). „Nebenbei“ beginnt er wieder zu schreiben und beinahe unmerklich werden zufällige Begebenheiten zur Inspiration, durch ein Geräusch, einen Zufall, verwandelt sich ein Ort in einem Augenblick „in einen Ort des Schreibens“.

Ein Freiluftkonzert, kurz übertönt von einem landenden Flugzeug, „- es war das übliche Getöse Roms, Krach gegen Kunst“, und in diesem Augenblick überschwappen Ostseewellen vor dem inneren Auge Lutz Seilers die Hosenbeine des russischen Generals, Krusos Vater, der seinen Sohn heimholen will:

„Und da stand er nun, in der Fülle seiner Macht, die jetzt gebrochen war auf die vielfältigste Weise. Ein Bild, das augenblicklich die ganze Geschichte enthielt, ein Bild, dem ich absolut vertrauen konnte, ein Portal, durch das ich gehen konnte, hinein in den Stoff dieser Zeit.“

Schöner Beinahe-Scheitern: Poetisch, humorvoll, nicht ohne Selbstironie erzählt Lutz Seiler von den Plagen des Schriftstellerdaseins. Eine Erzählung, die nicht nur Schreibende anspricht – denn sie beinhaltet eigentlich eine Allerweltsweisheit: Erzwingen lässt sich nichts. Erst ohne äußeren und inneren Druck wächst Kreativität. When in Rome, do as the romans do ….

Zwischen Bürokratie und Fußballkult

Beinahe ein stilistisches-sprachliches Gegenstück ist in diesem Band die zweite, oben bereits erwähnte Erzählung – fast schon eine Glosse über italienische Bürokratie, italienischen Fußballkult, das Geheimnis des „Catenaccios“. Bravo, Lutz! Durch diesen Text versteht man die Tränen Buffons noch einmal besser!

Zu einem Schmuckstück wird dieser Band des noch jungen Ulmer Verlags „Topalian & Milani“ ebenso durch die Gestaltung – das weckt Sammlerinstinkte und macht die Hoffnung auf mehr (im Herbst erscheinen in dieser Reihe zwei Novellen von Stefan Zweig). Den beiden Seiler-Erzählungen sind beigestellt Illustrationen von Max P. Häring (hier kann man sich einen Eindruck von seinen Arbeiten machen: http://www.maxhaering.de/), weit mehr als Ergänzungen zum Text, eigenständige Kunstwerke, die Rom in einem anderen Licht erscheinen lassen …

Zudem ist das gebundene Buch gedruckt auf handschmeichlerischem Munken-Papier, hochwertig und einfach schön gemacht!


Bibliographische Angaben:

Lutz Seiler
Die römische Saison
Topalian & Milani, 2016
ISBN 978-3-946-42303-4