Frage: Lieber Michael Kleinherne, „Lea“, eine deutsch-israelische Liebesgeschichte, eine deutsch-jüdische Liebesgeschichte – passt das in diese Zeit?
Michael Kleinherne: Liebesgeschichten passen in jede Zeit, und eine deutsch-jüdische vielleicht gerade in die heutige, in welcher die politischen Turbulenzen viele Dinge in Frage zu stellen scheinen. Dazu muss ich aber sagen, dass ich das Buch lange vor dem aktuellen Gaza-Konflikt und auch vor dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel, geschrieben habe.
Frage: Befürchten Sie, missverstanden zu werden?
Michael Kleinherne: Ich glaube, wer das Buch liest, wird mich nicht missverstehen. Es geht zuallererst um die Beziehung der beiden Hauptfiguren, danach spielt die deutsch-jüdische Geschichte eine Rolle und danach erst die schwierige Situation, in der sich Israel und die Palästinenser befinden. Doch das ist nur eine Hintergrundsache im Buch, die natürlich immer da ist, das schon.
Frage: Warum veröffentlichen Sie den Roman jetzt?
Michael Kleinherne: Ich habe den ersten Teil, der in Tel Aviv spielt, vor vielen Jahren geschrieben. Der zweite Teil, der in München spielt, entstand im Frühjahr 2022, in dieseer Zeit habe ich auch den ersten Teil noch einmal gründlich überarbeitet. Als im vergangenen Oktober der Überfall der Hamas geschah, mit den oben schon angesprochenen Folgen, überlegten der Verlag und ich erst, ob wir das Buch, das im Grunde fast fertig überarbeitet war, noch einmal verschieben sollten, doch letztlich dachte ich: das Buch ist fertig, warum soll es nicht erscheinen? Es ist kein Kommentar zur aktuellen Situation, obwohl die Vorgeschichte des nun so grausam eskalierten Konflikt natürlich in den Roman miteingeflossen ist.
Frage: Warum spielt der Roman in Tel Aviv und nicht in Jerusalem?
Michael Kleinherne: Die Geschichte passte meiner Ansicht nach besser in die lebenslustige, sehr weltliche Stadt Tel Aviv als in das sehr von Religion und Historie geprägte Jerusalem.
Frage: Was sind Ihre Erinnerungen an Tel Aviv?
Michael Kleinherne: Ich selbst war vor mehr als 30 Jahren dort, weshalb der erste Teil des Romans auch zu jener Zeit dort spielt. Denn das Tel Aviv, das ich damals erlebt habe, soll hier abgebildet werden. Meine Erinnerungen sind gute, es ist eine sehr lebendige, aber auch etwas stressige Großstadt am Mittelmeer. So habe ich es damals erlebt.
Frage: Martin begegnet in Gestalt von Leas Großvater seiner deutschen Vergangenheit. Er durchsucht seine Familiengeschichte und zögert, traut sich nicht so recht wirklich zu graben. Es wirkt, als würde er lieber alles vergessen und einen Neuanfang machen wollen.
Michael Kleinherne: Ja, das ist wohl richtig gesehen. So kenne ich das von vielen Familien in Deutschland, auch von meiner eigenen. Was damals war, davon spricht man auch heute noch nur ungern. Auch in meiner Familie, wie in der von Martin, wurde sehr viel von der Flucht aus Schlesien, vor allem aber von dem Leben dort zuvor erzählt. Die NS-Zeit spielte in den Erzählungen keine Rolle. So sind die kollektiven Erinnerungen daran heute sicher in vielen Familien nicht sehr sichtbar, da diejenigen, die heute noch davon erzählen könnten, bald nicht mehr da sind.
Frage: „Vergeben“ ist ein großes Wort, es sagt sich manchmal so leicht, aber ist es wirklich möglich?
Michael Kleinherne: Eine gute Frage, die ich nicht wirklich beantworten kann. Ob Leas Großvater Martin, dem jungen Deutschen, wirklich vergeben hat? Es scheint so, aber wir wissen es nicht wirklich. Ob man vergeben kann, wissen wohl nur diejenigen, denen damals Leid angetan wurde.
Frage: Ihrer männlichen Hauptfigur wird durch das Wiedersehen mit seiner ‚alten‘ Liebe klar, dass seine Ehe keine Zukunft hat. Braucht es diese äußeren Anlässe?
Michael Kleinherne: Manchmal ist das wohl so. Hier haben wir ja den Fall, den ich auch von einigen Freunden kenne, dass die Ehe vor allem durch das gemeinsame Kind noch am Leben erhalten wird. Man will sich nicht trennen, um dem Kind nicht wehzutun. Wenn dann aber von außen etwas in die Ehe hineingerät, wird es sehr schwer, den Schein länger aufrecht zu erhalten. Und es wird spannend, wie sich die Dinge entwickeln. So wie es auch in diesem Roman der Fall ist, als Lea plötzlich in Martins Heimatstadt München auftaucht.
Mehr zum Roman „Lea“ findet sich unter diesem Link:
https://birgit-boellinger.com/2024/04/21/michael-kleinherne-lea/