Olga Tokarczuk: Gesang der Fledermäuse

Veronika Eckl meint: Mit dem Roman „Gesang der Fledermäuse“ ist Olga Tokarczuk die Frau der Stunde. Sie feiert die Tiere und betrachtet Menschen mit Skepsis.

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EIN GASTBEITRAG VON VERONIKA ECKL

In den Tagen der Corona-Stille schlug die Stunde der Tiere. Die Vögel sangen sich die Seele aus dem Leib, ganz ungestört von Flugzeugen und morgendlichem Verkehrslärm. Auf den Feldern standen ohne Scheu die Rehe, und durch die Parks in den Städten konnte man mit etwas Glück wilde Hasen hoppeln sehen. Es war, als ob die Natur aufatmen würde, und es ist auch jetzt noch, da die Betriebsamkeit wieder zurückgekehrt ist, die richtige Zeit, um Olga Tokarczuk zu lesen, die polnische Literaturnobelpreisträgerin, die die Tiere feiert und den Menschen mit einer großen Portion Skepsis gegenübersteht. Ihr Roman Gesang der Fledermäuse erschien in Polen schon lange vor der neuen Pandemie-Zeitrechnung, nämlich 2009, bevor wir wussten, was Kontaktbeschränkungen sind und begannen, Waldspaziergänge zu unternehmen, statt uns in Kinos und Bars zu vergnügen.

Der Kommissar, die Rehe und der Kostümball der Pilzsammlergesellschaft

Jetzt ist Tokarczuk die Frau der Stunde. Denn die Heldin ihres skurrilen kleinen Kriminalromans, oder vielmehr der Parodie eines solchen, macht uns vor, wie man bescheiden, fern vom geschäftigen Treiben der Welt und doch heiter lebt: Inmitten einer Natur, die das Einkaufszentrum ersetzt, das Fitnessstudio und ja, auch menschliche Gesellschaft. Kontaktbeschränkungen jedenfalls wären für Janina Duszeijko kein Problem. Die ehemalige Brückenbauingenieurin, die auf einem einsamen Hochplateau an der polnisch-tschechischen Grenze wohnt, dort im Winter auf die Ferienhäuser der Sommerfrischler aus der Stadt aufpasst und in der Dorfschule Kindern Englisch beibringt, kommt gut mit sich allein zurecht. Sie studiert den Sternenhimmel und erstellt Horoskope, beobachtet die Natur im Wechsel der Jahreszeiten und hält die Einsamkeit in dieser Gegend ohne anständig funktionierendes Mobilfunknetz viel besser aus als die Tatsache, dass der Nachbar Rehe in Drahtschlingen fängt und die Füchse in der nahen Fuchsfarm in ihren Käfigen leiden. Den örtlichen Polizeibeamten geht die ältere Dame gewaltig auf die Nerven, weil sie die Tierquälerei hartnäckig zu Protokoll gibt und überdies aus ihrer Abneigung gegen die Jagd keinen Hehl macht – und das in einer Gegend, in der es vor begeistert Fasane und Rehe schießenden Männern nur so wimmelt. Sogar der Pfarrer geht auf die Pirsch.

Olga Tokarczuk entführt in eine bizarr anmutende Welt

Es ist eine bizarr anmutende Welt, in die Tokarczuk ihre Leser da mitnimmt, eine, in der die Menschen, die mit ihren teuren Jeeps auf das Hochplateau kommen, sich die Natur ohne viel Federlesens untertan machen und in der die Tiere sich gleichzeitig fast unbemerkt der Lebensräume der Menschen bemächtigen. Im Ferienhaus des Professors schlafen Fledermäuse, in dem der Schriftstellerin leben Marder, und immer wieder finden sich im Schnee Spuren von Rehklauen. Janina ist mit den Tieren und Pflanzen mehr auf einer Wellenlänge als mit den Menschen, äußert sich zu ihrem eigenen Gesundheitszustand so: „Ich war schwach wie ein im Keller gewachsener Kartoffeltrieb.“ Sie weiß, wann welche Blumen die Farben in den Wiesen explodieren lassen und kennt den Fuchs, der sie zu gewilderten Wildschweinkadavern führt, als wäre sie eine Anwältin der Natur.

Kein Wunder also, dass Janina eine gewisse Faszination und Genugtuung verspürt, als zunächst ihr Nachbar an einem Rehknochen erstickt, dann der Kommissar tot in einem Brunnen gefunden wird und schließlich auch noch der Besitzer der Fuchsfarm ums Leben kommt. Ihre These, mit der sie ihre ganze Umgebung und natürlich die Polizei nervt: Die Tiere haben ihre Peiniger ermordet, aus Rache. Da stöhnen sogar ihre einzigen Freunde, ihr ehemaliger Schüler Dyzio und die Secondhand-Laden-Besitzerin Buena Noticia aus der Stadt. Nur so viel sei verraten: Zum Showdown kommt es beim Kostümball der Pilzsammlergesellschaft „Der Steinpilz“.

Zivilisationskritik und Naturmystik

Das alles ist ganz unerhört und immer wieder sehr lustig – man muss erst einmal auf die Idee kommen, dem Pfarrer Zitate aus authentischen Predigten von Jagdpriestern in den Mund zu legen – hat aber ein solides pessimistisch-zivilisationskritisches Fundament. „Die Tiere sagen etwas über das Land. Die Beziehung zu den Tieren verrät, wie es um das Land bestellt ist“, schleudert Janina den Polizeibeamten ins Gesicht. Zusammen mit ihrem ehemaligen Schüler übersetzt sie die Gedichte des englischen Dichters und Naturmystikers William Blake; einem jeden Kapitel des Romans ist ein Zitat aus seinen Werken vorangestellt. Damit reihen sich die Protagonistin und ihre wenigen Vertrauten ein unter die Menschen, die, wie es Blake geschah, von ihren Zeitgenossen als Spinner abgetan werden.

Tokarczuks Sympathie gilt den Schrulligen und Sonderlingen. Klar, dass nur eine so einzigartige Gestalt wie der Insektenforscher Borys Janinas Herz erobern kann – für ein Paar Tage wird der Wissenschaftler, der auf der Hochebene nach dem Scharlachkäfer sucht, ihr Liebhaber. Dass er fortgeht und sich nicht mehr meldet, nimmt sie stoisch hin; das Schlechte im Menschen überrascht eine Janina Duszeijko nicht mehr. Spätestens hier wird klar, dass auch das Altern ein großes Thema des Romans ist. Die selbsternannte Einsiedlerin hat offensichtlich beschlossen, bei der großen Jagd aufs große Glück nicht mehr mitzumachen und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen: „Wenn ich auf meinen Rundgängen über die Felder und das Brachland gehe, dann stelle ich mir gerne vor, wie das alles in einer Million Jahren aussehen wird. Wird es dann noch die gleichen Pflanzen geben? Und die Farbe des Himmels, wäre sie noch genauso wie heute?“, fragt sie sich, um gleich darauf in gelassener Resignation festzustellen; „Meine Bemühungen hier sind so gut wie nichts, sie haben auf der Spitze einer Stecknadel Platz, so wie auch mein Leben. Das muss ich mir vor Augen halten.“

Und der Mörder? Ach, egal. Viel wichtiger ist, dass man nach der Lektüre dieses Romans Lust hat, in Janinas Gesellschaft in einer Tasse Schwarztee zu rühren, aus ihrem Mund noch mehr solche Sätze zu hören und sich von ihr ein Horoskop erstellen zu lassen. Mal sehen, was die Zukunft so bringt.


Informationen zum Buch:

Olga Tokarczuk
Gesang der Fledermäuse
Aus dem Polnischen von Doreen Daume.
Kampa Verlag, 307 Seiten, 24,00 Euro


Über die Autorin dieses Beitrags:

Veronika Eckl studierte Romanistik und Germanistik. Es folgten journalistische Lehr- und Wanderjahre bei der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, der »Katholischen Nachrichten-Agentur« und beim »Bayerischen Rundfunk«. Nach ihrer Redakteursausbildung ging sie nach Rom, wo sie längere Zeit als Journalistin arbeitete und das Latium für sich entdeckte. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Lehrerin für Deutsch, Französisch und Italienisch.

Olga Tokarczuk: Die Jakobsbücher

Überwiegend wurden „Die Jakobsbücher“ im Feuilleton als „Opus Magnum“ der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk gefeiert, als ein Roman, der vor allem in Polen – wo das Buch ja auch bei Nationalisten auf heftigen Widerstand und zu Bedrohungen der Autorin führte – zu einem neuen, anderen Blick auf die europäische und polnische Geschichtsschreibung führt. Mich ließ das jüngste Werk der Literaturnobelpreisträgerin jedoch etwas ratlos zurück.

Bild: Michael Flötotto

Überwiegend wurden „Die Jakobsbücher“ im Feuilleton als „Opus Magnum“ der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk gefeiert, als ein Roman, der vor allem in Polen – wo das Buch ja auch bei Nationalisten auf heftigen Widerstand und zu Bedrohungen der Autorin führte – zu einem neuen, anderen Blick auf die europäische und polnische Geschichtsschreibung führt. Mich ließ das jüngste Werk der Literaturnobelpreisträgerin jedoch etwas ratlos zurück.

Zugegeben: Sprachlich und stilistisch (offenkundig auch eine Meisterleistung der Übersetzer Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein) ist dieses Mammutwerk faszinierend. Olga Tokarczuk führt einen auf den Spuren des Sektengründers Jakob Frank auf „eine große Reise über sieben Grenzen, durch fünf Sprachen und drei große Religionen, die kleinen nicht mitgerechnet“, wie es der opulente Untertitel des Romans besagt.

Barockspektakel aus Polen

Das „Barockspektakel“ (so Insa Wilke im WDR als eine der wenigen kritischen Stimmen) entfaltet an der Figur dieses Mannes ein Bild vom jüdischen Leben in Polen im 18. Jahrhundert, von der Verfolgung des Judentums zwischen willkürlichen Pogromen und den Versuchen zur Emanzipation oder auch Anpassung. So zeigen die Jakobsbücher auch die Wanderungsströme der Menschen durch Europa und den Orient nach – Frank selbst tritt beispielsweise zwischenzeitlich zum Islam über, bis er seine Anhängerschaft in das Christentum und nach Offenbach am Main führt (hier begegnet er übrigens auch Sophie von La Roche, eine der vielen Personen, die im Roman ihren Auftritt haben).

„Die Jakobsbücher“ bewegt durch eine Recherche, die jüdische Geschichte als europäische Geschichte festschreibt – und es bestürzt durch die Einsicht, dass Wissen allein nicht klug macht“, urteilt Amelia Wischnewski im NDR. Dem kann ich zustimmen. Und dennoch ließ mich die zweiwöchige Lektüre unzufrieden zurück: Warum so viele Menschen auf den faulen Zauber eines Jakob Frank hereinfielen, welche Faszination der Mystizismus  vor allem auf die Ärmsten ausübte, die ihn als Ausweg aus ihrem irdischen Leid begreifen mussten, all dies geht in der Fülle des Romans unter und wäre doch das Kernmotiv.

Für den noch jungen Kampa Verlag, der seit einiger Zeit die Werke von Olga Tokarczuk in deutscher Sprache wieder auflegt beziehungsweise neu herausgibt, war die Verleihung des Literaturnobelpreises an die polnische Schriftstellerin ein Glücksfall. Für die Leserinnen und Leser ist es dies auch – aber ich würde zum Einstieg andere Bücher von ihr empfehlen, unter anderem „Unrast“, das mich vor Jahren wirklich begeisterte oder den von Veronika Eckl besprochenen „Gesang der Fledermäuse“.


Informationen zum Buch:

Olga Tokarczuk
Die Jakobsbücher
Kampa Verlag
Aus dem Polnischen von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein
1184 Seiten | Gebunden |42,00 Euro
ISBN 978 3 311 10014 0 | Auch als E-Book

Kathleen Collins: Nur einmal

Zu Lebzeiten hatte die afroamerikanische Künstlerin Kathleen Collins keinen Erfolg. Doch in der Trump-Ära treffen ihre Werke auf einen Nerv.

„Okay, leuchten wir die Nacht ein. Ich will einen Spot auf dem großen Doppelbett, das fast den ganzen Raum einnimmt. Und einen kleinen auf den mit Jute bespannten Nachttisch. Okay, jetzt ein Licht auf den Schreibtisch mit den vielen Notizbüchern, Papieren und dem ganzen Kram. Gut so. Dann ein Spot auf das Sofa, das eigentlich nur aus ein paar Kissen besteht. Und jetzt ein schöner weicher Tupfer auf den jungen Mann, der am Schreibtisch seine Gedichte verfasst oder liest. Und noch einer auf die junge Frau, die am Herd steht und Kakerlaken erschlägt.“

Kathleen Collins, „Nur einmal“

Spot an: Schon mit den ersten Worten wird klar, wie multitalentiert Kathleen Collins (1942 – 1988) gewesen sein muss. Schriftstellerin, Drehbuchautorin, Cutterin, Regisseurin: Jede Erzählung wie ein Kurzfilm, ihr Gespür für Szenen, Augenblicke, Momentaufnahmen dringt durch alle Zeilen. Doch erst drei Jahrzehnte nach ihrem viel zu frühen Tod – Kathleen Collins verstarb 46-jährig an einer Krebserkrankung – kamen ihre Texte ans Licht, wird ihr Talent gewürdigt. 2016 unter dem Titel „Whatever Happened to Interracial Love?“ in den USA erstmals veröffentlicht, wurden ihre Erzählungen, die bis dahin von ihrer Tochter in einer Art Seemannskiste aufbewahrt worden waren, zu einer Sensation.

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Was macht die Besonderheit dieser 16 Texte aus, die überwiegend um Schriftstellerinnen und Dichter, Malerinnen und Künstler, um Intellektuelle kreisen, die von den Schwierigkeiten der Liebe handeln und der Kluft zwischen den Rassen? Die, obwohl oftmals so knapp und spröd im Tonfall, doch so plastisch die fieberige Hitze New Yorks in den Sommern der 1960-er Jahre heraufbeschwören?

Diskussionen am Küchentisch

Zum einem ist es die Sprache: Oft intim und privat, als würde man als Leserin von der Autorin direkt angesprochen und in eine Diskussion in einem Loft oder in ein Gespräch am Küchentisch, irgendwo in einer Mittelstandssiedlung, miteinbezogen. Im Nachwort zur deutschsprachigen Ausgabe schreiben Verleger Daniel Kampa und Cornelia Künne:

„Collins` Erfahrungen als Filmemacherin zeigen sich in ihrer erzählerischen Experimentierfreudigkeit. Dialoge, Regieanweisungen, schnelle Schnitte überraschen den Leser, und oft fühlt man sich bei der Lektüre wie inmitten einer imaginären Kamerafahrt.“

Zum anderen aber treffen die Geschichten mitten ins Herz und voll auf einen Nerv, der in den Vereinigten Staaten unter Trump so offen wie lange nicht wieder daliegt: Die Tatsache, dass es von rechtlicher und politischer Gleichberechtigung zu wirklicher Gleichstellung ein weiter Weg ist. Dass die Rassentrennung zwar Jahrzehnte qua Gesetz schon aufgehoben ist, aber in den Köpfen weiter existiert.

Hochphase der Bürgerrechtsbewegung

Als Kathleen Collins ihre Erzählungen schrieb, durchlebte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung ihre erste Hochphase. Auch Kathleen Collins hatte sich dem Civil Rights Movement angeschlossen und war politisch aktiv. Doch davon erzählt sie nicht – sondern davon, wie das Politische in das Private hineinwirkt und vice versa. Was sie, die junge afroamerikanische Intellektuelle an gesellschaftlichen Veränderungen in ihrem Umfeld, dem kreativer junger Leute in New York, erlebte – deutlich wird dies vor allem an der Erzählung, die der amerikanischen Ausgabe ihren Titel gab – schlägt sich in ihren Stories nieder. Und macht sie so aktuell: Denn überwunden sind die Grenzen, die sich zwischen Bevölkerungsgruppen auftun und in Familien, Beziehungen und Liebesgeschichten zu spüren sind, noch lange nicht.

Besonders bewegend war für mich die Erzählung „Tote Erinnerungen … tote Träume“: Ein Kind ist hin- und her gerissen zwischen der Ursprungsfamilie ihrer früh verstorbenen Mutter, deren ganzer Stolz es ist, seit Generationen besonders hellhäutig zu sein. Der Vater, ein Bestattungsunternehmer (wie auch Kathleen Collins` Vater es war), ist den Angehörigen „zu dunkel“. Wie er sich bemüht, in dieser Familie Anerkennung zu erwerben, das ist herzzerbrechend geschildert.

Enorme Anpassungsleistungen erfordert

Die Anpassungsleistungen, die Afroamerikaner in vielfacher Hinsicht leisten mussten, um sich einen Platz in der amerikanischen Gesellschaft zu erobern, thematisiert die Autorin in verschiedenster Weise. Aus „Die glückliche Familie“:

„Wie weit muss ich ausholen, damit Sie die Zusammenhänge verstehen? Ich kannte Ralph schon seit so vielen Jahren. Er war geradlinig, ehrgeizig, bildungshungrig. Er und Lillie hatten `42 geheiratet, gleich nach seiner Entlassung aus der Navy. Ihm fehlte die elitäre Prägung, die Lillie ihre Anmut und ihren Charme verlieh. Er war irgendwo im Süden von New Jersey aufgewachsen, als Sohn einer Arbeiterfamilie, und hatte sich jeden Erfolg hart erkämpfen müssen. Selbst in der Zeit, die ich hier schildere, gab es im Hochschulbetrieb kaum Schwarze, und er litt sehr darunter, litt unter dem ständigen Druck, besser sein zu müssen als andere, um als Gelehrter anerkannt zu sein.“

Freiheit und Gleichberechtigung sind jedoch nicht nur Thema zwischen den Rassen, sondern auch zwischen den Geschlechtern. In „Rettungsleinen“ schreibt sie von einer Frau, die von ihrem getrennt lebenden Ehemann auch aus der Ferne noch am Gängelband gehalten wird. In „Rückzug“, das auch an Toni Morrisons letztes Buch „Gott, hilf dem Kind“ erinnert, bringt sie beide Metathemen zusammen:

„Ich bilde mir nichts darauf ein, aber ich war die erste Farbige, die er ernsthaft als Geliebte in Betracht zog. Das weiß ich. Die erste, die über das Savoir-vivre verfügte, das ihm so unermesslich wichtig war. Die erste mit Stil, Geschmack, Eleganz, Witz und einem Faible für Lyrik und Haute Couture. Eine Farbige mit Stil ist nämlich immer noch die Ausnahme und eine Farbige, die Stil, Geschmack, Eleganz und Witz mit einem Faible für Lyrik und Haute Couture verbindet, muss man wahrlich mit der Lupe suchen. So etwas lässt sich nicht anerziehen.“

Frauen haben auf jeden Fall das Nachsehen

Doch auch wenn die Frauen in diesem Buch zu der „verblüffenden Erkenntnis“ gelangen, dass sie jeden heiraten könnten – (…) „nicht nur einen farbigen Arzt/Anwalt/Lehrer/Professor, sondern jeden. Einen mexikanischen Lastwagenfahrer. Einen japanischen Psychiater. Einen südafrikanischen Journalisten. Jeden. Sogar einen Weißen“ -, sieht die Realität anders aus: Die Beziehungen, ob gemischtrassig oder nicht, sind in diesen Erzählungen zum Scheitern verurteilt, die Männer, oft offen oder versteckt aggressiv, kommen mit den gesellschaftlichen Umbrüchen weitaus schwerer zurecht als das weibliche Geschlecht. „Dort gibt es nichts zu holen“ zieht die Protagonistin eines One-Night-Stands in der Erzählung „Treatment für eine Story“ nüchtern Bilanz.

Wie die beiden Nachwort-Autoren deutlich machen, verwebte Kathleen Collins Autobiographisches in ihren Erzählungen: „ihre Kindheit, ihre Zeit als Studentin und ihr Engagement in der Bürgerrechtsbewegung, ihre frühen, holprigen Affären, ihre schwierigen Beziehungen zu schwierigen Männern, persönliche Niederlagen und den Willen, sie zu überwinden.“

Die starke Stimme einer starken Frau. Schade, dass sie zu Lebzeiten nicht gehört wurde. Vielleicht aber brauchte es die Trump-Ära, um diese Künstlerin dem Vergessen werden zu entreißen. Oder vielmehr: In der Trump-Ära werden gerade solche Stimmen dringend gebraucht.

Informationen zum Buch:

Kathleen Collins
Nur einmal
Übersetzt von Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg
Kampa Verlag, 2018
ISBN: 978 3 311 10002 7

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