Marco Kerler: Als hätte sie eine Kirche entweiht

Gegenwärtige, unmittelbare Poesie: Die Gedichte von Marco Kerler erzählen von den großen Emotionen in unserer heutigen Welt.

Bild: Birgit Böllinger

Vergiss nicht:
Ringe hinterlassen
einen weißen Fleck am
Finger wenn man sie
ablegt ist das Land
noch unentdeckt

Marco Kerler/ Michael Blümel: „Als hätte sie eine Kirche entweiht“


Beinahe zart und bedächtig erscheint dieses Gedicht in einem Band, der eine „Atmosphäre des Rauschens“, berauschter Nächte, suchender Tage, zwischen Feier und Verlust hinterlässt. Nicht nur von fernher erinnern die Themen an Charles Bukowski – denn „Unser gemeinsamer Song war ein Bukowski Gedicht“.

Das ist sehr gegenwärtige, unmittelbare Poesie, ihre Melancholie wie ein Kater nach durchwachter Nacht. Sie ist den Emotionen auf der Spur, die uns durch die Nächte und Tage treiben:

Jede Frau die ich
berühre stirbt an
deiner Schönheit

Immer wieder werfen die Gedichte Marco Kerlers auch die Frage danach auf, was Poesie ist – sie ist eben nicht nur in dem Schönen, Guten und Wahren zu finden, sondern auch

im Aschenbecher im Einer in
Baumkronen Augenringen
auf Herdplatten

Davon zeugt auch die Produktivität des 1985 in Ulm geborenen Lyrikers, der bereits mehrere Bände veröffentlichte, seine Gedichte per SMS an Freunde verschickt, die ihm am Herzen liegen und seit 2018 zudem jeden Samstag eines für die Buchhandlung Aegis in Ulm schreibt.

Für diesen Band wurde jedes Gedicht von Michael Blümel illustriert, kraftvoll, detailreich, meist etwas düster.


Informationen zum Buch:

Marco Kerler/Michael Blümel
Als hätte sie eine Kirche entweiht
Rodneys Underground Press (RUP)
Softcover, 96 Seiten, 44 Gedichte, 44 Zeichnungen, 11,00 Euro

50 Jahre unabhängig, unerwartet, unbeirrt – der MaroVerlag

Ein Verleger mit Eigensinn: Vor 50 Jahren gründete Benno Käsmayr den MaroVerlag. Und seither bleibt er seinem Konzept des unabhängigen Verlegens treu.

Sarah Käsmayr bekam das Literatur-Gen von ihrem Vater mit: Sie bilden den Augsburger MaroVerlag. Alle Bilder: Birgit Böllinger

Eigentlich begann alles mit einem kleinen Schwindel. Weil er unbedingt auf ein Gymnasium wollte, die Eltern aber dagegen waren. Also lockte der junge Benno die Frau Mama mit der Anzeige eines katholischen Internats und der vagen Aussicht, man könne ja vielleicht irgendwann einen Pfarrer in der Familie haben.

Da saß er nun, in Dillingen a.d. Donau, und fühlte sich völlig fehl am Platz. „Ich habe mich aus allem ausgeklinkt und nur eines getan: Lesen, lesen, lesen.“ Und eben nicht katholische Erbauungsliteratur, sondern all das, was zu jener Zeit neu und wild war, beeinflusst von der Literatur der Beat Generation. „Wir im Internat und draußen die freie Welt – die Literatur hat mich gerettet“, erzählt Benno Käsmayr heute.

Ein Pfarrer wurde aus dem Augsburger nicht, aber aus dem Lesen und der Leidenschaft für Literatur folgte der nächste logische Schritt: 1969 gründete er mit seinem Freund Franz Bermeitinger, den er aus dem Internat kannte, einen eigenen Verlag. „MARO“, zusammengesetzt aus den Vornamen zweier Brieffreundinnen, hieß der Kleinbetrieb, und damals wie heute galt das Motto, Bücher zu verlegen, die „man sonst nicht findet.“

Die erste Publikation: „Das große Scheißbuch“, ein wildes Kompendium aus Bildcollage und Dichterparodien. Immerhin verkaufte sich das „Scheißbuch“ für fünf Mark einige Male und bildete damit den Grundstock für die Herausgabe einer eigenen Literaturzeitschrift: „UND – zeitschrift für angebliche literatur und andere branchenunübliche kommunikationsformen in dementsprechender aufmachung“. Neben dem Studium arbeitete Benno Käsmayr noch in einer Druckerei, die sich vor allem auf Dissertationen spezialisiert hatte, da konnten dann – im Tausch gegen Arbeitszeit – die ersten Maro-Veröffentlichungen gedruckt werden.

„Wir sind da eigentlich so reingestolpert, der Franz und ich“, erzählt Käsmayr aus den Anfängen, „wir haben uns zum Beispiel nicht gefragt, wieviel Arbeit in einem Projekt steckt, sondern auf der Basis kalkuliert, was wir selber zahlen würden.“ Neben Überzeugung und Leidenschaft gehört jedoch auch eine Portion Glück dazu – und das hatten die beiden, als sie einen Einkäufer der Montanus-Buchfilialen, der ersten deutschen Buchhandelskette, die später mit Thalia zusammenging, trafen. „Der fand das, was wir machten, zwar anarchistisch und ein wenig lausig, aber meinte, das würde den Zeitgeist ansprechen und ein bestimmtes Publikum in ihren Läden.“

Der große Durchbruch für den Verlag kam mit ihm – Charles Bukowski.

Damit war aber auch klar: Jetzt war „Maro“ in der Produktionskette drin. Dennoch hätte sich der Verlag vielleicht nicht halten können, hätte es 1974 nicht dieses Buch gegeben: „Gedichte, die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang.“ Carl Weissner, der Übersetzer und Kenner der amerikanischen Underground-Literatur, war zuvor schon bei großen Verlagen mit den Gedichten von Charles Bukowski abgeschmettert worden, als er zu Maro damit kam. Unter welch teilweisen abenteuerlichen Bedingungen das Buch gedruckt wurde, erzählte Käsmayr unter anderem 2008 in einem Interview mit „Zeit Online“.

Charles Bukowski und Maro: Eine Erfolgsgeschichte

Zunächst blieb die Nachfrage überschaubar, bis einige Literaturkritiker und Kenner für Bukowski trommelten. Rund 150.000 Exemplare von Bukowski-Büchern hat Maro verkauft – kein Wunder also, dass der Name des amerikanischen Schriftstellers eng mit dem Augsburger Verlag verbunden ist. Käsmayr traf ihn 1978 bei der legendären Hamburg-Lesung und vergrub zwei Jahre später mit ihm Mandarinen im kalifornischen Garten – aber das sind nur einige der vielen Geschichten und Anekdoten, die der Augsburger zu erzählen hat. Das wäre schon noch ein eigenes Buch wert.

Bis hin zu der Szene, wie Käsmayr unter der Druckmaschine liegt, dort etwas repariert, und ihm das wild klingelnde Telefon zugeschoben wird: „Plötzlich gaben sich die großen Verlage buchstäblich die Klinke in die Hand, alle wollten die Taschenbuch-Lizenzen für Bukowski.“ Auch das war für den Jungverleger etwas Neues, auch daraus lernte er, wie der Markt funktioniert, „aber auch, was ich für meinen Verlag nicht wollte.“

Reich geworden ist der Verleger, der das deutschsprachige Publikum mit Charles Bukowski, John Fante und Harold Norse bekannt machte und unter anderem mit Tiny Stricker und Jörg Fauser die „jungen Wilden“ der 1970er-Jahre publizierte, in den 50 Jahren Maro-Verlagsgeschichte nicht. „Unabhängig – unerwartet – unbeirrt“ zu sein und zu bleiben, das funktionierte nicht nur, weil der Verleger das „Spontitum“ der 68er-Generation mit  schwäbischen Charakterzügen vereint, sondern auch, weil lange Jahre eine eigene Druckerei für den Familienunterhalt mit sorgte und das Ganze als Familienbetrieb läuft: Tochter Sarah, die ebenfalls ein tolles Gespür für besondere Bücher hat, ist in den Verlag eingestiegen und aus den Interessen ihrer Mutter entstand eine Textilbuchreihe – was man auf den ersten Blick bei Maro nicht vermuten würde, die jedoch Umsatz in die Betriebskasse bringt.

Aus Überzeugung Kleinverlag

Erst 2017 wurde der Verlag mit dem Preis für einen unabhängigen Verlag durch den Freistaat Bayern ausgezeichnet –  die Bezeichnung „Kleinverlag“ scheuen die „Maroaner“ nicht. „Mir ist es lieber, ein gutes denn ein großes Programm zu machen“, sagt Benno Käsmayr. Dazu gehört auch, die alten Titel nach Möglichkeit lieferbar zu halten, nachdrucken zu können.

In einem Interview mit Frank Schäfer in der Zeit Online sagte Benno Käsmayr 2008:

„Es gab dann später durchaus Übernahmeversuche, da kamen Leute, die das Handwerk gelernt hatten und bei mir einsteigen wollten. Als die dann aber sahen, welche Philosophie ich habe, sind die alle wieder abgesprungen. Ich will ja auch die alten Titel, etwa von Tiny Stricker und anderen, nach Möglichkeit immer lieferbar halten. Die gehen ja davon aus, bei einer Auslieferung verursacht jeder Titel jeden Monat so und so viel Lagerkosten. Deshalb gibt es ja dieses Verramschen, Kaputtmachen, Makulieren, oder wie die das nennen, das habe ich ja nie gemacht. So ticke ich nicht.“

Ein Verleger, der am liebsten alles selber macht – bis zur Auslieferung mit handschriftlichem Gruß an den Kunden.

Das Interview beendet den 2016 erschienenen Sammelband „Marotte“, optisch und handwerklich ein beispielhaftes „Maro“-Buch: Gestaltet von Design-Studierenden der Hochschule-Augsburg, sorgfältig gedruckt und mit farbig gestalteten Einlegern versehen. „Marotte“ versammelt Texte zahlreicher Maro-Autoren, darunter auch die herrliche Geschichte von Barbara Kalender und Jörg Schröder über ihren ersten Kontakt zu Benno Käsmayr, der ihnen in einem Brief vorkalkuliert, wie man ein Buchprojekt wirklich durchzieht. Ihre Charakterisierung ist herrlich – und auch treffend, wie ich bei meinem Verlagsbesuch feststellte. Ich hatte mich – nichtsahnend – für 13.00 Uhr bei den Käsmayrs verabredet und fand eine Szene vor, wie sie Jörg Schröder beschreibt:

„In der Buchbinderei stand außerdem eine zusammengewürfelte Küchenzeile mit Kühlschrank, Herd, Spüle und Geschirrspülmaschine, und der große Resopaltisch vor den Küchenschränken wurde nicht nur zum Zusammentragen von Druckwerken benutzt, sondern auch – nicht gerade im Sinne der Berufsgenossenschaft – zum  Mittagessen für die ganze Mannschaft. Wir (…) erfuhren, dass jeder Mitarbeiter mal mit dem Kochen dran sei. Um eins wurde gemeinsam gegessen. Das gefiel uns gut, selbst ohne syndikalistischen Überbau.“

Die Tradition des gemeinsamen Mittagessens gibt es bis heute noch – und ich wünsche dem MaroVerlag, dass der Tisch, an dem man lecker schmausen kann und einfach gute Literatur serviert bekommt, noch lange Jahre gedeckt ist!

Weitere Informationen:

Homepage des MaroVerlags: https://www.maroverlag.de/

Verlagsportraits bei Deutschlandfunk Kultur und der Süddeutschen Zeitung.

Rezensionen aus dem Verlagsprogramm:

John Fante: Voll im Leben

Mit dem ersten Kind steht er plötzlich „voll im Leben“: John Fante, endlich wiederentdeckt, mit einem tragisch-komischen Erzählstück seiner Biographie.

„Hier ist es. Das, wovon ich geträumt habe.“
Er bückte sich und zog ein Büschel wilden Klatschmohn aus der Erde. Die Blumen kamen mit Wurzeln und allem heraus, die schwarze klebrige Erde umarmte die Wurzeln. Er zerdrückte die Wurzeln in der Faust, und die warme feuchte Erde nahm die Form seiner Hand an.
„Hier wächst alles. Pflanz einen Besenstiel und er wächst.“
Ich verstand den Sinn all dessen.
„Willst du es haben, Papa? Willst du das Land kaufen?“
„Nicht für mich“, grinste er und stampfte auf.
„Für das Baby. Hier wird er leben, der Junge. Genau hier.“ Er stampfte noch einmal auf. „Davon träume ich. Du und Miss Joyce und der Kleine. Ich und Mama unten an der Straße. Viel Platz. Vier Hektar. Für dich. Für deine Kinder.“   (…)
Was sollte ich diesem Mann sagen? Konnte ich ihm erzählen, dass ich in einer chaotischen Perversion namens Los Angeles ein Haus gekauft hatte, direkt am Wilshire Boulevard, ein Stück Land, hundertfünfzig auf vierhundertfünfzig, voller Termiten? Hätte ich ihm das erzählt, die Erde hätte mich verschluckt und der Himmel mich zerquetscht.

John Fante, „Voll im Leben“

Ist es verwunderlich, dass ich beim Lesen dieses Romans immer wieder das althergebrachte Sprichwort vom Mann, der ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen soll, damit sein Leben einen Sinn ergibt, im Kopf hatte? Irrtümlich wird das Zitat Martin Luther zugeschrieben. Der aber wollte doch nur ein Apfelbäumchen pflanzen. Ursprünglich, so ist es beim Blog für Falschzitate zu lesen, geht das Sprichwort wohl auf die Tora zurück: „Unsere Rabbanan lehrten: ‚Der gebaut hat, der gepflanzt hat, der verlobt hat.‘ Die Tora lehrt damit eine Lebensregel, daß der Mensch zuerst ein Haus baue, einen Weinberg pflanze und erst dann eine Frau nehme.“

Wie auch immer: John Fante dreht die Reihenfolge um, zeugt zuerst ein Kind mit seiner großen Liebe, kauft sich dann ein schiefes und schräges Haus und aus dem Weinberg wird es zum Kummer des Familienpatriarchen, den Fante so plastisch unter anderem auch in seinem Erzählband „Little Italy“ beschrieb, auch nichts. Der amerikanische Autor, der für Charles Bukowski das große Vorbild war, schildert in „Voll im Leben“ die vor allem für ihn nervenaufreibenden neun Monate während der ersten Schwangerschaft seiner Frau Joyce.

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„Joyce schlief, als ich nach Hause kam. Es war gegen Mitternacht. Ich ging ins Bett und ließ das Licht brennen und fühlte mir regelmäßig den Puls. Es war eine schwere Nacht. Ich weiß noch, dass es hell wurde, und dann war ich eingeschlafen. Mittags wachte ich auf, und es ging mir gut.
Joyce saß in ihrem Zimmer und schrieb Briefe.
„Wie hast du geschlafen?“
„Schrecklich“, sagte sie. „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.“

Sind es zu Beginn noch die üblichen paar Paarprobleme, wenn eine Beziehung sich verfestigt und Nachwuchs kommt („Das Kind kam zwischen uns wie ein Stein“) – er trauert dem wilden, freien Leben hinterher, sie sinnt über die Zukunft nach, ihn plagt das Verlangen, sie das Rückgrat – wird es mit einem Schlag bitter ernst: Im gutgläubig erworbenen Haus bricht Joyce eines morgens durch den von Termiten zerfressenen Küchenboden. Die Lösung scheint zunächst genial: Papa, der geniale Handwerker und Bauarbeiter, soll es richten. Doch der alte Mann, einst aus den Abruzzen in das Land der Verheißung eingewandert, der sich und seine Familie wie viele italienische Einwanderer mehr schlecht als recht durchbrachte, bringt eine ganz eigene Dynamik mit ins Spiel. Und fortan ist Fante nicht nur der hyperventilierende werdende Vater, sondern auch der Sohn, der eine einzige Enttäuschung ist ….

Küche, Kirche, Krankenhaus

Die Szenen familiären Zusammenlebens zwischen Küchenboden, Kirche und Krankenhaus sind herzerwärmend erzählt. Das ist stilistisch von einer zurückgenommenen Finesse, einer zurückhaltenden Direktheit, das ist manches Mal schreiend komisch, immer zum Mitfühlen, das ist aber vor allem  eines: Voll das Leben.

Voll im Leben: Mit seinen ersten veröffentlichten Romanen über den Schriftsteller Arturo Bandini – ganz eindeutig sein Alter Ego – hatte John Fante Ende der 1930er Jahre erste Achtungserfolge erzielt und durch seinen klaren, natürlichen Stil unter anderem eben auch Bukowski als Verehrer gewonnen. Doch der ganz große Durchbruch blieb aus, ein Leben als freier Schriftsteller war, zumindest mit Familienanhang, nicht mehr denkbar.

Drehbuchautor für die Traumfabrik

Wie so viele andere talentierte Autoren auch fand John Fante sein Auskommen mit dem Schreiben von Drehbüchern in der Traumfabrik. 1952 erschien noch „Voll im Leben“, für dessen Drehbuch Fante für den Oscar nominiert wurde – der Film mit Judy Holliday und Richard Conte kam 1956 in die Kinos. Dann wurde es literarisch jedoch still um Fante. Zwar schrieb er noch einige herausragende Drehbücher, aber die nächsten Romane erschienen erst wieder in den 1970er-Jahren. Mag sein, dass er dazwischen voll absorbiert war mit dem, was sich in „Full of life“ ankündigt:

„Es war ein großes Haus, weil wir Leute mit großen Plänen waren. Der erste Plan war schon Wirklichkeit, eine Rundung um ihre Mitte, ein Ding, das ständig in Bewegung war, sich krümmte und wand wie ein Schlangenknäuel. (…)
Mein Haus! Vier Schlafzimmer. Platz. Jetzt lebten wir zu zweit dort, und der dritte Bewohner war unterwegs. Irgendwann würden es sieben sein. Das war mein Traum.“

Im vollen Leben wurden es sechs: Fante und Joyce bekamen vier Kinder und waren fast 50 Jahre verheiratet. Seinen letzten Roman diktierte der Schriftsteller, der aufgrund seiner Zuckerkrankheit erblindet war, seiner Frau und besten Kritikerin:

„Wäre sie nicht gewesen, ich hätte mein Leben auch mit einem anderen Beruf zubringen können – als Reporter oder als Maurer, egal. Meine Prosa entstand durch sie. Das war eine Tatsache. Ich wollte ständig aufgeben; ich hasste das Schreiben, verzweifelte, zerknüllte Papier und warf es quer durch das Zimmer. Aber sie durchstöberte das weggeworfene Zeug und förderte Sätze zutage; ich wusste eigentlich nie, wann ich gut war.“

Wer lesen möchte, wie aus einem Talent ein Schriftsteller, aus einem Jungen ein Mann, aus einem Liebhaber ein Gatte und Vater und aus einem Kind ein mitfühlender Sohn wird, der lese „Voll im Leben“.

Informationen zum Buch:

John Fante
Voll im Leben
Übersetzt von Doris Engelke
MaroVerlag, 2018
ISBN: 978-3-87512-482-8

John Fante: Little Italy

Mit einer gelungenen Mischung aus Lakonie und Humor erzählt John Fante aus dem Milieu amerikanischer Einwanderer in den Vereinigten Staaten.

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„Sie waren beide etwa gleich alt, aber während man in Mamas Gesicht statt der fünfunddreißig gut fünfundvierzig Jahre ablesen konnte, erschien Coletta wie fünfundzwanzig. Mamas Gesicht war von vier Kindern gezeichnet, ja sogar von Hugo; man konnte darin Jahrhunderte voller Aufregung entdecken, Generationen voller Plackerei und eine Ewigkeit mit Arbeit und Sorgen.“

Aus: „Eine Braut für Dino Rossi“ in:
John Fante, „Little Italy“

Als 2016 „1933 war ein schlimmes Jahr“ in der Übersetzung von Alex Capus erschien und es sogar in das „Literarische Quartett“ schaffte, schien es, als sei hier ein vergessener Autor geradezu aus dem Nichts wieder aufgetaucht. Tatsächlich aber gab es schon zuvor einige der Bücher des amerikanischen Schriftstellers John Fante, den Charles Bukowski als „seinen Gott“ bezeichnete, auch in deutschen Übersetzungen zu entdecken, unter anderem im Goldmann Verlag und bei dem Indie-Verlag aus Augsburg, der seit Jahrzehnten das Andenken amerikanischer Autoren wie  Bukowski, Ginsberg und eben auch Fante pflegt. So erschien 2016 im MaroVerlag der Band „Little Italy“  mit 20 Erzählungen, die auf Anregung Bukowskis bei der „Black Sparrow Press“ 1985 unter dem Titel „The Wine of Youth“ herausgegeben wurden, im Herbst folgte der Roman „Westlich von Rom“.

Milieu der italienischen Einwanderer

Der Erzählband „Little Italy“ ist ein durchaus geeigneter Einstieg in den fantesken Themenkreis, in dessen Büchern abwechselnd zwei Familien im Mittelpunkt stehen, die Bandinis und die Molises, italienische Einwandererfamilien, die sich mehr schlecht als recht in den Vereinigten Staaten durchschlagen. Armut, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung wegen der Herkunft, harte Väter, abgearbeitete Mütter und dazwischen junge Männer, gefangen in den Widersprüchen der katholischen Kirche, die in den Familien eine große Rolle spielt, und den eigenen Leidenschaften (die da sind Baseball, Mädchen und kleine Gaunereien).

„Er wollte diesen Handschuh haben, aber er wusste auch, dass er ihn sich nicht kaufen konnte, darum hätte er die ganze Sache besser vergessen sollen. Tat er aber nicht. Er stand vor dem Schaufenster, und man will es nicht glauben, da ist der Teufel vorbeigekommen. Ich weiß, wie sich der Junge gefühlt hat, ich habe selbst oft genug die Stimme des Teufels in mir gehört und es sieht so aus, als lungert der immer da vor den Schaufenstern herum und wartet auf Opfer (…).“

Armut und Arbeitslosigkeit

Es ist diese Mischung aus lakonischer Flappsigkeit, gekoppelt mit einem subtilen Humor, der für Fantes Erzählweise einnimmt – eine Mischung, die auch über die dunkleren Seiten im Kosmos der Familie Bandini, von der in „Little Italy“ erzählt wird, hinwegträgt. Denn man kommt von ganz unten, muss sprichwörtlich jeden Cent zweimal umdrehen, hangelt sich durch. In „Ein Maurer im Schnee“ heißt es:

„Der Winter in Colorado war erbarmungslos. Jeden Tag rieselte der Schnee vom Himmel, und abends tauchte die untergehende Sonne die Rockies in ein deprimierendes Rot. (…) Mein Vater war Maurer. Wegen des Schnees konnte er allerdings nicht arbeiten. Sein Mörtel gefror, bevor er abbinden konnte, und seine Finger waren in der Kälte kaum zu gebrauchen. Dabei war er ein Mann der Tat und brauchte immer Beschäftigung. Je länger der Schnee liegen blieb, desto ungenießbarer wurde Vater zu Hause.“

Erzählt wird aus der Perspektive des jungen Arturo – ganz offensichtlich ein Alter Ego John Fantes – der zwischen Familienzugehörigkeit und Ausbruchswillen schwankt. Auch als er nach Los Angeles geht, um Schriftsteller zu werden, lassen ihn die familiären Bande nicht los, bleibt er ein Produkt seiner Herkunft. Sei es bei einer Begegnung mit einem Priester während eines Erdbebens in Los Angeles (die Story trägt bezeichnenderweise den Titel „Zorn Gottes“), sei es bei Gebeten an die Mutter Gottes um Geld für die Miete, Aufträge für Drehbücher und Vergeltung an einem Jugendfeind, sei es in den verfahrensten Situationen down in Hollywood: Glaube und Familie sind Himmel und Hölle zugleich, Gefängnis und Sicherheitsnetz:

„Dann ging ich in die andere Richtung und verschmolz langsam mit der hysterischen Menge, ließ mich mittreiben und wusste, dass ich allein war und dass mein Sündenregister bald wieder ausgeglichen sein würde, dank meiner Kirche, die vor allem ein feiner Kerl war.“

Manch einem mögen diese Stories, die so detailreich aus einem bestimmten Milieu erzählen, zu redundant erscheinen, zu wenig abwechslungsreich in der Thematik. Für echte Fantianer dagegen und solche, die in diesen Kreis eintreten wollen, bieten sie eine Essenz des Werks Fantes, authentisch, lebendig, menschlich auch an den düstersten Stellen.

Vorwort von Charles Bukowski

Den von Kurt Pohl und Rainer Wehlen übersetzten Erzählungen hat der Verlag ein Vorwort von Charles Bukowski aus dem Jahr 1979 vorangestellt. „The dirty old man“ bewunderte den Schriftsteller, pilgerte täglich an seiner Tür vorbei:

„Fante war mein Gott, und ich wusste, dass man die Götter in Ruhe zu lassen hatte, man klopfte nicht an ihre Tür. (…) Bedingt durch andere Umstände lernte ich dieses Jahr den Autor endlich kennen. Es gibt noch viel, viel mehr über John Fante zu erzählen. Eine Geschichte, die von schrecklichem Glück und einem schrecklichen Schicksal und von einem seltenen, natürlichen Mut handelt. Eines Tages wird sie erzählt werden, aber ich hab das Gefühl, es wäre ihm nicht recht, wenn ich sie hier wiedergeben würde. Ich will nur soviel sagen, dass die Art seiner Worte und seine eigene Art sich gleichen: stark und gut und warmherzig.“

So ist es, so sind diese Stories aus Little Italy in Colorado: Stark und gut und warmherzig.

Informationen zum Buch:

John Fante
Little Italy
Übersetzt von Rainer Wehlen und Kurt Pohl
MaroVerlag, 2016
ISBN 978-3-87512-475-0

Donald Ray Pollock: Knockemstiff

„Knockemstiff“: Das Leben kennt keine Gnade mit den Bewohnern dieses gottverlassenen Kaffs in Ohio. Und Daniel Ray Pollock keine Gnade mit seinen Lesern.

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„Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut.“

Donald Ray Pollock, Knockemstiff


Bumm! Schon der erste Satz ein Schlag mit dem Hammer. Voll in die Magengrube. Und so geht es weiter in „Knockemstiff“: Das Leben kennt keine Gnade mit den Bewohnern dieses verlassenen, ja förmlich gottverlassenen Kaffs in Ohio. Und Daniel Ray Pollock keine Gnade mit seinen Lesern. Durchschnaufen ist nicht – Knockemstiff ist die amerikanische Hölle, und da gibt es keinen Notausgang.

Hier sammelt sich der „white trash“. Einen Schwarzen, so ist in einer der Erzählungen zu lesen, hat man in Knockemstiff, diesem reaktionären, hinterwäldlerischem Ort noch nie gesehen. Wenn man schon ganz unten ist, dann ist man wenigstens nicht das Allerletzte auf der Darwinschen Leiter – wenigstens nicht schwarz. So kann man das verstehen.

Endstation für jede Hoffnung

In Knockemstiff gibt einem das Leben den Rest – entweder raubt einem das Koks den Verstand oder die Demenz. Endstation Sehnsucht? Von wegen. Endstation für die Hoffnung, und das hoch drei. Keiner kommt hier ungeschoren davon, keiner kommt hier weg – und wenn doch, dann landet er mit einer Perücke auf dem Kopf in einer Absteige oder als Leiche auf dem Müll.

Alkohol, Drogen, Gewalt – das ist die unheilige Dreifaltigkeit in Knockemstiff. Schwerer Stoff. Nur wenige Momente lang lässt DRP etwas aufblinzeln, das Schönheit in das Leben bringt:

„Nein, er redet ununterbrochen über Hawaii“, seufzt Peg und schaut zum Fenster hinaus, wo die Abendsonne gerade wie ein brennender Vogel in die andere Welt eintaucht. Und während die herabstürzenden Strahlen die Küche in ein blutiges Rot tauchen, vergisst sie für einen kurzen wunderschönen Augenblick einfach alles.

Schnell geht das Fenster wieder zu: Denn Knockemstiff ist nicht die Abendsonne, das ist der Ort, wo man bei verstopften Leitungen ein Loch in den Zimmerboden hat, um seinen Scheiß loszuwerden. Der Erzählband ist das Debüt von DRP. Schon beim Lesen hatte ich den Eindruck: So kann nur einer schreiben, der dieses Leben kennt. Tatsächlich ist Pollock aus Knockemstiff – und er ist entkommen. Schreiben vielleicht auch als Therapie, als Vergangenheitsbewältigung. Aber nicht im lamoryanten Ton, sondern lakonisch, hart, hard-boiled:

– „Selbst an einem guten Tag waren Gespräche mit seinem Vater so, als wäre man mit einem ausgehungerten Kannibalen in einem Fahrstuhl eingesperrt.“

– „Außerdem fange ich langsam an zu glauben, dass alles, was ich unternehme, um mein Leben zu verlängern, nur die Qualen vergrößert, es zu durchleben.“

– „Jake würde nicht mal Scheiße sagen, wenn er den Mund davon voll hätte.“

Zu ertragen wäre diese Abfolge von Grausamkeiten wohl kaum, wäre Pollock nicht ein brillanter Erzähler (und überdies brillant übersetzt von Peter Torberg für den Indie-Verlag liebeskind München). Das Buch wird verglichen mit dem Kosmos „Winesburg, Ohio“ von Sherwood Anderson, ein Klassiker, aber es liegen Lichtjahre dazwischen. War das Leben in Winesburg schon seltsam genug – Crystal Meth, Fast Food, Soap Operas und Bodybuilding sind die Seuchen unserer Zeit, die sich Anderson wohl nicht einmal in seinen schlimmsten Träumen hätte vorstellen können.

Eine grandiose Entdeckung

Pollock ist für mich eine grandiose Entdeckung – lakonisch wie Charles Bukowski, hart wie James Ellroy, melancholisch wie Raymond Carver. Knockemstiff ist im Hinterland, was die letzte Ausfahrt Brooklyn (Hubert Selby) in der Megacity ist. Ein Ort ohne Hoffnung.

„Theodore“, sagte William und grinste wie ein Verrückter, „wir sind Götter, schon vergessen? Scheiße, wir können alles.“ Wer dies in Knockemstiff glaubt, muss tatsächlich verrückt sein.

Knockemstiff ist gottverlassen – ein ghost town.


Bibliographische Angaben:

Donald Ray Pollock
Knockemstiff
Übersetzt von Peter Torberg
Liebeskind, 2013
ISBN: 978-3-95438-014-5

#VerschämteLektüren (11): Die Beatgeneration und ihre Sudelbücher

Matthias las seine verschämten Lektüren heimlich unter der Schulbank: Die Jerry Cotton-Hefte aus dem Bastei Lübbe Verlag.

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Auf seinem Blog bukowski.space stellt Matthias die Schriftsteller vor, die die amerikanische Subkultur literarisch erfassten und prägten: Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs bis hin zum „dirty old man“ Charles „Hank“ Bukowski. Da meint man doch (jedenfalls ich als unverdorbenes bayerisches Landei), es könne keine verschämten Lektüren mehr geben. Aber nichts da – auch Matthias zieht was unter der Bank hervor:

Anders als Gerhard Emmer im vorigen Beitrag musste ich zum Thema #VerschämteLektüren nicht «eine Weile vor der Bücherwand stehen» und überlegen, was zum Thema passen könnte. Es sind eindeutig die Jerry Cotton Kriminal-Romane aus der Reihe des Bastei-Verlages, die ich in den 70ern unter der Schulbank konsumierte, weil sie zu Hause für einen Skandal gesorgt hätten. «Stehen» (ich gestehe: wie unter der Schulbank) würde auch allenfalls ich selbst, handelte es sich doch um eine Hefte einer Reihe, die schon rein physikalisch betrachtet keine Standfestigkeit aufwies und die heute nicht einmal in meinen «Archiven» zu finden sind, geschweige denn auf einem Regalbrett oder unter dem Küchentisch – obschon: ich habe nichts zu verbergen …

Heute ist «Jerry Cotton Classic» eine neue Reihe, in der teilweise lang verschollene Jerry Cotton-Romane aus der Frühzeit der Serie wieder dem Publikum zugänglich gemacht werden. Die Romane spielen in einer Zeit, in der Jerry und Phil noch geraucht, Hüte getragen und sich den einen oder anderen Whiskey genehmigt haben. Das Internet war damals genauso Zukunftsmusik wie Handys und Computer.

«Ab hier ermitteln Sie» – in den Krimiserien von Bastei (Shop, Leseprobe, Archiv):
http://www.bastei.de/indices/index_allgemein_209.html

Eine weitere Parallele zu Emmer steht im Raum. War es doch die Lektüre/das Vorlesen auf dem Hocker neben der Badewanne: Die Prosa des «dirty old man»  und den von Emmer ausgeklammerten «Naked Lunch», die eine Beziehung beendete (London 1997, begonnen mit «Alice’s Adventures in Wonderland»). Da traf der deutsche Fan des Andernacher Poeten auf die Frau, die es immerhin bis zur Hälfte des Zauberberges schaffte (meiner 11-fachen #nichtVerschämteLektüre) und dann aufgab.

Ich las weiter in den «Sudelbüchern» von Gernhardt u.a.:

«Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer, die Hässlichkeit erfreut durch Dauer.» (Aus: «Nachdem er durch Metzingen gegangen war» von Robert Gernhardt). Oder: Rettet die Welt vor schlechten Frisuren.

Und hier geht es zum Blog: http://bukowski.space/

#VerschämteLektüren (10): Burroughs? Selby? Céline? Bukowski? Ellroy? Jungs, lernt mal von Cecil Brown!

„Leben und Lieben des Mr. Jazzarsch Nigger“: Der Titel lässt es schon erahnen – hier folgt eine ganz und gar politisch unkorrekte verschämte Lektüre.

Bild von Kurt Wiedwald auf Pixabay

Es gibt ja Nordlichter, die meinen immer noch, München sei nur die Weltstadt mit Herz, Schmerz, Nerz. Blau-weißer Schickimicki. Dass München aber auch ganze andere Saiten aufziehen kann (und das nicht nur musikalisch) und ganz andere Seiten hat, das zeigt Gerhard Emmer auf seinem Blog KULTURFORUM. Reinschauen lohnt sich nicht nur für Einheimische!

Gerhard bringt für die #VerschämteLektüren ein besonderes Schmankerl aus dem Greno Verlag (ebenfalls ein Stück Kulturgut aus Bayern, das es allerdings leider, leider nicht mehr gibt!):

Ich bin eine Weile vor der Bücherwand gestanden und habe überlegt, was zu dem Thema passen könnte. Mehrere Bücher sind in die engere Auswahl gekommen:

„Mauern“ von Hubert Selby (unter anderem: grauenvolle Vergewaltigungsszene!), „Naked Lunch“ von William S. Burroughs, sein Drogen-, Gewalt- und Psychopathen-Hauptwerk, dass ich offen gestanden aufgrund seiner vielen Handlungsstränge, Erzählebenen und der eingesetzten Cut-Up-Methode nie zur Gänze kapiert habe, oder auch irgendwas von Charles Bukowski. Auf alle Fälle sollte es etwas aus meinen Anfangsjahren als (ernsthafter) Leser sein (Karl May und Jules Verne kamen natürlich schon vorher dran…)  – und es war klar, es musste etwas aus der Abteilung „Schmutz und Schund“ sein, sonst hätte es ja nix Verschämtes (Heutzutage im gesetzten Alter lese ich selbstredend nur noch Qualitätsveröffentlichungen… ;-))).

Letztendlich bin ich bei folgendem Schmöker gelandet, er hat die von mir gestellten Anforderungen perfekt erfüllt:
Cecil Brown – Leben und Lieben des Mr. Jazzarsch Nigger (1987, Greno Verlag; Originaltitel, Erstveröffentlichung: The Life and Loves of Mr. Jiveass Nigger, 1969)
Kurzinfo zum Autor: *1943, Bolton, North Carolina; Afro-Amerikanischer Autor von Novellen, Short Stories und Drehbüchern; lebt in Berkeley, Kalifornien, wo er als Professor an der University of California unterrichtet.
Das Werk: Ein unsäglicher,  politisch völlig unkorrekter Schelmenroman über den schwarzen Schwerenöter und Vollzeitgigolo George Washington, der im Kopenhagener Exil jede Frau beschläft, die nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dargebracht in einer unverblümten, mitunter extrem unflätigen Sprache, in den Schilderungen sexueller Praktiken ungeschönt und an etlichen Stellen geradezu pornographisch. Dabei flott zu lesen. Wenn es nicht in Dialogen in ausfallenden Gewaltausdrücken extrem zur Sache geht, ist das Werk durchaus literarisch anspruchsvoll geschrieben.  1969 von einem afroamerikanischen Literaten verfasst, schwingt der in den sechziger Jahren schwelende Rassenkonflikt innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft permanent als Rahmen, in den die Geschichte eingebettet ist, mit.
Welchen LeserInnen kann man das Buch ans Herz legen? Freunden der skandalträchtigen Kriminal-Romane des französischen Schriftstellers Boris Vian, Lesern der Krimis über die Harlem-Detektive Gravedigger Jones und Coffin Ed Johnson des afro-amerikanischen Autors Chester Himes, allen, die mit der grandiosen Menschheitsbeschimpfung „Reise ans Ende der Nacht“ des französischen Misanthropen  Louis-Ferdinand Céline glücklich wurden – und auch das Vertrautsein mit den Werken von Charles Bukowski und einem seiner größten Verächter, James Ellroy, kann auf keinen Fall schaden.
1987 im inzwischen aufgelösten Greno Verlag veröffentlicht und längst nicht mehr aufgelegt, aber über Antiquariate bzw. Amazon sicher noch als Second-Hand-Ausgabe zu beziehen.
„Ich schwör’s bei Gott, dieser Kerl, das ist das schlimmste Schandmaul, das die Welt gesehen hat, er hat bestimmt schon geflucht, als er auf die Welt kam; als seine Mutter, Miss Lillybelle Washington, diesen Heidenbengel in die Welt setzte, war gewiß das erste was er von sich gab ein Fluch, und die Hebamme und seine Mutter und wer da sonst noch rumstand, hat er wahrscheinlich erst mal angerotzt, weil sie ihn überhaupt rausgeholt haben, so einer ist das nämlich, mußt du wissen. Ich kenn‘ keine Menschenseele in der Gemeinde, die er nicht schon zur Sau gemacht hat, und auch keine Katze und keinen Hund. Aber der Herrgott wird über diesen Nigger kommen, wart’s nur ab, heimsuchen wird er diesen Nigger, und wie! Als er mir zum ersten Mal unter die Augen kam, da hat er meine Brüder angepöbelt, mitten auf der Straße, und ich hab‘ mich gefragt, was hat dieser Nigger da rumzupöbeln? Aber, hab‘ ich mir gedacht, das ist nun mal die Jugend, er ist ja noch jung, und dann war ich so idiotisch und hab den Idioten geheiratet.“ (…)
(Cecil Brown – Leben und Lieben des Mr. Jazzarsch Nigger, Prolog)
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