Donald Ray Pollock: Knockemstiff

„Knockemstiff“: Das Leben kennt keine Gnade mit den Bewohnern dieses gottverlassenen Kaffs in Ohio. Und Daniel Ray Pollock keine Gnade mit seinen Lesern.

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„Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut.“

Donald Ray Pollock, Knockemstiff


Bumm! Schon der erste Satz ein Schlag mit dem Hammer. Voll in die Magengrube. Und so geht es weiter in „Knockemstiff“: Das Leben kennt keine Gnade mit den Bewohnern dieses verlassenen, ja förmlich gottverlassenen Kaffs in Ohio. Und Daniel Ray Pollock keine Gnade mit seinen Lesern. Durchschnaufen ist nicht – Knockemstiff ist die amerikanische Hölle, und da gibt es keinen Notausgang.

Hier sammelt sich der „white trash“. Einen Schwarzen, so ist in einer der Erzählungen zu lesen, hat man in Knockemstiff, diesem reaktionären, hinterwäldlerischem Ort noch nie gesehen. Wenn man schon ganz unten ist, dann ist man wenigstens nicht das Allerletzte auf der Darwinschen Leiter – wenigstens nicht schwarz. So kann man das verstehen.

Endstation für jede Hoffnung

In Knockemstiff gibt einem das Leben den Rest – entweder raubt einem das Koks den Verstand oder die Demenz. Endstation Sehnsucht? Von wegen. Endstation für die Hoffnung, und das hoch drei. Keiner kommt hier ungeschoren davon, keiner kommt hier weg – und wenn doch, dann landet er mit einer Perücke auf dem Kopf in einer Absteige oder als Leiche auf dem Müll.

Alkohol, Drogen, Gewalt – das ist die unheilige Dreifaltigkeit in Knockemstiff. Schwerer Stoff. Nur wenige Momente lang lässt DRP etwas aufblinzeln, das Schönheit in das Leben bringt:

„Nein, er redet ununterbrochen über Hawaii“, seufzt Peg und schaut zum Fenster hinaus, wo die Abendsonne gerade wie ein brennender Vogel in die andere Welt eintaucht. Und während die herabstürzenden Strahlen die Küche in ein blutiges Rot tauchen, vergisst sie für einen kurzen wunderschönen Augenblick einfach alles.

Schnell geht das Fenster wieder zu: Denn Knockemstiff ist nicht die Abendsonne, das ist der Ort, wo man bei verstopften Leitungen ein Loch in den Zimmerboden hat, um seinen Scheiß loszuwerden. Der Erzählband ist das Debüt von DRP. Schon beim Lesen hatte ich den Eindruck: So kann nur einer schreiben, der dieses Leben kennt. Tatsächlich ist Pollock aus Knockemstiff – und er ist entkommen. Schreiben vielleicht auch als Therapie, als Vergangenheitsbewältigung. Aber nicht im lamoryanten Ton, sondern lakonisch, hart, hard-boiled:

– „Selbst an einem guten Tag waren Gespräche mit seinem Vater so, als wäre man mit einem ausgehungerten Kannibalen in einem Fahrstuhl eingesperrt.“

– „Außerdem fange ich langsam an zu glauben, dass alles, was ich unternehme, um mein Leben zu verlängern, nur die Qualen vergrößert, es zu durchleben.“

– „Jake würde nicht mal Scheiße sagen, wenn er den Mund davon voll hätte.“

Zu ertragen wäre diese Abfolge von Grausamkeiten wohl kaum, wäre Pollock nicht ein brillanter Erzähler (und überdies brillant übersetzt von Peter Torberg für den Indie-Verlag liebeskind München). Das Buch wird verglichen mit dem Kosmos „Winesburg, Ohio“ von Sherwood Anderson, ein Klassiker, aber es liegen Lichtjahre dazwischen. War das Leben in Winesburg schon seltsam genug – Crystal Meth, Fast Food, Soap Operas und Bodybuilding sind die Seuchen unserer Zeit, die sich Anderson wohl nicht einmal in seinen schlimmsten Träumen hätte vorstellen können.

Eine grandiose Entdeckung

Pollock ist für mich eine grandiose Entdeckung – lakonisch wie Charles Bukowski, hart wie James Ellroy, melancholisch wie Raymond Carver. Knockemstiff ist im Hinterland, was die letzte Ausfahrt Brooklyn (Hubert Selby) in der Megacity ist. Ein Ort ohne Hoffnung.

„Theodore“, sagte William und grinste wie ein Verrückter, „wir sind Götter, schon vergessen? Scheiße, wir können alles.“ Wer dies in Knockemstiff glaubt, muss tatsächlich verrückt sein.

Knockemstiff ist gottverlassen – ein ghost town.


Bibliographische Angaben:

Donald Ray Pollock
Knockemstiff
Übersetzt von Peter Torberg
Liebeskind, 2013
ISBN: 978-3-95438-014-5

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels

Der Glaube an das Gute und die Angst vor dem Bösen: Die dabei auftretenden Konflikte, erzählt in einer präzisen Sprache, ergeben ein fantastisches Buch.

Bild von Phil-Pavarini-Jr auf Pixabay

– Ein Gastbeitrag von Bernd Hohlen –

Arvin Russels Vater Willard gibt seinem Sohn zwei Sätze mit auf den Weg. Der Erste: »Wenn  das nächste Mal einer mit dem Mist anfängt, dann will ich, dass du es zu Ende bringst«. Der Zweite: »Du musst nur den richtigen Augenblick abwarten«. Um diese zwei Aussagen zu beherzigen, benötigt man Geist, Kraft, Ausdauer, Energie und Mut. Romanfiguren, die diese Eigenschaften nicht mitbringen, sind entweder Volltrottel oder es ist schlechte Literatur.
William Faulkner sagte in seiner Nobelpreisrede (laut John Steinbeck war er dabei betrunken): »Die kleinste Erzählung ist wertlos, wenn sie nicht die alten Einsichten und Wahrheiten des Herzens, die für die ganze Welt gelten: Liebe, Ehre, Erbarmen, Stolz, Mitgefühl und Opferbereitschaft, enthält«.

Arvin liebte seinen Vater, es war ihm eine Ehre, seine Ratschläge umzusetzen. Sein Mitgefühl galt seiner Familie. Für sie war er bereit sich zu opfern. Es ist dabei unerheblich, ob die bestimmende Romanfigur dabei mordet. Sie muss nur auf der richtigen Seite stehen. Da beginnt die Brechung der Figur und der Leser kommt moralisch ins Schleudern, bringt er doch Sympathie auf für einen, der andere Menschen tötet. Eine andere Figur, die dem Gesetz verpflichtet ist, steht auf der falschen Seite. Wir ahnen, dass wir beim Lesen in Konflikt geraten können mit unseren Interessen, mit unseren moralischen Vorstellungen.  Denn überall ist Gott. Er taucht auf als Prediger, als Perverser, als Mörder, als Verzweifelter, als Kind, als Hure, als Polizist. Gott ist alles und nichts. Er wird gerufen. Ihm wird geopfert. Tagelang, wochenlang, monatelang. Er taucht nicht auf. Er ist eine Fiktion, die die Menschen in den Wahnsinn treibt, weil ihr Glaube alles andere übersteigt. Sogar ihre grenzenlose Dummheit und Verkommenheit. Gott ist für alle da. Überall, auch im amerikanischen Niemandsland.

Diese zwei Sätze, eine korrupte Enklave in der größten Demokratie der Welt, der Glaube an das Gute und die Angst vor dem Bösen, die damit verbundene Einhaltung einer Ordnung und die dabei auftretenden Konflikte, erzählt in einer präzisen Sprache, in der kein falsches Wort zu finden ist, ergeben ein fantastisches Buch.

Der Autor Donald Ray Pollock stammt aus der Gegend, über die er schreibt. Er arbeitete im Schlachthof, in der Papiermühle und als LKW-Fahrer. Mit 50 Jahren (!) besuchte er http://english.osu.edu/creative-writing-ohio-state-university und entdeckte sein großes Talent: Andere Menschen zu faszinieren.

Creative Writing-Seminare zu besuchen ist in Amerika so selbstverständlich, wie bei uns Mitglied in einem Verein zu werden. Fast jeder Amerikaner, der Schreiben kann oder einen Computer besitzt, hat ein fertiges oder halbfertiges Drehbuch herumliegen. Es gehört dazu. In Deutschland ist das Schreiben immer noch eine Geheimwissenschaft, die nur ausgesuchten Spezialisten vorbehalten ist. Wer einmal herausfinden möchte, wo unsere großen deutschsprachigen Schriftsteller schreiben gelernt haben, wird nichts herausfinden. Scheinbar alles Naturtalente. Und wer ist schon ein Naturtalent? Dabei ist bei Pollock nachzulesen, wie erstklassiges Handwerk funktioniert. Keine Kinkerlitzchen, kein Geschwurbel, keine psychologischen Deutungen, kein Gejammer.  Etwas mehr als nur ein Krimi. Fast eine Anleitung, um gute Bücher zu schreiben.


Bibliographische Angaben:

Donald Ray Pollock
Das Handwerk des Teufels
Übersetzt von Peter Torberg
Liebeskind, 2012
ISBN: 978-3-935890-85-4

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