Joachim Ringelnatz: Trostworte an einen Luftkranken

Florian L. Arnold, selbst Schriftsteller und bildender Künstler wie Ringelnatz auch, widmet dem luftigen Dichter Joachim Ringelnatz das Buch „Trostworte an einen Luftkranken“. Er habe sich daran erfreut, „auf ringels musenroos reitend, eigenwilligste flug- und flatterapparate zu ersinnen“.

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Humorvolle Spinner

Spinnete Köpfe, gescheit und begabt,
Weil ihr einen Pieps, einen Vogel habt,
erlachen euch manche und meiden
Euch. Ich mag euch leiden.

Ein Piepvogel lebt so hoch und frei
Über den Filzlatschen der Spießer.

Der Spießer meint: Ein Bandwurm sei
Kein stiller Genießer.

Doch Spießermeinung ist nicht mal so wichtig
Wie das, was aus Piepvogel fällt.

Nur der, der im Kopf nicht ganz richtig
Ist, lebt sich und unterhält.


Aus „Flugzeuggedanken“, 1929, von Joachim Ringelnatz

Es ist, als habe sich Herr Ringelnatz in diesem Gedicht selbst portraitiert. Er war so ein wilder Vogel, ein Piepvogel, der hoch und frei lebte. Am Ende, schon todkrank, unter den Nationalsozialisten auch vogelfrei. Der Dichter, Maler, Bühnenkünstler, der vor allem von (und für) seinen Auftritten lebte, wurde von der Bühne verbannt, seine Bücher beschlagnahmt und verbrannt. Er starb, erst 51 Jahre alt, an den Folgen seiner Tuberkulose-Erkrankung am 17. November 1934.

In den guten Jahren – also auch 1929, als sein Gedichtband „Flugzeuggedanken“ beim Ernst Rowohlt Verlag erschien – war Ringelnatz ständig auf Reisen für seine Bühnenauftritte. Das brachte auch manches Flugabenteuer mit sich. Einige der schönsten Gedichte dazu sind in einer wundertoll illustrierten neuen Ausgabe erschienen: Florian L. Arnold, selbst Schriftsteller und bildender Künstler wie Ringelnatz auch, widmet dem luftigen Dichter das Buch „Trostworte an einen Luftkranken“. Er habe sich daran erfreut, „auf ringels musenroos reitend, eigenwilligste flug- und flatterapparate zu ersinnen“.

Mit „Trostworte an einen Luftkranken“ zeigen Arnold den großen Joachim Ringelnatz als Verehrer und augenzwinkernden Spötter des Flugwesens: „Man glaubt es kaum, aber Ringelnatz hat der Fliegerei und ihren komischen Ausuferungen einen großen Platz in seinem Werk eingeräumt.“ Ob es nun eine abenteuerliche Ballonfahrt, eine Fliege im Flugzeug, eine risikolustige Freundin am Seil in höchsten Lüften ist – Ringelnatz findet immer einen geistreichen Reim auf Ungereimtes. Und es erweist sich, daß seine Gedanken zu menschlichen Flugabenteuern auch beinah 100 Jahre nach ihrem Entstehen nichts an Witz und Gültigkeit verloren haben. „Im Gegenteil: Lest diese Texte, wenn ihr flugkrank oder Vielflieger seid, wenn ihr einen Fesselballon besitzt oder einen Zeppelin“, meint Florian L. Arnold augenzwinkernd.

Erschienen ist „Trostworte an einen Luftkranken“ in der neu gegründeten „Edition Hibana“, in der schmale Texte und eigenwillige Illustrationen ihren Raum finden werden. Ein Blick auf die Seite zeigt: Auch die Illustrationen zu den Ringelnatz`schen Luftkünsten sind grandios, einfach zum Abheben.

Als Augsburgerin freue ich mich natürlich besonders, dass auch die „Freiballonfahrt mit Autoverfolgung“ in der Auswahl ihren Platz fand: Denn, wenn „auf Augsburgs sonntagsbunten Flugplatz“ die Sonne lacht, machen wir eigentlich nichts anderes, als mit unseren Töff-töffs den freischwebenden, gasgefüllten Tieren nachzujagen. Das Beitragsbild beweist es: Ballon am Augsburger Rathaus, direkt von mir verfolgt.


Informationen zum Buch:

Trostworte an einen Luftkranken
Fluggedichte und -gedanken
Gedichte von Joachim Ringelnatz
Edition Hibana, Ulm, 2021
Mit Bildern von Florian L. Arnold
44 Seiten, limit. Edition, durchgehend farbig illustriert
ISBN: 978-3-9822910-7-9

Joachim Ringelnatz – Einsiedlers heiliger Abend

Mein Weihnachtsgruß mit Joachim Ringelnatz.

Ich hab’ in den Weihnachtstagen –
Ich weiß auch, warum –
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.

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Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.

Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
Zu sparen, ihn abend noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und anderem blanken Gerät.

Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsenuppe und Speck
Und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.

Und sang aus burgundernder Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.

Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hat’s an der Tür gepocht.

Und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: “Herein!”

Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

Joachim Ringelnatz

Das Gedicht von Ringelnatz stammt aus dem Jahr 1933 – wohl für viele Menschen das schwerste Weihnachten der Vorkriegszeit. Wer wachen Sinnes war, konnte ahnen, was knapp ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers noch alles auf die Menschen zukommen würde.

Insofern sind die Vergleiche, die dieser Tage gezogen werden, völlig absurd: Wir leben in keiner Diktatur, aber wir leben mit einer Pandemie. Das ist schwer, insbesondere für viele an Weihnachten, die vielleicht getrennt von ihren Liebsten und Familien feiern müssen. Aber es ist ein hoffentlich einmaliges und vorübergehendes Geschehen – und keinesfalls vergleichbar mit der Situation 90 Jahre zuvor.

Dennoch kann vielleicht jetzt gerade ein Ringelnatz helfen: Trauer und Humor liegen bei ihm immer eng beisammen. Und die Botschaft: Mach das Beste daraus …

Ich wünsche allen, die hier mitlesen, trotz der Umstände ein schönes Weihnachtsfest, alles Liebe und einen guten Rutsch in das Neue Jahr! Bleibt gesund!

Birgit Böllinger

Joachim Ringelnatz – Weihnachten

Ein Weihnachtsgruß und Dankeschön an meine Leserinnen und Leser mit meinem Lieblingsdichter.

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Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle,
Mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit,
Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle
Schöne Blumen der Vergangenheit.

Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise,
Und das alte Lied von Gott und Christ
Bebt durch Seelen und verkündet leise,
Dass die kleinste Welt die größte ist.

Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

Joachim Ringelnatz – Der Bücherfreund

„Der Bücherfreund“ erschien in der Gedichtsammlung „Allerdings“ 1928. Ringelnatz hatte, auch als Bibliothekar, eigene bibliomanische Erfahrungen gesammelt.

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Ob ich Biblio- was bin?
Phile? „Freund von Büchern“ meinen Sie?
Na, und ob ich das bin!
Ha! und wie!

Mir sind Bücher, was den anderen Leuten
Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,
Turnsport, Wein und weiß ich was, bedeuten.
Meine Bücher — wie beliebt? Wieviel?

Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.
Bitte, doch mich auszureden lassen.
Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal
Halb imstande ist zu fassen.

Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben
Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur
Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben —
Hei ! das gibt den Muskeln die Latur.

Oh, ich mußte meine Bücherei,
Wenn ich je verreiste, stets vermissen.
Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,
Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.

Ja natürlich auch vom künstlerischen
Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken
So nach Gold und Lederton zu mischen,
Daß sie wie ein Bild die Stube schmücken.

Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen
Meine ungeheure Leidenschaft,
Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.
Bücher lasten, Bücher haben Kraft.

Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,
Und Sie fragen etwas reichlich frei.
Auch bei andern Menschen als Barbaren
Gehen schließlich Bücher mal entzwei.

Wie ? – ich jemals auch in Büchern lese??
Oh, sie unerhörter Ese—
Nein, pardon! – Doch positus, ich säße
Auf dem Lokus und Sie harrten
Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur
Ja nicht länger auf mich warten.
Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,
Den man abseits ohne Zeit und Uhr
Düngt und erntet dann Literatur.

Bücher – Nein, ich bitte Sie inständig:
Nicht mehr fragen! Laß dich doch belehren!
Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig
Handsigniert sind, soll man hochverehren.

Bücher werden, wenn man will, lebendig.
Über Bücher kann man ganz befehlen.
Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,
Und die Seelen können sich nicht wehren.

Joachim Ringelnatz

„Der Bücherfreund“ erschien erstmals in der Ringelnatzischen Gedichtsammlung „Allerdings“ im Jahr 1928. Ob der Bücherfreund Ringelnatz selbst über eine so überbordernde Bibliothek verfügte, bezweifle ich – zu unstet war sein Leben, zu oft war er unterwegs, zu häufig auch in finanziell prekäre Lagen, um selbst eine Bildungsbürgerbüchersammlung um sich zu haben. Allerdings kannte er sich – nicht nur als Lesender und Schreibender – aus im „Verwalten“ von Bücherbergen. Vielleicht dachte er bei diesem Gedicht an seine Zeit in Klein-Oels zurück: Dort verwaltete er 1912 die Bibliothek des Grafen Yorck v. Wartenburg. Nachdem er wegen einer Prügelei entlassen worden war, arbeitete er im Jahr darauf als Bibliothekar Börnes v. Münchhausens, später als Bibliothekar und Fremdenführer auf Burg Lauenstein (Oberfranken), bis er 1913 wieder nach München ging, um seiner eigentlichen Berufung als Bühnenkünstler und Schreibender nachzugehen.

Joachim Ringelnatz – Herbst im Fluß

Als sein Gedichtband erschien, hatte Ringelnatz nur noch ein Jahr zu leben. Dieses Herbstgedicht erschien in seinem letzten Buch, „103 Gedichte“.

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Der Strom trug das ins Wasser gestreute
Laub der Bäume fort. –
Ich dachte an alte Leute,
Die auswandern ohne ein Klagewort

Die Blätter treiben und trudeln,
Gewendet von Winden und Strudeln
Gezügig, und sinken dann still. – –

Wie jeder, der Großes erlebte,
Als er an Größerem bebte,
Schließlich tief ausruhen will.

Joachim Ringelnatz (1883 – 1934), aus: „103 Gedichte“, 1933.

Als sein Gedichtband erschien, hatte Ringelnatz nur noch ein Jahr zu leben. Vielleicht ein Glück, dass er zwar jung, aber in seinem eigenen Bett sterben konnte: Denn die Nationalsozialisten hatten ihm da bereits Auftrittsverbot erteilt, seine Bücher wurden beschlagnahmt und verbrannt. Wer weiß, was mit ihm geschehen wäre.
Eine Ahnung davon, ein Abschiednehmen auf die eine oder andere Weise, eine leise Melancholie durchweht diese späten Zeilen eines Dichterlebens.

Joachim Ringelnatz – Schwebende Zukunft

Dieses luftglücklich leichte Gedicht von Joachim Ringelnatz konnte man erstmals im Band „Gedichte dreier Jahre“, erschienen 1932, lesen.

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Habt ihr einen Kummer in der Brust
Anfang August,
Seht euch einmal bewußt
An, was wir als Kinder übersahn.

Da schickt der Löwenzahn
Seinen Samen fort in die Luft.
Der ist so leicht wie Duft
Und sinnreich rund umgeben
Von Faserstrahlen, zart wie Spinneweben.

Und er reist hoch über euer Dach,
Von Winden, schon vom Hauch gepustet.
Wenn einer von euch hustet,
Wirkt das auf ihn wie Krach,
Und er entweicht.

Luftglücklich leicht.
Wird sich sanft wo in Erde betten.
Und im Nächstjahr stehn
Dort die fetten, goldigen Rosetten,
Kuhblumen, die wir als Kinder übersehn.

Zartheit und Freimut lenken
Wieder spät deren Samen Fahrt.

Flöge doch unser aller Zukunftsdenken
So frei aus und so zart.

Joachim Ringelnatz

Curt Moreck: Ein Führer durch das lasterhafte Berlin

Arm, aber sexy: Unter diesem Motto wurde Berlin bereits 1931 an Heerscharen von Touristen verkauft. Curt Moreck nutzte dies für seinen „lasterhaften“ Führer.

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Berlin

Da fährt die Hochbahn in ein Haus hinein
Und auf der andern Seite wieder raus.
Und blind und düster stemmt sich Haus an Haus.
Einmal – nicht lange – müßtest du hier sein.
Wo das aufregend gefährlich flutet und wimmelt
Und tutet und bimmelt
Am Kurfürstendamm und am Zoo.
Das Leben in Pelzen und Leder.
Es drängt einen so oder so
Leicht unter die Räder.
Sonst habe ich gut hier gefallen.
Man hat mir hohe Gagen angeboten.
Aber weißt du: jeder verkehrt hier mit allen,
Nur nicht mit stillen Menschen oder mit toten.
Ich bin so stolz darauf, dir einen Scheck zu überweisen.
Ja, ja, hier heißt es sich durchbeißen.
Das gibt mir mancherlei Lehre.
Heute ging mir beim Kofferflicken die Nagelschere
Entzwei. Not bricht Eisen. –

Joachim Ringelnatz, aus: „103 Gedichte“, 1933


Wo es aufregend flutet und wimmelt, da kommt man auch leicht unter die Räder: Der Mythos der Stadt Berlin in der Weimarer Republik ist bis heute von der Vorstellung geprägt, dass es zwar damals schon arm, aber auch ziemlich sexy war. Berlin, Berlin: Hier soll es freier und wilder zugegangen sein als in manch anderer europäischen Metropole. Paris mochte Romantik und Lebensstil bieten, Berlin dagegen war lasterhaft.

„Dabei ist Berlin sicher nicht lasterhafter als Paris oder London oder eine andere Stadt der Welt, nur ist man hier teils weniger verschämt, teils weniger heuchlerisch.“

Dies attestierte Konrad Haemmerling alias Curt Moreck der damaligen „Reichshauptstadt“ bei seinen Ausflügen in das Berliner Nachtleben. Haemmerling (1888 – 1957), der sich zahlreicher Pseudonyme bediente, war ein Bestsellerautor der Weimarer Republik. Insbesondere unter seinem Alias Curt Moreck knallte er ab Mitte der 1920er-Jahre eine „kulturgeschichtliche“ Veröffentlichung nach der anderen heraus, gerne aus dem anzüglicheren Genre: „Das Weib in der Kunst der neueren Zeit“, eine „Sittengeschichte des Bettes“, „Die käufliche Liebe bei den Kulturvölkern“, um nur einige zu nennen.

Opfer der Bücherverbrennung

Das verkaufte sich zwar gut, aber fiel ab 1933 der scheinheiligen Prüderie der Nationalsozialisten zum Opfer: Haemmerlings Bücher wurden verbrannt und durften nicht mehr veröffentlicht werden. Darunter auch der 1931 erschienene Bestseller „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin“ über „das deutsche Babylon“ (so der Untertitel).

Auch wenn das Buch heute inhaltlich überholt ist, weil die beschriebenen Lasterhaftigkeiten schon keine mehr sind, die vorgestellten Lokalitäten und Etablissements längst schon der Geschichte angehören und vor allem Morecks teilweise äußerst exaltierte Sprache ungewollt amüsiert – der „Fremdenverkehrs“-Führer hat noch immer seinen Reiz: Insbesondere wer sich für Literatur und Gesellschaft in der Weimarer Republik interessiert, findet hier einen zeitgenössischen Blick auf zahlreiche Örtlichkeiten, die man aus den Werken eben jener Zeit kennt.

„Die Attraktion der Gegen ist das Frühlokal Alt-Mexiko. Das Dorado berlinischer Konquistadoren. Schon ein bißchen eine literarische Angelegenheit geworden, seit Döblin seinen Roman „Alexanderplatz“ veröffentlicht hat. Und doch nicht Literatur. (…) Keine Menschenopfer gibt es in diesem Alt-Mexiko, keine blutigen Schlächtereien. Und doch fallen auch in dieser Welt Menschen als Opfer auf der Schlachtbank des Lebens in Unzahl. Der Moloch frisst noch immer, noch immer…“

Wiederauflagen waren absolut begehrt

Ein Indiz dafür, dass Morecks Führer durch das Berliner Nachtleben bis heute eine begehrte Quelle ist, mögen auch die Preise sein, die laut „Berliner Zeitung“ für Wiederauflagen in den vergangenen Jahren erzielt wurden:

„Curt Moreck, bürgerlich Konrad Haemmerling, in Köln geboren, lange in München ansässig, schrieb als Nichtberliner, doch mit der Attitüde des Total-Auskenners, über das Innenleben der Stadt. Rechnen wir also mit einer Prise Etikettenschwindel. Das war zur Zeit des Erscheinens den meisten Lesern egal, und das muss auch heute nicht stören. Wer das Werk haben wollte, musste trotz zweier Reprints in den 1980er- bzw. 1990er-Jahren zuletzt antiquarisch um die 150 Euro zahlen.“

Der nun vorletzte Reprint, 1996 erschienen, ergänzte den Text um Bilder von Zille, Christian Schad und anderen Berliner Malern jener Zeit – und handelte sich einen harschen Verriss in der Frankfurter Allgemeinen ein:

„Im Übrigen folgt das Buch im Stil der Zeit dem damals als bekannt geltenden Stadtbild. Darüber gibt es Hunderte von Büchern, gute von Walter Benjamin, Joseph Roth, Siegfried Krakauer und Hans Fallada, nachgeplapperte wie dieses von Moreck. Ein Berlin-Klischee reiht sich an das andere. Armut und Elend durch die Arbeitslosigkeit wird dabei geschildert, als handle es sich um ein tolles Vergnügen.“

Das wirkt heute noch, 20 Jahre später, reichlich moralinsauer und intellektuell überheblich: Dass Haemmerling alias Moreck ein Gebrauchsschriftsteller war, ist offensichtlich. Den Anspruch, mit den literarisch-philosophischen Werken von Benjamin und Krakauer zu konkurrieren, stellte er nie. Auch kündigte er keine sozialkritische Untersuchung an. Vielmehr macht er in seinem Vorwort deutlich klar, was er zu bieten hat: Einen Führer für die zahllosen Touristen aus der Provinz, die in der Metropole ein wenig am Gemisch von Verruchtheit und Exotik schnüffeln wollten.

„Jede Stadt hat eine offizielle Seite und eine inoffizielle, und es erübrigt sich, zu sagen, dass die letztere die interessantere und für das Verständnis eines Stadtwesens aufschlussreichere ist (…) Wer Erlebnisse sucht, Abenteuer verlangt, Sensationen sich erhofft, der wird im Schatten gehen müssen.“

Mitten hinein in die Hauptstadt des Vergnügens

Und so nimmt Moreck den Leser an die Hand und führt ihn hinein ins Schattenleben jener Jahre, stellt die angesagten Cafés rund um den Kurfürstendamm und die Friedrichstraße vor, bittet zum Tanztee und in die Mokka-Dielen jener Zeit, bevor es ernst wird in den Nachtlokalen namens „Delphi“, „Barberina“ oder bei der etwas irrsinnigen Unterhaltung im „Haus Vaterland“ (in das zu jener Zeit jedoch nur unbedarfte „Touris“ gingen, die sich neppen ließen). Glaubt man Moreck, so spielte sich in jenen Jahren ein immerwährender Tanz auf dem Vulkan ab:

„Der Tanz ist die Quelle eines Lustgefühls (…) Und dass die Nachfrage nach diesem Vergnügen sehr, aber sehr stark sein muss, das beweisen die unzähligen Tanzstätten, die es in Berlin gibt. Es gibt Tanzflächen von einem Quadratmeter bis zu einem Quadratkilometer und was sich darum herum aufbaut, das stuft sich von der Kaschemme bis zum Palast.“

Das liest sich leicht und beschwingt, wie es sich für einen Führer durch das Nachtleben gebührt. Je tiefer man dann von Stunde zu Stunde bei der Lektüre vordringt, desto tiefer dringt man mit Moreck auch in die Halb- und Unterwelt ein: Während es im Westen glitzert und glimmert, findet man rund um den Alex und im Berliner Osten eine weitaus düstere Szenerie vor. Der in der FAZ erhobene Vorwurf, der Autor habe Armut und Elend geschildert, als sei es ein tolles Vergnügen, trifft hier nicht ganz – zwar kommt Moreck von seinem aufs Amüsement getrimmten Plauderton nie ganz weg, ab und an finden sich jedoch auch ernsthaftere Zwischentöne:

„Diese Kategorie (Anmerkung: gemeint sind Gelegenheitsverbrecher) zählt in der Gegend zwischen Alexander- und Rosenthaler Platz zu Tausenden. Ihre Zahl steigt und fällt im Verhältnis zur Arbeitslosigkeit. Der jüngere und meist unverheiratete Arbeitslose verfällt dem Verbrechen am leichtesten. Er entwurzelt schneller, er ist anspruchsvoller, er ist in seiner Isolierung leichter der Verführung zugänglich, und er ist gleichgültiger gegen eine Freiheitsstrafe, die ihn ja keiner Familie entreißt.“

Vielleicht typisch Berliner Ironie: Zu jener Zeit gab es auch Kneipen die „Gummiknüppel“ und „Sing-Sing“ hießen, die man mit Herrn Moreck ebenfalls frequentieren kann. Wenn man wissen will, wie es dort und in diesen Palästen und Kaschemmen aussah, für den bietet die  Neuausgabe zahlreiche historische Fotografien. Die Illustrationen sowie ein umfangreiches Glossar und ein alphabetischer Überblick über alle genannten Etablissements machen den „Führer durch das lasterhafte Berlin“ zu einer runden Angelegenheit und nützlichen Quelle. Dass das Buch schon seinerzeit der Unterhaltung und dem Gebrauch dienen sollte, ist offensichtlich – das bietet es, nicht mehr und nicht weniger.


Bibliographische Angaben:

Curt Moreck
Ein Führer durch das lasterhafte Berlin
Bebra Verlag
ISBN 978-3-89809-149-7

Joachim Ringelnatz – Das Lied vom 3. Juli

Ein verspieltes Frühwerk, enthalten in „Die Schnupftabaksdose“, die 1912 erschien. Untertitel: Stumpfsinn in Versen und Bildern.

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Ein Lied, das der berühmte
Philosoph Haeckel am 3. Juli 1911
vormittags auf einer Gartenpromenade
vor sich hinsang

(Von einem Ohrenzeugen)

Wimmbamm Bumm
Wimm Bammbumm
Wimm Bamm Bumm

Wimm Bammbumm
Wimm Bamm Bumm
Wimmbamm Bumm

Wimm Bamm Bumm
Wimmbamm Bumm
Wimm Bammbumm.

Joachim Ringelnatz

Joachim Ringelnatz – Herbstliche Wege

Viele wissen von ihm nur als verspielten Dichter. Dabei war die Bandbreite von Ringelnatz enorm – vom puren Expressionismus bis zur leichten Melancholie.

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Des Sommers weiße Wolkengrüße
zieh`n  stumm den Vogelschwärmen nach,
die letzte Beere gärt voll Süße,
zärtliches Wort liegt wieder brach.

Und Schatten folgt den langen Wegen
aus Bäumen, die das Licht verfärbt,
der Himmel wächst, in Wind und Regen
stirbt Laub, verdorrt und braun gegerbt.

Der Duft der Blume ist vergessen,
Frucht birgt und Sonne nun der Wein
und du trägst, was dir zugemessen,
geklärt in deinen Herbst hinein.

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

Joachim Ringelnatz – Reisegeldgedicht

Wanderjahre erlebte Ringelnatz nicht nur in seiner Zeit als Seemann. Auch später, als Kabarettist und Schriftsteller, war er ständig unterwegs.

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Es gibt der Worte nicht genug,
Um Heim und Heimat laut zu preisen.
Um zehn Uhr vierzig geht mein Zug.
Adieu! Adieu! Ich muß verreisen.

Mein Reisekoffer, frisch entstaubt,
Folgt seiner Sehnsucht in die Weite
Und hat mir freundschaftlich erlaubt,
Daß ich ihn unterwegs begleite.

Und Sehnsucht, Kohle und Benzin
Soll uns recht fern durch Fremdes treiben,
Damit wir denen, die wir fliehn,
Recht frohe Ansichtskarten schreiben.

Auf Wiedersehn! Ich reise fort.
Mein Reisekoffer sucht andres, andre.
Bis ich erkenne: Hier ist dort
Und neu vergnügt nach Hause wandre.

Joachim Ringelnatz, in: „Verstreut Gedrucktes“

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