Volker Keidel: Wer alkoholfreies Radler trinkt, hat sich schon aufgegeben

Mit viel Humor nimmt Volker Keidel die Hypes unserer Gegenwart aufs Korn. Florian Pittroff hat sich mit dem Buch gut amüsiert.

Bild: Florian Pittroff https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

Alkoholfreies Radler, Slim-fit-Jeans und Hygge: Volker Keidel ist nicht der einzige, „dem so Schwachsinn auf der Welt auffällt“, meint Gastautor Florian Pittroff. Man könne sich ab und zu wirklich selber entdecken, in den kurzen Geschichten von Volker Keidels neuem Buch „Wer alkoholfreies Radler trinkt, hat sich schon aufgegeben“:

Amüsant, geistreich und immer auch mit einem Schuss Bier erzählt Keidel Alltagsgeschichten, die jeder schon mal erlebt hat – herrlich finde ich gleich die erste Geschichte „Nur Hacke Hygge“. Ich muss gestehen, den Hype kannte ich bis dato nicht, aber die Situation kenne ich sehr gut. Auf Parties nicht auffallen, immer schön Ruhe geben und vor allem nichts Falsches sagen. Ich muss zugeben, ich fühlte mich beim Lesen mitten drin im Hygge-Fest.

Früher war mehr Jeans

Ähnlich gelagert ist es in der Geschichte „Tanz mir ein Gedicht“. „Ich brauchte eine Weile, bis ich kapierte, dass sie ein Gedicht vortanzt (…) Alleine und zweifelsohne nüchtern ein Gedicht vortanzen, das nenne ich mutig (…) die Zuschauer saßen wie gebannt auf ihren Stühlen, die Augen glänzten vor Begeisterung. (…) Mir war klar, dass ich mich benehmen musste, wenn ich noch etwas trinken wollte an diesem Abend“. Das mit dem Trinken ist dann aber ein anderer – nicht minder amüsanter – Teil der Geschichte.

Man kann oft so richtig lachen bei der Lektüre des Buches. Auch „Früher war mehr Jeans“ ist mitten aus dem Leben. Obgleich ich mich schon manchmal gefragt habe, ob Volker Keidel das wirklich so und nicht anders erlebt hat, oder ob er doch ab und an seiner Phantasie freien Lauf ließ. Ist aber auch egal! Ich habe mich auf den 208 Seiten wunderbar unterhalten. Hab die ein oder andere Passage auch meiner Frau und meinem Sohn vorgelesen und so konnte die ganze Familie an dem Spaß partizipieren. Und Spaß hat das Lesen der Kurzgeschichten wahrlich gemacht! Kann man nur empfehlen – jetzt in Coronazeiten und natürlich auch danach.


Informationen zum Buch:

Volker Keidel
Wer alkoholfreies Radler trinkt, hat sich schon aufgegeben
Knaur TB, 2020
Taschenbuch, 208 Seiten, 9,99 €, auch als E-Book erhältlich
ISBN: 978-3-426-79066-3


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

www.flo-job.de

Joachim Ringelnatz – Der Bücherfreund

„Der Bücherfreund“ erschien in der Gedichtsammlung „Allerdings“ 1928. Ringelnatz hatte, auch als Bibliothekar, eigene bibliomanische Erfahrungen gesammelt.

Bild von Nino Carè auf Pixabay

Ob ich Biblio- was bin?
Phile? „Freund von Büchern“ meinen Sie?
Na, und ob ich das bin!
Ha! und wie!

Mir sind Bücher, was den anderen Leuten
Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,
Turnsport, Wein und weiß ich was, bedeuten.
Meine Bücher — wie beliebt? Wieviel?

Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.
Bitte, doch mich auszureden lassen.
Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal
Halb imstande ist zu fassen.

Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben
Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur
Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben —
Hei ! das gibt den Muskeln die Latur.

Oh, ich mußte meine Bücherei,
Wenn ich je verreiste, stets vermissen.
Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,
Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.

Ja natürlich auch vom künstlerischen
Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken
So nach Gold und Lederton zu mischen,
Daß sie wie ein Bild die Stube schmücken.

Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen
Meine ungeheure Leidenschaft,
Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.
Bücher lasten, Bücher haben Kraft.

Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,
Und Sie fragen etwas reichlich frei.
Auch bei andern Menschen als Barbaren
Gehen schließlich Bücher mal entzwei.

Wie ? – ich jemals auch in Büchern lese??
Oh, sie unerhörter Ese—
Nein, pardon! – Doch positus, ich säße
Auf dem Lokus und Sie harrten
Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur
Ja nicht länger auf mich warten.
Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,
Den man abseits ohne Zeit und Uhr
Düngt und erntet dann Literatur.

Bücher – Nein, ich bitte Sie inständig:
Nicht mehr fragen! Laß dich doch belehren!
Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig
Handsigniert sind, soll man hochverehren.

Bücher werden, wenn man will, lebendig.
Über Bücher kann man ganz befehlen.
Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,
Und die Seelen können sich nicht wehren.

Joachim Ringelnatz

„Der Bücherfreund“ erschien erstmals in der Ringelnatzischen Gedichtsammlung „Allerdings“ im Jahr 1928. Ob der Bücherfreund Ringelnatz selbst über eine so überbordernde Bibliothek verfügte, bezweifle ich – zu unstet war sein Leben, zu oft war er unterwegs, zu häufig auch in finanziell prekäre Lagen, um selbst eine Bildungsbürgerbüchersammlung um sich zu haben. Allerdings kannte er sich – nicht nur als Lesender und Schreibender – aus im „Verwalten“ von Bücherbergen. Vielleicht dachte er bei diesem Gedicht an seine Zeit in Klein-Oels zurück: Dort verwaltete er 1912 die Bibliothek des Grafen Yorck v. Wartenburg. Nachdem er wegen einer Prügelei entlassen worden war, arbeitete er im Jahr darauf als Bibliothekar Börnes v. Münchhausens, später als Bibliothekar und Fremdenführer auf Burg Lauenstein (Oberfranken), bis er 1913 wieder nach München ging, um seiner eigentlichen Berufung als Bühnenkünstler und Schreibender nachzugehen.

Joachim Ringelnatz – Ostern

Wer das Original-Osterei sucht: Ringelnatz veröffentlichte es 1928 in seinem Gedichtband „Allerdings“ beim Ernst Rowohlt Verlag.

Bild von Capri23auto auf Pixabay

Wenn die Schokolade keimt,
Wenn nach langem Druck bei Dichterlingen
„Glockenklingen“ sich auf „Lenzesschwingen“
Endlich reimt,
Und der Osterhase hinten auch schon preßt,
Dann kommt bald das Osterfest.

Und wenn wirklich dann mit Glockenklingen
Ostern naht auf Lenzesschwingen, – – –
Dann mit jenen Dichterlingen
Und mit deren jugendlichen Bräuten
Draußen schwelgen mit berauschten Händen – – –
Ach, das denk ich mir entsetzlich,
Außerdem – unter Umständen –
Ungesetzlich.

Aber morgens auf dem Frühstückstische
Fünf, sechs, sieben flaumweich gelbe, frische
Eier. Und dann ganz hineingekniet!
Ha! Da spürt man, wie die Frühlingswärme
Durch geheime Gänge und Gedärme
In die Zukunft zieht,
Und wie dankbar wir für solchen Segen
Sein müssen.

Ach, ich könnte alle Hennen küssen,
Die so langgezogene Kugeln legen.

Joachim Ringelnatz

Ich hatte leider weder ein Foto von Hennen noch von langgezogenen Kugeln. Aber zum Ei gehört irgendwie ja auch der Hahn und auch mein geliebter Ringelnatz war letzten Endes so ein kleiner Gockel.
Frohe Ostertage wünsche ich Euch allen!

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