KATRIN SEGLITZ: Zarathustra kam an einem Donnerstag

In ihrem neuen Roman „Zarathustra kam an einem Donnerstag“ verknüpft die Autorin Katrin Seglitz geschickt Privates, Politisches und die Philosophie Nietzsches. Sie zeigt ein Paar und eine Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Willkommenskultur und Ängsten, die durch die Migrationsbewegung ausgelöst werden.

„Zar sagte: Zarathushtra besteht aus zwei Wörtern. Zar heißt gelb oder golden, und tushtra Stern. Zarathushtra bedeutet also goldener Stern. Einige sagen aber auch, dass Zarathushtra gelbes Kamel bedeutet, weil ushtra das Wort für Kamel ist.“

Oktober 2014. Eine kleine Stadt im Süden Baden-Württembergs. Iris nimmt einen Flüchtling bei sich auf. Ihr Partner Arne, der als Winzer und Böttcher im Saale-Unstrut-Gebiet lebt, aber regelmäßig bei Iris ist, heißt den Neuankömmling zunächst willkommen. Der kommt aus dem Norden Afghanistans und heißt Zar, Abkürzung von Zarduscht oder Zarathustra. Und damit kommt der Zarathustra von Nietzsche ins Spiel.

Arne hat als junger Mann versucht, die DDR zu verlassen, Zar ist aus Afghanistan geflüchtet. Das müsste sie eigentlich verbinden, aber je länger sie zusammenwohnen, desto mehr entfernen sie sich voneinander. Zar träumt mit Nietzsches Zarathustra von einem Gott, der tanzen kann, Iris von einer Veränderung der Gesellschaft und von Verwandlungen und Arne ist angezogen vom Willen zur Macht.

Das Paar Iris und Arne entfremdet sich immer mehr. Nach ihrer Trennung geht Arne zum ersten Mal zu einem Treffen der AfD. Und auch hier kommt wieder Nietzsche ins Spiel: Auf Nietzsche haben sich die Nazis bezogen, auf Nietzsche beziehen sich die Strategen der AfD. Ein Missverständnis? Denn Nietzsche hat sich zwar abfällig über Demokratie geäußert, er hat sich aber auch lustig gemacht über Nationalismus und Deutschtümelei.

Sein Zarathustra rät in der Rede „Von der Nächstenliebe“:

Der Eine geht zum Nächsten, weil
er sich sucht, und der Andre, weil
er sich verlieren möchte. Die Ferneren
sind es, welche eure Liebe
zum Nächsten bezahlen; und schon
wenn ihr zu fünfen miteinander
seid, muss immer ein sechster
sterben. Meine Brüder, zu Nächstenliebe
rathe ich euch nicht:
ich rathe euch zur Fernsten-Liebe.


Katrin Seglitz ist mit „Zarathustra kam an einem Donnerstag“ ein wunderbar dichter Text gelungen. Die Spaltung unserer Gesellschaft, die sich im Umgang mit geflüchteten Menschen auch im persönlichen Bereich niederschlägt, wird so aufgegriffen, dass Privates und Politisches ineinanderfließen und zu Literatur werden. Schon bald bekommt das Beziehungsgefüge von Arne, Iris und Zar Risse. Politik und Privates verknüpft die Autorin dabei klug mit der Philosophie Nietzsches, der im Roman sogar seine leibhaftigen Auftritte hat. Und nicht zuletzt werden auch die unterschiedlichen Ost-West-Biographien an den Missverständnissen und dem Zerwürfnis zwischen Iris und Arne deutlich.


Zur Autorin:

Katrin Seglitz kommt aus München, sie hat Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und lebt heute in der Nähe des Bodensees. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien schreibt sie Romane. „Zarathustra kam an einem Donnerstag“ ist ihr dritter Roman. Iris und Arne sind ihren Lesern bereits durch den Roman „Schweigenberg“ bekannt.
Homepage der Autorin: www.katrin-seglitz.de.


Zum Buch:

Katrin Seglitz
Zarathustra kam an einem Donnerstag
Verlag osbert+spenza
März 2024
Hardcover, Lesebändchen, 280 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-947941-04-9

Kontakt Verlag:
osbert+spenza
Peter Albrecht
Bachstraße 8 a
88090 Immenstaad
Tel. +49-171 37 85 604
E-Mail: info@osbert-spenza.de

https://www.osbert-spenza.de

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Lyrikhandlung Tübingen: Eine Heimat für Nachwuchstalente

In der Lyrikhandlung am Hölderlinturm in Tübingen erwartet Besucherinnen der Buchhandlung nicht nur die ganze Bandbreite bekannter klassischer und zeitgenössischer Lyrik sowie ein ausgewähltes Angebot an literarischer Belletristik, Biografien, feiner Papeterie und vieles mehr, sondern auch Texte noch unbekannter Autoren. Noch mehr als zuvor will Ulrike Geist künftig ihren Laden für junge, unbekannte Dichterinnen und Dichter öffnen und lyrische Nachwuchsförderung betreiben.

Im vergangenen Sommer war der Ulmer Lyriker Marco Kerler mit seiner Schreibmaschine auf der Terasse der Lyrikhandlung zu Gast. Diese soll künftig zum ständigen Poetry’s Corner werden.

In der Lyrikhandlung am Hölderlinturm in Tübingen erwartet Besucherinnen der Buchhandlung nicht nur die ganze Bandbreite bekannter klassischer und zeitgenössischer Lyrik sowie ein ausgewähltes Angebot an literarischer Belletristik, Biografien, feiner Papeterie und vieles mehr, sondern auch Texte noch unbekannter Autoren. Noch mehr als zuvor will Ulrike Geist künftig ihren Laden für junge, unbekannte Dichterinnen und Dichter öffnen und lyrische Nachwuchsförderung betreiben. So findet ab diesen Sommer auf der Terasse vor der Lyrikhandlung jeweils von 12.30 bis 13.30 Uhr eine „Lyrische Mittagspause“ statt. „Junge Autorinnen und Autoren sind eingeladen, hier ihre Texte vorzutragen und ihre Wirkung zu erproben, bevor sie gedruckt in die Welt entlassen werden“, erklärt Ulrike Geist. Ebenso werde künftig einer der beiden Lyrikautomaten mit Texten junger, noch unbekannter Autorinnen bestückt. „Ich möchte damit das Schaffen von Nachwuchsautoren unterstützen, ihnen den Weg zu erster Bekanntheit und größerer Verbreitung ebnen“, betont die Buchhändlerin. Texte können als offene Word-Datei zugesandt werden, Ulrike Geist trifft ihre Auswahl und lädt sie in den Automaten.

Lyrikworkshops für Schülerinnen und Schüler

Die neuen Angebote fügen sich ein in das Konzept der Lyrikhandlung, die nach Ulrike Geist ein Ort sein soll, an dem „Dichtung gelebt“ wird. Dazu gehört auch ihr Angebot an „Lyrikworkshops für Schüler“ ab der achten Klasse, das bereits jetzt von Schulen im Umkreis von Tübingen gut angenommen wird. Nach dem Vorbild der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller können Jugendliche aus Magazinen und Zeitungen mit Schere und Papier spontane Wort-Collagen schöpfen und erfahren dabei die Lebendigkeit von Sprache und Denken. Die eigenen Arbeiten werden im Anschluss reflektiert, darüber hinaus gibt es begleitende Angebote wie Lyrik-Clips und Einspielungen von Dichterlesungen. Die Workshops werden für bis zu 20 Jugendliche angeboten und können mit Ulrike Geist individuell vorbesprochen werden.

Ein neues Angebot ist auch die „Nachlese“: Ob allein, zu zweit oder mit einer Gruppe – bei der „Nachlese“, die Ulrike Geist künftig jeden letzten Freitag im Monat anbietet, können Interessierte zwischen 19.00 und 22.00 Uhr völlig ungestört nach Ladenschluss ihrer Leselust nachgehen. Bei Brot, Käse und Wein können Interessierte nach Herzenslust im Sortiment stöbern und schmökern. Erst im Anschluss stößt die Buchhändlerin für Fragen und Beratung dazu. „Ich möchte Menschen dazu anregen, sich einfach einmal in Ruhe mit der ganzen Bandbreite wunderbarer Lyrik zu beschäftigen“, erläutert die Buchhändlerin, „und das gemütliche Ambiente meines Ladens lädt dazu ja auch richtig ein.“ Die „Nachlese“ könne auch individuell an einem anderen Tag, beispielsweise als besonderes Geschenk zu einem Geburtstag oder anderen Anlass oder beispielsweise von einem Lesekreis gebucht werden. Informationen und Anmeldemöglichkeiten gibt es direkt bei der Lyrikhandlung

Weitere Information und Kontakt:

Lyrikhandlung am Hölderlinturm
Ulrike Geist
Bursagasse 15
72070 Tübingen
Telefon: 07071/5667171
E-Mail: info@lyrikhandlung.de
www.lyrikhandlung.de

Im Rahmen meiner Pressearbeit für die Lyrikhandlung am Hölderlinturm.

JUTTA WEBER-BOCK: Das Vermächtnis der Kurfürstin

Das Schicksal der historischen Christiane Ruthardt, die als uneheliche Tochter unter Vormundschaft aufwächst, spiegelt die abhängige Situation der Frauen Anfang des 19. Jahrhunderts wieder. Jutta Weber-Bock spürt in ihrem neuen historischen Roman dem Kampf der jungen Frau um ein eigenständiges Leben nach.

»Das Vermächtnis der Kurfürstin« beschreibt als Fortsetzung von »Das Mündel des Hofmedicus« (2020) das Leben von Christiane als junge Frau, die weiter um jeden Schritt in ein selbstbestimmtes Leben kämpfen muss. Christiane wächst als Mündel des Hofmedicus von Klein auf, der von seiner Schwester Elisabeth Hehl vergiftet wird. Diese will dadurch die Vormundschaft über Christiane erlangen. Doch Christiane flieht und arbeitet als Kammerzofe bei verschiedenen Herrschaften in Süddeutschland. Ohne die Zustimmung Elisabeths kann sie jedoch weder heiraten noch sich niederlassen. Auf bestickten Servietten erhält Christiane eine geheimnisvolle Nachricht von der Kurfürstin, die sie zur Aufklärung ihrer Herkunft und einem vielversprechenden Erbe führen soll. Doch auch Elisabeth ist auf das Vermögen aus. Sie versucht ihre Vormundschaft auszuspielen und setzt damit nicht nur Christiane mit ihren skrupellosen Intrigen unter Druck. Damit entfaltet die Autorin ein spannendes, fiktives Ränkespiel um die historische Person der Christiane Ruthardt.

Die Handlung:
Nach dem Tod von Christianes Ziehvater liegt das Sorgerecht bei dessen Schwester, der Bergrätin Elisabeth Hehl. Um ihrem Einfluss zu entgehen und eine gute gesellschaftliche Stellung zu erlangen, flieht Christiane. Doch eine standesgemäße Heirat wird ihr von Elisabeth verwehrt. Als Christiane herausfindet, dass Kurfürstin Mathilde ihr eine ansehnliche Geldsumme vermacht hat, schmiedet Elisabeth einen teuflischen Plan, wie sie nicht nur an das Vermögen herankommen, sondern Christiane für immer zu ihrem Mündel machen kann.


Zur Autorin:

Jutta Weber-Bock wurde 1957 in Melle geboren und ist dort aufgewachsen. Schon als Kind übten alte Mühlen und Fachwerkhäuser eine große Faszination auf sie aus, ihre Neugier auf Geschichte und Geschichten war geweckt. Sie studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Osnabrück und ist ausgebildete Gymnasiallehrerin. Im Jahr 1983 ist Jutta Weber-Bock mit einer Liebe nach Stuttgart gekommen und aus Liebe zur Stadt geblieben. Heute lebt sie im Heusteigviertel und joggt bei jedem Wetter zum Fernsehturm oder wandert in Istrien, auf der Suche nach Riesen und alten Bahnstrecken. Sie ist freie Schriftstellerin sowie Dozentin und in verschiedenen Autor:innenvereinigungen aktiv. »Das Vermächtnis der Kurfürstin« ist ihr zweiter Roman zum Leben der Giftmörderin Christiane Ruthardt.
https://weber-bock.de/


Stimmen zum Buch:

Hier beschreibt Jutta Weber-Bock selbst ihre Rechercheschritte und Ideen zu ihrem Text: http://buchwurm.org/feature-jutta-weber-bock-ueber-die-recherche-von-historischen-texten/

„Christiane Ruthardt (…) war die letzte Person, die im damaligen Württemberg hingerichtet wurde. 1845 wurde das Urteil gegen Christiane Ruthardt vollstreckt. Ein Schicksal, das Weber-Bock berührte.“ – Portrait in der Neu-Ulmer Zeitung

Auf einer ganzseitigen Reportage in der Stuttgarter Zeitung („Gift für den Gatten“ am 11.07.2022) geht Adrienne Braun im Gespräch mit Jutta Weber-Bock auf das Schicksal der Stuttgarterin Christiane Ruthardt ein.

„Das Vermächtnis der Kurfürstin“ ist die Fortsetzung des historischen Romans „Das Mündel des Hofmedicus“ (…). Erzählt wird auch hier von Christiane Ruthardt, einer jungen Frau, die zu Beginn des 19. Jht. um ein selbstbestimmtes Leben kämpft, gegen Bevormundung, dunkle Machenschaften und Ränkespiele. Und die Autorin entwirft bis ins Detail hinein Bilder vom damaligen Leben.“ – SWR 4, Kultur in Baden-Württemberg

Jutta Weber-Bock gibt in Interviews bei der „Leserkanone“
und bei Buchwurm.info Auskunft zu ihrem neuen Buch. Auch bei „Carmens Bücherkabinett“ ist ein ausführliches Gespräch mit der Autorin erschienen.

Ein umfangreiches Interview führte Gerhard Keck mit Jutta Weber-Bock für die Südwest Presse/Neckar-Chronik in Freudenstadt.

„Mit ihrem eindrücklichen, bildhaften Erzählstil nimmt mich Jutta Weber-Bock mit auf eine Reise in eine Zeit, wo Frauen fast keine eigenen Rechte hatten. Beim Lesen merke ich immer wieder, wie aufwendig und genau sie recherchiert hat um mir das Bild dieser Zeit noch eindeutiger vor Augen zu führen. Ich habe diese Reise sehr genossen.“ – Gaby Hochrainer beim „Krimi und mehr“-Blog

„Besonders gut hat mir die ausführliche Recherche der Autorin Jutta Weber-Bock gefallen, vieles von dem, was sie in ihrem Roman erwähnt ist, nachvollziehbar und historisch belegt. So beschreibt sie nicht nur das Leben des Adels oder anderer höher gestellter Personen, auch das Leben der Dienstboten ist anschaulich beschrieben.“ – Manuela Hahn bei „Lesenswertes aus dem Bücherhaus“.

„Christiane, die junge Heldin dieses historischen Romans, gelingt es wegen ständiger Widrigkeiten nicht, sich ein selbst bestimmtes und gut situiertes Leben aufzubauen. (…) Aber sie ist eine echte Kämpferin, gibt nicht auf und ist arbeitet hart. Das zahlt sich schon etwas aus. Sehr gut recherchiert wurde gerade das Leben der einfachen Leute und Dienstboten im 19. Jahrhundert. Sie wurden teilweise fast wie Sklaven gehalten und schlechter behandelt als die verwöhnten Hunde ihrer Herrschaften. Unterhaltsam, sozialkritisch, flüssig geschrieben und informativ ist das Buch.“ – Nur eine vieler positiver Leser*innenstimmen bei Osiander


Bibliographische Angaben:

Jutta Weber-Bock

Das Vermächtnis der Kurfürstin
Gmeiner Verlag, Meßkirch,
April 2022
Taschenbuch, 480 Seiten
EUR 15,00 [D] / EUR 15,50 [A]
ISBN 978-3-8392-0113-8


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Autorin

AEGIS: Wo einem Bücher in die Tüte kommen

Was macht eine Nähmaschine in einem Buchladen? Ganz einfach: Sie steht für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Rasmus Schöll, Inhaber der Aegis Buchhandlung Ulm, wollte seinen Kundinnen und Kunden eine Alternative zum folierten Geschenkpapier bieten, das umweltschädlich ist und meist nach einmaligem Gebrauch im Müll landet.

Was macht eine Nähmaschine in einem Buchladen? Ganz einfach: Sie steht für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Rasmus Schöll, Inhaber der Aegis Buchhandlung Ulm, wollte seinen Kundinnen und Kunden eine Alternative zum folierten Geschenkpapier bieten, das umweltschädlich ist und meist nach einmaligem Gebrauch im Müll landet.

Rasmus Schöll an der Nähmaschine.

Beim schwäbischen Hersteller „Tütle“ in Dettenhausen wurde er fündig: Dort werden Tüten aus 100 Prozent Altpapier angeboten, die zudem vollständig kompostierbar sind und auch wiederverwendet werden können, beispielsweise als Kompostbeutel. Zudem fließt ein Teil des Erlöses in die Aufforstung naturnaher Wälder.

Hübsch illustriert gibt es die Tüten nun bei Aegis Ulm und der Schwesterbuchhandlung in Söflingen in mehreren Größen: Passend für Taschenbücher, Hardcover und größere Formate. Will ein Kunde ein Buch als Geschenk „eingetütet“ haben, kommt schlussendlich die Nähmaschine in Einsatz – kurzerhand wird die Tüte zugenäht, natürlich mit umweltfreundlichen Baumwollfaden.

https://aegis-literatur.buchhandlung.de/shop/

Literarische Orte: Der Revoluzzer von der Alb

Zum Schubart-Jahr 2019: Schubart (1739 – 1791) wurde zum berühmtesten politischen Gefangenen seiner Zeit. Zu sehr hatte er gegen Adel & Kirche polemisiert.

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Gottes Schild flamm‘ über dir! In dir werden Männer geboren stark und voll Kraft. Deutschheit, redlicher Sinn, schwäbische Herzlichkeit, redselige Laune, unschuldiger Scherz seyen immer, wie bisher, dein Eigenthum. Der Vorsicht Flügel schweb‘ über eurer Kirche, eurem Rathhause, euren Hütten, und – eurem Gottesacker!“

Christian Friedrich Daniel Schubart, Zitat aus „Simon von Aalen“, ca. 1775

Die Schwäbische Alb ist eine rauhe Landschaft. Geprägt vom Juragestein, ein Land, das den Menschen früherer Zeiten alles abverlangte. Der „Älbler“, er gilt gemeinhin als „eigen“. Und mitten hinein in diese herbe, karge Gegend wird 1739 ein wortstarker Freigeist und Luftikus geboren: Christian Friedrich Daniel Schubart. Geboren im württembergischen Obersontheim wurde für Schubart zur eigentlichen prägenden Stadt der Kindheit und Jugendjahre jedoch das nahegelegene Aalen: Hier wirkte der Vater Schubarts ab 1740 als Präzeptor und Musikdirektor.

In seinen Memoiren schrieb Schubart später:

„In dieser Stadt, die verkannt wie die redliche Einfalt, schon viele Jahre im Kochertale genügsame Bürger nährt – Bürger von altdeutscher Sitte, bieder geschäftig, wild und stark wie ihre Eichen, Verächter des Auslands, trotzige Verteidiger ihres Kittels, ihrer Misthaufen und ihrer donnernden Mundart, wurd ich erzogen… Was in Aalen gewöhnlicher Ton ist, scheint in anderen Städten trazischer Aufschrei und am Hofe Raserei zu sein. Von diesen ersten Grundzügen schreibt sich mein derber deutscher Ton…“

In Aalen lebte Schubart bis 1753, dann wurde er zur Universitätsvorbereitung auf das Gymnasium in dem etwa 40 Kilometer entfernten Nördlingen geschickt. Während des Theologiestudiums in Erlangen macht der Feuerkopf bereits das erste Mal Bekanntschaft mit dem Gefängnis – er, der zeitlebens Wein, Weib und Gesang zugetan war, landet dort wegen Schulden. Geknickt kehrt er 1760 nach Aalen zurück, wo er seinen Vater als Kantor und Prediger unterstützt. 1763 kommt er als Organist nach Geislingen, ebenfalls auf der Schwäbischen Alb gelegen, 1773 wird er jedoch als Stadtorganist wegen seines lockeren Lebenswandels und seiner frechen Zunge aus dem Dienst entlassen.

Herausgeber eines Wochenblatts in Augsburg

Sein weiterer Lebensweg führt ihn durch weite Teile Württembergs und Bayerns. 1774 ist ein bedeutsames Jahr: Schubart wendet sich dem Journalismus zu. In Augsburg gibt Christian Friedrich Daniel Schubart erstmals ein Wochenblatt, das in der Regel zweimal wöchentlich erschien, unter dem Namen „Deutsche Chronik“ heraus. Bereits nach fünf Wochen verbietet der Augsburger Magistrat jedoch den Druck des Journals, dieser wird dann 1776 bis 1777 beim Verlag Wagner in Ulm fortgesetzt.

Heiner Jestrabek schreibt dazu in der Broschüre „Sturm und Drang auf der Ostalb“:

Die „Deutsche Chronik“ war ein volkstümliches Blatt, das sich mit politischen Fragen befasste und literarische, pädagogische und poetische Beiträge brachte. Die Chronik war ausserordentlich erfolgreich und bald das wichtigste puplizistische Organ der bürgerlichen Opposition im ganzen Deutschen Reich. Schubart war jetzt 35 Jahre alt und hatte endlich einen Beruf, der Dauer und Einkommen versprach. 1775 wurden 1600 Exemplare verkauft. Da die Chronik viel herumgereicht wurde, hatte sie bis zu 20.000 Leser. Nach nur fünf Wochen wurde der Druck in Augsburg untersagt und musste nach Ulm verlegt werden. Die katholische Partei in Augsburg sah in Schubart ihren Hauptfeind. So wurde Schubarts Schlafzimmer mit einem Steinhagel bedacht, vor dem er nur unter seinem Bett Schutz fand. Besonders intensiv legte sich die Chronik mit dem Orden der Jesuiten an. Diese verbrannten sogar ein Spottgedicht des antiklerikalen Schubart öffentlich. Schubart schrieb in der Chronik: „den Geist dieses Ordens, der sich wie epidemischer Hauch im Finstern oder am hellen Mittage verderbend in einem Staat verbreitet“.

Schubart zieht 1775 nach Ulm, ist aber in der freien Reichsstadt gefangen. Nochmals Jestrabek:

„Auch mit seinen alten Widersachern, den Jesuiten gab’s Ärger. Ein Vorfall sollte die Brutalität und Gefährlichkeit dieser Klerikalen zeigen. Knapp ausserhalb der Ulmer Stadtmauern, in Wiblingen, wurde Josef Nickel, ein entlaufener Jesuitenschüler, der sich zu den Schriften Wielands, Lessings und Votaires bekannt hatte, gegen den Pater Gassner redete und offen für Schubart eintrat, unter dem Vorwurf der Ketzerei verhaftet, zum Tode verurteilt und „im Jahr des Heils 1776, am ersten Juni, Morgens 8 Uhr“ geköpft. Schubart, der ihm einen Roman geliehen hatte, wurde beschuldigt, der Verursacher der „Religionsbeschimpfung und Gotteslästerei“ Nickels gewesen zu sein. „Dieser Zufall kerkerte mich gleichsam in Ulm ein, weil mir ein gleiches Schicksal drohte“.

Schiller schreibt von Schubart ab

In diesen unruhigen Zeiten wird jedoch auch ein anderer Freiheitsdichter aus dem Württembergischen auf seinen Landsmann aufmerksam: 1775 veröffentlichte Schubart im „Schwäbischen Magazin“ seine Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“, Friedrich von Schiller liest diese später und verwendet sie in wesentlichen Teilen für sein Drama „Die Räuber“. Auch in der Erzählung, die Schubart mehrfach überarbeitete, zeigt sich seine spitze Zunge:

„Von uns armen Teutschen liest man nie ein Anekdötchen, und aus dem Stillschweigen unserer Schriftsteller müssen die Ausländer schließen, daß wir uns nur maschinenmäßig bewegen und daß Essen, Trinken, Dummarbeiten und Schlafen den ganzen Kreis eines Teutschen ausmache, in welchem er so lange unsinnig herumläuft, bis er schwindlige niederstürzt und stirbt. Allein, wann man die Charaktere von seiner Nation abziehen will, so wird ein wenig mehr Freiheit erfordert, als wir arme Teutsche haben, wo jeder treffende Zug, der der Feder eines offenen Kopfes entwischt, uns den Weg unter die Gesellschaft der Züchtlinge eröffnen kann.“


Als Schubart jedoch des württembergischen Herzogs Mätresse Franziska von Hohenheim in einem Schandgedicht als „Lichtputze, die glimmt und stinkt“ verspottet, ist er in den Augen der Obrigkeit fällig: Durch eine Intrige wird er 1777 nach Blaubeuren gelockt, von da aus geht es in den Kerker in Hohenasperg. Ohne Anklage oder gar Verurteilung wird Schubart in der Festung Asperg für zehn Jahre eingesperrt und damit der berühmteste politische Gefangene seiner Zeit. Er darf lange keine Besucher empfangen und wird in den Anfangsjahren mit Schreib- und Leseverbot belegt. Erst die politische Intervention Preußens führte zu seiner Freilassung 1787. Zwar setzt er seine angriffslustige Polemik auch dann wieder fort, unter anderem in der Vaterländischen Chronik. 1791 stirbt er jedoch, physisch wie psychisch gebrochen.

Zu seinem 275. Geburtstag würdigte ihn Frank Suppanz in einer Veröffentlichung des Reclam Verlages:

„Es wäre zu einseitig, in Schubart nur den literarischen Polemiker zu sehen. Er war ein hochbegabter Klavierspieler und Organist (…) Die Musik schien differenziertere Seiten in Schubarts Charakter zum Vorschein zu bringen. In seinen „Ideen zur Ästhetik der Tonkunst“ argumentiert ein Vollblutmusiker mit klassizistischen Normen – für Angemessenheit als Maßstab des musikalischen Ausdrucks und für feine Nuancierung als Voraussetzung eines schönen Vortrags.“

Der Marktplatz in Aaalen. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Zu seinem 280. Geburtstag erinnert die Stadt, der er zeitlebens innerlich verbunden blieb, mit zahlreichen Aktivitäten an den freiheitsliebenden Dichter und Musiker: So findet in Aalen am kommenden Wochenende (22. und 23. Februar 2019) eine Tagung zu „Schubart und die französische Revolution“ statt, der renommierte Schubart-Preis wird an Daniel Kehlmann vergeben und in der Veranstaltungsreihe „wortgewaltig“ wird der Bogen von Schubart zur zeitgenössischen Kultur geschlagen.

Ein Besuch der oberschwäbischen Stadt lohnt sich auch unabhängig von den Schubart-Aktivitäten wegen ihrer Limes-Thermen und dem mit den Römern verbundenen Status als Stätte des Weltkulturerbes: Hier befand sich das größte römische Reiterkastell nördlich der Alpen. Das Limesmuseum, die größte Einrichtung Süddeutschlands am UNESCO-Welterbe Limes, ist allemal einen Besuch wert, war allerdings in den vergangenen drei Jahren wegen grundlegenden Umbaus geschlossen. Ab Ende Mai können die Spuren der Römer auf der Alb wieder besichtigt werden.

Texte von Schubart:

Gedichte und Texte in der Bibliotheca Augustana
Stoffgeschichte zu „Die Räuber“

Schubart in der „Deutsche Biographie“

Literarische Orte: Klosterbibliothek Wiblingen – Lost in Rokoko

Die Bibliothek des Benediktinerklosters Wiblingen wurde ab 1757 genutzt. Sie diente sowohl dem Wissenserwerb als auch der Demonstration von Macht.

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Es ist schon ein wenig eine Überforderung für die Augen, wenn man den Bibliothekssaal in der ehemaligen Benediktinerabtei Wiblingen (bei Ulm) betritt: Erschlagen vom Rokoko. Zugegeben, meine Art der Hausbibliothek wäre das nicht – zu viele Staubfänger, hier vornehmer Allegorien genannt. Und zudem ist die Geschichte solcher Prestigebauten ebenso erdrückend wie ihr erster Anblick: Die Bibliothek als Hort der Bildung und Wissenschaft, erbaut auf dem Rücken und mit dem Geld der meist notleidenden Bevölkerung zu jener Zeit. Das 1093 gegründete Kloster wurde ab 1714 zum Objekt barocker Bauwut und Prestigesucht: Es wurde erweitert und komplett zu einem monumentalen barocken Bauensemble umgebaut.

„In quo sunt omnes thesauri sapientiae et scientiae absconditi“: Hier sind alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft bewahrt – begleitet von dieser selbstbewussten Aussage über der Bibliothekstür betritt man den Saal, der heute als eine der gelungensten Raumschöpfungen des Rokoko gilt. Er entstand zwischen 1740 und 1750, das Deckenfresko schuf der Maler Franz Martin Kuen: Die göttliche Weisheit, die über unserer aller Köpfe schwebt. Der Saal wurde 1757 bezogen, mehr als 13.000 Bücher fanden hier ihren Platz.

„Die Bibliothek ist ein schöner Saal, von dem es scheint, daß die Herren von Schussenried das Modell zum ihrigen möchten genommen haben; schön, was Malerkunst, Bildhauerei, Architektur und das Äußerliche überhaupt betrifft. Von der Büchersammlung sind die Meinungen nicht gleich; einige sagen, daß sie sehr ansehlich sei, andere wollen wissen, daß man in diesem Punkte allzu haushälterisch zu Werke gehe, als daß die Sammlung jährlich einen wichtigen Zuwachs bekommen sollte, und daran soll das schöne Kirchengebäude schuld sein. Von der Erfahrung kann ich da nicht sprechen; es war uns unmöglich uns länger als einige Minuten an diesem Orte aufzuhalten, und die Fustische Bibelausgabe von 1462 (die ich auf meiner Reise das dritte Mal hier sah) ausgenommen, bemerkte ich weiter nichts. Sonst wird hier auch ein in den Jahren 1384 und 1385 abgeschriebenes Nachfolgungs-Christibüchlein gezeigt, worin obgedachte Jahrzahlen drei- bis viermal vorkommen. Es ist dies ein Buch, über dessen Autor sich die Gelehrten schon lange zanken; wenn diese Jahrzahlen authentisch sind, so ist dem Streite bald abgeholfen.“

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Pater Johann Nepomuk Hauntinger (1756 – 1823), Stiftsbibliothekar des Benediktinerklosters St. Gallen, nach einem Besuch in Kloster Wiblingen. Sowohl St. Gallen als auch das im Text erwähnte Kloster Schussenried verfügen ebenfalls über einzigartige Klosterbibliotheken.

Zahlreiche allegorische Figuren tummeln sich in der Klosterbibliothek – sie stehen unter anderem für die Liturgie, Naturwissenschaften, Jurisprudenz, Mathematik, Askese und Weltverachtung und Wissenschaft. Über allem thront das Wissen der Welt. Und natürlich: Die Theologie.

Kein Geld für Bücher, aber an den repräsentativen Werken wurde trotzdem fleißig weitergebaut: 1783 wurde die neue Klosterkirche eingeweiht, ein Zeugnis der Barockzeit mit gewaltigen Dimensionen: 72 Meter lang, 27 Meter breit. Der Architekt der Kirche, Januarius Zick lieferte auch die Motive für die Deckenfresken, die bis heute als herausragende Beispiele süddeutscher Freskomalerei gelten.

Erschlagen vom Rokoko musste ein offenbar junger Besucher im Gästebuch seinem Herzen Luft machen: „Alles nur aus Plastik“. Wer sich selbst davon überzeugen will, ob Plastik oder echter Gips…hier geht es zu den näheren Informationen über Kloster Wiblingen.


Bilder zum Download:

Bild 1, Detailaufnahme Zirkel
Bild 2, Bibliothek
Bild 3, Skulptur groß
Bild 4, Bücherregal
Bild 5, Skulptur klein
Bild 6, Detailaufnahme Fächer
Bild 7, Innenhof
Bild 8, Innenhof mit Kirche
Bild 9, Portal Kirche


Udo Bayer: Carl Laemmle und die Universal – eine transatlantische Biografie

Eine Biographie über jüdischen Schwaben Carl Laemmle, der in den USA zum Filmmogul aufstieg und Hollywood gründete.

Bild von David Mark auf Pixabay

„Im Gesamtzusammenhang der rekonstruierbaren Fakten lassen sich Laemmles Auswanderungsmotive mit großer Wahrscheinlichkeit so rekonstruieren, dass er einerseits die nur bescheidenen beruflichen Aussichten mit den vermuteten Chancen in Amerika vergleicht, das zudem der Familie nicht ganz fremd ist und zusätzlich noch die Verlockungen einer den Jugendlichen faszinierenden Welt des Abenteuerlichen verspricht. So betrachtet fällt er auch aus der Typisierung heraus, die Hertzberg für die jüdischen Einwanderer Amerikas gibt. „Eine unglückliche europäische Vergangenheit“ Laemmles gibt es nicht, denn hiergegen spricht schon seine spätere Anhänglichkeit an seine Geburtsstadt.“

Dr. Udo Bayer, Carl Laemmle und die Universal – eine transatlantische Biografie

Von dem hier die Rede ist, ist Carl Laemmle, 1867 in der oberschwäbischen Kleinstadt Laupheim geboren – einer, der sich im Alter von 17 Jahren aufmacht, um in Amerika sein Glück zu machen, und wenige Jahre später mit anderen gemeinsam den Grundstein zur „Traumfabrik“ legt: Carl Laemmle, der 1912 die Universal Pictures gründete, 1915 mit der Universal City in Los Angeles das seinerzeit größte Filmstudio der Welt eröffnete – und damit als „Erfinder Hollywoods“ galt.

Laemmles Geschichte ist jedoch weit mehr als die einer besonders erfolgreichen Auswanderung. Seine Biographie ist auch ein wesentlicher Teil der Geschichte des Judentums in Baden-Württemberg und Bayern – von der Ansiedlung in den schwäbischen Gemeinden, in denen die jüdischen Familien mit beschränkten Rechten als „Fremdkörper“ ihre Existenz aufbauten (noch heute gibt es in Laemmles Geburtsstadt beim Standort der ehemaligen Synagoge einen „Judenberg“) über die langsame Assimilation, Integration und Emanzipation, bedingt vor allem durch den wirtschaftlichen Erfolg der jüdischen Gemeinden, über die Auswandungsbewegung ab den 1860er Jahren bis hin zum Holocaust.

Auch Laemmle war aus der wirtschaftlichen Not heraus gezwungen, auszuwandern. Aber obwohl er in den USA eine unvergleichliche Karriere hinlegte, blieb er seinem Geburtsort sein Leben lang verbunden. Er besuchte ihm mehrfach und trat finanziell als Mäzen auf: So stiftete er das Volksbad, gründete eine Armenstiftung und half durch zahlreiche Spenden.

Unerwünscht in der Heimat

Bis er zur unerwünschten Person wurde. Den Verunglimpfungen durch die Nationalsozialisten, auch an seinem Heimatort, wo ihm die 1919 anerkannte Ehrenbürgerschaft flugs wieder abgesprochen worden war, begegnete Laemmle auf seine Weise: Er verhalf mehr als 300 Juden mit so genannten Affidavits zur Flucht aus Deutschland während des NS-Regimes. Ein Zeichen setzte er auch in seiner Arbeit: So produzierte er nicht nur Unterhaltungsfilme und Kassenschlager wie „Das Phantom der Oper“ oder den „Glöckner von Notre-Dame“, sondern (bzw. sein Sohn Julius) auch „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Buch und Film – beides die Anti-Kriegsklassiker per se – wurden im Deutschen Reich verboten.

Lange wurde die Geschichte Laemmles auch in seiner Heimatstadt verschwiegen, bis sich engagierte Bürgerinnen und Bürger der Aufarbeitung des Schicksals der jüdischen Gemeinde, die im württembergischen Laupheim zeitweise eine der größten Gemeinden des Königreichs war, widmeten. Die Gemeinde ging auf einige jüdische Familien aus Illereichen und Buchau zurück, die 1724 durch Reichsfreiherr Anton v. Welden als Schutzjuden in Laupheim „zur Belebung des Laupheimer Markts” angesiedelt wurden.

Udo Bayerl erforschte die Geschichte Laemmles

Auch der Gymnasiallehrer Dr. Udo Bayer widmete sich jahrelang bis zu seinem frühen Tod der Erforschung dieses Aspekts der Lokalgeschichte. Ab 1988 recherchierte er insbesondere zum Leben Carl Laemmles – akribisch und mit hohem Aufwand.  Bayer zeichnete in seiner eingangs zitierten Biographie Aufstieg und Niedergang nach – die Universal Pictures kommen in finanzielle Schwierigkeiten just zu jener Zeit, als Laemmle in der alten Heimat mehr und mehr zur persona non grata wird, als „Filmjude“ gebrandmarkt. Durch die Weltwirtschaftskrise ins Strudeln geraten, muss Laemmle 1936 sein Unternehmen verkaufen. 1939 stirbt er an einem Herzinfarkt in seiner Villa in Beverly Hills – hochgeachtet als Filmpionier und „Erfinder“ Hollywoods. Über 2500 Menschen, darunter zahlreiche Regisseure, Stars und Sternchen, geben ihm das letzte Geleit.

Anders dagegen in der alten Heimat, für die er soviel tat:
Der Name Carl Laemmle war aus dem Stadtbewußtsein gelöscht worden: Auch die  erst 1927 so getaufte Carl-Laemmle-Straße wurde 1933 wieder umbenannt – nichts durfte an den früheren Gönner und Wohltäter der Stadt erinnern. Noch in den 90er-Jahren löste der Vorschlag, das örtliche Gymnasium nach dem berühmtesten Sohn der Stadt zu nennen, Debatten aus. Lange hat die Aufarbeitung gedauert, doch sie kam: Heute gibt es in Laupheim ein Museum zur Geschichte von Christen und Juden (ein Zweig des Haus der Geschichte Baden-Württembergs), eine Abteilung ist Carl Laemmle gewidmet: http://museum-laupheim.de/

Unweit davon erinnert ein Gedenkstein an die in der Reichskristallnacht zerstörte Synagoge. Erhalten dagegen und vor allem durch privates Engagement gepflegt ist der Jüdische Friedhof mit seinen über 1200 Grabstellen. An den Grabstätten zeigt sich die enge Verflechtung der jüdischen Familien in Laupheim auch zu den anderen schwäbischen Gemeinden – so sind hier auch Gräber von Verwandten des gebürtigen Ulmers Albert Einstein zu finden. Einstein und Laemmle – zwei Schwaben in Amerika: https://www.youtube.com/watch?v=F9C_1uaaioM

Die Geschichte dreier Grabsteine

Eine der vielen tragischen Geschichten dieser Zeit erzählen auf diesem Friedhof drei Grabsteine, die durch ihre Nähe zueinander auffallen. Es ist die Geschichte der Schwestern Sally, Jette und Therese Kirschbaum. Die hochbetagten Schwestern, die ohne weitere Verwandte in Laupheim verblieben waren, waren nach der Machtübernahme durch die Nazis unter den letzten Überlebenden der einstmals blühenden jüdischen Gemeinde.

Beim Steinheim Institut findet man nur folgende Auskunft: „Die drei betagten Schwestern, Betreiberinnen einer kleinen Gemischtwarenhandlung, wählten an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Freitod, nachdem sie ihres Heimes verwiesen und in Baracken zwangsumgesiedelt wurden. Sie sind unter den Laupheimer Opfern der Nationalsozialisten verzeichnet.“

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 flohen 126 von 235 jüdischen Einwohner ins Ausland, die meisten von ihnen nach der sogenannten Reichspogromnacht im November 1938. In dieser Nacht wurde auch die Laupheimer Synagoge in Brand gesteckt. Im folgenden Jahr wurden die noch verbliebenen jüdischen Bürger innerhalb von Laupheim in das Barackenlager Wendelinsgrube zwangsumgesiedelt und in den Jahren 1941 und 1942 schließlich in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Nach dem letzten von vier Transporten am 19. August 1942 hörte die jüdische Gemeinde in Laupheim auf zu existieren.

Informationen zum Buch:

Udo Bayer
Carl Laemmle und die Universal
Verlag Königshausen & Neumann, 2013
ISBN: 978-3-8260-5120-3

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