Joachim Ringelnatz – Bär, aus dem Käfig entkommen

Joachim Ringelnatz verband eine enge Freundschaft mit Renée Sintenis, der Schöpferin des Berliner Bären. Sie illustrierte auch etliche seiner Tier-Gedichte.

Weit entfernt von der Skulptur der Sinetis: Der Berliner Bär heute. Bild: (c) Michael Flötotto

BÄR AUS DEM KÄFIG ENTKOMMEN

Was ist nun jetzt?
Wo sind auf einmal die Stangen,
an denen die wünschende Nase sich wetzt?
Was soll er nun anfangen?

Er schnuppert neugierig und scheu.
Wie ist das alles vor ihm so weit
Und so wunderschön neu!
Aber wie schrecklich die Menschheit schreit!

Und er nähert sich geduckt
Einem fremden Gegenstande.
– Plötzlich wälzt er sich im Sande,
Weil ihn etwas juckt.

Kippt ein Tisch. Genau wie Baum.
Aber eine Peitsche knallt.
Und der Bär flieht seitwärts, macht dann halt.
Und der Raum um ihn ist schlimmer Traum.

Läßt der Bär sich locken. Doch er brüllt.
Läßt sich treiben, läßt sich fangen.
Angsterfüllt und haßerfüllt
Wünscht er sich nach seines Käfigs Stangen.

Joachim Ringelnatz

Wenn jeweils im Februar bei der Berlinale die Bären verliehen werden, dann wissen wohl die wenigsten, so nehme ich an, wer die ursprüngliche Schöpferin dieses Berliner Wahrzeichens war: Renée Sintenis (1888 – 1965), eine der erfolgreichsten und „bedeutendsten Bildhauerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“  (Zitat auf der Homepage des Georg Kolbe Museums, das ihr eine Werkausstellung anlässlich des 125. Geburtstages gewidmet hatte).

Wie so viele andere weibliche Künstlerinnen, die sich in der Weimarer Republik entfalten konnten, wurde sie im Nationalsozialismus ihrer Möglichkeiten beraubt. Zwar wurde ihr Werk in der Nachkriegszeit wieder beachtet und nachgefragt (so wurde ihr 1932 entstandener „Junger Bär“ 1956 neu gestaltet als „Berliner Bär“ im Rahmen einer Werbekampagne für die Stadt), doch heute, wenig mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, ist ihr Name kaum mehr bekannt.

Zumindest gab es zur Werkausstellung wieder einige Veröffentlichungen über die Künstlerin und ihre Skulpturen. Im Kunstmagazin „art“ fragte man sich:

„Was wohl Renée Sintenis von jenem Tier gehalten hätte, das seit dem 20. Juni 2001 als kitschiger „Buddy Bär“ in Divisonsstärke, aus Polyester gegossen und bunt bekleidet, Berlin unter seiner Fuchtel hat? Verwechslung unmöglich: Während der Jungbär von Sintenis in verspielter Bewegung die Arme hebt und zu tänzeln scheint, steht der Plastik-Buddy starr wie vor einem unsichtbaren Feind, die Arme zur Kapitulation steif nach oben gereckt.“

Renée Sintenis` Buddy war übrigens der eingangs zitierte Ringelnatz. Der kleine, O-beinige, großnasige und – ja, sagen wir es direkt – auch etwas hässliche Dichter aus Wurzen hatte die elegante, attraktive Frau, die mit ihrer Körpergröße von 1,80 Meter eine auffallende Erscheinung war, 1922 kennengelernt. Und wie so oft  entflammte der Herr aus Wurzen platonisch.

„Sie schenken einander ihre Werke, Sintenis modelliert eine expressive Portraitbüste des Dichters, unterstützt und fördert in als Maler und Zeichner, gestaltet nach seinem frühen Tod 1934 seine Grabplatte. Aus dem Nachlass von Joachim Ringelnatz editiert Sintenis 1949 den Band Tiere, eine Auswahl seiner schönsten Tiergedichte, versehen mit 13 ihrer kongenialen Zeichnungen.“

Zwischen den beiden entsteht eine intensive Freundschaft“, schreibt Matthias Reiner im Nachwort zum Insel-Band Nr. 1341: „Joachim Ringelnatz: Im Aquarium in Berlin. Mit Illustrationen von Renée Sintenis.“ Die Insel-Bücherei legte damit wieder auf, was eine Geste des Gedenkens der Künstlerin an ihren Freund war. Doch während Ringelnatz heute ein moderner Klassiker ist, ist „Renée Sintenis, der Stern am Kunsthimmel der Weimarer Republik, hingegen nur noch Spezialisten ein Begriff“, bedauert Reiner in seinem kurzen Essay. Sie war die Frau, die den Filmbären schuf…

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