Edward M. Forster: Wiedersehen in Howards End

Mit „Wiedersehen in Howards End“ schrieb E.M. Forster nicht nur einen Familien- und Liebesroman. Sondern skizzierte auch den Abschied von einem Merry Old England, das es so nicht mehr gab.

Bild: (c) Michael Flötotto

„Beim Kalksteinbruch überholte ihn ein Auto. Darin saß wieder ein anderer Menschentyp, dem die Natur wohl will: der Imperialist. Bei seiner Gesundheit und unermüdlichen Tatkraft hofft er, das Erdreich zu ererben. Er zeugt ebenso viele und gesunde Nachkommen wie der Freisasse, und groß ist die Versuchung, ihn als König der Freisassen zu feiern, der die Tugenden seines Landes über die Meere trägt. Doch der Imperialist ist nicht, was er zu sein glaubt und zu sein scheint. Er ist ein Zerstörer. Er bereitet dem Kosmopolitismus den Weg, und wenn sein ehrgeiziger Wunsch vielleicht auch wirklich in Erfüllung geht, so wird es doch nur eine grau gewordene Erde sein, die ihm als Erbteil zufällt.“

Edward M. Forster (1879-1970), „Wiedersehen in Howards End“.

Edward M. Forster, der große britische Romancier, veröffentlichte diesen Abgesang auf das viktorianische England bereits 1910. Ein Abgesang auf die Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der alten parlamentarischen Demokratie, Götterdämmerung im Vorfeld des 1. Weltkrieges, der Schwanengesang für den britischen Adel. Auch in Großbritannien löste der Geld- den Erbadel ab, Kapitalismus statt noblesse oblige. Forster übrigens, ein überzeugter Demokrat, lehnte 1949  den Ritterschlag und den Adelstitel ab.

In „Howards End“ geht die alte, viktorianische Epoche unter, sie verschwindet in der Moderne. Statt Adel dirigiert Geld die Welt, der neue Snob, der auf Klasse und Unterschied pocht, ist der Imperialist, verkörpert durch die Wilcox-Männer, die im Auto über Landstraßen rauschen.

Das Landhaus wird zum Kulminationspunkt

Im Mittelpunkt des Romans stehen jedoch die beiden Schlegel-Schwestern und ihr jüngerer Bruder. Sie führen, elternlos, ein der Kunst und Kultur zugewandtes Leben. Ihre Abkunft von einem deutschen Vater sowie eine – relative – Mittellosigkeit machen sie für die „besseren“ Kreise suspekt. Demgegenüber die Familie Wilcox, Verkörperung viktorianischer Korrekt- und Steifheit, Geschäftsleute auf dem Weg nach oben. „Howards End“, das Landhaus der Wilcox`, wird zum Kulminationspunkt: An ihm entzünden sich die Geister, hier kommen schlussendlich die beiden Welten zueinander. „Inseln der Seligkeit und der ersehnten Gelassenheit zwischen allen Verwerfungen dieser mehrsträngigen Liebesgeschichte bleiben das Haus und der Garten von Howards End. Dieses Domizil symbolisiert ein Merry Old England, in dem Narren, Welteroberer, Snobs und Wahrheitssucher in diskussionsfreudiger Gemeinschaft ihre Roastbeefscheibe anschneiden“, schreibt Hans Pleschinski.

Ein stilistisch eleganter Roman, der sowohl durch seine Orts- und Landschaftsbeschreibungen glänzt als auch durch die geschliffenen Dialoge – und der optimale Einstieg für jene, die auch die weiteren Romane des Schriftstellers und Reisenden genießen wollen. Ihre Zahl ist überschaubar – Forster schrieb trotz seines langen Lebens „nur“ sieben Romane, daneben jedoch auch zahlreiche Essays, eine Literaturtheorie, Biographisches und einige Erzählungen.

Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrigblieb

Liebesreigen der Literatur (1): Frank Duwald erzählt heute in seiner Kolumne von einer lebenslangen Liebe, die nie gelebt wird.

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Ein Gastbeitrag von Frank Duwald

Es gibt literarische Bilder, die man nie mehr vergisst. Eines davon ist für mich die weinende Haushälterin Miss Kenton in Kombination mit dem sich außen vor der Tür herumdrückenden Butler Mr. Stevens in Was vom Tage übrigblieb von Kazuo Ishiguro.

Man möchte ihn schütteln, diesen schrägen Vogel, Mr. Stevens, damit er endlich begreift, was er da tut. Beziehungsweise nicht tut. Genauso gern würde ich Miss Kenton, die Mr. Stevens liebt und immer wieder auf ihre herrlich launische Art seinen starren Emotionsapparat attackiert, einfach in den Arm nehmen – weil es niemand im Roman tut, obwohl diese Frau ihr Leben lang still leidet. Leider geht das in einem Roman nicht, selbst wenn man eine erfundene Person so sehr mag als existiere sie wirklich.

Selbstsabotage bei der Liebe

Miss Kenton ist so eine Protagonistin. Eine, die förmlich aus dem Roman tritt und unsere Herzen erbeutet. Es gibt ja diesen Roman Die allertraurigste Geschichte von Ford Madox Ford. Was vom Tage übrigblieb könnte diesen Titel auch tragen. Macht es einen doch schon traurig, wenn von außen eine glückliche Liebe sabotiert wird, ist es bei weitem noch schlimmer, tatenlos einem Menschen dabei zusehen zu müssen, wie er aus eigenem Antrieb sein Lebensglück weg tritt, so wie Mr. Stevens es tut.

Mr. Stevens hat nie gelernt, was Humor ist. Damit er die spaßig-provokanten Fragen seines neuen amerikanischen Dienstherrn schlagfertig mit angemessen witzigen Antworten parieren kann, hört sich der Durch-und-Durch-Brite als Lehrmaterial humorige Radiosendungen an. Wenn er ahnen würde, wie viele Lacher sein stocksteifer, an Umständlichkeit kaum zu überbietender Erzählton uns gibt …
Genauso hat er auch nie gelernt, was Liebe ist.

Ishigoru gewichtet die Themen des Romans mit großer Meisterschaft

Mit großer Meisterschaft balanciert Ishigoru mit den Gewichtungen der verschiedenen Themen des Romans. Der größte Textanteil widmet sich den unsortierten, Tagebuch ähnlichen Erinnerungen Mr. Stevens‘ an seine berufliche Vergangenheit als Butler mit Leib und Seele. Auf Anordnung seines neuen Dienstherren macht Mr. Stevens zum ersten Mal in seinem Leben eine Woche Urlaub. Ausgestattet mit dem feudalen Auto seines Arbeitgebers macht er sich auf zu einer Reise durch das verträumte ländliche Westengland, dessen Schönheiten er beeindruckend einfühlsam und wortgewandt darzustellen weiß. Damit die Reise ein Ziel hat und einer gewissen beruflichen Grundlage nicht entbehrt (sonst hätte er ein schlechtes Gewissen) ist als letzte Station ein Besuch bei Miss Kenton geplant, jener Haushälterin, mit der er vor Jahrzehnten zusammenarbeitete, und die er jetzt gern zurückholen würde, da aktueller Bedarf an guter Arbeitskraft besteht. Die viele Freizeit, über die er plötzlich verfügt, lässt seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen, hauptsächlich an die Jahre zwischen den Weltkriegen, während derer er eigenen Angaben zufolge als Butler einer hochrangigen Persönlichkeit Zeitzeuge weltpolitisch zukunftsweisender Zusammenkünfte wurde, an deren Erfolgen auch seine professionelle Dienstbereitschaft nicht ganz unbeteiligt war.

Erzählt mit leisem Humor

Nur eine Handvoll Worte gewährt Ishiguro im Laufe des Romans der Liebe, und diese auch nur andeutungsweise. Aber wie grundlegend reißen diese emotionalen Nuancen den Roman immer wieder von seinem Wege herunter. Am Ende ist all das Gerede von Mr. Stevens bedeutungslos. Ein, nein zwei, Leben, verschenkt an eine Illusion. Den größten Teil seines Lebens hat Mr. Stevens Miss Kentons Zeichen übersehen. Ishiguros Kunst ist es hier, all dies so einnehmend und humorvoll zu erzählen, dass man es einfach gern liest, voller Bewunderung und Amüsement.

Die andere Seite von dem, was Kazuo Ishiguro uns da so charmant als ein Konvolut der unstrukturierten Erinnerungen an das Berufsleben eines Butlers unterjubelt, ist die Geschichte einer lebenslangen Liebe, der keine Chance gewährt wird. Die Tränen Miss Kentons werden niemals trocknen.

Zur Reihe:

Der Autor und Blogger Frank Duwald bespricht in dieser Reihe – „Liebesreigen der Literatur“ – einige ausgewählte Romane.

Diese Bücher werden vorgestellt:

Jane Austen – Stolz und Vorurteil
Sylvia Brownrigg – Geschrieben für dich
F. Scott Fitzgerald – Der große Gatsby
Kazuo Ishiguro – Was vom Tage übrigblieb
Richard Lorenz – Frost, Erna Piaf und der Heilige
Michael Ondaatje – Der englische Patient

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