F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby

Liebesreigen der Literatur (4): Frank Duwald stellt in seiner Kolumne einen Klassiker der amerikanischen Moderne in den Mittelpunkt und damit die Frage: Geld oder Liebe?

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Ein Gastbeitrag von Frank Duwald

Die Liebe in der Literatur ist ja oft eine Sache von großem Edelmut und hochstilisierter Reinheit. Unter welcher Verkommenheit eine solche Liebe begraben werden kann, zeigt uns F. Scott Fitzgerald in Der große Gatsby (1925), jenem so raffiniert komponierten Roman, der uns unter einer dicken Schicht farbenprächtiger Glasur die Türen zu den abgründigen Kloaken öffnet, zu denen solch ursprünglich unbefleckte Empfindungen mutieren, wenn sie nach und nach von niederen Verführungen verseucht werden.

Die schöne Daisy steht praktisch mitten im Auge des Abflusses, um den das Schmutzwasser der männlichen Charaktere kreist. Am Ende ist die ganze Dreckbrühe abgelaufen, und nichts bleibt mehr übrig als eine besudelte Daisy, die nicht mehr heraus kann aus ihrer Rollenschablone und natürlich einfach so weitermachen wird wie bisher und den letzten Rest Gefühle an ihr immer weiter verhärtendes Herz verlieren wird.
Was sich jetzt vielleicht noch nicht wirklich einladend darstellt, ist jedoch – und das ist ein entscheidender Teil der Kunst Fitzgeralds – ein wunderbar geschriebenes Stück Literatur.

Man hört den Jazz der 1920er Jahre

Wenn der unanständig reiche Jay Gatsby regelmäßig seine Villa zu seinen legendären Partys erstrahlen lässt, um wie ein prachtvoller Vogel die auf der anderen Seite der Bucht wohnende Daisy mit seinem Fanal der Liebe anzulocken, hat das eine ungeheure Suggestionskraft. Man hört als Leser förmlich die Jazzmusik der frühen 1920er Jahre, das Gelächter, das Klirren der Champagnerflaschen und sieht diese Menschen einer längst vergessenen Ära glasklar vor Augen: die Damen mit ihren Bubikopf-Frisuren, Perlenketten und eng anliegenden weißen Kleidern; die Männer in ihren schwarzen oder weißen Anzügen; allesamt tanzend, angeschickert Konversation treibend, später komplett besoffen laut lachend.

Doch bei all den finanziellen Mitteln, die hier aufgeboten werden, ist das alles leider nur Glimmer. Modeschmuck. Gatsby, der wahrscheinlich einzige Protagonist im Roman, dessen Herz grundsätzlich noch von echten Gefühlen geleitet wird, ist bei all seinem Reichtum immer der junge Soldat geblieben, der sich in die standeshöhere Daisy verliebt und den Weg der Rechtschaffenheit verlassen hat, um ihr gesellschaftlich ebenbürtig zu werden. Seine Kontur verschwimmt fortan im Nebel der Kriminalität. Es soll ihm nicht gelingen, sich jemals der besseren Gesellschaft wirklich verbunden zu fühlen. Daisy gegenüber kann er seine unsichere und scheue Grundhaltung nicht verbergen. Er wurde eben nicht reich geboren.

Eine Tragödie klassischen Ausmaßes

Ach, und wie sehr könnte man Daisy doch mögen, hätten die Umstände sie nicht zu dem gemacht, was sie geworden ist. Als der junge, noch mittellose Gatsby ihr Herz erobert, ist sie trotz ihres hohen Gesellschaftsstandes noch nicht restlos versaut. Aber schon einige Jahre später, während derer ihr Geliebter weit weg im Krieg ist, haben die Standeszwänge sie so sehr im Würgegriff, dass sie den dumpfen, aus reicher Familie stammenden Tom heiratet anstatt Gatsby. Diese Entscheidung gegen die wahre Liebe ist dann auch der Kristallisationsknoten, um den die zunehmend falsch laufenden Ereignisse wuchern, die schließlich in eine Tragödie klassischen Ausmaßes münden.

Und so ist Der große Gatsby letztlich ein Roman über die Anfälligkeit des menschlichen Geschlechts, sich für materiellen Überfluss verderben zu lassen. Unter Hinzunahme eines nicht so ganz vertrauenswürdigen Ich-Erzählers gießt F. Scott Fitzgerald mit traumwandlerischer Geschicktheit all dies in eine trickreiche Handlungsform, die sich dank der Neuübersetzung von Lutz.-W. Wolff endlich so modern liest wie ihr Original immer geblieben ist.

Zur Reihe:

Der Autor und Blogger Frank Duwald bespricht in dieser Reihe – “Liebesreigen der Literatur” – einige ausgewählte Romane.

Diese Bücher werden vorgestellt:

Jane Austen – Stolz und Vorurteil
Sylvia Brownrigg – Geschrieben für dich
F. Scott Fitzgerald – Der große Gatsby
Kazuo Ishiguro – Was vom Tage übrigblieb
Richard Lorenz – Frost, Erna Piaf und der Heilige
Michael Ondaatje – Der englische Patient

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

23 Gedanken zu „F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby“

      1. Ist ein toller Roman – aber bei Fitzgerald komme ich eh unkritisch ins Schwärmen – ich mag alles von ihm 🙂

      2. Oho – dann viel Spaß mit der Lektüre – es ist großartig!

  1. Jetzt verstehe ich auch Birgits Hinweise auf heute: Der große Gatsby ist neben Zärtlich ist die Nacht meine Bibel. Ich habe mich bisher noch nicht an eine Vorstellung auf dem Blog gewagt … werde es aber demnächst auch tun. Sicherlich ist er eine Liebesgeschichte – für mich jedoch steht diese Liebergeschichte gar nicht so sehr im Mittelpunkt, sondern die Frage nach Identitätsfindung, -gestaltung, Gesellschaftszugehörigkeit. Gatsbys Liebe zu Daisy ist natürlich wichtig, ist sie doch die Triebfeder für seinen gesellschaftlichen Aufstieg … aber wie gesagt, ich werde mich bald dran setzen und dann gerne mit dieser sehr schönen Rezension hier verbinden!

      1. Oh danke – ja, ich versuche doch tatsächlich alles dazu abzugrasen, was ich finden kann. Er ist für mich der Meister. Präzise in der Sprache, die Untiefen der Menschlichkeit auslotend, wie kein anderer – die Grenzen sind da ja recht leicht überschritten. Ich werde mich demnächst an den Gatsby wagen … was ich bisher immer erfolgreich vermieden habe. LG

  2. GOOD WORD for BAD WORLD – RUHR.2010 - Kulturhauptstadt – Anke Müller alias Meta Miller ist freie Autorin und lebt mit ihrer freundlichen Familie – Menschen, Fischen, Mischlingsrüde Kalli und Meersau Eddy – im durchgrünten, schornsteinfreien Pott. GOOD WORD for BAD WORLD – Die Wochentagskolumne ist ein Blog für Leser mit Familie, Job und einem Rattenschwanz an Nebengelass.
    GOOD WORD for BAD WORLD sagt:

    Buch kenne ich nicht, aber ich habe den Film gesehen. 🙂

    1. Den neuen mit Leonardo Cappuccino oder den älteren mit Robert Redford? Beide kann man sehen, sind ja auch ganz unterschiedlich, aber an das Buch kommt wirklich keiner der beiden Filme heran!

      1. *lach* Capuccino – Birgit, you made my day und das schon um diese Uhrzeit. Aber jetzt mal ernsthaft. Der Redford Film ist sicherlich der, der noch am nähesten an die Buchvorlage rankommt. Der Baz Luhrmann Film hingegen setzt auf tolle Bilder. Wenn ich einen Hauptdarsteller in einem Interview zum Film schon erstaunt hören sage: „ich habe jetzt erst begriffen, dass es hier nicht nur um eine Liebesgeschichte geht …“ dann … ja dann will ich das gar nicht mehr sehen. Die goldenen Zwannziger kommen hier sicher gut raus, vor allem das Lebensgefühl, aber der Rest ist wohl eher eine Abfolge schöner Bilder, mit wuchtiger Musik unterlegt und wird dem Buch in keinster Weise gerecht.

      2. Stimmt schon … Es ist eben ein typischer Baz-Film. Wobei diese „Tanz auf dem Vulkan“-Stimmung der 1920er schon gut rüberkommt. Aber der Redford-Gatsby ist näher dran … nur: Mich nervt Mia Farrow 😎

      3. Sollte auch zuerst gar nicht von Mia gespielt werden … aber wie immer, kann ich Dir nur Recht geben 😉

      4. Das wußte ich gar nicht … aber ja, ich finde sie für die Rolle viel zu huschi-puschi.

      5. GOOD WORD for BAD WORLD – RUHR.2010 - Kulturhauptstadt – Anke Müller alias Meta Miller ist freie Autorin und lebt mit ihrer freundlichen Familie – Menschen, Fischen, Mischlingsrüde Kalli und Meersau Eddy – im durchgrünten, schornsteinfreien Pott. GOOD WORD for BAD WORLD – Die Wochentagskolumne ist ein Blog für Leser mit Familie, Job und einem Rattenschwanz an Nebengelass.
        GOOD WORD for BAD WORLD sagt:

        Den Neuen habe ich gesehen.
        Das ist übrigens immer mein Empfinden: Das Buch ist immer besser! 🙂

    1. Das grüne Signallicht, das er am Ende am Ufer sieht, das ist eins der Bilder, die gehen mir nicht aus dem Kopf. Ein wunderbarer Roman.

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