Nellie Bly: Around the World in 72 Days

Nellie Bly war eine mutige, investigative Journalistin. Mit diesem Buch lieferte sie das unterhaltsame Werk einer wahrhaft rasenden Reporterin ab.

Bild: (c) Michael Flötotto

„Monsieur Verne fragte mich, wie meine Reiseroute verlaufen sollte, und ich, glücklich, dass ich etwas sagen konnte, das er verstand, zählte für ihn auf: „ Meine Route führt von New York nach London, dann Calais, Brindisi, Port Said, Ismailia, Suez, Aden, Colombo, Penang, Singapur, Hongkong, Yokohama, San Francisco, New York.“
„Waum fahren Sie nicht über Bombay, so wie mein Held Phileas Fogg?“, fragte Monsieur Verne.
„Weil ich lieber Zeit spare, als eine junge Witwe zu retten“, antwortete ich.
„Vielleicht retten Sie ja unterwegs einen jungen Witwer“, entgegnete Monsieur Verne lächelnd.“

Nellie Bly, „Around the World in 72 Days“, 1890

Einen jungen Witwer rettet sie tatsächlich nicht, diese rasende Reporterin, aber bei ihrem hektischen Trip um die Welt becirct sie Kapitäne, beschwatzt Botschaftsangestellte und spannt so ziemlich jeden, der ihr auf ihrer Reise begegnet, ein, um ein Ziel zu erreichen: Schneller als der Held aus Jules Vernes Roman den Globus zu umrunden. Anders, als man annehmen möchte, war dies 1890 allerdings nicht mehr ganz so das abenteuerliche Unternehmen wie Jahrzehnte zuvor.

„Von Seekrankheit unterbrochene Diners mit dem Kapitän auf der Atlantiküberfahrt, dysfunktionale Fußwärmer in europäischen Zügen und schlecht geschulte Schlangenbeschwörer in Ceylon (heute: Sri Lanka) bilden die letzten Ärgernisse in einer Welt, in der das Berliner Reisebüro von Carl Stangen bereits seit über zehn Jahren Weltreisen zum Pauschalpreis anbot.“

Erste deutschsprachige Ausgabe

In seinem Vorwort zur ersten deutschsprachigen Ausgabe dieser Reisereportage (übersetzt von Josefine Haubold, erschienen im AvivA Verlag) verdeutlicht Herausgeber Martin Wagner:

„Der Tourist bewegt sich Ende des 19. Jahrhunderts bereits auf ausgetretenen Pfaden.“

So war das eigentlich Sensationelle an diesem Unternehmen, dass es eine junge, 25 Jahre alte, alleinstehende Frau war, die diese Reise antrat: Nur mit einem eigens für den Zweck erworbenen maßgeschneiderten Reisekostüm und einer handlichen Tasche, aber ausgestattet mit den Tantiemen der New Yorker Tageszeitung „The World“. Für die Journalistin, die drei Jahre zuvor mit ihrer Undercover-Reportage „Zehn Tage im Irrenhaus“ bereits für Aufsehen gesorgt hatte, wurde die Weltumrundung zum Coup, bei ihrer Rückkehr nach New York wurde sie gefeiert wie ein Star, mit der Artikelserie, die zur Reise erschien, schnellte die Auflage der Zeitung in die Höhe (wovon Nellie Bly aber nicht unmittelbar profitierte) und das darauffolgende Buch wurde ein Bestseller.

Reportage erinnert an den modernen Tourismus

Diese Reisereportage kann man auch heute durch den „flotten“ journalistischen Stil der Autorin mit großem Vergnügen lesen – man rast mit ihr durch die Kontinente, sich durchaus bewusst machend, dass alle Eindrücke oberflächliche, im Vorbeigehen mitgenommene sind, eine Art des Reisens, die durchaus an den modernen Tourismus erinnert. Ich musste beim Lesen immer wieder an die japanische Reisegruppe denken, der ich einst in einer Pension in Avignon begegnet war – sie saßen an meinem Frühstückstisch und hakten gemeinschaftlich alle Ziele ab, die sie in ihrem Wälzer „Europe in 10 Days“ schon bewältigt hatten: Vorgestern Neuschwanstein „and the Fuckerei“ (die Fuggerei in Augsburg), gestern Paris, heute Avignon, morgen Barcelona. „Europe is wonderful, so nice, but Tokyo is more modern.“

So bringt auch Nellie Bly bei ihrer Reise ihre eigene Landkarte und ihre amerikanischen Maßstäbe mit, an der sie – auch mangels Zeit – das bemisst, was sie an der Oberfläche sieht. Und so gut man sich bei der Lektüre unterhalten kann, so sehr fallen auch zwei Dinge störend ins Gewicht, die die Autorin in ein unsympathischeres Licht stellen: Eine Form von Patriotismus und von Rassismus, die durchaus aufstößt. Erstaunlich, schrieb sie doch zuvor mit so viel Engagement über den unmenschlichen Umgang mit psychisch Kranken – doch einige Jahre später entdeckt man in ihrem Berichten von der anderen Seite der Welt wenig Empathie mit Menschen anderer Rasse. Leprakranke beschreibt sie als ekelerregend, die chinesische Bevölkerung als schmutzig, faul und hinterlistig, die Bewegungen einiger Matrosen erinnern sie an den Affen, den sie währender Reise kauft.

Martin Wagner geht auf diesen Aspekt in seinem Vorwort ausführlich ein:

„Dabei bringen erst die bedauerlich rassistischen Passagen die volle Bedeutung sowohl von Nellie Blys Rekordreise als auch vom Reisen am Ende des 19. Jahrhunderts insgesamt zu Tage. Die Geschichte des globalisierten Tourismus ist ohne seine kolonialistischen Voraussetzungen und Implikationen nicht verständlich. Der auf Weltreise befindliche Tourist bietet das schwache Abbild des einmarschierenden Imperialisten. In dem Wunsch, die Welt zu bereisen, ist der Anspruch, die Welt zu beherrschen, immer schon mit enthalten.“

Nun, Nellie Bly wollte vor allem die Zeit beherrschen, zumal zur gleichen Zeit die Reporterin Elizabeth Bisland für den „Cosmopolitan“ auf Weltreise gegangen war, eine Konkurrenz, die dem Unternehmen noch mehr Aufmerksamkeit bescherte. Bly gewann das Rennen und den Ruhm. Und hierin, in der Forschheit, dem Wagemut und der Selbstsicherheit, mit der sie ihr Unternehmen durchsetzte und durchzog, liegt auch ihr großer Verdienst. Als erste der sogenannten „girl stunt reporter“, Frauen, die undercover über die Missstände in Fabriken, Gefängnissen, Armenhäusern und anderen Institutionen berichteten, ist Nellie Bly eine weibliche Wegbereiterin des kritischen, aufklärenden Journalismus. Und ihre Reise um die Welt auch ein Akt weiblicher Selbstbestimmung.

Nellie Bly: Unprätentiös und selbstironisch

Die unprätentiöse, selbstironische Art und Weise, wie sie sich im Kontext der Mitreisenden und Menschen, denen sie begegnet, bewegt und beschreibt, gleicht ein wenig die unsympathischeren Züge aus. Dank des Vorworts von Martin Wagner kann man das Buch in seinen geschichtlichen Kontext setzen, die kritischen Passagen entsprechend bewerten und es dennoch als amüsantes, unterhaltsames Zeugnis seiner Zeit lesen. Und bei der ironischen Betrachtung ihrer Reisegenossen fühlt man sich durchaus an eigene Erlebnisse, die man beim Reisen hatte, erinnert:

„Ich kenne mich mit Eseln aus, weil ich einige Zeit in Mexiko gelebt habe, aber viele der Passagiere fanden die Esel durchaus neuartig und wollten unbedingt auf ihnen reiten, bevor sie zum Schiff zurückkehrten. Also saßen alle auf, die ein Reittier finden konnten, und jagten durch das malerische, verschlafene Städtchen. Dabei schrien sie vor Lachen und sprangen wie Gummibälle in ihren Sätteln auf und ab (…).“

Ein Reisebegleiter von mir beliebte einstmals bei einer solchen Szene, deren wir ansichtig wurden, zu sagen: „Da weiß man wirklich nicht, wo der Esel nun aufhört oder anfängt.“

Informationen zum Buch:

Nellie Bly
Around the World in 72 Days
Die schnellste Frau des 19. Jahrhunderts
Martin Wagner (Hg.)
Übersetzt von Josefine Haubold
AvivAVerlag
ISBN 978-3-932338-55-7

Victoria Wolff: Die Welt ist blau

„Die Welt ist blau“: Eine charmante Sommerromanze der deutsch-jüdischen Schriftstellerin Victoria Wolff vor ernstem Hintergrund.

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Es ist auch schön, hier zu sein in diesem beglückenden Nest, die Blumen zu sehen, die leuchtender scheinen im Regen, und die Düfte zu schmecken, die würziger geworden sind durch ihn. Hier ist ein verwittertes altes Haus und dort ein umwachsener Bogen mit Ausblick auf den See; da ein Malerwinkel und hier ein Zaubergarten. Und alles ergänzt und überschneidet sich auf eine leichte und beglückende Weise.
Peter, der schwere Mann, wird selbst leichter und schneller dadurch. Er sinnt, ob nicht das Künstlerische, das seinem Wesen fehlt, hier zu finden wäre.
Unten im Obstgeschäft auf der Dorfstraße hängt die Ananas, die er sich wünscht. Er betrachtet diese vollkommene Frucht, die, ehe sie ihm übergeben wird, in eine sorgsame Hülle gepackt wird.
Sie ist wie Ursula, denkt er, Stacheln verdecken von außen die innere Süße.“

Victoria Wolff, „Die Welt ist blau“


Geradezu spiegelverkehrt verhält sich dieser „Sommer-Roman aus Ascona“ zu Ursula und zur Ananas: So luftig-federleicht kommt er daher, so spielerisch-elegant die Sprache mit ihren Dialogen (die an die Tradition der Screwball-Komödie erinnern), dass man Gefahr läuft, in Blau zu schwelgen – und die dunkleren Pinselstriche, die Victoria Wolff ihrem Sommergemälde gab, zu überlesen.

Friederike Albat fühlte sich in ihrer Rezension in der „Madame“ nicht von ungefähr an Tucholskys Schloss Gripsholm erinnert: Ein charmantes Buch voller Witz und Leben. Doch die blaue Welt entfaltet sich vor düsterem Hintergrund: Der Roman spielt 1933 – im Jahr von Hitlers Machtergreifung, im selben Jahr, in dem die deutsch-jüdische Schriftstellerin Victoria Wolff den Weg in die Emigration wählt.

„Angewidert von den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, welche die Machtübernahme der Nationalsozialisten begleiteten, hatte sie ihre Geburts- und Heimatstadt Heilbronn am 1. April 1933 verlassen und war gemeinsam mit ihren Kindern, der sechsjährigen Ursula und dem vierjährigen Frank, nach Ascona im schweizerischen Tessin emigriert“, erläutert Anke Heimberg, Herausgeberin der Werke von Victoria Wolff und Lili Grün beim AvivA Verlag, in ihrem Nachwort.

Klug und unterhaltsam

Auch wenn die Schweiz noch nahe der Heimat war und sich die materielle Lage der Wolffs (zunächst) wohl nicht so belastend gestaltet hatte wie die anderer Flüchtlinge: Erstaunlich ist es dennoch, wie schwungvoll-leicht dieser im Exil entstandene Roman wirkt, wie (scheinbar) unbelastet von den aktuellen Geschehnissen dieser Zeit, wie klug und unterhaltsam es Victoria Wolff vermochte, alle Farbschattierungen in ihrer charmanten Sommererzählung zu verweben.

Peter, der strebsame, ehrgeizige und zuweilen etwas zu konservative Anwalt und die freigeistig-temperamentvolle Ursula – dazu erzogen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen und Konventionen nicht der Konvention willen anzuerkennen – dies durchaus also sehr unterschiedlich getaktete Pärchen schenkt sich Ferien, fährt ins Blaue.

Es herrscht beschwingte Urlaubsstimmung, eine Ahnung von grenzenloser Freiheit liegt in der Luft – eine „kleine“ Flucht aus dem Alltag, Rückkehr vorgesehen. Nur zwischen den Zeilen lässt Victoria Wolff anklingen, dass die Verhältnisse dort, im „Tiefland“, „Primitivland“, wie Ursula Deutschland bezeichnet, keine angenehmen mehr sind.

Irrungen und Wirrungen zweier Verliebter

Im Vordergrund des Buches steht die Paarbeziehung der beiden. Die sind über die erste Verliebtheit hinaus, sich aber dennoch noch fremd und daher unsicher, ob sich da wirklich der passende Topf und Deckel gefunden haben. Urlaub ist schon seit jeher ein geeigneter Beziehungstest und so lassen die Wirrungen und Irrungen nicht lange auf sich warten: Peter wird von einer forschen Berlinerin becirct, die ihm jedoch insgeheim eher Angst macht. Ursula, die Skeptikerin, lässt sich eher aus Trotz und Neugier kurz von einem fadenscheinigen Magier bezaubern. Die erste Krise lässt nicht lange auf sich warten:

„Du weißt, daß ich dich gerne habe, Peter, und du mußt dieses Wissen so in dir verankern, daß du mir meine kleinen Scherze ganz ohne Bitterkeit gönnst. Ich brauche diese Freude am Spiel; ich werde sie immer brauchen.
Peter säubert schweigend seine Brille mit einem Taschentuch.
„Man kann den Problemen am besten aus dem Wege gehen, Peter, indem man schweigt, aber gelöst werden sie auf diese Weise noch lange nicht.“
„Das nenne ich kein Problem, Ursula, das nenne ich schlechtes Benehmen.“
„Glücklicherweise ist die deutsche Sprache so reich, daß sie für alle Vorkommnisse des täglichen Lebens zwei Begriffe hat.“
„Man kann mit dir heute nicht reden, Ursula.“
„Ich glaube eher, man kann heute mit dir nicht reden, Peter.“
„Gute Nacht also, Ursula, schlaf gut.“
„Gute Nacht also, Peter. Natürlich schlafe ich gut, erst recht schlafe ich gut.“
Zu ist die Türe, die Stiefel fliegen in die Ecke, die Kleider wohin sie wollen.

So viel sei verraten: Selbstverständlich gibt es ein Happy End, findet das Paar wieder – und besser – zusammen.

„Die Erde gleicht einer liebenswürdig grün und blau gekleideten Prinzessin, und das hoffnungsreiche Leben, von heiteren Aussichten sprudelnd und schäumend, schwebt wie ein ungebundener, schöner Tänzer, der weder Kummer und Sorgen kennt, frei daher.“

Für Victoria Wolff und die Schweiz jedoch gab es dieses glückliche Ende nicht: Dort, wo Peter und Ursula Urlaub machen und sie selbst ab 1933 eine neue Heimat gefunden hatte, durfte sie nicht bleiben. 1939 wurde sie mit ihren Kindern ausgewiesen, weil sie gegen die Auflage verstoßen hatte, die ihr journalistisches Arbeiten verbot.

Anke Heimberg im Nachwort:

„Trotzdem dachte Victoria Wolff im US-amerikanischen Exil, wohin sie und ihre Familie sich 1941 mit Hilfe von FreundInnen und Verwandten hatten flüchten können, stets gern und voller Sehnsucht an die Jahre in Ascona zurück. Das sture, hartherzige Verhalten der Schweizer Behörden vermochte ihre Erinnerung an die von ihr als überaus reich und beglückend erlebte „himmelblaue“ Zeit im Tessin nicht zu trüben. So oft es später ihre regelmäßigen Europa-Reisen erlaubten, suchte sie Ascona auf, um dort noch einmal etwas von diesem Traum, dem von ihr immer wieder beschworenen „seelischen Zustand“ von damals wiederzufinden. Victoria Wolff starb 1992 im Alter von 88 Jahren in Los Angeles.“

Mag kann, ja man muss sich einfach in diese charmante Sommer-Romanze verlieben. Man kann die Beziehung jedoch auch noch vertiefen, der Leichtigkeit neue Dimensionen abgewinnen – durch das umfassende und informative Nachwort von Herausgeberin Anke Heimberg, die die Romanze in den politischen Kontext einordnet, aufzeigt, wo Victoria Wolff Bezug nimmt auf das Regime, das in Deutschland wütete. Zudem lässt  Heimberg das sommerliche Ascona und den legendären Monte Verità beinahe wieder lebendig werden, beschreibt, wie der Ort vom Fischerdorf zu einem Anziehungspunkt für die Lebensreformer und Lebenskünstler wurde und welche Faszination er insbesondere auf die Berliner Bohème ausübte.

Ebenso werden Bezüge zwischen den Figuren des Romans und Menschen aus Victoria Wolffs Umfeld deutlich – sie hatte sich in Ascona unter anderem mit Erich Maria Remarque, Ignazio Silone und Tilla Durieux angefreundet. Die extravagante Schauspielerin mit dem großen Herzen ist unverkennbar die Vorlage für die Berliner Sirene, die den braven Peter in kurze Verwirrung stürzt.

Victoria Wolff schrieb bereits 1931 in der Heilbronner „Neckar-Zeitung“ über Ascona:
„Aber Ascona ist und bleibt Insel in Europa, Insel der Glücklichen (…), der Geistigen (…) und der Weltlichen (…) über allem lacht ohne Ermüdung eine milde Sonne, in der sich die Palmen und Kastanien, Menschen und Gedanken, Wellen und Intrigen sachte bewegen.“

Ach … Ascona! Heute natürlich auch nicht mehr das … möchte man phrasengleich anschließen. Und dennoch: Wen nach diesem Roman nicht die Lust packt auf ein paar „blaue“ Tage, vielleicht auch auf einen kleinen Urlaubsflirt, wer weiß, jedenfalls auf Fahrten ins Blaue, blauen Himmel und eine blaue Welt, dem ist einfach nicht zu helfen.


Bibliographische Angaben:

Victoria Wolff
Die Welt ist blau
AvivA Verlag
ISBN 978-3-932338-89-7

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