Karen Cleveland: Wahrheit gegen Wahrheit

Was ist, wenn man dem eigenen Mann nicht mehr trauen kann? Karen Cleveland legt mit diesem Debüt einen packenden Thriller aus der Welt der Spione vor.

Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

In dem Thriller „Wahrheit gegen Wahrheit“ weiß irgendwann niemand mehr, wer die Wahrheit sagt und wer welche Wahrheit meint. Ein gutes Debüt der amerikanischen Autorin Karen Cleveland – diese Wahrheit steht jedenfalls fest, meint Florian Pittroff.

Tja, was soll ich sagen: Volltreffer! Spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Ein Thriller ohne Blut, dafür mit viel Empfindung.

Darum geht`s: Vivian Miller ist Spionageabwehr-Analystin bei der CIA. Mit ihrem Mann Matt, einem IT-Spezialisten, und ihren Kindern lebt sie in einem Vorort von Washington D.C. Auf diesen Tag hat sie seit zwei Jahren hingearbeitet: Mithilfe eines speziellen Algorithmus will Vivian ein Netzwerk russischer Spione in den USA enttarnen. Ihr gelingt der Zugriff auf den Computer eines russischen Agentenbetreuers. Sie stößt auf eine Datei mit fünf Fotos – allesamt „Schläfer“, die auf amerikanischem Boden operieren. Doch was sie entdeckt, bringt alles, was ihr wichtig ist, in Gefahr. Ist es den Russen gelungen, sie an ihrer einzigen Schwachstelle zu treffen? Ist Matt nicht nur ein perfekter Mann und ein perfekter Vater. Sondern am Ende auch ein perfekter Lügner?

Gut durchdachter Plot

Der Plot ist gut durchdacht, die Protagonisten gut beschrieben, mit der nötigen Präsenz und Tiefe. Die wechselnde Gefühlslage von Vivian Miller wird sehr klar herausgearbeitet. Dazu wird die Beziehung von Vivian und Matt in Rückblicken erklärt: „Ein glücklicher, unmöglicher Zufall. So habe ich unser Kennenlernen damals erlebt“. (…) Wie es nach ihrer Hochzeit weiterging: “Unseren ersten Hochzeitstag haben wir auf den Bahamas verbracht“. Und wie sich die Situation in der Gegenwart darstellt: „Mir schwirrte der Kopf, als ich zu Hause in die Garage fahre. Was ich getan habe, war doch richtig, oder?“

Vivian kann nicht mehr zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden. Der Leser schwankt und zweifelt förmlich mit ihr mit, als sie beginnt, alles zu hinterfragen.

Vivian pendelt zwischen Beruf und Familie. Oft hat sie das Gefühl, dass ihre Kinder zu kurz kommen – aber ihr Mann Matt ist ihr ein wunderbarer Partner, der ihr hilft, der sich um die Kinder kümmert und der sie unterstützt. Einmal Himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt und niedergeschlagen. Kann Vivian Miller ihrem Mann trauen? Es ist der Autorin auf 352 Seiten hervorragend gelungen, diesen Zweispalt in immer neuen Varianten zu beschreiben und darzustellen. Was tun, wie raegieren, was sagen die Kinder, was sagt mein Arbeitgeber, wem soll ich mich anvertrauen und vor allem: was sagt mein Mann.

Das Buch hat mich von Anfang an in seinen Bann  gezogen. Mein Lieblingsthema, der Cliffhanger, trägt erneut zu einem außergewöhnlichen Lesevergnügen bei. Auch bei „Wahrheit gegen Wahrheit“ ist der Cliffhanger so gewählt, dass ein Weiterlesen quasi zwingend erforderlich ist: „Fassungslos starre ich in das Gesicht meinen Ehemannes“ – Kapitel Ende!

Der Thriller wird übrigens von Universal Pictures mit Charlize Theron in der Hauptrolle verfilmt.

Informationen zum Buch:

Karen Cleveland
Wahrheit gegen Wahrheit
btb Verlag, 2018
352 Seiten
ISBN: 9783442716746

Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

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JP Delaney: The Girl Before

JP Delaney hat mit „The Girl Before“ seinen ersten Psychothriller vorgelegt. Alles in allem perfekte Thrillerkost auf hohem Niveau.

Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

JP Delaney präsentiert mit „The Girl Before“ einen Thriller, der den Leser nicht mehr loslässt. Es gibt zwei Handlungsstränge. Zuerst erfolgt die Rückblende: „Damals. Emma“. Und dann „Heute: Jane“. Die Idee mit zwei unterschiedlichen Handlungen, die sich dann doch zu einer Geschichte verquicken, gefällt mir sehr gut. Ebenso, dass die einzelnen Kapitel jeweils kurz und knapp gehalten sind. Zum einem wird der Leser dadurch immer wieder zum Weiterlesen animiert und es verleiht dem Buch eine gewisse Dynamik.

Der Plot: Nach einem Schicksalsschlag braucht Jane dringend einen Neuanfang. Daher überlegt sie nicht lange, als sie die Möglichkeit bekommt, in ein hochmodernes Haus in einem schicken Londoner Viertel einzuziehen. Die Miete ist gering, doch der Regelkatalog, den der neue Mieter einhalten muss, ist alles andere als gewöhnlich. Doch bald erfährt Jane, dass ihre Vormieterin im Haus verstarb – und ihr erschreckend ähnlich sah.

Beklemmende Atmosphäre im Architektenhaus

Die Story rund um das Architektenhaus überzeugt, denn JP Delaney schafft es, sofort eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen. Der Spannungsbogen, der zu Beginn richtig abgeht, hängt dann allerdings durch. Der Mittelteil hatte ziemliche Längen, war zum Teil sehr vorhersehbar und unspannend. Aber, oh Glück, danach zog die Geschichte wieder an. Beim Zusammenfädeln der beiden Erzählstränge und bei der der Auflösung wurde das Tempo deutlich erhöht und man wollte das Buch nicht mehr zur Seite legen.

Die zwei – respektive vier Protagonisten – sind gut dargestellt. Die Story um das kalte Architektenhaus und die beiden Frauen Jane und Emma ist mit einer dicken Portion Sex aufgehübscht. „Ernsthaft spannend wird „The Girl before“, als sich herausstellt, dass die beiden Frauen Jane und Emma keineswegs nur bemitleidenswerte Opfer sind, sondern auch ihre kleinen, schmutzigen Geheimnisse haben – und nicht nur sie.“, schreibt Lukas Jenkner in der Stuttgarter Zeitung.

Seinem Fazit schließe ich mich an:  Mit „The Girl Before“, seinem ersten Psychothriller, ist JP Delaney „perfekte Thrillerkost auf hohem Niveau“ gelungen. Die Verfilmung ist bereits in Planung. Und beim Lesen fiel mir unter anderem ein berühmtes Vorbild ein: „Rebecca“ von Alfred Hitchcock.

Informationen zum Buch:

JP Delaney
The Girl Before
Penguin Verlag, 2017
ISBN: ‎ 978-3328100997

Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

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Philip Kerr: Die Hand Gottes

Der schottische Autor Philip Kerr liefert einen soliden Krimi zur Überbrückung der fußballfreien Sommerpause ab. Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff.

Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

Fußballfreie Zeit – außer Confed Cup eben, aber der ist für echte Fans nicht ganz so prickelnd – da hab ich mir mal wieder einen Fußballroman angelacht: „Die Hand Gottes“ von Philip Kerr. Eines vorweg: Wer einen rasanten Thriller erwartet mit Action und Dramatik, bei dem die Spannung über den ganzen Roman hochgehalten wird, der sollte besser zu einem anderen Buch greifen. Dieser Roman ist nun wirklich alles andere als ein Thriller, auch wenn das Buchcover es so anpreist. Den Geschehnissen fehlt die Dramatik, Spannung ist etwas anderes. Der Roman ähnelt eher einer zwar soliden, aber langweiligen WM-Vorrunde, in der sich alle abtasten – ein spannendes Spitzenspiel sieht anders aus.

Hexenkessel im Karaiskakis-Stadion

Der Plot ist dennoch nicht schlecht, so dass man das Buch nach den fast 400 Seiten recht zufrieden weglegen kann: Griechenland im Hochsommer. Die Sonne brennt, auf den Rängen im Hexenkessel des Karaiskakis-Stadions toben die Fans. Scott Manson, Cheftrainer und Ermittler wider Willen und sein Team vom skandalträchtigen Erstligisten London City wollen nur das Champions League Spiel gewinnen und nichts wie zurück ins kühle England. Da bricht Scotts Topstürmer vor laufenden Kameras tot zusammen. Die griechische Polizei stellt die gesamte Mannschaft unter Verdacht, der ukrainische Clubchef und Ex-Mafiaboss Sokolnikow verlangt schnelle Aufklärung. Doch als wenig später ein totes Escortgirl aus dem Hafenbecken von Piräus gefischt wird, weiß Scott, dass der Schuldige nicht unter seinen Spielern, sondern in der Chefetage von London City zu finden ist. Ein Spiel gegen den Gegner aus den eigenen Reihen beginnt.

Hintergrundwissen aus der englischen Fußball-Szene

Der Autor verfügt über gut recherchiertes Hintergrundwissen aus der englischen und internationalen Fußball-Szene. Es ist auch etwas echt Besonderes, in einer fiktiven Geschichte reale Fakten über den aktuellen Profifußball zu erfahren. Und Kerrs Liebe zu Hertha BSC in den Roman einzubauen, ist zudem ein toller Kniff. Im Verlauf der Geschichte gibt es dann sogar einiges über Griechenland in Erfahrung zu bringen, über die dortige Wirtschaft, die Spannungen in der Gesellschaft und die Schwierigkeiten der Bevölkerung.

Allerdings kommen viel zu viele Charaktere vor – sich die Rolle und Bedeutung jeder Figur zu merken, wird durch die Vielzahl der doch recht komplexen, aber dennoch ähnlichen Namen der griechischen Protagonisten nicht gerade erleichtert. Man muss schon „höchschte Konzentration“ bewahren, wie Bundestrainer Löw zu sagen pflegt, und ab und an zurückblättern, um sich nochmals zu vergegenwärtigen, wer nun eigentlich wer ist und was er bisher für eine Rolle gespielt hat. Das unterbricht den Lesefluss und lässt auch die wenigen spannenden Momente meist im vor- und zurückblättern verpuffen, insbesondere auf den ersten einhundert Seiten. Das Ende wirkt auf mich ein wenig zu sehr konstruiert.

Eher ein grundsolider Kriminalroman denn ein echter Thriller. Oder um es mit dem Augsburger Dichter Bert Brecht zu sagen, der mit Fußball nichts am Hut hatte: “Wir stehen selbst enttäuscht und sehr betroffen – den Vorhang zu und alle Fragen offen“.


Informationen zum Buch:

Philip Kerr
Die Hand Gottes
Klett-Cotta Verlag, 2017
ISBN: 978-3-608-50342-5


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

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Mukoma wa Ngugi: Black Star Nairobi

Bereits in „Nairobi Heat“ führte der Autor Mukoma wa Ngugi den Detektiv Ishmael Fofona ein: Ein aus den USA zurückgekehrter Grenzgänger zwischen den Kulturen.

Bild von David Mark auf Pixabay

„Überlegt doch mal, meine Freunde, wir haben Katastrophenprogramme für fast alles: Epidemien, Überschwemmungen, Hurrikans, Flächenbrände – aber nicht für politische Katastrophen. Menschen verhungern infolge schlechter Politik, die Malaria ist nicht ausgerottet wegen schlechter Regierungsarbeit, und dann gibt es diesen Krieg. Deswegen greifen wir ein. Wir kümmern uns um politische Desaster, bevor sie stattfinden“, sagte er und schlug begeistert mit der Hand auf den Tisch.
Er machte eine Pause. „Darf ich nachschenken?“, fragte er dann und ging zur Minibar. Wir lehnten ab, und er schenkte sich mehrere Doppelte ein.
„Kenia ist unsere Debütantenparty. Wir gehen nach Kenia, zwingen das Land auf die Knie und dann bauen wir es neu auf.“

Mukoma wa Ngugi, „Black Star Nairobi“


„Er“, der Herr mit den doppelten Drinks, ist Teil eines weltweiten Verbundes von „Schattenmännern“: Den grauen Eminenzen,  die für mächtige Leute arbeiten, Thatchers Büroleiter, Reagans Persönlicher Referent, Clintons ehemaliger Rechtsberater, Kofi Annans Sonderberater und ein Stellvertretender Direktor der Mandela-Stiftung. Die Herren im Hintergrund haben sich zu einer Organisation zusammengeschlossen, die  – in Umkehrung des Goethe-Zitates – das „Gute“ will und dabei das Böse schafft. Weil in ihren Augen die Mittel der demokratisch legitimierten Politik versagen, spielen sie „Weltgeist“: In von Krisen geschüttelten Ländern wollen sie die Systeme weiter so sehr destabilisieren, bis ein Neuanfang unvermeidbar erscheint – ein Neuanfang allerdings unter Federführung dieser geheimen Organisation.

Das erste Experimentierfeld dieser Schattenbande soll Kenia sein – diese in sich zerrissene ostafrikanische Republik, die erst nach langen, blutigen Aufständen 1963 Unabhängigkeit von Großbritannien erreichte. Der junge Staat ist anfällig für Manipulationen von außen: Unter den Auswüchsen des anfänglichen Einparteiensystems und korrupter Machthaber brechen Gewalttätigkeiten und ethnische Anfeindungen zwischen den beiden größten Bevölkerungsgruppen bis heute immer wieder auf. In ein Kenia, in dem es im Vorfeld der Wahlen von 2007 knistert wie in einem Pulverfass, siedelte der kenianisch-amerikanische Schriftsteller Mukoma wa Ngugig seinen zweiten Kriminalroman an.

Grenzgänger zwischen den Kulturen

Bereits in seinem ersten Roman „Nairobi Heat“, in deutscher Übersetzung ebenfalls beim Transit Verlag erschienen, führte der Autor Mukoma wa Ngugi das Ermittlerduo Ishmael Fofona und den kenianischen Cop „O“ ein. Fofona ist ein aus den USA nach Kenia zurückgekehrter Privatdetektiv – die Figur lebt von den Erfahrungen ihres Schöpfers als Grenzgänger zwischen zwei Kulturen.

Fofona und O – ständig ziemlich bekifft und etwas betrunken – geraten eher zufällig mitten in die eingangs skizzierte Weltverschwörung. Zwar ist das Duo begabt mit detektivischem Spürsinn, ebenso aber auch mit der Gabe, stets zur falschen Zeit am falschen Platz zu sein. Die Beiden geraten zwischen alle Fronten – CIA, Diplomaten, kenianische Politiker, Al Qaida, somalische Islamisten und was sich sonst noch in Nairobi tummelt. Und so jagt sie der Autor von einem Schauplatz zum anderen: Von einer Bombendetonation in einem Luxushotel in Nairobi über ein Massaker an Dorfbewohnern bis hin zu blutigen Auseinandersetzungen an der amerikanisch-mexikanischen Grenze.

Die politische Verschwörung kann, soweit es die kenianischen Wahlen betrifft, zwar gestoppt werden – aber bis dahin ist viel Blut den Tana hinuntergeflossen. Und nicht nur Fofona fragt sich am Ende des Buches: Warum? Denn sowohl im Roman als auch in der Realität: Die Verhältnisse in Kenia bleiben  auch nach den Wahlen von 2007, die 2010 zu einem Referendum und einer neuen Verfassung führten, schwierig, weitaus schwieriger als sie mancher Tourist auf Foto-Safari wahrhaben will. Bis heute sind die Köpfe, die die Gewaltakte zwischen den größten Bevölkerungsgruppen in Kenia während der Wahlen schürten, mit an der politischen Macht, auch eine Anklage vor dem Internationalen Staatsgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit scheiterte.

Rasanter Thriller mit ein paar logischen Mängeln

So ist „Black Star Nairobi“ ein rasanter Thriller, der Einblick gibt in die kenianische Misere, der auch aufzeigt, mit welchem Zynismus die ehemaligen Kolonialstaaten immer noch zum Spielball von exterritorialen Mächten und einheimischen Bonzen gemacht werden.

Für meinen Geschmack mangelt es dem Roman zwar häufiger an kriminalistischer und inhaltlicher Logik, insbesondere scheint mancher Gewaltakt eher dem Vorantreiben der „Action“ denn einer inneren Notwendigkeit zu folgen. Zur Gewalt in seinem Roman äußerte sich Mukoma wa Ngugi in einem Interview:

„In this novel I’m driven by the question of violence. In the post-electoral violence of 2007 it was a sort of intimate violence where it was neighbor-against-neighbor — people who knew each other. And there are a lot of questions that arose … questions of class, the question of the whole democratic process. So I wanted to have characters, you know, who are running around trying to do their case, you know, but all the while being drawn back, you know, by the power, by the powerful nature of the violence that broke out.“

Quelle:
http://www.npr.org/2013/07/13/200832498/searching-for-clues-in-a-dangerous-nairobi

Dafür aber glänzt der Krimi durch die Darstellung seines Helden, einem Wanderer zwischen zwei Kulturen: Ishmael ist in dieser Beziehung wohl durchaus ein Alter ego seines Schöpfers. Denn dieser ist der Sohn des kenianischen Literaturnobelpreisanwärters Ngugi wa Thiong’o.

1971 in Evanston, Illinois, zur Welt gekommen, also gebürtiger US-Staatsbürger, wuchs er jedoch in Kenia auf und ging zum Studium zurück in die USA. Auch sein Privatdetektiv Ishmael erfährt in Kenia Misstrauen, wird – trotz seiner Hautfarbe – als „Weißer“ bezeichnet, ebenso aber auch in den USA wegen seiner Hautfarbe diskriminiert und zurückgesetzt.

„For a very long time I had difficulty, you know, accepting that I was an American citizen because I grew up in Kenya, my parents are Kenyan, my nationality really is Kenyan. And then I came to the U.S. and at some point I had to realize, wow, I’ve been in the U.S. now longer then I’ve been in Kenya.“

„In a way I do mirror — or maybe Ishmael mirrors — you know, my struggles for identity. Eventually I had to tell myself, ‚Who decides a person can have only one identity? Who is the gatekeeper of identity?‘ And I just decided to acknowledge, to live out, my multiple identities.“

Mukoma wa Ngugi ist Literaturprofessor an der Cornell University, Kolumnist für etliche englischsprachige und afrikanische Medien und veröffentlichte vor seinen Krimis überwiegend Lyrik.


Bibliographische Angaben:

Mukoma wa Ngugi
Black Star Nairobi
Übersetzt von Rainer Nitsche und Niko Fröba
Transit Verlag, 2018
ISBN: 978-3-88747-314-3

James McClure: „The Steam Pig“ und „The Song Dog“

James McClure schrieb seine Krimis über Südafrika im britischen Exil – düstere Abbilder einer Gesellschaft, geprägt von Apartheid und Gewalt.

Bild von cocoparisienne auf Pixabay

„Einer sagte, Captain Bronkhorst fürchte wohl, schlecht dazustehen, falls er die Person nicht dingfest machen konnte, die für die Explosion verantwortlich war. Aber später sagte Mtetwa, der Bantu-Sergeant, nein, das sei es nicht. Er hätte mit einem früheren CID-Kollegen in Trekkersburg gesprochen und gehört, Captain Bronkhorst sei mit einer sehr wichtigen Ermittlung betraut und müsse der Sicherheitspolizei helfen, einen gewissen Bantu namens Nelson Mandela zu finden.

„Wen?“, fragte Kramer.

„Ach, irgend so ein Xhosa“, sagte Zondie mit einer abfälligen Geste, die besagen sollte, dass der Betreffende einem niederigen Stand angehörte.“

James McClure, „Song Dog“

Man muss nur wenige Kapitel dieses Thrillers lesen, um zu verstehen, warum der Journalist James McClure (1939 – 2006) sein Heimatland Südafrika 1965 verlassen musste: Frech, rotzig, düster und direkt sind diese Kriminalromane um den weißen Ermittler Kramer und seinen afrikanischen Kollegen Zondie, die McClure ab den 1970er-Jahren im britischen Exil schrieb.

Thriller aus Südafrika

Acht Thriller entstanden in dieser Reihe, die beim Züricher Unionsverlag ieder veröffentlicht wurden. Herauszuheben sind insbesondere das erst 1991 verfasste Prequel zur Serie, „Song Dog“ und der erste, bereits 1971 erschienene Thriller „The Steam Pig“. Beide Krimis sind äußerst temporeich, spannend konzipiert und mit nicht wenig Ironie ausgestattet – vor allem aber sind sie zwar nicht offensichtlich politisch und enthüllen doch den Irrsinn und die Abartigkeit des Apartheidsystems ganz klar. Selten, dass wie im obigen Zitat, direkte Anspielungen auf das Zeitgeschehen und den ANC-Widerstand zu lesen sind – und dennoch wird verständlich, warum einer wie McClure dem Regime ein Dorn im Auge war.

Der Schriftsteller selbst äußerte sich in einem Interview dazu einmal so:

„Alle meine Bücher sind spezifisch südafrikanisch. Ich kenne andere ›südafrikanische‹ Krimis, die überall auf der Welt spielen könnten. Ich aber wollte so vielen Menschen wie möglich vermitteln, wie hier die Zustände sind – in Südafrika. Eines Abends sah ich im Fernsehen, wie die Kriminalliteratur als das konservativste, aber auch das meistgelesene Genre beschrieben wurde. Da kam mir die Idee, selbst Krimis zu schreiben. Ich wollte ein wirklich weitreichendes Medium nutzen. Hinzu kam, dass die Polizei sich in allen Ebenen der Gesellschaft bewegt. Der Krimi kann zwischen allen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen wechseln – in einem Roman geht das nicht so einfach. Ich habe mich also sehr bewusst für die Form des Kriminalromans entschieden.“

Das Interview findet sich auf der Seite des Unionsverlag zu McClure.

Lakonischer Einzelgänger trifft auf Sinatra-Fan

In „Song Dog“ trifft der Ermittler Tromp Kramer, ein lakonischer Einzelgänger mit unkonventionellen Ansichten und Vorgehen, erstmals auf Zondi, seinen späteren Compagnon. Auch Kramer ist ein Kind seiner Gesellschaft: Zunächst erscheint ihm der Afrikaner, der im Frank Sinatra-Outfit umherspaziert, schon aufgrund seiner Hautfarbe und seines Auftretens verdächtig. Der Fall – eine Ermittlung über einen Polizistenmord – schweißt die beiden zusammen, gegenseitiger Respekt entsteht.

Wie sehr das System die Menschen korrumpierte und erniedrigte wird in „Steam Pig“ noch weitaus deutlicher: Eine junge Frau, die aufgrund ihrer weißen Hautfarbe inmitten der Gesellschaft leben konnte, ist nicht das, was sie erschien – und bezahlt dafür mit ihrem Leben.

Eine kranke Gesellschaft während der Apartheid

Korrupte Polizisten, unfähige Ermittler, erpressbare Stadträte, scheinheilige Moralapostel: James McClure zeichnet in seinen Thrillern das Portrait einer kranken Gesellschaft, eines Landes, das kurz vor der Explosion steht – weil die Gier der Machthabenden alles Ertragbare übersteigt.

Thomas Wörtche stellte die beiden Bücher bei Deutschlandradio Kultur vor:

„Auch die Fälle der beiden kommentieren die südafrikanischen Verhältnisse mit bitterer Präzision: In „Song Dog“ geht es um zweckrationale Morde von Weißen an Weißen, wobei man an höherer Stelle lieber die moralische Verworfenheit der Beteiligten als Motiv gesehen hätte; in „Steam Pig“ ist der Auslöser einer menschlichen Tragödie die „Zurückstufung“ des Opfers, einer jungen, begabten Frau, die nach langen Jahren des Lebens als Weiße zur „Schwarzen“ erklärt wird. Der anti-moderne Puritanismus des Landes, die grotesken und bizarren Situationen, die entstehen, weil man Schwarze und „Farbige“ als unsichtbar, bzw. fast nicht existent betrachtet, spielen eine ebenso entscheidende Rolle wie die Brutalität, mit der solche Verhältnisse durchgesetzt werden. Kramer und Zondi kommentieren all das nicht, nur ihre Handlungen sind entsprechend subversiv.“

Informationen zu den Büchern:

James McClure
Song Dog
Unionsverlag Zürich
Übersetzt von Erika Ifang
Taschenbuch, 352 Seiten
ISBN 978-3-293-20742-4

James McClure
Steam Pig
Unionsverlag Zürich
Übersetzt von Sigrid Gent
Taschenbuch, 320 Seiten
ISBN 978-3-293-20743-1

Karim Miské: Arab Jazz

Ausgegrenzt und voller Hass: In „Arab Jazz“ wirft Karim Miské einen Blick auf die Jugendlichen in den Banlieues von Paris. Ein Krimi als Gesellschaftsanalyse.

Bild: (c) Michael Flötotto

Wer etwas über die innere Befindlichkeit einer Gesellschaft erfahren möchte, ist mit Kriminalliteratur nicht schlecht bedient. Wenn sie denn auch noch so hervorragend flüssig geschrieben ist wie das Romandebüt des Journalisten und Filmemachers Karim Miské. Bereits ab 2006 arbeitete der Pariser, Sohn eines Mauretaniers und einer Französisin, an „Arab Jazz“ (was den deutschen Verlag dazu verleitete, diesen eingängigen Titel, der bei den meisten Übersetzungen beibehalten wurde, durch „Entfliehen kannst du nie“ zu ersetzen, das weiß der Himmel). Und beschrieb darin, was Frankreich seither immer wieder erschüttert: Die Gewalt islamistischer Attentäter.

Zustandsbeschreibung eines zerrissenen Landes

Ein Einwanderer mit psychischen Problemen, die bestialisch ermordete Tochter strenger Zeugen Jehovas, Jungs, die Salafisten in die Hände geraten, junge Frauen, die auf jüdisch-orthodoxe Weise an Fremde verheiratet werden sollen, korrupte, rassistische Polizisten sowie ein originelles, intellektuelles Ermittlerpaar: Diese Gemengelage nutzt Miské nicht nur für eine rasant daherkommende Handlung mit überraschenden Wendungen, sondern auch, um einen glasklaren Blick auf den Zustand des modernen Frankreichs zu zeigen.

Hass, Brutalität, Orientierungslosigkeit – da trifft die Verführungskunst orthodoxer Prediger auf offene Gemüter. Denn eine ganze Generation wird ausgeschlossen und vernachlässigt, steht außerhalb. Das wird allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinger erzählt, sondern in einen raffinierten Plot verkleidet, stilistisch sind deutliche Anklänge bei Ellroy  zu erkennen (der Titel „Arab Jazz“ ist eine Hommage an den US-Amerikaner und dessen Roman „White Jazz“, was von Weißen verursachter Trubel bedeutet). Aktueller können die Bezüge kaum sein – so wenn die Kommissarin, Tochter weißrussischer Einwanderer, auf den älteren Kollegen, „eingeborener“ Franzose trifft, dann ist sie „charlie“:

„Ekelhaft. Der Kerl ist einfach nur ekelhaft. Allein sein Anblick weckt in ihr das Bedürfnis nach einer Dusche. Er ist einer von den ewig Gestrigen – fett, aber muskulös, ein verbitterter Rassist, überzeugter Macho und verbissener Schwulenhasser. Und natürlich Antisemit, vor allem wohl deshalb, weil man ihn mit seinem elsässischen Nachnamen oft für einen Juden hält. Wenn sie ihm gegenübersteht, lässt Rachel unwillkürlich die engelsgleiche Antirassistin heraushängen, oder sie gibt sich als Wachhündin und Abonnentin der Satirezeitschrift Charlie Hebdo.“

Miské zeigt, wie Jugendliche aus Einwandererfamilien – egal ob zuhause der Islam gepredigt oder die Thora gelesen wird – zunächst eben durchaus wie in einem „melting pot“ zusammenleben, bis die Ereignisse Fronten schaffen und einige in die Radikalität, andere in die Kriminalität treiben. A lost generation. Das alles, wenn auch etwas brutal, rasant, temporeich und äußerst unterhaltsam geschrieben von einem, der die Lebensumstände dieser Generation kennt: Miské arbeitete an einer Langzeit-Filmdokumentation über die Fundamentalistenströmungen in Frankreich, als er mit dem Buch begann.


Bibliographische Angaben:

Karim Miské
Entfliehen kannst du nie (Arab Jazz)
Übersetzt von Ulrike Werner-Richter
Bastei Lübbe, 2014
ISBN: 978-3404168729

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