Literarische Orte: Thomas Mann in Bayern

Die längste Zeit seines Lebens verbrachte der Hanseat Thomas Mann in Bayern. Ein kleiner Spaziergang auf seinen Spuren durch die oberbayerische Landschaft.

Hinweistafel am Mann-Haus in Bad Tölz. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Manche Schriftsteller verortet man unbewusst in bestimmte Landschaften. Oder anders ausgedrückt: Ihr Werk ist geprägt von der Landschaft, in der sie lebten, in der sie arbeiteten. Man denke nur an Theodor Storm oder an Fontane.

Aber bei anderen bringe ich dagegen Lebensorte, Temperament und dessen literarischen Ausdruck nur schwer zusammen. Thomas Mann in Bayern? Obwohl der Hanseat 30 Jahre dort, also die längste Zeit seines Lebens, seinen Lebensmittelpunkt hatte, so verbinde ich mit seinem Namen mehr oder wenig sofort Lübecker Backsteingebäude oder ein Hiddenseer Reetdachhaus.

Umzug von Lübeck nach München

Ich selbst kann mir Thomas Mann nur schwer als entspannten Landmann, Wanderer in Nagelschuhen, durch die Voralpen streifend und an einem der bayerischen Seen entspannend, vorstellen. Und doch gab es das auch. Nach dem Tod von Thomas Manns Vater 1891 zog seine Mutter – die in Brasilien aufwuchs und Lübeck immer als zu eng empfand – zwei Jahre später mit den jüngeren Geschwistern von Thomas Mann nach München. Thomas folgt 1894 nach und zog in die Stadt, die ihn ebenso prägte wie Lübeck, obwohl er wohl im Herzen, sicher aber im Habitus immer ein Hanseat blieb.

Literarische Spuren von Bayern finden sich in seinem Werk zuhauf: Schon in seinem Debüt „Buddenbrooks“ wird der Norden, sprich die Hansestadt Lübeck, mit München konterkariert. Man denke allein an den Hopfenhändler Permaneder: Die wenig schmeichelhafte Überspitzung des Typs des gemütlichen, gutmütigen, aber auch bauernschlauen Münchners. Dass diese Figur mit so spitzer Feder gezeichnet ist, lag sicher auch daran, dass Thomas Mann zu jener Zeit auch für den „Simplicissimus“ arbeitete.

Skulptur von Quirin Roth in Gmund am Tegernsee. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Hauptsächlicher Wohnort in Bayern ist und bleibt für Thomas Mann München: Hier wird er, nach einem kurzen beruflichen Abstecher in eine Versicherungsanstalt, zum freien Künstler, hier lernt er Katia Pringsheim kennen, hier baut er, dem ein eigenes Haus wichtig ist, seine Villa im noblen Viertel Bogenhausen. Damals freilich noch nicht ganz so nobel. Eine Ahnung davon erhält man in „Herr und Hund“ (1918). In dieser, einer seiner längsten Erzählungen, schildert Mann so ausführlich und akribisch wie selten anhand der Spaziergänge mit seinem Lieblingshund „Bauschan“ die Umgebung, in der er lebt:

„Und doch war die Sache schon so weit gediehen, daß diese Straßen ohne Anwohner ihre ordnungsgemäßen Namen haben, so gut wie irgendeine im Weichbilde der Stadt oder außerhalb seiner; das aber wüßte ich gern, welcher Träumer und sinnig rückblickende Schöngeist von Spekulant sie ihnen zuerteilt haben mag. Da ist eine Gellert-, eine Opitz-, eine Fleming-, eine Bürger-Straße, und sogar eine Adalbert-Stifter-Straße ist da, auf der ich mich mit besonders sympathischer Andacht in meinen Nagelschuhen ergehe (…)“

Die Adalbert-Stifter-Straße in München-Bogenhausen ist immer noch da, die 1913 erbaute Villa der Manns jedoch gibt es nur noch in einer Rekonstruktion: Das Gebäude war bei einem Bombenangriff zerstört worden, Thomas Mann ließ es 1952 vollends abreißen und verkaufte das Grundstück. 2001 wurde es nach den Original-Bauplänen wieder erbaut, aber ist seither als Luxusimmobilie in Privatbesitz.

Das Mann-Haus in Bad Tölz.

Ein anderes Haus, das sich Mann in Bayern bauen ließ, gibt es jedoch noch im Originalzustand: Die „kleine“ Villa in Bad Tölz, für die schnell wachsende Familie zunächst ein wunderbares Domizil in der Sommerzeit, dann wurde es aber von Kind zu Kind enger. Zumal hier auch „Bauschan“ als weiteres Familienmitglied hinzukam:

„Ein ansprechend gedrungenes, schwarzäugiges Fräulein das, unterstützt von einer kräftig heranwachsenden Tochter in der Nähe von Tölz eine Bergwirtschaft betreibt, vermittelte uns die Bekanntschaft mit Bauschan und seine Erwerbung.“

Denkmal am Tegernsee

Dem Hund aus Bad Tölz setzt der Schriftsteller in „Herr und Hund“ ein Denkmal. Ein Denkmal für Herr und Hund ist dagegen nicht in Bad Tölz zu finden, sondern in Gmund an Tegernsee. Seit 2001 steht hier die Skulptur von Quirin Roth und erinnert so daran, dass der Tegernsee, die Badewanne der Münchner, früher schon ein beliebtes Ausflugsziel war – weniger für die Schickeria, sondern für die Münchner Bohème rund um die Mannschaft des „Simplicissimus“. Thomas Mann lernte die Gegend bereits als Kind kennen, als seine Eltern in Wildbad Kreuth zur Sommerfrische waren. Auch später zog es ihn immer wieder in die Region. Die beiden „Ludwigs“ – Ganghofer und Thoma – die vor ihrem Ruck ins Deutschnationale auch für die Satirezeitung schrieben, siedelten hier an, in seinem Haus in Tegernsee frönte der Karikaturist Olaf Gulbransson der Freikörperkultur und schwang gerne auch nackt die Sense, um das Gras zu mähen.

Zurück nach Bad Tölz: Ein Thomas Mann-Museum gibt es hier leider nicht (wer im Ort ist, kann das „Bulle von Tölz-Museum“ besuchen, ob es sich lohnt, vermag ich nicht zu sagen), auch kann das Landhaus, das sich Mann 1909 für seine junge Familie bauen ließ und das sie bis 1917 nutzten, nicht besichtigt werden. Dennoch lohnt sich ein Blick auf das Grundstück, wenn man sowohl die privaten Notizen von Thomas Mann aus jener Zeit als auch die Erinnerungen der älteren Kinder an das Haus, an Land und Leute kennt. Erika Mann, die Rastlose, kam in einigen ihrer Texten auf diese Landschaft ihrer Kindheit zurück. In einer 1930 entstandenen „Liebeserklärung an Bayern“ schreibt sie:

„Wenn irgendwo ein Wiesenweg, eine Bergkette, eine Viehweide uns besonders zu Herzen sprach, erkannten wir bald mit dem Heimatlichen die Ähnlichkeit, – fast wie bei Tölz (…).“

Und Golo Mann sagt in „Erinnerungen und Gedanken“:

„Es dauerte dann etwa fünfunddreißig Jahre, bis ich Tölz wieder sah. Anfang der fünfziger Jahre war das meiste noch wie eh und je, die vier Kastanien und „Hüttchen“, letzteres renoviert, das Haus nach außen hin unverändert. Wie sehr seine Verzierungen „Jugendstil“ waren, bemerkte ich erst jetzt.“

Rückzugsort Bad Tölz

Die Villa, seit 1926 im Besitz eines Ordens, dient inzwischen als Erholungsheim für Ordensschwestern und ist öffentlich leider nicht mehr zugänglich. Bad Tölz bemüht sich anderweitig, um an den berühmten Bewohner, wenn dieser auch nicht zu lange hier lebte, zu erinnern. So wird wohl in diesem Oktober noch in der Tölzer Stadtbibliothek ein Thomas-Mann-Zimmer eröffnet – eingerichtet mit Mobiliar und Gegenstand aus dem „Mausloch“. So bezeichnete Mann ein Haus, das der Kunsthändler Georg Martin Richter in der bayerischen Gemeinde Feldafing gekauft hatte. Thomas Mann beteiligte sich mit 10.000 Mark an dem Kauf und konnte sich, wenn es ihm in München zu trubelig wurde, hierher zum Schreiben zurückziehen. Zwischen 1919 und 1923 war er mehrfach dort, dabei entstanden wesentliche Teile des Zauberbergs.

Erwähnt werden müssen, wenn es um Thomas Mann und Bayern geht, zwei Institutionen: Zum einen die Monacensia in München mit ihrer umfassenden Familie-Mann-Bibliothek sowie der neu erarbeiteten Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“. Und der Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer: Keiner kennt so sehr die Spuren großer Schriftsteller in Bayern wie er, insbesondere aber diese von Thomas Mann. Seit Jahren ist er Vorsitzender des Thomas-Mann-Forums München und gibt die Thomas-Mann-Schriftenreihe heraus. In dieser ist auch der Band „Nicht auf der Rasenkante gehen!“ von Daniel Lang, eine Arbeit über die Manns in Bad Tölz und die Geschichte des Hauses, erschienen.

Weitere Informationen:

Daniel Lang, „Nicht auf der Rasenkante gehen!“: Link zum Buch

Literarische Spaziergänge mit Dirk Heißerer: https://www.lit-spaz.de/

Andreas Föhr: Schwarzwasser

Es ist wie bei allen Krimis von Andreas Föhr: Der Leser ist ab der ersten Zeile drin im Geschehen. „Schwarzwasser“ entblättert sich in zwei Handlungssträngen.

Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

Florian Pittroff outet sich als echter Fan. Und meint: Der neue Wallner & Kreuthner – Krimi von Andreas Föhr ist wie die letzten auch: Echt überragend!

Als Kommissar Wallner die Nachricht erhält, man habe die Leiche eines alten Mannes gefunden, bleibt ihm beinahe das Herz stehen: Seit Stunden ist sein Großvater Manfred abgängig. Am Tatort angekommen, stellt Wallner erleichtert fest, dass Manfred wohlauf ist – er und Polizeiobermeister Kreuthner haben den Toten – Klaus Wartberg – entdeckt. Am Tatort findet sich auch eine verstörte junge Frau, die die Tatwaffe in der Hand hält. Schon bald stellt sich heraus, dass der Ermordete gar nicht tot sein dürfte. Ihn hat es nämlich nie gegeben. Wer also war der Tote wirklich? Was verbindet ihn mit der jungen Frau? Und warum musste er eine andere Identität annehmen?

Es ist wie bisher bei allen Krimis von Andreas Föhr: Der Leser ist ab der ersten Zeile drin im Geschehen. „Schwarzwasser“ entblättert sich in zwei Handlungssträngen. Diesmal sind 20 Jahre dazwischen. Zum einen befindet man sich im Jahr 1996 und es wird die Geschichte eines Strafverteidigers erzählt, der nicht so erfolgreich ist, aber es werden kann. Der 2. Erzählstrang sind die laufenden Ermittlungen in Miesbach. Föhr verknüpft beide Handlungsstränge gekonnt, spannend und logisch. Nach und nach entwickeln sich die Geschichte, dem Leser erschließen sich Kapitel für Kapitel die kleinen und großen Zusammenhänge.

Knappe Kapitel und große Spannung

Wie immer sind die Kapitel knapp gehalten und der Leser wird beständig weiter in die Geschichte hinein gezogen. Interessanter Kniff: Die Spannung mit einem kleinen Teaser am Ende des Kapitels richtig hochhalten. Noch dieses Kapitel und dann noch das nächste – und eh man sich versieht, hat man schon den halben Roman verschlungen.

Man denkt, man ist dem Täter auf der Spur – Täuschungsmanöver des Autors – ein Kapitel lese ich noch – aber dann –  und dann kommt noch eins. Selten einen Roman in der Hand gehabt, der mich so in den Bann gezogen hat: garniert mit witzigen Dialogen und trockenem Humor:

Mit einem Mal tauchten drei Gestalten wie aus einem Theaterstück vor ihm auf. Ein Mann in Lederhose und Lodenkotze, Gamsbart am Hut (…).Neben ihm eine Frau mit Pelzmantel-Imitat, unter dem sie ein glitzerndes Paillettenkleid trug (…). Und  schließlich – der Tod mit Sense in der Hand. Alle drei sahen Wallner an und schwiegen. „Ich hab mir Sorgen gemacht“, sagte Wallner zum Sensenmann.

Erneut ein raffinierter Plot! Die beiden Protagonisten, das Tegernseer Ermittler-Duo, Kommissar Clemens Wallner und Polizeiobermeister Leonhardt Kreuthner, sind in ihrem mittlerweile 7. Kriminalfall voll aufeinander eingespielt. Alle Personen sind grandiose Charaktere. Die Handlung ist klar, logisch und hat einige sehr überraschende Wendungen parat.

Die Kriminalromane von Andreas Föhr sind einerseits witzig und unterhaltsam, andererseits spannend und fesselnd,  sehr gut geschrieben und kommen – ganz wichtig – ohne grausige Brutalität aus. Ideale Sommerurlaubslektüre!

Informationen zum Buch:

Andreas Föhr
Schwarzwasser
Droemer Knaur, 2019
ISBN: 978-3-426-51766-6

Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

www.flo-job.de

Die mobile Version verlassen
%%footer%%