Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff

Die Groteske regiert. Wortkaskaden einer begabten Schwätzerin. „Apostoloff“: Sprachgewaltig und nervtötend zugleich.

Bild von Wengen auf Pixabay

„Jedes Erdgeschoß, jeder Keller ist in einen Souvenirshop umfunktioniert worden. Früher waren das kühle Räume für die Waren mit vielleicht ein paar Bottichen neben dem Eingang oder Wassertröge, in denen glubschäugige Fische schwammen. Heute quellen die Erdgeschosse über, quellen mit unsäglichem Ramsch zum Eingang hinaus, übermannshoch ist das Zeug gestapelt; vor allem beschallt jeder Ladenbesitzer in absolut irrsinniger Lautstärke die Straße. Eine Ohrhölle.“

Sibylle Lewitscharoff, „Apostoloff“

Für den Roman „Apostoloff“ erhielt Sibylle Lewitscharoff 2009 den Preis der Leipziger Buchmesse. Also lange, bevor sie mit ihren rhetorischen Ausfällen im März 2014 in Dresden für einen Eklat sorgte. Wer ihren preisgekrönten Roman unter dem Eindruck der Dresdner Rede nochmals liest, wird feststellen: Die Grundmisanthropie bis hin zum Weltekel sind schon in diesem Werk zu finden. Geht man davon aus, dass die Ich-Erzählerin des Romans autobiographische Züge trägt, so ist vieles von dem, was die Autorin seither öffentlich äußerte, in diesem Buch bereits angelegt: Eine gewisse Arroganz gemischt mit Minderwertigkeitskomplexen, stets eine explosive Mischung. Verdruckte Sexualität, unausgelebte Sehnsüchte und eine allgegenwärtige Verdrossenheit, sich austobend am Leben und der Welt.

Sibylle Lewitscharoff läuft dann zu Hochform auf, wenn sie ihre Protagonistin über das Mutterland Bulgarien schimpfen lässt: Eine heruntergekommene Ohrhölle, bebunkert mit scheußlichen Fassaden am Schwarzen Meer, bevölkert mit suspekten Gestalten, ein Land, in dem man Charme und Liebreiz lange suchen muss. Zwei längst erwachsene Schwestern lassen sich durch dieses Land, die Heimat des verstorbenen Vaters, chauffieren. Von einem, dessen Vater ausgerechnet den Namen „Kristo Apostoloff“ trägt.

Ein Roadtrip durch Bulgarien

Wie ein guter Apostel will Rumen, der Sohn, Apostoloff jr., durchaus missionieren, sprich, die verlorenen Töchter für dieses Bulgarien einnehmen. Keine Chance, nicht mal durch Liebeständelei: Die zwei Damen, ausgerechnet aufgewachsen und schwäbisch sozialisiert in Degerloch, haben, so unterschiedlich sie sind, eines gemeinsam: Ein Vaterproblem. Dieser, der Bulgare, entschied sich, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Das hinterlässt Lücken, das hinterlässt Fragen. Aber eine Klärung und Analyse der Familientristesse darf man vom Buch nicht erwarten. Dem Unglück wird begegnet durch das Komödiantische und Groteske. Durch Wortkaskaden und Sprachfassaden einer begabten Schwätzerin.

Man kann begeistert sein– eine, die erzählen kann, die fabuliert, dass es eine Lust ist. Man kann aber auch müde werden vom Monologisieren um des gut formulierten Monologs willen. Kein Buch für jede Stimmung. Die sprachliche Bravour bringt die Fassade zum Bröseln, die Mauersteine der Geschichte werden einfach zusammengeschwätzt.

Eloquent und rastlos – ein rhetorischer Sturm

Im Lichte der späteren Ereignisse haftet dem Urteil von Elmar Krekeler in der Welt am Sonntag über den Roman inzwischen etwas Zwiespältiges an. Er schrieb über Lewitscharoff und Apostoloff: „Wenn sie wütend ist, wenn sie Gift und Galle spuckt, wenn sie rast, dann wird sie immer größer, richtig gut und unheimlich komisch.“ Vielleicht gab es zuviel Anerkennung der Kritik für das Wüten der Autorin, die inzwischen darin wenig Grenzen mehr zu kennen scheint. Und verunsichert reagiert, wenn ihr Empörung entgegenschlägt – denn wofür sie sich einstmals hochgelobt glaubte, dafür kassiert sie nun öffentliche Prügel. Sie habe doch nur geäußert, was sie denke, und das müsse doch erlaubt sein – diese Reaktion der Autorin auf den Sturm der Empörung spricht Bände. Sie hat, so scheint es mir, eine wesentliche Grenze nicht erkannt.

Redekunst oder Redegeprassel?

Denn es ist die eine Seite, über fiktive Gestalten so zu schreiben: „sie spottet, hetzt, zetert, singt, kichert, schimpft, schwärmt, deklamiert, agitiert und zieht sämtliche Register der aristotelischen Redekunst. Ein Sturm geht auf uns nieder, ein töchterliches Redegeprassel … “ (Maike Albath über „Apostoloff“ in der Frankfurter Rundschau). Doch spotten, hetzen, zetern, schimpfen und deklamieren über „echte“ Menschen, sich in diesem Modus in gesellschaftliche Themen einzumischen, ist eine ganz andere Kategorie.

Am öffentlichen Umgang mit der Causa Lewitscharoff lassen sich etliche Doppelmoralitäten erkennen – wie einer zum literarischen Star gepuscht und dann wieder fallengelassen wird wie eine heiße Kartoffel. Wie sich die Feuilletonisten meist einheillig einig sind im positivem Urteil und ebenso einhellig der Boulevard in der öffentlichen Verurteilung. Den Unsäglichkeiten der Aussagen der Sibylle Lewitscharoff folgten die Unsäglichkeiten der medialen Reaktionen.

Doch, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wer aufmerksam las, konnte die Verbitterung und Weltablehnung der Autorin bereits im hochgelobten „Apostoloff“ erkennen.

Ostsozialistische Scheußlichkeiten

„Ebenso eloquent wie rastlos“, urteilte die Zeit über die Ich-Erzählerin. Sibylle Lewitscharoff habe für diesen Roman allem Anschein nach tüchtig in der Kiste mit Familienstoff gekramt. „So geht die Romanfahrt flott voran, vorbei an ostsozialistischen Scheußlichkeiten sonder Zahl, die Schwarzmeerküste ist eine einzige Enttäuschung, nur den Ikonen von Arbanassi wird ein gewisser Zauber und dem Schafskäse eine einzigartige Qualität bescheinigt. Sibylle Lewitscharoff kann schreiben und schäumen, ohne Frage. Sie formuliert einfalls- und anspielungsreich, bissig, launig verspielt und aus einem Geist, wie er nicht nur in den Bezirken weiblichen Schreibens eher selten vorkommt. Da herrscht ein kaltblütiges Sprachregiment, dem jede Schandtat recht ist, solange sich damit nur Sätze erzeugen lassen, die strotzen vor Witz, Gescheitheit und Schlagfertigkeit.“

Literaturästhetisch betrachtet, so urteilte Eberhard Falcke 2009 in der Zeit, „erscheint das schön und schrecklich, bewundernswert und nervtötend zugleich. Ganz abgesehen davon, dass die erzählerische Opulenz gedanklich doch etwas mager ausfällt und die virtuose Rhetorik zuweilen ein wenig hohl tönt. Wenn zum Beispiel ein Essen mit dem Satz beschrieben wird: »Mit unseren Genicken hängen wir müde über den Tellern«, dann fragt sich doch, wo da die Köpfe geblieben sind.“

Die Köpfe waren beim Quasseln, ist doch klar.

Informationen zum Buch:

Sibylle Lewitscharoff
Apostoloff
Suhrkamp Taschenbuch, 2010
ISBN: 978-3-518-46180-8

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