Joseph Roth: April. Die Geschichte einer Liebe

Joseph Roth spielt in dieser Erzählung stilistisch auf einer Klaviatur poetischer Bilder, neusachlicher Flapsigkeit und expressionistischem Ausdruck.

Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Manchmal wusste ich, dass Anna zärtlich sein könnte. Ich liebte die Frauen, deren Güte wie ein verschütteter Quell, unsichtbar fruchtlos, aber unermüdlich, jedesmal gegen die Oberfläche anströmt und, weil ein Ausweg nicht möglich, nach der Tiefe gedrängt, verborgene Schächte gräbt und gräbt bis zum Versiegen. Ich liebte Anna. Ich konnte ihren Reichtum nicht lassen. Sie wusste nicht, wieviel ihr verlorenging, wenn sie so daherschritt, rückwärts lebend, jede andere Sehnsucht ausschaltete und nur die nach Vergangenem trug und pflegte.“

Joseph Roth: April. Die Geschichte einer Liebe


Die erste der Erzählungen Joseph Roths, die herausragt aus den frühen Vorversuchen, ist für mich „April. Die Geschichte einer Liebe“, veröffentlicht 1925. Schon zuvor hatte Roth über Frauen geschrieben – einsame Frauen, alleinstehende Frauen, verlassene Frauen, Geliebte, Witwen, Mütter. Doch bei „April“, dieser einerseits zarten, poetischen Erzählung, andererseits aber auch desillusionierenden Liebesgeschichte, ist der Blick auf „die Frau“, aber auch auf die Zeitläufte, erstmals befreit von jugendlicher Rührseligkeit. Roth spielt in dieser Erzählung stilistisch auf einer Klaviatur poetischer Bilder, neusachlicher Flapsigkeit und expressionistischem Ausdruck – geprägt zwar auch von den literarischen Stilen seiner Zeit, ließ er sich dennoch nicht festlegen, zeigt vielmehr an dieser Erzählung, wie groß die Bandbreite seines Talentes ist.

Fast schon müßig zu betonen, dass die Liebe – beziehungsweise die Lieben – unglücklich verläuft in diesem „Intermezzo“.

Der Erzähler kommt in eine kleine Stadt, verliebt sich zunächst in Anna, Mutter eines unehelichen Kindes und dann in eine unbekannte Schöne, die am Fenster sitzt. Anna erzählt ihm, die Unbekannte sei todkrank. Der Erzähler beschließt, wieder abzureisen – am Bahnhof sieht er ein letztes Mal die scheinbar kranke Schöne, sie, das blühende Leben ist offensichtlich mit einem Mann verlobt, den er verabscheut. So oder so – die Liebe zu beiden Frauen wird durchlebt im rasenden Tempo, wird stark empfunden, bleibt aber doch nur ein Spiel auf Zeit.

Eine ganze Stadt wird lebendig

Dies ist der äußere Rahmen, den Roth jedoch auch nutzt, um eine ganze kleine Stadt, eine kleine Welt lebendig werden zu lassen. Mit wenigen Strichen zeichnet er Miniaturen, lässt Typen und Charaktere auferstehen: Den windigen Kellner Ignaz, der lieber Politiker wäre, den würdigen Postdirektor, den vom Ehrgeiz zerfressenen Eisenbahnassistenten, der auch bei der Liebe (die er nicht empfinden kann) die rote Eisenbahnassistentenmütze im Blick behält. Der Erzähler ist ein assoziierender Flaneur:

„Ich pflanze meine Erlebnisse wie wildes Weinlaub und sehe zu, wie sie wachsen.“

Vor allem ist „April“ jedoch auch die Geschichte einer Liebe zu einer mystifizierten Unbekannten: In Gegensatz zu der Kleinstadt, in der sich der Erzähler nur auf Durchreise befindet, steht das glitzernde, schillernde New York.

„Manchmal träumte ich von einer großen Stadt, es war vielleicht New York. Ich atmete das Rasseltempo ihres Lebens, ihre Straßen rannten groß, breit, unaufhaltsam, mit Menschen, Fahrzeugen, Pflastersteinen, Laternenpfählen, Litfaßsäulen, ich weiß nicht, wohin und wozu. Die Stadt stand nicht, sondern lief. Nichts stand. Große Fabriken qualmten aus riesigen Schornsteinen den Himmel an. In sekundenkurzen Pausen hielt ich die Augen geschlossen, um die Melodien dieses Lebens zu hören. Es war eine greuliche Musik; sie klang so wie die Melodie eines verrückt gewordenen, ungeheuren Leierkastens, dessen Walzen durcheinandergeraten waren. Diese Musik aber reizte auf. Es war nur häßlicher, nicht falscher Rhythmus.“

Der Erzähler fühlt sich am Ende von diesem Rhythmus mitgezogen – er steigt in den Zug, lässt alles hinter sich, denn:

„Das Leben ist sehr wichtig!“ lachte ich. „Sehr wichtig!“ und fuhr nach New York.

Mythos der Großstadt

Joseph Roth, oftmals als Mystiker und Mythomane bezeichnet, greift hier den Mythos der Großstadt, der vor allem durch die expressionistische Literatur geisterte, auf. Anklänge von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ und Dos Passos „Manhattan Transfer“, das wie „April“ 1925 erschien, sind zu spüren in dieser Erzählung. Synkopisch im Duktus, eine „Sinfonie der Großstadt“.

Für Roth, den in Galizien geborenen Juden, hat New York jedoch noch eine weitere Bedeutung, die über den Mythos der großstädtischen Moderne hinausgeht. Die Vereinigten Staaten waren vor allem für die verarmte jüdische Landbevölkerung aus Südosteuropa ein Fluchtpunkt, ein gelobtes Land, die Auswanderungswelle war enorm. Joseph Roth greift dieses Thema in seiner journalistischen Arbeit auf, unter anderem in seinem Essay „Juden auf Wanderschaft“.

Dieser 1927 veröffentlichte Aufsatz erschien 2012 in einer illustrierten Buchausgabe – siehe hier die Besprechung bei „Glanz&Elend“.

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