Heinrich Heine: Shakespeares Mädchen und Frauen

Heinrich Heine über die Frauen in Shakespeares Dramen: Das ist ein Kleinod und Lesevergnügen für jeden, der sowohl den Dramatiker als auch Heine schätzt.

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„Es wird mir flau zu Mute, wenn ich bedenke, dass er am Ende doch ein Engländer ist, und dem widerwärtigsten Volke angehört, das Gott in seinem Zorne erschaffen hat. Welch ein widerwärtiges Volk, welch ein unerquickliches Land! Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie englisch!“

Heinrich Heine, „Shakespeares Mädchen und Frauen“, 1838


Ein Kleinod und Lesevergnügen ist dieses Buch für jeden, der nicht nur Shakespeare, sondern auch den scharfzüngigen HH schätzt. Man ahnt es bereits: Wenn Heinrich Heine, Shakespeare-Verehrer und Bewunderer der holden Weiblichkeit, über die Frauenfiguren des englischen Dramatikers schreibt, dann nicht nur mit viel (Lust-)Gefühl, sondern auch mit der ihm eigenen Spottlust. Schon das Vorwort nutzt der frankophile Heine, der zu dieser Zeit bereits in Paris lebte, um in einem kurzen Streifzug mit den Engländern abzurechnen und die Rezeption und Nachwirkung Shakespeares in anderen Ländern aufzuzeigen:

„Besser als die Engländer haben die Deutschen den Shakespeare begriffen. Und hier muss wieder zuerst jener teure Name genannt werden, den wir überall antreffen, wo es uns eine große Initiative galt. Gotthold Ephraim Lessing war der erste, welcher in Deutschland seine Stimme für Shakespeare erhob. Er trug den schwersten Baustein herbei zu einem Tempel für den größten aller Dichter, und, was noch preisenswerter, er gab sich die Mühe, den Boden, worauf dieser Tempel erbaut werden sollte, von dem alten Schutte an zu reinigen.“

So wird die Galerie der Schönen, der Intrigantinnen, der Leidenden und der Holden aus Shakespeares Dramen von der Präambel an bereits weit aus mehr als ein bloßer Streifzug durch die dramatische Frauenwelt – Heine, der begnadete Feuilletonist, nimmt die Miniaturen sozusagen als journalistische „Aufhänger“, um über Kultur, insbesondere die Theaterwelt und Literatur, Politik, Soziales, Religion und viele weitere Themen zu schreiben. Insbesondere findet sich in diesem Buch, das ein wenig ein Schattendasein unter den Heine`schen Werken führte, eine treffende Analyse des Antisemitismus, selbstverständlich bei den Frauenfiguren aus dem „Kaufmann von Venedig“.

Auftragsarbeit aus Geldnot

Die „Shakespeare Gallery“ wurde 1836 zunächst vom britischen Verleger Charles Heath veröffentlicht: 45 Bilder von Frauenfiguren aus Shakespeares Dramen, Stahlstiche fiktiver Cassandras, Ophelias, Cleopatras, Julias bis hin zu einer ziemlich vergrätzt schauenden und leicht übergewichtigen Lady Macbeth. Das britische Original war mit Zitaten aus den Stücken ergänzt – ein Ansatz, der eines Heines kaum würdig gewesen wäre. Dieser, wie immer in Geldnöten, nahm das Werk als Auftragsarbeit an. Für die deutsche Ausgabe, für die der Verleger Henri-Louis Delloye die Lizenz erhalten hatte, schrieb Heine 1838 innerhalb weniger Wochen ausführliche Essays zu den „dramatischen“ Frauenfiguren, die oftmals alles andere zum Inhalt haben – nur nicht die Frau. Nur jene weiblichen Gestalten aus den Komödien wurden dann auch in der deutschen Ausgabe von HH mit Zitaten aus den Shakespeare`schen Werken beglückt.

Selbst diese Schönheitsgalerie stieß bei der preußischen Zensur auf Missfallen, wie Jan-Christoph Hauschild, Autor, Germanist und Mitarbeiter am Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf in seinem Nachwort zur Ausgabe 2014 schreibt.

Den Beamten missfiel, dass Heines „ungezügelte Spottlust (…) die Gegenstände seiner vielfachen Antipathien mit dem ganzen Übermut seines reichen Talentes“ geißle. „Hauptsächlich“ sei es England, das er „mit schneidendem Witz und galliger Bitterkeit“ verfolge und wozu sein „Enthusiasmus für Frankreich und Franzosentum“ den „entschiedensten Gegensatz“ bilde.

Zugang zu Shakespeares Welt

Letztendlich ging das Werk jedoch durch und war eines von den insgesamt nur vier Heine-Büchern, die in Preußen verkauft werden durften. Zum Glück. Denn nebst den außerliterarischen Streifzügen und Seitenhieben bot Heine damals schon mit seinen Schriften dem Lesepublikum einen hervorragenden Zugang zu Shakespeares Welt – das Buch verdient allein deswegen einen besseren Rang in der Shakespeare-Literatur, als es bisher innehatte. So sieht Eduard Engel in seinem Vorwort zur 1921 erschienenen Gesamtausgabe Heines nur zwei deutsche Schriftsteller, die in ihrer Shakespeare-Kenntnis von gleichem Rang seien: Heinrich Heine und Goethe.

Wie immer man im einzelnen über Heines Auffassungen Shakespeare`scher Gestalten – er spricht durchaus nicht bloß immer von den weiblichen – denken mag, der Wert seiner kleinen und größeren Abhandlungen über Shakespeares Meisterdramen kann keinem entgehen, der die Werke gründlich kennt, aber auch keinem, der einigermaßen mit der Shakespeare-Literatur vertraut ist. Und man wäge die wissenschaftliche Grundlage, worauf Heine zu jener Zeit, vor dem Erscheinen der bedeutendsten Arbeiten über Shakespeare fußen konnte.“

Die Bandbreite der Themen, die Heine anhand der Frauenportraits auffächert, kann hier in einer Inhaltsangabe kaum wiedergegeben werden. Ich halte es wie Heine selbst und übernehme den Schlüsseldienst:

„Die vorstehenden Blätter sollten nur dem lieblichen Werke als flüchtige Einleitung, als Vorgruß, dienen, wie es Brauch und üblich ist. Ich bin der Pförtner, der Euch diese Galerie aufschließt, und was Ihr bis jetzt gehört, war nur eitel Schlüsselgerassel.“

Adolf Muschg: Glasperlenspiel und Lebenskunst

Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg mit einem genauen Blick auf den Menschen und Mann Hesse in allen seinen Widersprüchlichkeiten.

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„Ich wüßte keinen deutschsprachigen Dichter des unseligen 20. Jahrhunderts, welcher der Heiligsprechung grundsätzlicher widerstrebte. Er hat sie nicht nötig, auch wenn er Gutgläubige manchmal selbst dazu verleitet hat. Aber es sind seine Widersprüche, die ihn immer noch lebendig machen.“

Adolf Muschg, „Glasperlenspiel und Lebenskunst“


Hermann Hesse ist einer jener Autoren, die immer noch zu lebhaften Streit unter Lesenden reizen können: Die einen lehnen in kategorisch ab, die anderen verehren ihn beinahe kultisch. Und dazwischen gibt es natürlich auch jene, die ihn einfach nur lesen  – und im besten Falle verstehen wollen. Der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg jedenfalls ließ sich vom Hesse-Kult nicht den genauen, analysierenden Blick auf den Menschen und Mann Hesse in allen seinen Widersprüchlichkeiten verstellen: Davon zeugen zahlreiche Texte, die der mittlerweile über 80jährige zeit seines Lebens über Hesse schrieb.

Aus seinen Essays und Reden spricht durchaus Wertschätzung und Bewunderung für den Mann mit dem Strohhut – aber eben nicht jene kultische Verehrung, die Hesse zeitweilen zu Teil wurde, sondern ein beobachtender Blick, der auch die Schattenseiten von Mensch und Werk mit in den Fokus nimmt. Klaus Isele, der in der Collection Montagnola deutsche und schweizerische Autoren editiert, hat in „Glasperlenspiel und Lebenskunst“ fünf Reden von Adolf Muschg aus den Jahren 2000 bis 2013 über Hermann Hesse aufgenommen.

Betrachtungen zu Hesses Leben und Werk

Ob sie, wie der Verlagstext meint, selbst für langjährige Hesse-Leser „eine Vielzahl neuer Erkenntnisse“ bereithalten, das mag ich nicht zu beurteilen. Doch auf jeden Fall machen sie Lust darauf, Hesse wieder einmal – und vielleicht mit anderen Augen – zu lesen. Selbst das „Glasperlenspiel“, das Muschg durchaus kritisch im ersten Essay des Bandes beleuchtet – jenes Hesse-Buch, das Muschg selbst als Spiel einordnet, ein Spiel mit Utopie und Entwicklungsroman. Die weiteren Reden beschäftigen sich weniger direkt mit dem Werk, sondern mit einzelnen Aspekten von Hesses Leben – Hesse als Briefschreiber und sein Verhältnis zu dem Psychiater Josef Bernhard Lang – sowie „Die Folgen einer Doktorarbeit“ für den jungen Siegfried Unseld und der Versuch eines Vergleichs von Hesse und Max Frisch.

Im Grunde sind diese Reden, zu verschiedensten Anlässen gehalten, doch weit mehr als das, was einer aus reiner Vortragspflicht heraus verfasst – man merkt, da hat sich einer in Hesse hineingedacht und hineingelesen, da hat sich einer intensiv mit Leben und Werk auseinandergesetzt. Und so beinhaltet die 2002 gehaltene Rede über Unseld und Hesse ein schönes Bekenntnis des lesenden Schriftstellers – er schreibt über seinen Vorgänger (nicht Vorbild, wohlgemerkt):

„Hesse mag dem literarischen Feinkostspezialisten nicht zu bieten haben, was er sucht; er mag im Universum der hohen Nasen kein Fixstern erster Güte sein – ich traue ihm zu, daß er das selbst gewußt hat und glaube, es hat ihn nicht gekümmert. Ihm genügte es, aus seinem Rohstoff – der war ihm gerade roh genug – ein eigenes Universum einzurichten, und sein Eigensinn war mehr als ausreichend, es mit allem zu bestücken, was ihm gut und teuer war. Und siehe, es darf uns, sobald wir seinen Blickpunkt einnehmen, gut und teuer bleiben, denn es ist ein Werk der Liebe – und die braucht, wie Hofmannsthal festgestellt hat, keinen Grund;  sie ist ihr eigener, und da Liebe generös ist, ein immer zureichender, sogar überflüssiger Grund.“

So braucht es auch keinen Grund, Hesse zu lesen und seine Bücher zu lieben – aber manchmal eines Anstoßes, einer Erinnerung – und dies bietet dieser schmale Band von Muschg, der sehr verdichtet und sehr klug so vieles über Hesse aussagt. Ein Höhepunkt unter den Essays ist tatsächlich jener über den Briefwechsel von Frisch mit Hesse: Ein spannendes Psychogramm dieser beiden großartigen und doch so unterschiedlichen Schriftsteller, das, obwohl Muschg mit Frisch befreundet gewesen war, fast intimer, vertrauter im Ton klingt, wenn er auf Hesse zu sprechen kommt. Vielleicht war Frisch ein Bruder im Geiste – Hesse jedoch, so scheint es durch, hat das Herz besetzt:

„Es besteht einigermaßen Gewähr, daß Max Frisch nie ausgelesen ist und daß seine Lektüre, im Sinne Benjamins, erst begonnen hat. Was die Lektüre des Älteren, Hermann Hesses, betrifft, so hat sie schon einige Runden schöpferischen Nachlebens hinter sich. Und es zeugt für seine Lebendigkeit, daß seine Wirkung auf Leser so widersprüchlich geblieben ist wie vor einem halben Jahrhundert. Diejenigen, die ihn aus ihrem Kanon abtransportieren wollten, sind tot, sein Werk ist es nicht. Aber auch die Verehrung derjenigen, für die er eine indiskutable Größe sein und bleiben sollte, hat er schon mehrfach überlebt.“


Bibliographische Angaben:

Adolf Muschg
Glasperlenspiel und Lebenskunst
Collection Montagnola, 2016

Über den Editor Klaus Isele: http://www.klausisele.de/

Harald Vogel: Was darf die Satire?

Zwei große Schriftsteller der Weimarer Republik, zwei – trotz mancher Gemeinsamkeiten – ganz andere Wege, satirisch auf die Politik jener Jahre einzugehen.

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„Aus der Gesamterscheinung dieses Mannes kann ich nicht ganz klug werden. Diese Verse sind wunderbar gearbeitet, mit der Hand genäht, kein Zweifel – aber irgendetwas ist da nicht in Ordnung. Es geht manchmal zu glatt, das sollte man einem deutschen Schriftsteller nicht sagen, dieses Formtalent ist so selten!“

Kurt Tucholsky 1929 in der Weltbühne über Kästner


Im vergangenen Herbst las ich den Kästner-Erzählband „Der Herr aus Glas“. Und war unschlüssig. Klappte das Buch mit einem unzufriedenen, merkwürdigen Gefühl zu: Irgendetwas war da nicht in Ordnung. Der „Atrium Verlag“, 1935 von dem jüdischen Verleger Kurt Leo Maschler ins Leben gerufen („Da ich Kästner leider nicht dazu bewegen konnte zu emigrieren, emigrierte ich seine Bücher. Ich fuhr in die Schweiz und gründete den Atrium Verlag.“), hatte für „Der Herr aus Glas“ aus den über 140 Erzählungen, die Kästner geschrieben hatte, eine Auswahl jener zusammengestellt, die für erwachsene Leser verfasst worden waren – 42 Texte insgesamt, die einige Facetten des Schriftstellers zeigen, die vor allem zeigen, dass die kurze Form für Kästner ein Experimentierfeld war, oftmals auch Gebrauchsprosa, für die Erscheinung in Zeitschriften und Zeitungen, zum Broterwerb gedacht. Nur elf der Geschichten hatte Kästner selbst für die Werkausgabe, die 1969 zu seinem 70. Geburtstag erschien, ausgewählt – ein Indiz dafür, wie er selbst die Texte bewertete?

Zu sentimental für einen Satiriker

Kästner ist ein Humanist und Moralist. In einem Zeugnis würde über den „Musterknaben“, wie er sich selbst nannte, vielleicht stehen: Er bemühte sich, ein mutiger Mann zu sein. Manche nennen ihn auch einen Satiriker, wegen einiger seiner Gedichte der Weimarer Republik, für den Fabian hat das Geltung. Aber es ist doch beim Lesen immer wieder, als ob da etwas fehlt. Oder eine Spur zuviel da ist – von dem Sentimentalen, von einem weichen Unterton in den Beschreibungen – wo Kästner vielleicht ein realistisches Bild der Armut, der Arbeitslosigkeit, der Hackordnung an Schulen, die Militäranstalten glichen, zeichnen wollte, klingt oftmals dieser Modus durch, der schon an Sozialromantik grenzt:

„Seine Mutter war Witwe; noch jung, oft krank, für ewig enttäuscht. Längst wäre sie an jenem Leiden gestorben, das man, höchst anschaulich, „ein gebrochenes Herz“ nett, wenn sie nicht ihn, den kleinen Jungen, gehabt hätte. Seinetwegen lebte sie weiter oder genauer: existierte sie fort. (…). Es wäre falsch gewesen, zu ihr von „stillem Heldentum“ oder dergleichen zu sprechen. Es wäre überhaupt falsch, ihr Wesen mit solchen Schlagwörtern zu etikettieren.- Sie nähte, statt zu leben. (…). So selbstverständlich es den Müttern ist, ihr Leben dem der Kinder zu opfern, so seltsam dünkt es manchmal die Kinder, daß es jemanden gibt, der ihr Glück mit dem seinen zu erkaufen scheint.“

Aus der Erzählung „Ein Musterknabe“.

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht – die Stärken Kästners, so zeigten es mir die Erzählungen, liegen woanders, dort, wo es turbulent zugeht, wo Humor und Phantasie sich treffen, beispielsweise bei den „Reisen des Amfortas Kluge“:

„Benares gehört zu den seltsamsten Städten, die ich kennen lernte. Und am auffälligsten ist wohl, daß es dort keine Hotels gibt. Wir standen also nachdenklich an den Ufern des Ganges; ich fütterte drei Krokodile mit meiner letzten Schinkensemmel und Bobby verstrickte einen spitzbärtigen Gaukler, der sich mit einer rotglühenden Brennschere die Haare auf den Zähnen ondulierte, in ein Gespräch über das Nirwana – als ein Inder auf uns zutrat, den Turban zog und fragte, ob er mit Herrn Amfortas Kluge das Vergnügen habe.“ – und auf in das nächste Abenteuer à la Münchhausen.

Münchhausen ist das Stichwort: Kästner dessen Bücher von den Nationalsozialisten zwar verbrannt worden waren, entschied sich, im Lande zu bleiben, wurde zu einem, dessen Name mit der „Inneren Emigration“ verbunden ist. Er will zudem als Schriftsteller weiter arbeiten – und bekam unter anderem unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ eine Sondergenehmigung, am Münchhausen-Drehbuch und anderen UFA-Filmen mitzuwirken. Das Kapitel 1933 bis 1945 wurde in der Ausstellung im Münchner Literaturhaus zwar nicht ausgelassen, jedoch auch nicht so kritisch hinterfragt, wie es nun in einer Publikation des Verlags Ille & Riemer geschieht.

Kritischer Vergleich von Tucholsky und Kästner

Der Autor – Harald Vogel, emeritierter Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik, Spiel- und Theaterpädagogik sowie Leiter der Lyrik-Bühne Esslingen – wagt unter dem Titel „Was darf die Satire?“ einen kritischen Vergleich zwischen Kurt Tucholsky und Erich Kästner. Freilich, es ist schwierig als Nachgeborener ein Urteil zu fällen – stellt man sich die Frage, wie hätte man selbst gehandelt als engagierter kritischer Autor in einer Diktatur, wissend, dass jedes freche, satirische Wort auch ein Todesurteil sein könnte? Aber dennoch: Gerade jene, die sich in besseren Zeiten mit ihren Zeitungsartikeln und literarischen Texten politisch positionieren, müssen sich auch später an ihren Schriften messen lassen. Schon im einleitenden Interview macht Harald Vogel keinen Hehl daraus, wem seine Sympathien gehören:

„Ich weiß, es tut weh, Kästner weh zu tun. Aber jüngere Forschungen rechtfertigen die kritische Sicht. Er hat fast die Hälfte seines Werkes in der Nazizeit geschrieben, unter Pseudonymen, und ging dafür viele Kompromisse ein. In einem Brief bittet er die Reichsschrifttumskammer, das Publikationsverbot gegen ihn zurückzunehmen. Das kann man fast Anbiederei an die Faschisten nennen.“

Vogel arbeitet die Gemeinsamkeiten dieser beiden Schriftsteller heraus, die zumindest äußerlich einiges verband: Wie der ältere Tucholsky arbeitete auch Kästner als Journalist und Schriftsteller, beide pflegten neben den sachlichen Texten und der erzählenden Literatur auch die Lyrik, beide verfassten Kabaretttexte, verkehrten in einem ähnlichen Milieu, hatten Amouren, aber Probleme mit der dauerhaften Bindung an eine Frau. Und doch gibt es, wie Vogel klar herausarbeitet, deutliche Unterschiede: Tucholsky, der Intellektuelle aus dem großbürgerlichen Milieu, schreibt glasklar, alles durchdenkend und formulierend bis zur letzten Konsequenz. Kästner dagegen geht den letzten Schritt nicht. Vogel stellt neben seinen eigenen Ausführungen zahlreiche Texte der beiden nebeneinander, die für sich sprechen, die zeigen, woran es Kästner fehlte, um ein zweiter Tucholsky werden zu können. Zudem zitiert der Autor auch Tucholsky, der etliche Werke des Jüngeren zwar wohlwollend-kritisch, aber auch mit einem guten psychologischem Gespür besprach.

Tucholsky über Kästner:

„Kästner hat Angst vor dem Gefühl, weil er es so oft in Form der schmierigsten Sentimentalität gesehen hat. Aber über den Leierkastenklängen gibt es ja doch ein: Ich liebe dich – es gehört nur eine ungeheure Kraft dazu, dergleichen hinzuschreiben. Und da sehe ich einen Bruch, einen Sprung, ist das sächsisch? Wir haben bei diesem Wort so dumme Assoziationen, die meine ich nicht. Langt es? Langt es nicht? (…)
Kästner wird viel nachgeahmt; es gehört wenig dazu, ihn nachzuahmen. Ich wünsche ihm ein leichtes Leben und eine schwere Kunst.“

Harald Vogel:

„Das Gutgemeinte poetisiert im Stil eines Kinderliedes, eine Schlagwortpersiflage, aber dies macht noch keine politisch zeitnahe Satire aus und sei sie moralisch noch so `gut´ gemeint. Um gesellschaftspolitisch zu überzeugen, bedarf es seitens des Autors einer intellektuellen Selbstkontrolle, die den gesellschaftlichen und moralischen Bezug textlich auf gedankliche Sprengkraft überprüft, die ein solches Thema satirisch inspiriert benötigt. Tucholsky spürt Kästners Kleinmut, seine Befangenheit vor einem ideologiekritischen Diskurs. Das Thema taug zum Kalauern.“

Durch den Blick auf die politische Literatur der beiden Männer wird zudem das Buch nicht nur zu einer vergleichenden Studie, sondern bietet auch eine gute Einführung in das Wesen der Satire, das vor allem Kurt Tucholsky in seinem berühmten Aufsatz analysierte. Viele kennen davon nur das Schlagwort: „Was darf Satire? Alles!“, oftmals wird es auch verfälscht und verkürzt missbraucht – es lohnt sich, den Text in ganzer Länge zu lesen.

Ausgespart werden kann bei diesem Vergleich freilich keinesfalls die Rolle Kästners im Nationalsozialismus, die, wie mittlerweile durch neuere Forschungen belegt, durchaus kritischer beurteilt werden muss, zumindest, so Vogel, verfing sich Kästner in „seinen eigenen Ängsten und Widersprüchen sowie moralisch fragwürdigen Kompromissen.“

Kurt Tucholsky dagegen, man weiß es aus seiner Biographie, ging keine Kompromisse ein. Vorstellbar ist, was ihm geschehen wäre, wären die Nazi-Schergen seiner habhaft geworden. Er ging die Lebensstufen bis zum letzteren bitteren Schritt. Aber am Ende treffen sich die beiden Männer hier doch wieder in einer Art Gemeinsamkeit: Sowohl Tucholsky als auch Kästner, verzweifelten wohl letzten Endes an ihren Lebensumständen, an der Welt, die sie nicht „gut schreiben“ konnten.


Bibliographische Angaben:

Harald Vogel
Was darf die Satire?
Verlag Ille & Riemer, 2015

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