Erich Maria Remarque: Arc de Triomphe

„Arc de Triomphe“: Der Roman (1945) von Erich Maria Remarque brachte Edgar Hilsenrath wieder zum Schreiben. Und mich nach Paris.

Bild von Emanuela Puscasu auf Pixabay

„Es war da etwas in ihn hineingeschlichen, auf das er nicht geachtet hatte. Regte es sich da wieder? Bewegte es sich? Wie lange war das her? Rief da nicht schon wieder etwas aus der Vergangenheit, aus blauen Tiefen; wehte es nicht bereits wie ein Hauch von Wiesen, voll von Pfefferminz, einen Pappelreihe am Horizont, der Geruch von Wäldern im April? Er wollte es nicht mehr. Er wollte es nicht besitzen. Er wollte nicht besessen werden. Er war unterwegs.

Er stand auf und begann sich anzuziehen. Man mußte unabhängig bleiben. Alles begann mit kleinen Abhängigkeiten. Man achtete nicht darauf – und plötzlich hing man im Netz der Gewohnheit. Gewohnheit, für die es viele Namen gab – Liebe war eine davon. Man sollte sich an nichts gewöhnen. Nicht einmal an einen Körper.“

Erich Maria Remarque, „Arc de Triomphe“


Es gibt Bücher, die liebt man einfach, die packen einen an den Sinnen, die begleiten einen durch das ganze (oder halbe) Leben – ganz egal, was man später über sie liest und ob Legionen von Feuilletonisten und Literaturwissenschaftler ihre Näschen rümpfen.

Eines davon ist für mich „Arc de Triomphe“ von Erich Maria Remarque. Als ich die Büchergilde-Ausgabe meiner Eltern so mit 16, 17 Jahren aus dem Regal zog, wusste ich nach den ersten Kapitel sofort: Ich will nach Paris. Und ich will Calvados trinken. Gesagt, getan. Und auch heute noch überkommt mich beim gelegentlichen Wiederlesen dieses Romans – der sich alle fünf, sechs Jahre zwischen die Neuerscheinungen schmuggelt – dieses bestimmte Gefühl, diese November-Nebel-Paris-Melancholie, der man am besten mit einer Kurzreise und/oder einem geistigen Getränk samt einer Gauloises begegnet.

Liebe am Vorabend des Weltkriegs

Von der Literaturkritik wurde Remarque, der mit „Im Westen nichts Neues“ einen der weltweit am meisten verkauften Romane deutscher Literatur schrieb, immer etwas kritisch behandelt: Zu nah am Kitsch, zu viel Sentiment, zu trivial. In Teilen trifft dies durchaus auch auf „Arc de Triomphe“ zu, im Grunde ein etwas kitschiger Liebesroman, angesiedelt im Jahr des Kriegsausbruchs in Paris. Dort treffen, am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, Menschen aus allen Herren Länder aufeinander: Flüchtlinge aus deutschen Konzentrationslagern und Gestapo-Spitzel, Versprengte des spanischen Bürgerkrieges, Juden auf der Flucht, Glücksspieler und Glückssuchende, Verzweifelte, Lebensmüde und ganz pragmatische Kleinbürger.

Ravic – im Grunde wie Remarque eigentlich ein unpolitischer Typ – ist als Fluchthelfer gefährdeter Freunde in die Fänge der Gestapo geraten. Er kann entkommen, seine Geliebte erhängt sich in einem KZ. In Paris hält sich der Mediziner durch gelegentliche Operationen über Wasser, lebt ansonsten versteckt, einsam und ohne Papiere in einem Hotel, das Flüchtlingen Unterschlupf bietet. Ihm kommt diese erzwungene Einsamkeit jedoch zupass – Besitz, so heißt es im Buch immer wieder, ist Ballast bei einem Leben auf der Flucht. Und Beziehungen und Bindungen machen verletzlich – bis der Zufall ihm Joan förmlich vor die Füße spielt: Eine Frau, nicht besonders schön, nicht besonders klug, aber – obwohl sie sich im Moment des Kennenlernens in die Seine stürzen will – mit einem enormen Lebenshunger und Anziehungskraft ausgestattet. „Ein Luder“, urteilt der weise russische Nachtclubportier, ein Freund Ravics. Es kommt, wie es kommen muss. Die gemeinsame Zeit ist begrenzt, dem Paar nur einige sonnige Tage an der Riviera vergönnt, doch schon da liegt die Ahnung von Abschied in der Luft.

„Er vergaß Joan. Er vergaß sich selbst. Er öffnete sich einfach dem klaren Tage, diesem Dreiklang aus Sonne, Meer und Land; der eine Küste blühen machte, während die Bergwege darüber noch voll Schnee lagen. Über Frankreich hing der Regen, über Europa brauste der Sturm – aber diese schmale Küste schien von all dem nichts zu wissen. Sie schien vergessen zu sein; das Leben hatte noch einen anderen Puls hier; und während das Land hinter ihr schon grau vom Nebel der Not, der Vorahnung und der Gefahr, schien hier die Sonne, und sie war heiter, und in ihrem Leuchten sammelte sich der letzte Schaum einer sterbenden Welt.“

Als Ravic sich auf ein Leben mit ihr einzulassen beginnt, verlässt sie ihn – ohne ihn jedoch ganz zu lassen. Zwischen den beiden steht zu viel Vergangenheit (auch in Person des Gestapo-Folterers, den Ravic in Paris wieder trifft und ermordet) und zu wenig Zukunft.

Roman mit kleinen Ausrutschern ins Klischee

Man sieht: Auch in diesem 1945 veröffentlichten Roman spart Remarque nicht mit Klischeefiguren. Der einsame Wolf, das blonde Luder, der russische Portier mit großem Herzen, der Nazi mit den feisten Händen und Trinkeraugen – sie alle haben ihren Auftritt. Und dennoch mag ich an diesem Roman nicht kritteln und nicht rütteln lassen. Mag er auch seine kleinen Schwächen haben – am Ende bleibt einfach ein starker, großer Eindruck zurück.

Remarque wurde nicht von ungefähr oft auch als „deutscher Hemingway“ bezeichnet. Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand: Starke Dialoge, oftmals lakonisch in der Sprache, gebrochene Helden, die Liebe in Zeiten politischen Irrsinns. Und auch: Ganz unverhohlen romantisch, auf eine schöne Art und Weise. Weil sich insbesondere „Arc de Triomphe“ für mich mit ganz starken persönlichen, sinnlichen Eindrücken – der Geschmack von Calvados, die Seine an einem Novembertag – verbindet, liebe ich dieses Buch umso mehr.

Und weil ich das Buch so sehr liebe, habe ich mich gefreut, darüber bei und von Edgar Hilsenrath zu lesen, für den „Arc de Triomphe“ eine ganz besondere Bedeutung hat:

„Um auf mein Schreiben zurückzukommen: Ich hatte die Schriftstellerei ganz aufgeben und war damit beschäftigt, meine Depressionen zu pflegen. Im Sommer 1950, ich war gerade vierundzwanzig, traf ich einen deutschjüdischen Emigranten. Er gab mir Erich Maria Remarques „Arc de Triomphe“. „Das ist der Autor von Im Westen nichts Neues“, sagte er. Lesen Sie mal den „Arc de Triomphe“. Ich las das Buch und war begeistert wie nie zuvor von einen Roman. Hier war jemand, der wirklich schreiben konnte. Alles stimmte, die Handlung, die genau eingefangene Atmosphäre, die Dialoge und die erzählerische Spannung. Ich war wie berauscht. Plötzlich hatte ich wieder Lust, selbst zu schreiben, und dabei dachte ich an meinem Ghettoroman, den ich angefangen hatte.“
(Quelle: TEXT + KRITIK, Heft 149, „Lesen Sie mal den Arc de Triomphe“)

Darauf ein Calvados!

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

7 Gedanken zu „Erich Maria Remarque: Arc de Triomphe“

    1. Danke … ich hab schon befürchtet, meine ungehemmte Schwärmerei für diesen Roman schreckt ab …

    1. Ich glaube, wir sollten das zur neuen Grußformel für Remarque-Fans erheben: Calvados!

  1. Danke für die „Lebensbücher“, Selma Meerbaum-Eisinger gehört dazu wie Erich Maria Remarque. „Der Funke Leben“ handelte vom Sterben, Überleben und Leben im Konzentrationslager; „Im Westen Nichts Neues“ von den Kriegserfahrungen an den Fronten im Ersten Weltkrieg. „Die Nacht von Lissabon“ vom Warten auf eine Schiffs-Passage und ein Visum.
    Hier – oder woanders? – habe ich schon mal erzählt, dass ich auf die Frage des Deutsch-Lehrers, was wir denn lesen wollten, Erich Maria Remarque ins Spiel sprachte. Erfolglos; er passte damals nicht in den Lese-Kanon. Wie es heute darum steht, wäre die Frage.
    Wenn ich mal wieder die Bücherregale durchforste, hoffe ich, den „Arc de Triomphe“ zu treffen und auf eine Lektüre-Erinnerung. Auf die Lese-Anamnese teile ich dann gerne einen Whisky.

  2. Warum sollte Schwärmerei für ein Buch abschrecken? Danke für diese Liebeserklärung an ein Buch, eine Stadt, einen Autor – und für das Foto. Ich vermute, es war der Sonnenaufgang nach einer langen Pariser Nacht.

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