Michael Klein: Mark Twain in Bayern

Mark Twain hielt sich mehrmals in seinem Leben in Bayern auf. Erstmals erscheinen alle Texte, die dabei entstanden, in einem Sammelband.

Mark Twain mochte München. Auch im Winter. Bild von Michael Siebert auf Pixabay

„Eine deutsche Tageszeitung ist die traurigste sämtlicher menschlicher Erfindungen.“ 

Michael Klein (Hg.), „Mark Twain in Bayern“


Mark Twain muss Bayern sehr zu schätzen gewusst haben. Ein Indiz dafür: Obwohl er insgesamt rund ein halbes Jahr seines Lebens unter weißblauem Himmel verbracht hatte, klammerte er den Freistaat (damals Königreich) aus seinem satirischen Reisebericht „Ein Bummel durch Europa“ – den er in München schrieb – weitgehend aus.

Dreimal in seinem 74jährigen Leben hielt sich der amerikanische Schriftsteller in Bayern auf: Mit seiner Familie verbrachte er 1878/79 einen Winter in München, eine zweite Reise führte ihn 1891 nach Nürnberg und Bayreuth und 1893 begleitet er seine Frau Olivia zur Kur nach Bad Tölz. Akribisch hat der Autor und Übersetzer Michael Klein die schriftlichen Spuren dieser Reisen zusammengetragen: Briefe und Reiseberichte, in denen Mark Twain von seinen Erlebnissen erzählt, aber auch die literarischen Erzeugnisse, in die das, was der Schriftsteller in Bayern erlebte, einfloss. Michael Klein, der bereits 2015 das Buch „Mark Twain in München“ (Morio Verlag)  veröffentlicht hat, ist Herausgeber das Bandes „Mark Twain in Bayern“, in dem erstmals alle „bayerischen Texte“ des Schriftstellers erschienen sind, manche davon in deutscher Erstveröffentlichung.

Ein Hoch auf die Bavarian Gemütlichkeit

Mit staunenden Augen blickt Mark Twain auf „Bavarian Gemütlichkeit“, genießt die Weihnachtszeit und Lebkuchenseligkeit in München, versucht seine Deutsch-Kenntnisse aufzupolieren und insbesondere beim ersten Besuch eine veritable Schreibkrise zu überwinden. Was nach anfänglichen Startschwierigkeiten gelingt: Mark Twain kommt in München zur Ruhe, der „Bummel durch Europa“ nimmt zwischen Museums- Ausstellungsbesuchen (München galt auch damals schon als Kunststadt von sehr gutem Ruf) und dem Studium der Bräuche und Sitten langsam Gestalt an.

In seinen Briefen und privaten Texten schildert Twain seine täglichen Erlebnisse – er räsoniert über die Sinnhaftigkeit des Meldewesens für Ausländer, begeistert sich für die Tradition des Schäfflertanzes und mokiert sich aber ebenso auch über das örtliche Zeitungsangebot – für den Journalisten, der Zeit seines Lebens ein eifriger Zeitungsleser blieb, waren die deutschen Newspapers schlichtweg eine große Enttäuschung:

„Wenn man einen Münchner Bürger fragt, welches die beste Münchner Tageszeitung sei, wird er einem unweigerlich antworten, dass es nur eine einzige gute Münchner Tageszeitung gäbe und dass sie in Augsburg erscheine, das in einer Entfernung von etwa siebzig bis achtzig Kilometern liegt. Das ist ungefähr so, als würde man sagen, die beste New Yorker Zeitung erscheine irgendwo draußen in New Jersey. (…) Die gesamte, auseinandergelegte Zeitung ist nicht annähernd so groß wie eine einzige Seite des New York Herold. Natürlich ist sie beidseitig bedruckt, aber die Typen sind derart groß, dass der gesamte Inhalt in der Schriftgröße des Herold auf eine einzige Seite desselben gehen würde (…).“ 

Aber hätte er nicht nur versucht, Deutsch zu lernen, sondern auch das Bayerische, so hätte sein Urteil über alles andere sicher gelautet: „Passt scho!“.  Michael Klein stellt in informativen Einleitungen die Texte Twains aus Bayern in die richtigen biographischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge. So wird auch verständlich, warum in dieses Buch die beiden Erzählungen Twains „Das Geständnis eines Sterbenden“ und „Der gestohlene weiße Elefant“ Eingang gefunden haben.

Besuch im Leichenschauhaus

In München besuchte Mark Twain 1879 ein Leichenschauhaus, damals durchaus eine selten zu findende Einrichtung. Hintergrund war die verbreitete Angst, scheintot begraben zu werden. Für den phantasievollen Geist Mark Twains die Inspiration zu einer Kriminalgeschichte, die in den Vereinigten Staaten spielt, ihren Ausgang aber in Bayern hat. Und der „weiße Elefant“, eine seiner berühmtesten Erzählungen, ist einfach ein Beispiel dafür, dass Twain in München seine Schreibblockade überwand und zu alter Form zurückfand – entstand die Erzählung doch in jenem ersten Münchner Winter.

Im Grunde hätte „die Weltstadt mit Herz“ auch einen großen Anteil im Reisebuch „Ein Bummel durch Europa“ haben sollen, wie Michael Klein schreibt,

„vergleichbar den Passagen über die Neckarfloßfahrt, Heidelberg oder die Tour durch die Schweiz, die lange Textstrecken in seinem im März 1880 erschienen Buch ausmachen. Mit Entwürfen über München hatte er begonnen, doch blieben seine Schilderungen sehr berichtsartig und während der Arbeit an seinem Buchmanuskript veränderten sich dessen Motive und Tonfall. Mark Twain verstärkte die fiktiven, flunkernden und humoristischen Elemente und am Ende stellte er fest, dass seine München-Texte sich in diesen Stil nicht mehr harmonisch würden einfügen lassen.“ 

Natürlich darf die Konfrontation mit Wagner-Musik nicht fehlen. Bild von Mikhail Vachtchenk0 auf Pixabay

Dass Mark Twain dann einige Jahre später ausführlich über Franken schreibt, hängt damit zusammen, dass er für die „New York Sun“ von den Bayreuther Festspielen berichten sollte. Der Wagner-Kult: Eine Steilvorlage für den Satiriker, der aber als Privatmann, so Michael Klein, ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur Oper und Richard Wagner im Speziellen hatte, das „von entsetztem Spott bis zu echter, leidenschaftlicher Begeisterung“ reichte. Gleichwohl ist „Am Schrein zu St. Wagner“ (in voller Länge auch hier zu finden) einer der unterhaltsamsten Texte zu diesem eigenartigen Phänomen:

„Gestern wurde „Tristan und Isolde“ gespielt. Ich habe alle Arten von Zuschauern gesehen – in Theatern, Opern, Konzerten, bei Vorlesungen, Predigten und Trauerfeiern – aber keine war der der Wagnerzuschauer in Bayreuth gleich in Bezug auf konzentrierte, ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeit, absolute, versteinerte Aufmerksamkeit bis zum Ende eines Akts, mit der am Anfang des Akts eingenommenen Haltung vollkommen intakt. Man kann keine Bewegung der soliden Masse von Köpfen und Schultern entdecken. Man scheint mit den Toten im Dunkel eines Mausoleums zu sitzen. Man weiß, dass sie zutiefst erschüttert sind; dass es Zeiten gibt, wenn sie aufstehen wollen und ihre Tücher schwenken wollen und ihre Zustimmung hinausschreien wollen, und Zeiten, wenn ihnen Tränen herunterlaufen, und es wäre eine Erlösung, wenn sich ihre angestauten Gefühle in Seufzern oder Schreien entladen könnten; man hört jedoch keinen einzigen Laut bis sich der Vorhang schließt und die letzten Töne verklungen sind; dann erwachen die Toten auf einmal auf und erschüttern das Haus mit ihrem Beifall. Jeder Sitz ist im ersten Akt voll; es gibt keinen leeren im letzten Akt. Falls jemand auffallen will, soll er hierher kommen und sich inmitten eines Akts entfernen. Es würde ihn berühmt machen.“ 

Dass Michael Klein sich die Mühe gemacht hat, die Texte Mark Twains zu und aus Bayern zusammenzutragen und zusammenhängend zu präsentieren, dürfte nicht nur echten Twain-Experten gefallen – der Sammelband ist ein unterhaltsames Kompendium für alle Leser, die Twain UND Bayern mögen und Lust haben, mit liebevollem Spott auf dieses eigenartige Land zu blicken.


Informationen zum Buch:

„Mark Twain in Bayern“ erschien in der „edition monacensia“ im Allitera Verlag. Seit 2002 bringt Elisabeth Tworek, Leiterin der Monacensia, Literaturarchiv und Bibliothek der Landeshauptstadt München, ausgewählte Werke renommierter Münchner Autorinnen und Autoren des 19., 20. und 21. Jahrhunderts in der »edition monacensia« heraus.


Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

4 Gedanken zu „Michael Klein: Mark Twain in Bayern“

  1. GOOD WORD for BAD WORLD – RUHR.2010 - Kulturhauptstadt – Anke Müller alias Meta Miller ist freie Autorin und lebt mit ihrer freundlichen Familie – Menschen, Fischen, Mischlingsrüde Kalli und Meersau Eddy – im durchgrünten, schornsteinfreien Pott. GOOD WORD for BAD WORLD – Die Wochentagskolumne ist ein Blog für Leser mit Familie, Job und einem Rattenschwanz an Nebengelass.
    GOOD WORD for BAD WORLD sagt:

    Ausgezeichnet! Nicht nur die deutsche Tageszeitung! 😀

    1. Ich würde gern wissen, was Mark Twain heute zur Augsburger Allgemeinen sagen würde. Da hätte er Stoff zum Lästern 🙂

  2. Danke für diesen Hinweis und die einladende Besprechung. Ich sollte das Buch anschauen, frage gleichwohl, was denn Mark Twain über Nürnberg schrieb?
    Schöne Grüße zu den Feiertagen.

    1. Ach herrje, das tut mir jetzt leid – da habe ich den mir einzig bekannten Mitblogger aus Nürnberg vernachlässigt. Leider habe ich das Buch schon weitergegeben, daher kann ich nicht mehr richtig zu seinen Nürnberg-Zeilen zitieren. Er konzentriert sich v.a. auf das Stadtbild, die Hotellerie und den Bahnhof, der ihn nach Bayreuth bringt – die Kürze ist insofern ein gutes Zeichen, als es ihm wohl in Nürnberg zu gefallen schien. Danke für die Feiertagsgrüße – etwas verspätet zurück!

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