Honoré de Balzac: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken

Honoré de Balzac und die Kritiker – ein schwieriges Verhältnis. 1843 verfasste er gar eine Monographie der Pariser Presse, eine bitterböse Satire.

Bild von Johnnie Shannon auf Pixabay

„Dieser Kritiker ist mit einem Wort beschrieben: Langeweile. Der Junge langweilt sich und versucht, alle anderen mitzulangweilen. Sein Ausgangspunkt ist der Neid; aber er verleiht seinem Neid und seiner Gelangweiltheit Format.“

Ordnung: Kritiker; Gattung: Der große Kritiker; Art: Der Scharfrichter

„Frankreich hat den größten Respekt vor allem, was langweilt. Darum gelangt der Vulgarisator im Nu zu einer Position: Vermöge der Langeweile, die er verbreitet, gilt er auf Anhieb als wichtiger Mann.“

Ordnung: Der Publizist; Gattung: Der Nihologe

„Der Mann fürs Grobe will sich einen Namen machen, oder hofft es zumindest, indem er sich an die großen Namen heranmacht; er ist bekannt dafür, dass er sich die Bücher greift, um ihnen das Rückgrat zu brechen, er ist vereidigter Schlachter.“

Ordnung: Der Kritiker; Gattung: Die kleinen Journalisten, Art: Der Mann fürs Grobe

Honoré de Balzac, „Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken“

Mit seiner „Menschlichen Komödie“ unternahm der französische Romancier in wahrhaft gigantomanischer Manier den Versuch, ein komplettes Sittengemälde seiner Zeit zu zeichnen. Dem lag seine Annahme zugrunde, die Menschheit sei mit dem Tierreich vergleichbar – trotz individueller Züge könne jeder Mensch einer bestimmten sozialen Gattung zugeordnet werden.

Was „La Comédie humaine“ im großen Ganzen zugrunde lag, das wandte Balzac auch auf einen Text an, der 1843 erschien: „Die Monographie de la presse parisienne“. Eine zoologisch anmutende Katalogisierung der Pressetypen. Rudolf von Bitter, Kulturchef beim BR, hat diese Mischung aus Satire, Pamphlet und Essay erstmals ins Deutsche übersetzt, erschienen ist der Text, ergänzt durch Balzacs „Brief an die französischen Schriftsteller“ und weitere Beispiele, die sein prekär-streitbares Verhältnis zu Kollegen und Kritikern beleuchten, 2016 beim Manesse Verlag.

Die gereizten Fehden mit der Feder

Balzac war ein temperamentvoller und empfindlicher Mensch: Und so ist seine Monographie eine bissige Abrechnung mit Journalisten, eine Presseverurteilung der literarisch gehobenen Art, gespeist wohl auch von einer inneren Wut. Rudolf von Bitter ordnet in seinem umfangreichen Nachwort die Polemik  – „eine systematische und systematisch verunglimpfende Streitschrift gegen „die Journalisten“, gegen „die Presse“, mit einer Anordnung einzelner Charaktertypen wie im Biologiebuch, nach dem Vorbild von Carl von Linné mit seinen Rangstufen von Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät, voll ausgesuchter und offenbar über die Jahre aufgesammelter Einfälle und Wortspiele“ – sachlich ein und zeigt auf, in welche Fehden mit der Feder sich Balzac im Laufe seines Lebens begab. Sein Hinweis, beim Lesen des Textes Verständnis für die Nöte Balzacs mit den dargestellten Typen zu haben, ist wichtig – auch mit dem Blick auf die Medienlandschaft heute. Auch wenn man bei manchem Absatz schmunzeln und an die eine oder andere Figur aus dem aktuellen Medienbetrieb denken mag: Balzacs Text ist eine subjektive, aus persönlichen Erfahrungen und Verletzungen gespeiste Polemik.

Bei Dina Netz vom Deutschlandradio hinterließ das Buch auch einen faden Beigeschmack:

„Und dass vieles, was Balzac analysiert, auch heute noch gilt, verleiht dem Buch zwar Aktualität, aber auch einen faden Beigeschmack. Denn die pointierten, bösen Bonmots über Journalisten und Kritiker ähneln allzu sehr billigen „Lügenpresse“-Vorwürfen unserer Zeit. Balzacs spitze Feder ist den heutigen flachen Pamphleten zwar um Längen überlegen. Trotzdem sehnt man sich angesichts von zunehmendem Rechtspopulismus in Europa, Donald Trump und AfD eher nach differenzierten Betrachtungen als nach vereinfachenden Polemiken. Seien sie noch so treffend beobachtet und pointiert formuliert.“

Sieht man Balzacs Text als das, was er ist – eine überspitzte Polemik – dann kann man ihn jedoch mit großem Amüsement lesen, wenn auch manche Zeitbezüge trotz erläuternder Fußnoten und informativen Nachwort das Verständnis an manchen Stellen erschweren. Alles in allem ist die Monographie über die Pariser Presse vor allem ein Schätzchen für Balzac-Leser und Liebhaber der großen Epoche des französischen Dreigestirns.

Informationen zum Buch:

Honoré de Balzac
Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken
Die schrägen Typen der Journaille
Übersetzt von Rudolf von Bitter
Manesse Verlag, 2016
ISBN: 978-3-641-19675-2


Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

8 Gedanken zu „Honoré de Balzac: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken“

  1. So ist das mit den Kritikern im Leben. Sie sind unbequem und weh tun sie manchmal auch, sehr sogar. Es muss sie geben, sie zeigen und klären auf. Es bleibt die Wahl, sich von einer Kritik auseinandernehmen lassen zu wollen oder sie ruhig zu betrachten, was darin förderlich und gut sei, auch wenn das Eitelauge gern die Schmerzecke fliehen mag. Doch wenn eine Kritik in der Lage ist, jemanden zu vernichten, weil sie viele andere Meinungen beeinflussen und prägen kann, kann sie nur in einem guten Sinn weiterentwickeln wenn sie achtsam bleibt und bewusst respektvoll. Kritik ist ein Angriff und ich ziehe faire Kampfsportmentalitäten den ewigen Dreckschleudern allemal vor.
    Liebe Morgengrüße und Dank für den Beitrag zu Honoré de Balzac, der war sehr aufschlussreich.

    Liebe Grüße,

    Stefanie

    1. Dem kann ich nichts mehr hinzufügen – gut ausgedrückt, was ein Kritiker können sollte und der Kritisierte damit tun könnte … Liebe Grüße, Birgit

  2. Petra Gust-Kazakos – Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig http://phileablog.wordpress.com/
    Petra Gust-Kazakos sagt:

    Hm, liebe Birgit, nun bin ich unsicher … Einerseits streiche ich auch schon ein Weilchen um das Büchlein herum und finde die Idee der Typologisierung (aus Gründen) gut. Aber wenn es nur ein zeitgebundenes Geläster ist …? Que faire? Liebe Grüße
    Petra

    1. Liebe Petra, die Typen finden wir schon heute auch noch in unserem Berufsumfeld – von daher ist es recht amüsant zu lesen. Die Typologie ist auch sehr allgemein gehalten, bezieht sich also nicht auf namentlich genannte Journalisten seiner Zeit. Allerdings gibt es eben auch einiges, was eben richtig pariserisch ist … und ich mir war es auch wichtig, in meinem Beitrag ein wenig die Berufsehre zu retten: Journalisten stehen ja per se als Berufsstand in schlechtem Ansehen, immer schon, und in Zeiten des Populismus erst recht. Balzacs Polemik ist naturgemäß sehr einseitig – das muss man sachlich auch ein wenig gerade rücken…

  3. „Mit seiner „Menschlichen Komödie“ unternahm der französische Romancier in wahrhaft gigantomanischer Manier den Versuch, ein komplettes Sittengemälde seiner Zeit zu zeichnen.“ Kurioserweise kann man Balzac selbst ja auch als Journalist bezeichnen und davon ausgehen, dass die Kritik auch immer ein Teil – vielleicht ungewollt – Selbstkritik ist. Verdächtig ist mir eher, dass all das von Random – denn dahin ist es mit Manesse ja gekommen – so schmuck aufgemacht daherkommt und sich, denke ich, darin widerlegt. Ich hätte es als Pamphlet verlegt, so zwischen Dämmerung und Hahnenschrei, um etwas wachzurütteln. Übrigens bin ich starker Verfechter der Presse, lese täglich die ‚Berliner Zeitung‘ und freue und ärgere mich, je nachdem. Aber ich bewundere die wackeren Journalisten, die für den Tag schreiben, besonders, wenn sie nicht Nachricht mit (ungeprüfter) Meldung und Meinung verkneten und statt dessen in guter Professionalität das wer?, wie? was? wo? und warum? erarbeiten. Leute, unterstützt die Druckerpresse!

  4. Diese Kritikschelte von Balzac kannte ich gar nicht, sicher ist das Buch amüsant. Danke für deinen Beitrag. Leider finde ich nirgendwo einen Hinweis auf den französischen Originaltitel, kennst du ihn? Lustig finde ich den Satz „Frankreich hat den größten Respekt vor allem, was langweilt.“ Dem kann ich durchaus etwas zustimmen, denn die Franzosen sind groß darin, zum Beispiel Filme zu drehen, deren Geschichten keine großartigen Höhepunkte enthalten, sondern so dahinplätschern im Alltagsliebesleben und unspektakuläre Dialoge zeigen. Ich denke da vor allem an Rohmer, den viele Deutsche total langweilig finden, doch in Frankreich liebt man das und ich mag es auch sehr. Aaaber: Balzac hätte sich selbst dann auch die Frage stellen müssen, inwiefern er selbst manchmal auch langweilig war. Ich denke da an die ellenlangen Einschübe in seinen Werken, die ich bisweilen als sehr zäh zu lesen fand.

    1. Ich habe mich vor kurzem durch Gides „Falschmünzer“ etwas gequält, das eben auch diesen „französischen Geist“, von dem du sprichst, trägt – es ist schon etwas sehr langatmig, auch vergeistigt. Und lässt mich noch vor Proust zurückschrecken. Dazu braucht man Muse. Allerdings zeugt das Büchlein auch von der verletzten Künstlereitelkeit, die Balzac da an den Tag legt – es ist amüsant, aber auch ganz schön böse.

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