Literarische Orte: Zürich. Dada war da, bevor ich da war

Im Februar 1916 öffnete das “Cabaret Voltaire” erstmals seine Tore – DADA war geboren. Ausgerechnet Zürich wurde zur Keimzelle dieser Kunstrichtung.

2016_Zürich (73)
Bilder: Birgit Böllinger

„Eine in meinem Lokal … verkehrende Gesellschaft junger Künstler und Literaten ist mir der Bitte an mich herangetreten, den meiner Weinstube angegliederten Saal … als Künstlerkneipe einzurichten. (…) Sie möchten in diesem Saale aus ihren eigenen Werken vorlesen, zur gegenseitigen Unterhaltung beitragende Vorträge veranstalten, kurz einen Treffpunkt des künstlerisch interessierten Publikums Zürichs einrichten. Es soll besonders jungen Künstlern Gelegenheit geboten sein, sich gegenseitig zu unterhalten, gegenseitig anzuregen, gegenseitig zu debattieren und ihre Erstlinge an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Herren glauben, ein derartiges Lokal fehle in Zürich und sei notwendig als Gegengewicht gegen die immer zahlreicher auftretenden mondänen und offiziellen Cabarette.“

Cabaret Voltaire startete 1916

So annoncierte Jan Ephraim, Wirt der „Meierei“, der Züricher Polizei das Vorhaben eines gewissen Hugo Balls und seiner Freunde – auch weil die Lokalität nur für künstlerische Zwecke, spontane Vorträge ohne Erwerbsabsicht genutzt werden sollte, gab die Obrigkeit „grünes Licht.“ (Quelle: Trotz vieler lobenswerter Neuerscheinungen im Jubiläumsjahr ist für mich das Luchterhand-Taschenbuch „Dada in Zürich“ von Raimund Meyer, erschienen 1990, immer noch eines der besten Werke über Ball & Co.) Das „Cabaret Voltaire“ war geboren und startete im Februar 1916: Einige durch den Weltkrieg versprengte junge Leute aus allen Herren Ländern, zufällig in Zürich gestrandet, kreativ, anarchistisch, idealistisch, avantgardistisch. Leben wollten sie – vor allem auch gegen den Strich, gegen das Bürgerliche.

Zürich feierte 2016 100 Jahre Dada

„Heute, nach über zehn Jahren Betrieb des neuen Cabaret Voltaire und einer Volksabstimmung, freut sich Zürich über das runde Dada-Jubiläum. Zürich feiert dieses Jubiläum aus einer kulturhistorischen Verantwortung.“: So steht es im „Dadaphone“ der „Dada-Swatch-Ausgabe“ zu lesen. Da lacht mein eines, weint mein anderes Auge – das wäre vielleicht eine Vorlage für eine der Köpfe Sophie Taeubers, für ein Bild von Man Ray. Denn auch Dada macht vor der Kommerzialisierung nicht halt – im Shop des Cabaret Voltaire kann der geneigte Kulturtourist Dada-Seife (1906 liess die Züricher Seifenfabrik Bergmann & Co. die Marke “Dada” schützen, die Seife gab es also, nicht sicher ist, ob dies auch die Namensgebung der Kunstrichtung inspirierte) erstehen, Dada-Flaschen und was das Herz sonst noch so begehrt.

2016_Zürich (74)

Die Ausstellung im Landesmuseum präsentierte seltene Objekte in beinah sakraler Stimmung: Beleuchtete Säulenkästen im tiefschwarzen Raum. Sehenswert ja, auch in der Verknüpfung der verschiedenen Kunstrichtungen, die Dada umfasste – Tanz, Fotografie, Literatur, Musik, Bildende Kunst – und beeinflusste. Doch in der beinahe ikonographischen, musealen Präsentation verliert Dada, das Bunte, das Wilde auch einen Teil seines Charmes, seines Sinns. Am faszinierendsten für mich und lebendiger Dadaismus waren die Wandmalereien und Sprüche im Ausstellungsraum – junge Besucher können hier ihr Dada hinterlassen.

Aber auch wenn sich diese Kunstrichtung in kein Korsett sperren lässt, damals wie heute Ketten und Definitionen sprengt und trotz mancher Kommerzialisierung – andererseits ist es gut, dass an Dada erinnert wird, dass Künstler wie Tristan Tzara, Emmy Hennings, Christian Schad, Sophie Taeuber-Arp nicht in Vergessenheit geraten – so vielseitig, so lebendig, so innovativ wie sie waren, beeinflussen sie mit ihren Entwürfen und Gestaltungen unseren Alltag noch bis heute. Ohne dass uns dieses bewusst ist. Dada lebt.