#MeinKlassiker (21): Norman Weiss ist für Kabale und Liebe

Für die Reihe #MeinKlassiker stellt Norman Weiss vom Blog „Notizhefte“ ein Drama vor: „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller.

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Norman Weiss berichtet auf seinem Blog Notizhefte über Bücher, Museen, Ausstellungen, Theaterbesuche und alles sonst, was das Leben bereichert. Eine Kulturwebsite im besten Sinne also. Dass bei ihm die Klassiker in vielerlei Form lebendig sind und gepflegt werden, sieht man an seiner Buchauswahl.
Norman war einer der ersten Blogger, der von sich aus signalisierte, er würde gerne mit einem Beitrag an der Reihe #MeinKlassiker beteiligt sein – was mich sehr gefreut hat. Und als kleiner Wink an alle Mitlesenden: Wer Lust hat und seinen Klassiker vorstellen will, ist herzlich eingeladen.

Die Aktion #MeinKlassiker, die Birgit von Sätze&Schätze erfolgreich ins Leben gerufen hat, ist eine feine Sache mit sehr interessanten Ergebnissen und Auswahlentscheidungen. Ich habe mich für einen Text entschieden, der sich kontinuierlich auf den deutschen Bühnen hält und seinen Status als Klassiker in wechselnden Umgebungen behauptet.

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Mir persönlich bedeutet das Stück sehr viel:

Das 1784 uraufgeführte Stück „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller begleitet mich seit der Oberstufe, damals las ich natürlich zum Vergleich auch die ältere „Emilia Galotti“, aber sie konnte sich nicht gegen Luise Millerin durchsetzen. Im Schultheater war ich alternierend Ferdinand („Du bist blaß, Luise?“) und sein Vater („Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogthum!“), bei Lesungen im Deutschunterricht glänzte ich als Hofmarschall („Wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen – es geht jetzt ins einundzwanzigste Jahr – wissen Sie, worauf man den ersten Englischen tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem Kronleuchter auf den Domino tröpfelte – Ach Gott, das müssen Sie freilich noch wissen!“) und als Kammerdiener der Lady Milford („Legt’s zu dem Übrigen!“). Das prägt für ein Leben und macht es dem Lessingschen Text heute noch schwer.

So schrieb ich im Januar 2014 in einem Beitrag über Lessings Emilia Galotti.

Schiller, der jugendliche Rebell und Idealist, der studierte Mediziner und Militärarzt, der unbesoldete Professor für Geschichte, Briefpartner und künstlerischer Widerpart Goethes, Zeitschriftenherausgeber, Dramatiker – ihm wird 1792 von der französischen Nationalversammlung das Bürgerrecht der Französischen Republik verliehen, 1802 erhebt ihn der Herzog von Weimar in den Adelsstand. Er stirbt 1805, sechsundvierzig Jahre alt.

„Kabale und Liebe“ wird 1784 in Mannheim uraufgeführt. Es thematisiert Gegenwartsthemen der damaligen Zeit: Hofintrigen, Verschwendungssucht, Mätressenwirtschaft, Gewaltherrschaft und Willkür, Standesschranken. Alles Themen, die für Schiller und seinen Helden Ferdinand ihre Rechtfertigung verloren haben. Der junge Mann, dem die privilegierte Standesposition das Nachdenken ermöglicht und nicht ausgetrieben hat, stellt die Systemfrage und will sich nicht arrangieren. Nicht beruflich, nicht persönlich. Seine Träume sind ohne Realitätsbezug, von übersteigerter Schwärmerei – letztendlich ist er, so wird es sich zeigen, ein Schwächling.

Schiller zeichnet seine Figuren mit dem breiten Pinsel: Hofmarschall von Kalb ist die (bravourös gestaltete) Karikatur des Höflings, den nicht einmal sein Spießgeselle, der Präsident, ernst nimmt. Dieser, eigentlich eine Vorbildfigur des Ançien Regime (er hat studiert, arbeitet rational und methodisch), wird vor allem im Konflikt mit dem Sohn als überholt, als verstockt und unmenschlich gezeichnet und damit insgesamt negativ konnotiert. Lady Milford, die Mätresse des bühnenabwesenden Fürsten, wird pathetisch als stolze Tochter Britanniens mit Resten von Anstand und Moral, die sich unter dem Luxusleben erhalten haben, präsentiert, scheint aber doch dem Untergang geweiht. Luise ist eigentlich eine Nichtgestalt, die meist recht passiv Gerechtigkeit erbittet. Im Gespräch mit der Lady gewinnt sie stärker Kontur. Die Eltern Luises geben Raum für Zeitkolorit und lassen Schiller Kritik üben („Halten zu Gnaden!“). Wurm – der Name sagt eigentlich schon alles – ist Profiteur und Diener der Macht; Luise hat für ihn nur Abscheu übrig.

Politischer Wandel, Rebellentum und Generationenkonflikt lassen das Stück auch nach mehr als zweihundert Jahren aufführungswürdig und zugänglich erscheinen. Doch das Pathos der Schillerschen Sprache ist für manche Leser und Zuschauer ein kaum zu überwindendes Hindernis, wie ich schon oft in Gesprächen gehört habe. Das führt immer häufiger zu einem Stück „nach Schiller“, aber dann kann ich mir auch den Tatort anschauen.

Ein bürgerliches Trauerspiel, so untertitelt Schiller sein Drama, und unterstreicht damit seinen aufklärerischen, weltverändernden Anspruch. Die Gesellschaftsstruktur ist überlebt, von innen faul und reif für ihre Ablösung. Sie soll freilich durch edle Geister, so wie Ferdinand sich sieht, menschenfreundlich reformiert werden. Konkreter wird es nicht, gefährlich genug war der Text in den Augen der Zeitgenossen bereits.

Neben den politischen Aspekten des Wandels thematisiert Schiller aber auch den Generationenkonflikt und ergreift eindeutig Partei für die Jungen. Die alten Männer sind entweder schlecht (Präsident), lächerlich (Kalb) oder zwar gut, aber von gestern (Miller), die Mutter Luises ohne Überblick, die nicht mehr ganz junge Lady Milford ist nicht eindeutig eine Verworfene, sondern die Umstände wecken ihr lange verschüttetes Ehrgefühl und Gerechtigkeitsempfinden.

Das Gespräch der Lady mit dem Kammerdiener des Fürsten in der zweiten Szene des zweiten Aktes, in dem es um den Handel mit Soldaten an den König von England geht, der sie in Amerika gegen die Aufständischen einsetzt, ist kurz, aber immer wieder eindringlich. Schiller thematisiert in zugespitzter Form Vorkommnisse, die damals hoch umstritten, aber nicht unüblich waren: Am 15. Januar 1776 hatte Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel  mit seinem Schwager König Georg III. von England sogenannte Subsidienverträge geschlossen und sich verpflichtet, ihm etwa 12.000 Mann zu überlassen. Dabei handelte es sich jedenfalls nicht ausschließlich oder überwiegend um Zwangsrekrutierungen. Schiller nutzt die Darstellung, um die absolutistische Herrschaft des Fürsten besonders deutlich zu machen. Er erfaßt damit eigentlich sehr gut, was Reinhart Koselleck wie folgt formuliert:

„Der Staat hatte sich gewandelt; er wurde korrupt: aber nur, weil er absolutistisch blieb. Das absolutistische System, die Ausgangssituation der bürgerlichen Aufklärung, blieb erhalten bis zum Ausbruch der Revolution: es bildet die eine Konstante unserer Untersuchung. An ihr wird sukzessiv und in verschiedenen Beispielen die politische Entfaltung der Aufklärung gemessen. Die Aufklärung entwickelte ein Eigengefälle, das schließlich zu den politischen Bedingungen selber gehörte. Der Absolutismus bedingt die Genese der Aufklärung; die Aufklärung bedingt die Genese der Französischen Revolution.“(Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, 1959, Diss.Heidelberg 1954, Taschenbuchausgabe 1973, S. 4f.)

Die schwach konstruierte Intrige – Ferdinand soll Luise abspenstig gemacht werden – gelingt, weil der Mann eifersüchtig und eitel ist. Luise, die unter Zwang und aus Angst um Vater und Mutter einen Liebesbrief an den Hofmarschall schreibt, erscheint ihm als lasterhafte Schlange und Metze. Verblendet wie er ist, erkennt er ihre Liebe nicht.

Am Ende sterben Luise und Ferdinand an vergifteter Limonade, der Präsident wird nach Ferdinands Anklage abgeführt und letztendlich wird sich nur der Fürst noch einmal über die Runden retten können, sich aber eine neue Mätresse suchen müssen.

Norman Weiss
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Klett-Cotta: Das gelobte Land der Dichter

J.F. Cotta führte die 1659 gegründete Cotta`sche Verlagsbuchhandlung zu Weltruhm. Vor allem die enge Beziehung zu Schiller hatte für den Verlag enorme Folgen.

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„Ew. Hochwohlgeb.
beehre ich mich, beiliegenden Aufsatz für das Morgenblatt zu überschicken.
Ich wohne schon seit 6 Wochen hier am Rhein und warte mit Sehnsucht auf das erste Dampfschiff, um die Fahrt mitzumachen und feierlich zu beschreiben. Aber es ist bist jetzt noch keines erschienen. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mich wissen ließen, ob und wann eins vorbeikommt…“

Ludwig Börne aus Rüdesheim am 2. Mai 1826 an Johann Friedrich Cotta

Das Anliegen Börnes, sein Verleger möge nun ein Dampfschiff vorbeischicken, erstaunt weniger, wenn man weiß, dass J.F.Cotta (1764-1832), ein Hansdampf in allen Gassen war – und sich folglich unternehmerisch auch in der Dampfschifffahrt engagiert hatte. J.F. Cotta führte die 1659 gegründete Cotta`sche Verlagsbuchhandlung, die durch Einheirat gegründet wurde (Johann Georg Cotta ehelichte die Witwe eines akademischen Buchführers), zu Weltruhm. Vor allem die enge Beziehung des Verlegers zu Friedrich Schiller hatte für den Verlag enorme Folgen – bei Cotta erschien schließlich alles, was in der Klassik und Sturm und Drang Rang und Namen hatte: Schiller, Goethe, Herder, Fichte, Hölderlin, Kleist, Jean Paul, Hegel, Schelling, Alexander von Humboldt und viele mehr.

2009 feierte der Verlag 350 Jahre Verlagsgeschichte

2009 gab der Verlag zu seinem 350jährigen Bestehen einen schmalen Band (180 Seiten) heraus: „Cotta – Das gelobte Land der Dichter.“ Kein umfangreiches Geschichtswerk mit Daten, Fakten, Eigenlob, sondern eine Auswahl von Briefen an die Verleger, ein Querschnitt und Abbild dieses sensiblen Verhältnisses über beinahe vier Jahrhunderte hinweg. Brigitte Kronauer führt in ihrem Vorwort in diese „zumindest unterschwellig nervöse Beziehung“ ein: Soll der Verleger doch nicht nur für das Erscheinen der Dampfschiffe sorgen, sondern zugleich auch das höchste, das geistige Gut in bare Münze umsetzen.

Die Herausgeber Stephan Askani und Frank Wegner haben eine Auswahl der Briefe an den Verlag nach Themen geordnet – Freundschaft und Konflikte werden angesprochen, Zeit und Gesellschaft, Geld und Honorar. Die Anschreiben – nur wenige Briefe der Verleger selbst sind im Band enthalten – spiegeln persönliche Verfasstheit der literarischen Berühmtheiten wieder, lassen charakterliche Rückschlüsse zu (ein Goethe bittet nicht, sondern lässt bitten via Schiller oder Eckermann und wenn er schreibt, so hat dies meist fordernden, delegierenden Charakter), zeigen politische Nöte und Zwänge auf, lassen den Zensor harsch auftreten, kurz: sprechen Bände.

Auch ein Streifzug durch deutsche Geschichte

Das Buch setzt zwar einiges an Vorwissen über deutsche Verhältnisse voraus – die muss man sich selbst quererlesen und erarbeiten. Aber dies ist nicht unbedingt ein Mangel: Die Briefe sind ein Schatz an sich – stilistisch, sprachlich, inhaltlich. Wünschenswert an editorischer Leistung wären dagegen jedoch die Übersetzungen der englisch- bzw. französischsprachigen Lettres von Javier Marias und Madame de Stael gewesen.

Einige Zitate:

Friedrich Schiller stand in enger Beziehung zu F.J. Cotta. Im Verlag erschienen sowohl die Horen als auch der Musen-Almanach. Zudem stellte Schiller zahlreiche weitere Beziehungen zu Autoren her, die er dem Verleger ans Herz legte:

„…Hölderlin hat einen kleinen Roman, Hyperion, davon in dem vorletzten Stück der Thalia etwas eingerückt ist, unter der Feder. „

Friedrich Schiller an J.F. Cotta, 9.3.1795

„Nun noch einen guten Rat. Ich fürchte, Goethe läßt seinen Faust, an dem schon so viel gemacht ist, ganz liegen, wenn er nicht von außen und durch anlockende Offerten veranlaßt wird, sich noch einmal an diese große Arbeit zu machen und sie zu vollenden.“

Friedrich Schiller an J.F. Cotta, 24.3.1800

Heinrich Heine lebte ab 1831 in Paris. Ab 1832 war er als Pariser Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung tätig, die von Cotta gegründet worden war. Sie war zu dieser Zeit die führende deutschsprachige Tageszeitung. In seinen Briefen tritt der ganze Witz dieses lebendigen Geistes ebenso wie seine melancholische Seite, befördert durch die Erkrankung, zutage.

„Damit Sie aber nicht glauben, ich sei in eine Tänzerin verliebt und bliebe deshalb hier und wäre recht börnisch faul, so habe ich den Anfang meines italienischen Tagebuchs ausgearbeitet (…).
Ich mache Sie aber nochmals darauf aufmerksam, daß ich in keine Tänzerin verliebt bin, obgleich sich solch eine Liebe sehr gut mit Schnupfen und Husten verträgt, und ein ebenso großes Unglück ist.“

Heinrich Heine an J.F. Cotta, Florenz, 11.11.1828

„Durch meinen körperlichen Zustand abgesperrt von den Genüssen der Außenwelt, suche ich jetzt Ersatz in der träumerischen Süße der Erinnerungen, und mein Leben ist nur ein Zurückgrübeln in die Vergangenheit: da tritt oft vor meine Seele das Bild Ihres seligen Vaters, des wackeren würdigen Mannes…“

Heinrich Heine an F. J. Cottas Sohn Georg v. Cotta, Paris, 26.3.1852

Und zumindest kann dieser Sammelband wieder die Lust auf das Briefeschreiben erwecken oder auch nützlich sein für eigene Geschäftskorrespondenz:

„Weit entfernt, mein sehr geschätzter Herr und Freund, den Antrag, den Sie mir am 28. Nov. Des abgewichenen Jahres taten, anders zu nehmen als er von Ihnen gemeint ist, erkenne ich mich Ihnen vielmehr sehr verbunden dafür, und hoffe, mein guter Genius werde, um der 73 Jahre willen, die an mir gezehrt haben, nicht ganz so untreu an mir werden, daß ich Ihnen nicht zuweilen einen kleinen Beitrag, wenigstens zum Zeichen meines guten Willens, sollte übersenden können.“

Christoph Martin Wieland an J. F. Cotta, Weimar im Februar 1807.

Informationen zum Buch:

Stephan Askani/Franz Wegner (Hrsg.)
Cotta – Das gelobte Land der Dichter
Klett-Cotta Verlag, 2009
ISBN: 978-3-608-93904-0.