C. A. Davids: Hoffnung & Revolution

“Hoffnung & Revolution” ist der zweite Roman der südafrikanischen Autorin C. A. Davids. Er erzählt von gescheiterten politischen Hoffnungen und dem Streben nach Gerechtigkeit.

„Nachdem sie tot war, gab es keinen Gedanken mehr an Normalität, sollte diese überhaupt je existiert haben. Die Traurigkeit ließ nie nach. Sie lauerte unter meinen Lidern, beobachtete mich, wenn ich in der Schule war, wenn ich sprach. Atmete für mich. Manchmal … besonders in den Tagen danach … war es einfacher, daheimzubleiben und an die Decke zu starren.“

C. A. Davids, „Hoffnung & Revolution“, Verlag Das Wunderhorn


Es sind zwei beschädigte Seelen, die das Schicksal in der Millionenmetropole Shanghai zusammenführt: Beth, eine südafrikanische Konsulatsangestellte, die 1989 den Mord an ihrer besten Freundin Kay erleben musste. Und Zhao, der 1958 einen ähnlichen Lebenseinschnitt erlitt – die Auslöschung praktisch seines ganzen chinesischen Heimatdorfes während einer großen Hungersnot, das ungeklärte Verschwinden seiner Mutter.

Bild von Barend Lotter auf Pixabay

Beide, die Diplomatin im Dienst eines immer korrupter werdenden Staates, und der linientreue Journalist in einer Diktatur, deren Überwachungsnetze immer enger gezogen werden, haben sich irgendwie mit ihrem Leben, ihrem status quo arrangiert. Doch beide wissen auch, dass dieses Arrangement, das Einrichten eines Lebens in einem Lügengespinst, seinen Preis hat.

„Wenn sparsam mit Erzählungen, mit Kritik, mit Geschichte, dann nicht, weil ich nicht sehe, nicht fühle. Beschütze nur. Dieses Leben …“, sagte er schließlich.
„Ja“, sagte ich. Ich verstand.
Zhaos Schweigen bedeutete auch, dass meine Vergangenheit mehr oder weniger in Ruhe gelassen wurde.

Der Preis des Schweigens ist Einsamkeit und Isolation, wie die südafrikanische Schriftstellerin C. A. Davids in ihrem zweiten Roman, der 2022 unter dem Titel „How to be a revolutionary“ erschien, verdeutlicht. Übersetzt von Susann Urban kam die deutsche Ausgabe „Hoffnung & Revolution“ nun in der Reihe „AfrikAWunderhorn“ im Verlag Das Wunderhorn heraus. Von Hoffnung ist zunächst bei den beiden hauptsächlichen Protagonisten wenig zu spüren: Beth und Zhao, die beide in einem Wohnblock leben, lernen sich kennen, weil Zhao ein Synonym für „traurig“ sucht. Sie einigen sich schließlich auf „Melancholie“.

Von Cape Town bis Shanghai

Eine Melancholie, die diesen Roman beinahe bis zum Ende durchzieht. Immer wieder wechselt die Autorin die Zeit- und Erzählebenen, verschränkt die beiden Lebensgeschichten, um die Vergangenheit, den Weg beider bis nach Shanghai nachzuvollziehen. Von Cape Town und der chinesischen Provinz bis Shanghai: Auch ein Weg gescheiterter politischer Hoffnungen, nicht eingetretener Utopien, falscher Glaubenssätze.

„Erst als der Vorsitzende starb, ließ das Blutvergießen ein wenig nach. Ich kann ruhig zugeben, dass ich gemeinsam mit Millionen, vielleicht Hunderten Millionen, aufrichtig weinte. Da ich keinen Vater gehabt hatte …“

Die Depression kommt am Platz des Himmlischen Friedens

Für Zhao, der das spurlose Verschwinden seiner Mutter nie überwand, wird schließlich dieses Datum, das in China nicht genannt werden darf, zu einem inneren Wendepunkt: Der 4. Juni 1989, der Tag des Massakers am Tian’anmen-Platz. Mit diesem Tag beginnt für ihn der Weg in eine innere Emigration, die erst aufbricht, als er Beth kennenlernt.

Und für Beth ist die Begegnung mit Zhao der Schlüssel, um das, was die in Südafrika eingesetzte “Wahrheits- und Versöhnungskommission” ihr nicht bieten konnte – Gerechtigkeit für ihre ermordete Jugendfreundin Kay – zu überwinden. Zu sehr hatte sie sich an ein Leben mit Kompromissen gewöhnt. Die kritischen Worte ihres Mannes, denen sie sich mit ihrer Versetzung nach Shanghai entzieht, schärfen ihren Blick, ihr Vorgesetzter formuliert es deutlich:

„Sie sind eine Beamtin, die alle Ideologie hinter sich gelassen hat und mit sich ins Reine zu kommen versucht, nachdem sie jahrelang die zunehmende Unfähigkeit und Korruption ignorierte.“

Als Zhao, der vermutlich bereits von der chinesischen Regierung überwacht wird, eines Tages sang- und klanglos verschwindet, hinterlässt er Beth ein gefährliches Geschenk: Ein Manuskript, das unverblümt von der Hungersnot erzählt, den Gräueltaten, als Kinder ihre Eltern aßen, um zu überleben, als korrupte Beamte Nahrungsmittel für sich und die ihren beiseite schafften bis hin zu den Umtrieben der Viererbande und dem Massaker am Himmlischen Platz des Friedens. Beth gelingt es, obwohl auch bereits ihre Wohnung überwacht wird, sie ihren Arbeitsplatz verliert, schließlich einem Verhör unterzogen wird und aus Shanghai verwiesen wird, das Manuskript außer Landes zu schaffen. Und aus der Resignation und Apathie wird schließlich wieder Hoffnung:

„In den Tagen und Nächten, die folgten, füllte Beth, wie eine Gegenstimme zum Meeresrauschen, die Stille mit Worten, die ihr anfangs nicht leichtfielen.
Aber hier standen sie. Wahr. Fakt. Eine Aufzeichnung. Ein Zeugnis. Seins, ihr eigenes und natürlich der Freundschaft.“

In einer ausführlichen Rezension zu diesem Buch schreibt Hilary Lynd in der „Los Angeles Review of Books“:

„Being a confident young revolutionary is part of a collective experience. Being a confused older revolutionary, most of the time, is awfully lonely.“

Man ist versucht, beim Lesen immer wieder leise die „Internationale“ anzustimmen: „Proletariar (respektive Revolutionäre) aller Länder, vereinigt euch!“ Denn „Hoffnung & Revolution“ ist ein Roman, der ebenso von der Einsamkeit als auch vom Wert der Freundschaft und Solidarität erzählt. Und nicht zuletzt davon, dass Menschen bereit sind, für den Kampf gegen Ungerechtigkeit vieles auf sich zu nehmen – und dazu bereit sein können, wenn einige, und seien es auch nur wenige, sie unterstützen.

Fiktive Briefe von Langston Hughes

Kunstvoll gelingt es C. A. Davids, diesen Subtext ihres Buches durch eine dritte Ebene zu verstärken: Immer wieder eingeflochten sind in den Text fiktive Briefe des afroamerikanischen Schriftstellers Langston Hughes (1902 – 1967) an einen südafrikanischen Kollegen. Hughes ist die perfekte Projektionsfläche: Hughes, Vertreter der Harlem Renaissance, kämpft gegen Diskriminierung, sieht den Sozialismus, vor allem nach einer Reise in die Sowjetunion, als mögliche, gerechte Staatsform, muss in der McCarthy-Ära vor den berüchtigten Ausschuss und gerät, auch weil er sich von manchen seiner früheren Aussagen distanziert, zwischen alle Stühle und mehr und mehr in die Isolation. Die Korrespondenz mit gleichgesinnten Schriftstellern, die Arbeit an einer Anthologie, das ist es, was Hughes wieder Mut & Leben gibt.

Davids schildert dies alles unspektakulär und dennoch abwechslungsreich – so bekommt jeder Handlungsort, sei es Shanghai, sei es Kapstadt, eine „eigene Sprache“ und Färbung, beispielsweise durch eingestreute Slangwörter. Auf eine falsche Fährte könnte die Ankündigung des Buchs als Politthriller auf der Verlagsseite Leser*innen bringen: Für einen Thriller fehlt etwas der Spannungsbogen. Vielmehr ist „Hoffnung & Revolution“ ein lesenswerter Roman über Kraft (aber auch Ohnmacht) des geschriebenen Wortes. Und ein politischer Roman von hoher Aktualität: Irgendwo steht die Welt immer in Flammen. Und irgendwo braucht es auch immer mutige Einzelne, die dagegen ihre Stimme erheben.


Weitere Informationen:

C. A. Davids
Hoffnung & Revolution
Übersetzt von Susann Urban
Verlag Das Wunderhorn, 2023
Hardcover, 320 Seiten
ISBN 978-3-88423-686-4

Mehr zum Buch und zur Autorin auf der Homepage des Verlags, dem ich für das Rezensionsexemplar danke.


Südafrika auf diesem Blog:

Imraan Coovadia: Vermessenes Land
James McClure: “The Steam Pig” und “The Song Dog”

Imraan Coovadia: Vermessenes Land

Der Roman „Vermessenes Land“ macht deutlich: Südafrika hat noch lange an seiner Vergangenheit und den Folgen der Apartheid zu kämpfen.

Coovadia
Bild: (c) Michael Flötotto

„Neil träumte vom Paradies. Er hatte ein schmales Buch fertiggestellt, in dem er seine Vorstellungen einer Idealgesellschaft erläuterte, das jedoch erst veröffentlicht werden konnte, wenn der Verbotserlass aufgehoben wurde. Aber es war fertig.

In einer Idealgesellschaft gäbe es keine Berufsgruppen. Keinen Platzwart. Keinen ordentlichen Professor. Keinen Studenten, der nicht gleichzeitig Lehrer, Forscher und Handwerker war, jemand, der mit Herz und Hand arbeitete. Es gäbe eine einheitliche Rechtschreibung. Mengen würden in Dezimalzahlen gemessen. In einer Idealgesellschaft gäbe es keine Währung, kein Erbe, kein Gehalt, keine Dividende. Es gäbe weder Konkurrenz noch Wettkampf. Jeder Mann und jede Frau könnten sich einen Platz an der Sonne suchen.“ 

Imraan Coovadia, „Vermessenes Land“

An einem Tag im Jahre 1976 spinnt sich der Philosophie-Dozent Neil beim Morgenschwimmen diese utopischen Gedanken aus. Wenige Stunden später ist der weiße Intellektuelle, der bei Sartre in die philosophische Lehre ging, tot. Erschossen von Schergen des Apartheid-Regimes.

Engagiert in der Anti-Apartheid-Bewegung

Neil und seine erste Frau Ann, die sich später im Londoner Exil für die Anti-Apartheids-Bewegung engagiert, deren künstlerisch ambitionierter Sohn Paul, die Mitglieder einer indischen Großfamilie, ein Widerstandskämpfer, ein Dieb, Aufsteiger und Goldgräber, Widerständige und Nutznießer, Revolutionäre und Rabauken: Der im südafrikanischen Durban geborene Imraan Coovadia lässt in seinem Episodenroman “Vermessenes Land” eine Vielzahl von Protagonisten die Bühne betreten. Ihre Schicksale sind jeweils mehr oder weniger lose miteinander verknüpft. Sie treten jeweils für einen Tag, der geschildert wird, in den Mittelpunkt einer Episode – zehn Tage, über vier Jahrzehnte verteilt, vier Jahrzehnte, in denen sich die neue Republik von Südafrika herausbildete.

Geschickt entfaltet Coovadia so das literarische Panorama eines Landes, das nach extremster Unterdrückung des zahlenmäßig überwiegenden Anteils der Bevölkerung vom Zweiklassensystem in eine junge Demokratie überführt wurde. „Vermessenes Land“: Der Titel wirkt dabei durchaus doppelbödig. Denn schon während das weiße Apartheid-Regime noch an der Macht ist, ist Südafrika eindeutig vermessen: Hier die Siedlungen der wohlhabenden weißen Elite, der Buren, dort die Townships, in denen die farbige Bevölkerung ihren alltäglichen Überlebenskampf führen muss.

Der Kapitalismus siegt

Doch auch nach dem Ende des politischen und strukturellen Rassismus lebt die mentale, ideologisch verankerte Apartheid weiter, wie Coovadia zeigt. Und zudem ist das moderne Südafrika von einer weiteren Art der Landvermessung geprägt. Denn einher mit der Demokratie geht nicht, wie es sich der Philosoph Neil erträumte, eine Gesellschaft der Gleichen. Sondern auch die bis dahin Unterprivilegierten versuchen, am Raubtier-Kapitalismus teilzuhaben: Ob man hier auf dem Schwarzmarkt mit Mobiltelefonen, mit einem Mercedes oder U-Booten jongliert, bleibt sich fast gleich, Hauptsache ist, der Ertrag stimmt. So ist das Land auch nach der Apartheid bereits wieder vermessen, aufgeteilt unter jenen, die nach Jahren des Embargos am wachsenden Wohlstand teilhaben wollen. 

„Sie lebten in einem Land, das es eilig hatte, waren auf dem Weg irgendwohin und jeder wollte, so schnell es ging, reich werden.“

Es ist ein zugleich kritischer und desillusionierter Blick, den Coovadia in diesem Roman – wie durch die Augen eines Neils, der, wäre er nicht getötet worden, zugleich die Erfüllung und das Scheitern eines Traums hätte erleben müssen – auf sein Heimatland wirft.

Das Ende der Rassentrennung wurde blutig erkauft: 

„Wenn du verhaftet wurdest, durften die Zeitungen nicht darüber berichten. Hattest du Glück und kamst wieder frei, ob du gesungen hattest oder nicht, wolltest du nichts mehr sagen. Manche erholten sich nie wieder. Der Freiraum, den Mutter und ihre Schwestern ihrem Helden einräumten, war ungewöhnlich. Unter den Naidoos und Naickers herrschte die Meinung, wer sich in die Politik einmischte, bekam, was er verdiente. Wenn sogar ein Weißer wie der angesehene Professor Hunter in seinem eigenen Haus erschossen wurde, konnte sich ein Inder erst recht nicht aus dem Fenster lehnen.“

Und auch nach der Zeitenwende in Südafrika geht das Bluten weiter. Coovadia beschreibt, ohne jemals seine ruhige Erzählebene zu verlassen und etwaige Sensationsgelüste seiner Leser zu kitzeln, die alltägliche Gewalt, die sich in den Townships entlädt; das Aufkommen der AIDS-Katastrophe, die von der Politik negiert wird; die Kriminalität, die auf den Straßen (auch zu Zeiten der Fußball-Weltmeisterschaft, die wirtschaftlichen Aufschwung bringen sollte) herrscht. 

Südafrika hat mit seiner Vergangenheit zu kämpfen

„Vermessenes Land“ macht deutlich: Dieses Land Südafrika hat noch lange an seiner Vergangenheit zu knabbern. Gerechtigkeit kann nicht ausschließlich politisch hergestellt werden, die Wunden, die das Buren-Regime schlug, sie brauchen noch ihre Zeit zur Heilung.

Interessant an dem Episodenroman ist es, dass er die spezielle Sicht der indischen Bevölkerung in den Blick stellt – für mich war das neu, bislang kannte ich nur die Romane von Nadine Gordimer und J. M. Coetzee sowie das biographische Buch von Breyten Breytenbach (“Wahre Bekenntnisse eines Albino-Terroristen”). Zudem lässt der Autor fiktive und reale Figuren auftreten – im Hintergrund fallen natürlich die Namen von Nelson Mandela und Bischof Tutu, Präsident Mbeki, der tatsächlich die AIDS-Seuche ignorierte, kommt in einer Episode als Boss vor. 

Um allen Hinweisen folgen zu können, sind gewisse Kenntnisse notwendig – hier kann man sich beispielsweise bei www.suedafrika.net über den historischen und politischen Hintergrund informieren. 

Literaturwissenschaftler und Autor

Literarisch ist der Stil Coovadias zwar (noch) nicht mit dem der beiden Literaturnobelpreisträgern seines Landes vergleichbar. Doch Coovadia, der an der University of Cape Town Literaturwissenschaft und kreatives Schreiben unterrichtet, ist ein guter, stringenter Erzähler, der die verschiedenen Fäden seiner Episoden souverän in der Hand hält. Vor allem Dialoge beherrscht er perfekt, sie beleben diesen im Grunde zutiefst politischen Roman und verdeutlichen, dass das auch geht: Engagierte Literatur lebendig schreiben.

Erschienen ist „Vermessenes Land“ in der Reihe „AfrikAWunderhorn“, die deutschsprachigen Lesern zeitgenössische afrikanische Literatur näherbringt. Herausgeberin ist Indra Wussow.

Informationen zum Buch:

Imraan Coovadia
Vermessenes Land
Übersetzt von Susann Urban
Verlag Das Wunderhorn, 2016
ISBN: 978-3-88423-533-1