Lesezeichen von: Urs Widmer

Der schönste Ort der Welt: Für Lesende zweifelsohne die Buchhandlung. Aber ohne belesenen Händler ist sie ein Körper ohne Seele, frei nach Cicero.

Bild von Lubos Houska auf Pixabay

“Du kletterst auf Leitern und Stühle, um unsre Werke in die Hände der Kunden zu legen. In deinem Büro hängt ein Poster, auf dem steht, was der moderne Buchhändler von heute nicht tun darf, wenn er am Ball bleiben will. Du aber stolperst über jeden Ball, Buchhändler! Du liebst deine Leitern und Stühle. Da sitzt du und liest unsre langsam vergilbten Erstlinge. Für dich wollen wir ein Buch schreiben, das, statt fast niemand, gar niemand kauft, das kannst du am Lager behalten ein Leben lang. Wir kommen dich jede Woche besuchen, du kochst einen Tee, wir bringen einen Schnaps mit, und dann erzählst du uns, wie du einmal, 1933, ein Buch schreiben wolltest, das die Welt von damals auf einen Schlag verändert hätte.”

Urs Widmer

Was macht den “schönsten Ort der Welt” eigentlich zum schönsten Ort der Welt? Natürlich, selbstverständlich, ohne Zweifel sind es die Bücher. Ein Raum ohne Bücher, sagte schon Cicero, das sei ein Körper ohne Seele. Dann müssten Buchhandlungen ziemliche seelenvolle Orte sein. Aber manche, die Paletten über Paletten an Neuerscheinungen anbieten, die wirken einfach seelenlos.
Denn es sind nicht nur die Bücher, die Geschichten erzählen. Es sind auch die Menschen, die mit diesen Büchern leben und handeln. Eine Buchhandlung wird zum schönsten Ort der Welt, wenn man dort diese eine Buchhändlerin trifft, den Buchhändler, die aus jedem Buch, das sie verkaufen, eine Geschichte machen. Die wie Seelenverwandte wirken, wie alte Freunde und die dir das Gefühl vermitteln, mit jedem Buch, das du kaufst, nimmst du einen Schatz mit nach Hause.

Geschichten über Menschen in Buchhandlungen – über Buchhändler und ihre manchmal etwas seltsamen Kunden – vereint ein Sammelband aus dem Diogenes Verlag, aus dem auch das Zitat von Urs Widmer entnommen ist. Autorinnen und Autoren wie Ingrid Noll, George Orwell, Patricia Highsmith, Martin Suter erzählen spannend, anrührend und vergnüglich aus dem Tat- und Lebensort Buchhandlung. Eine schöne Auswahl für Bibliophile und Bibliomanen, getroffen von Martha Schoknecht.

Informationen zum Buch: “Der schönste Ort der Welt”

Winfried Stephan: Nicht schon wieder keine Tore

Friedrich Torberg, Urs Widmer, Wiglaf Droste oder auch Benedict Wells: Wenn es um Fußball geht, reden alle mit. Schriftsteller und sogar auch Fußballer.

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Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

Jetzt geht das wieder los! In meiner Wahrnehmung teilt sich die Welt ab Freitag wieder in jene, die an akutem Fußballfieber leiden und in jene, die vernunftbegabt sind, dem Ganzen wenig abgewinnen und immer noch Lesen die beste aller Freizeitbeschäftigungen finden. Tatsächlich aber gibt es nicht wenig Grenzgänger die Lesen, Schreiben und Fußballspieler auf einen Nenner bringen. Einer davon ist mein Kollege und Co-Autor hier: Florian Pittroff, der sich kurz vor der Europameisterschaft noch durch einige Fußballbücher gelesen hat. Unter anderem sah er sich “Nicht schon wieder keine Tore” von Winfried Stephan an.

Schade, die „Geschichten und Gedichte rund um den Fußball“ beginnen etwas zäh. Es ist – um in der Fußballersprache zu bleiben – zu Beginn ein Abtasten. Die fiktiven Briefe des Bundestrainers an seine Frau Daniela von Moritz Rinke kommen etwas langatmig um die Kurve. Und auch die autobiografische Erzählung „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ von Friedrich Christian Delius sowie die Erzählung „1954“ von Günter Grass nehmen nicht so richtig Fahrt auf.

Dantes Tragödie im Jahr 2014

Aber das bleibt im Verlaufe der 272 Seiten zum Glück nicht so. Ein Höhepunkt: “Dantes Tragödie“. Das ist die Geschichte über den verheerenden Fußballabend, den der brasilianische Verteidiger Dante bei der Weltmeisterschaft 2014 im legendären Halbfinale gegen die DFB-Elf erlebte. Schlagfertig und wortgewandt erzählen Tim Jürgens und Philipp Köster, wie der Brasilianer zum Einsatz kommt, wie es nach 29 Minuten 5:0 für Deutschland steht und wie der schwärzeste Tag im Leben von Dante seinen weiteren Verlauf nimmt. „ Es war einer der Tage, an denen jeder noch in Jahrzehnten weiß, wo er sich aufhielt, als es passierte. Die Antwort des brasilianischen Verteidigers Dante lautet: “Ich war in der Hölle“.

Friedrich Torberg, Urs Widmer, Wiglaf Droste und Benedict Wells leisten ihren Beitrag dazu, dass die Begegnung, respektive das Buch, dann doch immer besser wird. Neben  Schriftstellern kommen auch Fußballer zu Wort – beispielsweise Sepp Maier, Günter Netzer, Uli Hoeneß, der sich an seinen verschossenen Elfer beim EM-Finale 1976 erinnert oder Paul Breitner, der von der Erfüllung eines Jugendtraums und von Real Madrid erzählt. Über das bemerkenswerteste Kunstereignis des Jahres 1929 – Schalke 04 gegen Arminia Hannover – hat Bertolt Brecht einen Text verfasst. Oder doch nicht? Die unglaubliche Geschichte die dahinter steht, ist reizvoll und interessant zugleich.

Eine dann doch ganz gelungene literarische Einstimmung auf das bevorstehende Fußball-Fest!


Informationen zum Buch:

Winfried Stephan (Hrsg.)
Nicht schon wieder keine Tore
Diogenes Verlag, 2016


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

www.flo-job.de