Arthur Koestler: Sonnenfinsternis

1940 entstand dieser Roman über Stalins “Säuberungen”. Nun liegt er erstmals nach dem 2018 wiederentdeckten Originaltyposkript vor.

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„Seine ganze Vergangenheit war wund, sie eiterte bei jeder Berührung. Die Vergangenheit, das war die Bewegung, die Partei; auch Gegenwart und Zukunft gehörten der Partei; waren untrennbar mit ihrem Schicksal verflochten; aber die Vergangenheit war mit der Partei identisch. Und diese Vergangenheit war plötzlich in Frage gestellt. Der heiße, atmende Leib der Partei erschien ihm von Geschwüren überzogen, eiternden Geschwüren, blutenden Stigmen, aus denen die rostigen Nägel hervorragten. Wann und wo in der Geschichte hatte es jemals so defekte Heilige gegeben? Wann war eine gute Sache schlechter vertreten worden? Wenn die Partei den Willen der Geschichte verkörperte, dann war die Geschichte selbst defekt.“

Arthur Koestler, „Sonnenfinsternis“

Wenn es ein belletristisches Werk gibt, von dem man zugleich sagen kann, dass es nicht nur eine Epoche des Zeitgeschehens frühzeitig und hellsichtig aufgriff, sondern selbst dieses Zeitgeschehen prägte, dass es Geschichte schrieb und allein schon seine Entstehung wieder eine ganz eigene Geschichte ist, ja dann ist dies wohl „Sonnenfinsternis“ von Arthur Koestler.

Koestler, 1905 in Budapest in eine deutschsprachige jüdische Industriellenfamilie hineingeboren, beginnt seine Berufslaufbahn als Journalist: 1926, vom Zionismus begeistert, wandert er nach Palästina aus und sendet von dort erste Reportagen an die Zeitungen des Ullstein Verlags. 1930 kehrt er nach Berlin zurück, arbeitet als Redakteur und tritt ein Jahr später in die Kommunistische Partei ein. 1954 schreibt er über diese Zeit:

„Ich war 26 Jahre alt, als ich in die Kommunistische Partei eintrat, und dreiunddreißig, als ich sie verließ. Die Jahre dazwischen waren meine besten Jahre, sowohl dem Alter nach, als wegen der bedingungslosen Hingabe, die sie ausfüllte. Nie zuvor oder nachher schien das Leben so übervoll an Sinn wie während dieser sieben Jahre. Sie hatten die Überlegenheit eines schönen Irrtums über die schäbige Wahrheit.“

Die schäbige Wahrheit, das war das Aufkommen des Faschismus. Für viele Schriftsteller jener Generation wurde das revolutionäre Russland zum utopischen Gegenbild. Der Kommunismus als Vision einer Gesellschaft der Gleichen – zum Zeitpunkt der Moskauer Schauprozesse von 1936 bis 1938 ist dieser Traum für Arthur Koestler bereits ausgeträumt.

Die Diktatur unter Stalin

Nicht von ungefähr lässt Koestler daher auch die Hauptfigur seines Romans, den langedienten Volkskommissar Rubaschow, unsanft aus einem Traum erwachen. Rubaschow, der immer wieder im Schlaf von seiner Verhaftung im Ausland (gemeint ist damit wohl das nationalsozialistische Deutsche Reich), den anschließenden Verhören und der Folter träumt, wird dieses Mal von seinen eigenen Landsleuten aus dem Schlaf gerissen, verhaftet und wochenlangen Verhören ausgesetzt. Er wird der oppositionellen Gesinnung, der Verschwörung und eines Mordkomplotts an „Nummer Eins“ (unschwer zu erkennen, dass damit Josef Stalin gemeint ist) beschuldigt.

Rubaschow weiß, was auf ihn zukommt. Er erinnert sich an eine Fotografie der Delegierten zum ersten Parteikongreß, alle an einem langen hölzernen Tisch, Nummer Eins noch abseits am unteren Ende sitzend. Von diesem Bild, nicht von ungefähr an das Abendmahl erinnernd, leben nur noch wenige:

„Ihre Gehirne hatten das Schicksal der Welt verändert; dann bekam jedes seine Ladung Blei.“

Schon 1935 sieht Koestler das kommen, was später als „Große Säuberung“ bezeichnet wird. 1940 veröffentlicht Koestler, der inzwischen in England arbeitete, seinen zweiten Roman, „Sonnenfinsternis“. Das Buch, das am Beispiel des altgedienten Volkskommissars Rubaschow zeigt, wie die Revolutionäre der ersten Stunde unter Stalin den Säuberungen zum Opfer fallen, erregt Aufsehen. Insbesondere im Frankreich der Nachkriegszeit, als dort die Kommunisten kurzzeitig dominieren, wird der Roman leidenschaftlich diskutiert und über 400.000 Mal verkauft. Eine führende Zeitung schreibt gar, es sei der wichtigste Einzelfaktor gewesen, der zur Niederlage der Kommunisten in der Abstimmung über die Verfassung führte, so Koestler in seiner Biographie „Die Geheimschrift“ (1954). In mehr als 30 Sprachen übersetzt, entfaltete der Roman eine ungeheure politische Wirkung. Koestler, der sich selbst zunächst noch im linken Flügel der Labour Party engagierte und zeitlebens antifaschistisch aktiv blieb, wurde von den staatstreuen Kommunisten heftigst angefeindet.

Eines der berühmtesten Werke über den Stalinismus

Im deutschsprachigen Raum spielte dieses „Enthüllungsbuch“ nicht ganz dieselbe Rolle, wurde aber in entsprechenden Enzyklopädien und Aufsätzen zur politischen Literatur als eines der berühmtesten Werke über den Stalinismus immer mit aufgeführt, gleichbedeutend neben den Romanen von Orwell und den Gulag-Erzählungen von Solschenizyn. Zugleich wurde Koestler auch hier für sein Werk angefeindet, beispielsweise von Ernst Bloch und Robert Havemann, der „Sonnenfinsternis“ als Propaganda des „Klassenfeindes“ abtat.

Erneut von hoher Aktualität

Dass der Roman jetzt, 2018, in den deutschen Medien wieder breit diskutiert und von vielen Menschen gelesen wird, hängt mit zwei Faktoren zusammen. Zum einen ist „Sonnenfinsternis“ heute, da in ganz Europa der Zulauf zu den politischen Extremen rechts und links zunimmt, wieder von hoher Aktualität. Zum anderen ist die Geschichte hinter dem Buch abenteuerlich genug. Während Koestler an dem Buch arbeitete, übersetzte seine Freundin Daphne den Text ins Englische. Im Chaos der Flucht ging jedoch das deutsche Originalmanuskript verloren, für den deutschen Buchmarkt musste Koestler „Sonnenfinsternis“ praktisch aus dem Englischen zurückübertragen.
Das Original galt als verschollen. Bis der Kasseler Germanistik-Doktorand Matthias Weßel durch eine Computerrecherche 2015 im Archiv der Universität Zürich auf einen Eintrag stieß: Tatsächlich war die erste Textfassung, mit handschriftlichen Anmerkungen Koestlers, vorhanden.

Die Originalfassung macht im Vergleich zur von Koestler später überarbeiteten Rückübersetzung an Stil und Sprache auch deutlich, unter welchen Umständen „Sonnenfinsternis“ entstand. Die Hetze, das Ungewisse, das ein Leben auf der Flucht prägt, wird bemerkbar, macht das Buch aber auch umso authentischer. Dieses wiederentdeckte Manuskript, das nun im 2006 gegründeten unabhängigen Elsinor Verlag erschien (der „Sonnenfinsternis“ in der „alten“ Fassung bereits im Programm gehabt hatte), bescherte dem Roman und dem Verlag nun große Aufmerksamkeit.

Schuld und Sühne von Dostojewski

Zu Recht: Denn „Sonnenfinsternis“ beschreibt nicht nur eine geschichtliche Epoche, die man überwunden glaubte – zumal man nicht wissen kann, wohin die neue Entwicklung unter Putin führen wird. Sondern der Roman wirft die großen Fragen nach Schuld und Sühne auf (im Verhör diskutieren der Gefangene Rubaschow und sein Gegenspieler eben diesen Roman von Dostojewski): Heiligt der Zweck alle Mittel? Dient eine Revolution den Menschen, die dem Individuum alle Rechte, selbst das wichtigste, das Recht auf Leben, abspricht? Sind politische Utopien angesichts der menschlichen Disposition nicht sowieso von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Rubaschow, dessen Schicksal angelegt ist an jene von Leo Trotzki, Karl Radek und Nikolai Bucharin, erkennt im Lauf der Verhöre, wie er sich selbst schuldig machte, weil er die Menschheit über den Menschen stellte. Und obwohl im Lauf seiner Inhaftierung seine Zweifel am System, seine Kritik an „Nummer Eins“ (Stalin wird namentlich nie genannt) wachsen, bekennt er sich am Ende der Vorwürfe, die haltlos sind, schuldig. Er stellt sich ein letztes Mal in den Dienst der Partei.

Als Koestler dieses fiktive Verhör schrieb, wusste die Außenwelt noch nicht sehr viel über die inneren Vorgänge in der Sowjetunion. Man staunte, warum sich langjährige Parteimitglieder einer demütigenden öffentlichen Gehirnwäsche unterwarfen. Erst später wurden Protokollauszüge solcher Verhöre bekannt. Umso hellsichtiger durchschaute damals schon der Autor die Mechanismen des Stalinismus.

Die Verhöre, die in geschichtsphilosophische Diskurse münden, bieten auch bei der heutigen Lektüre noch Denkanstöße, die über die beschriebene historische Epoche hinausgehen. Im Deutschlandfunk sagte Michael Opitz dazu:

„Wie weit Koestler seiner Zeit mit „Sonnenfinsternis“ voraus war, zeigte sich erst Jahre später. Dass das Buch nun in seiner ursprünglichen Fassung vorliegt, ist ein Glücksfall. Hinterfragt wird jene Selbstherrlichkeit der Mächtigen, die glauben, der Zweck heilige die Mittel. Solange dieser Grundsatz als politisch vertretbar gilt, bleibt der Roman aktuell.“

Weitere Informationen:

Arthur Koestler
Sonnenfinsternis
Elsinor Verlag, 2018, 256 Seiten
ISBN 978-3942788533

Besprechung im Deutschlandfunk von Michael Opitz

Zur weiteren Lektüre ein paar Vorschläge:

„Radek“ von Stefan Heym

„Der Lärm der Zeit“ von Julian Barnes

„Der Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn

„Die Revolution entlässt ihre Kinder“ von Wolfgang Leonhard

Sándor Márai: Ein Hund mit Charakter

Ein Jahr nur währte der Aufenthalt von „Tschutora“ im Haushalt von Sandor Márai. Doch es scheint unvergesslich gewesen zu sein und ging in die Literatur ein.

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Cave canem!

Achtung, werter Leser! Hier folgt eine Hundegeschichte. Eigentlich müßte man in Erfahrung bringen, welche Art von Schwäche es ist, die Schriftsteller, selbst die anspruchvollsten unter ihnen, im Laufe ihres Schaffens gelegentlich dazu verleitet, dem Menschen, ihrem ewigen und erhabenen Modell, den Rücken zu kehren und die Aufmerksamkeit den weiter unten angesiedelten Statisten der Schöpfung zuzuwenden. Solche Lektüre fällt im Ton immer ein klein wenig herablassend aus. Der Dichter schaut gnädig und mit Wohlwollen hinab in die niederen Sphären des Lebens, vielleicht auch betroffen oder ernüchtert vom tragischen Spiel, das ihm in Augenhöhe von den zweibeinigen Geschöpfen geboten wird – doch auf jeden Fall blickt er huldvoll und mit Nachsicht in die Niederungen, wo von einer der unteren Rangstufen der kreatürlichen Welt dieser harmlose, primitive und ferne Verwandte, das Tier, mit wachen Augen zu ihm aufschaut.

Sándor Márai, Ein Hund mit Charakter


Zwar blickt die Katzenfraktion derzeit nicht ganz so huldvoll auf unser #lithund-Vorhaben, maunzt auf und unterminiert mit Gegenbeiträgen subversiv unser Hundeprojekt, bringt sogar Ringelnatz in Position – doch was ein wahrer Hund mit Charakter ist, den ficht das nicht an. Schließlich hat sich sogar der große ungarische Romancier Sándor Márai – trotz seiner skeptischen Vorrede, aus der hier eingangs zitiert wurde – durchgerungen und über ihn, den Hund, geschrieben, ihn sogar zum Gegenstand eines ganzen Buches gemacht. Weil:

„Aber wenn er sein Augenmerk ganz besonders auf den Hund richtet, erfährt er vielleicht auch etwas über den Menschen. Und die Propheten werden dann schon erklären, was das Kleinbürgerliche daran ist, daß in einem historischen Augenblick, in dem der Mensch ein Hundeschicksal hat, jemand hoffen kann, über den Hund etwas von der augenblicklichen Lage der Menschen in der Welt zu erfahren.“

„Ein Hund mit Charakter“ – der lässt sich also weder von der ein wenig steifen Intellektualität seines Hausherrn, von den leiblichen Bestechungsversuchen des Hausmädchens noch von dem Geschwätz einiger Tiertherapeutinnen verbiegen. Der behält seinen Eigensinn, seinen Zorn, auch seine Wildheit. Und was ihn innerlich wohl wirklich aufbringt, ist die Tatsache, dass er über ein ganzes Jahr hinweg von seinem „Herrchen“ zwar präzise beobachtet, aber eigentlich nicht zärtlich geliebt wird.

Ein tragisches Ende

Was zunächst ein wenig amüsant-unterhaltsam klingen mag, das nimmt ein tragisches Ende, führt zum finalen Desaster: Der Hund mit Charakter lehnt sich gegen sämtliche Domestizierungsversuche auf und beginnt zu beißen. Nachdem er in einer Art Amoklauf alle seine drei Menschen – den Schriftsteller, dessen Gattin und das Hausmädchen – zähnefletschend traktiert, ist klar: Der Hund muss weg.

So endet dieses 1931 erschienene Buch des ungarischen Schriftstellers Sándor Márai so melancholisch wie es beginnt. Ein Jahr nur währte der Aufenthalt von „Tschutora” im Haushalt der kinderlosen Márais, Doch es scheint ein unvergessliches, eindrückliches Zusammenleben gewesen zu sein – er war ein besonderer Hund, dieser Hund mit Charakter. Obwohl auch später wieder ein Vierbeiner ins Haus kam, der durchaus in den Tagebüchern des Autoren erwähnt wird – nur Tschutora erringt literarischen Ewigkeitsstatus. Denn nicht dem „sanften“, schneeweißen Spitz namens Jimmy widmete Márai ein Memoirenbuch, sondern dem wilden, ungebärdigen teufelsschwarzen Pseuod-Puli.

Ein Geschenk mit “weiblicher Note”

Es ist ein Weihnachten in der Zwischenkriegszeit und das Paar hat sich erneut versprochen, sich gegenseitig nicht zu beschenken. Ein Schwur, der von beiden Seiten natürlich ebenso selbstverständlich gebrochen wird. Ziellos schlendert Márai durch die Stadt: Für die Luxuswaren in den Schaufenstern der Innenstadt fehlt das Geld, für ein Geschenk mit „weiblicher Note“ die Idee – bis er kurzentschlossen zum Zoo fährt und dort aus dem Hundezwinger einen Welpen kauft. Dass der angeblich waschechte Puli sich später als irgendeine wilde Mischung entpuppt: Geschenkt.

Viel interessanter als Fragen nach den äußerlichen Rassemerkmalen ist für den Hundebesitzer (und natürlich dessen Gattin, die sich in das kleine Bündel ohne Wenn und Aber verliebt) die charakterliche Ausprägung des neuen Hausbewohners. Intensiv widmet sich Sandor Márai vor allem den Beobachtungen von Vorlieben und Abneigung des Vierbeiners in Bezug auf das ganze menschliche Umfeld, das zum Leben der Márais gehört: Die Personnage im Mietshaus, im Viertel sowie die unüberschaubare Verwandtschaft und der weite Bekanntenkreis des Paares.

Hund mit Charakter

Dabei zeigt er Hund einen ganz eigenwilligen Charakter: Er sieht sich zu den Außenseitern hingezogen, solidarisiert sich mit den Armen, verachtet jegliche Besucher im Schriftstellerhaushalt, die ihm zu elitär, zu klug entgegentreten. So erfährt der Leser zwar einiges über diesen ganz individuellen Welpen, zugleich aber entfaltet Márai auch ein Sittenbild seiner Zeit, gibt den Blick frei auf die ungarischen Verhältnisse dieser schwierigen Jahre und öffnet vor allem einen Blick in sein eigenes Schreibzimmer und in seinen Kopf.

Wir gehen quasi mit Tschutora an der Leine (die dieser widerständig immer wieder verweigert) durch den Márai`schen Haushalt spazieren und lernen sowohl Hund UND Herrn dabei ein wenig kennen. Der Übersetzer Ernö Zeltner schreibt dazu:

„Es fällt nicht schwer, hinter Tschutora, der mit Zähnen und Klauen seine Freiheit verteidigt, gelegentlich Allüren hat und allmählich sogar ein Standesbewußtsein entwickelt, den Autor selbst zu vermuten. Doch hieße es, Márai gründlich mißzuverstehen, wenn wir in Tschutora ein Alibiwesen sehen würden, das der Autor an seiner Statt unter dem Deckmantel des Vierbeiners auf die Welt reagieren läßt. Nein, sie sinnen und grübeln gemeinsam über die Menschen, über Gott und die Welt – der „Herr“ indem er sich gewissermaßen hinunterneigt zum instinktiveren Wesen des Hundes, und Tschutora, der sich auf die Hinterbeine stellt und bestrebt ist, dem intellektuellen Niveau des Herrn nahezukommen.“

So ist „Ein Hund mit Charakter“ kein typisches Hundebuch, zumindest keines, das zur Herzerwärmung von Hundebesitzern beiträgt – allein schon deswegen, weil der Hund hier eben nicht frenetisch gefeiert, sondern eher kühl analysiert wird. Aber vielleicht auch gerade deswegen ist es für Menschen mit und ohne Vierbeiner so empfehlenswert: So präzise, so klar, auch so nüchtern bis hin zum traurigen Ende schrieb selten einer über das faszinierende Verhältnis von Mensch und Hund.

Die Individualität seines Vierbeiners

Márai ist davon überzeugt, dass jeder Hund seinen individuellen Charakter mitbringt, dass auch diese Lebewesen mit einem Seelenleben ausgestattet sind. Und wo Herr und Hund zusammenkommen, beginnt der Prozess des Aneinandergewöhnens, der Kompromisse, des Zusammenlebens. Manchmal sind jedoch, auch bei bestem Willen, die Charaktere nicht kompatibel – Tschutora wird am Ende außer Haus gegeben, aufs Land. Und doch bleibt in der Erinnerung an ihn viel Wehmut zurück:

„Er hegt den leisen Verdacht, daß ihm die trübe Erinnerung an Tschutora trotz der Bisse teurer ist als alle Tugenden des sanftmütigen, reizenden King Jimmy. Denn so wie er im Laufe des Lebens nach und nach seine Erfahrungen macht, stolpert, strauchelt und um den Preis von Enttäuschungen lernt, beginnt er zu verstehen, daß wir im allgemeinen nicht das Schöne, das Gute und die Tugendhaftigkeit lieben, sondern all das, was unterdrückt, nicht vollkommen, was gereizt ist und zähnefletschend streitet, alles, was nicht Sitte und Einverständnis bedeutet, sondern Makel und Protest.“

„Ein Hund mit Charakter“ ist der erste von den stark autobiographisch geprägten Romanen des Ungarn Sándor Márai, der erst spät im deutschsprachigen Raum (wieder-)entdeckt wurde. Längst nicht von der „Glut“ seines berühmten Liebesroman durchdrungen, dafür aber durchaus  von dieser für Márai charakteristischen Mischung aus Intelligenz und Melancholie, ist der Hund mit Charakter allein aus literarischen Gründen auch ein Lesetipp für die Katzenfraktion.

Die “Zeit” meint – diese Bücher überdauern die Zeit

Die Redaktion der ZEIT stellte einen “Kanon des jungen Jahrhunderts” zusammen. 15 lesenswerte und wichtige Romane.

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Die Zeit stellte 2015 die wichtigsten Romane der aktuellen Literatur zusammen. Man habe die Weltliteratur durchforstet, leidenschaftlich diskutiert und sich für 15 Romane dieses Jahrhunderts entschieden, die die Redaktion für die besten hält, “für Meisterwerke, die bleiben werden und nicht mit dem Tag vergehen.” Die Redaktion ruft ausdrücklich zu Widerspruch und Diskussion auf – und weist fürsorglich darauf hin, dass “Unendlicher Spaß” bereits 1996 erschien.

Und das sind die Titel der Liste:

  1. Jonathan Franzen – Die Korrekturen. Jan Brandt schreibt: “Wenn es einen Einwand gegen Franzen gibt, dann ist es diese ästhetische Rückwärtsgewandtheit: Er ist ein reaktionärer Idealist, der einen Feldzug gegen die Verlockungen des Informationszeitalters führt.”
    Beitrag: “Der analoge Triumph”
  2. Jennifer Egan – Look at me. Der Roman erschien kurz vor 9/11 und handelt von einem geplanten Terrorakt in New York. “Mir kam der furchtbare Gedanke, dass ich eine Komplizin war”, äußert Jennifer Egan im Interview mit Susanne Mayer.
    Beitrag: “Ahnen, was passieren wird”
  3. Orhan Pamuk – Schnee. “Orhan Pamuk hat sein Meisterwerk Schnee vor den Attentaten von 9/11 geschrieben, der Roman spielt in den 1990er Jahren, erschienen ist er 2002, und er nimmt vorweg, was seit dem Einsturz des World Trade Center die globalisierte Welt aus den Fugen hebt: dass der Fundamentalismus im Namen des Islams in die westliche Modernisierung eingewoben ist, noch im abgelegensten Nest der Provinz und dass der Staat kaum Antworten auf die Gewalt kennt, außer seinerseits durch Gewalt, Militär, Überwachung zu reagieren”, schreibt Elisabeth von Tadden.
    Beitrag: “K wie Kristall”
  4. Daniel Kehlmann – Die Vermessung der Welt. Ulrich Greiner nimmt Stellung für das Buch: “Nein, Kehlmann war nicht dabei, und dies ist kein historischer Roman, sondern ein virtuoses Spiel mit Dichtung und Wahrheit. Die historischen Fehler, die dem Buch vorgeworfen werden, hat Kehlmann in poetischer Freiheit absichtsvoll eingebaut.”
    Beitrag: “Ein virtuoses ironisches Spiel”
  5. Marie NDiaye – Drei starke Frauen. “Als ich das Buch vor acht Jahren schrieb, sprach noch niemand von den Flüchtlingen. Für mich waren sie Helden”, äußert die Schriftstellerin im Gespräch mit Iris Radisch. Heute würde sie dieses Buch nicht mehr so schreiben – auch wenn sie hofft, “dass seine Geschichten wahr bleiben.”
    Beitrag: “Eine Chiffre für das Fremdsein”
  6. Péter Nádas – Parallelgeschichten. “Es gibt keinen anderen Autor, der mit dieser obsessiven Insistenz jede Pore der Epidermis untersucht hat, die dünne Membran zwischen innen und außen”, meint Michael Krüger. Und sagt: “Vielleicht lesen künftige Generationen dieses Buch als düstere Prophetie dessen, womit sie sich herumzuschlagen haben. Sie werden es nicht bereuen.”
    Beitrag: “Die Haut und das Ich”
  7. Haruki Murakami – 1Q84. “Japanische Literatur wirkt auf den Außenseiter so klar und so verschlossen wie ein Zengarten, der bei aller Übersichtlichkeit doch einen Sinn hat, der sich ihm nicht erschließt”: Burkhard Müller versucht dem Sinn, im “Opus Magnum” des japanischen Starautors nachzuspüren.
    Beitrag: “Waisenkinder dieser Zeit”
  8. Herta Müller – Atemschaukel. “Das Besondere an diesem Buch ist die Sprache, in der das Schicksal von Leopold Auberg, dem Alter Ego Pastiors, in 64 kurzen Kapiteln erzählt wird”, meint Alexander Cammann. “Denn Müller poetisiert das Grauen.”
    Beitrag: “Die Schönheit der Wörter, das Grauen der Lager”
  9. Vladimir Sorokin – Der Schneesturm. Stefanie Schlamm sprach mit Sorokin über dieses Werk. Auf ihre Frage “Sie selbst werden gerne als moderner Klassiker bezeichnet. Doch sind Sie nicht eher ein düsterer Romantiker?” antwortet Sorokin ganz lapidar: “Dazu möchte ich nichts sagen.”
    Beitrag: “Das eisige Drama der Provinz”
  10. Michel Houellebecq – Karte und Gebiet. Für den Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich ist der im Roman portraitierte Künstler, “der, gerade weil er als solcher unfasslich bleibt, viel provokanter als die Künstlerfiguren anderer Romane der letzten Jahre.”
    Beitrag: “Der Wahnwitz des Betriebs”
  11. John M. Coetzee – Tagebuch eines schlimmen Jahres. “In Coetzees Tagebuch eines schlimmen Jahres kehren die früheren Möglichkeiten des Romans zurück. Der Ruhm des Nobelpreisträgers macht sie auf der großen literarischen Bühne salonfähig”, urteilt Stephan Wackwitz.
    Beitrag: “Die erneuerte Tradition”
  12. Chimamanda Ngozi Adichie – Americanah. “Es passiert viel in diesem Roman, der auf drei Kontinenten spielt, doch es werden diese Blogeinträge sein, die Americanah seinen Nachhall bescheren. Sie sind ein Zeitdokument der Ära Obama, sie sind erhellend und unterhaltsam, ernüchternd und brutal”, urteilt Jackie Thomae.
    Beitrag: “Was Sie schon immer über Farben wissen wollten”
  13. Karl Ove Knausgård – Sterben/Lieben/Spielen/Leben/Träumen. “Aber ich wollte mich mit Min Kamp auch befreien von diesen stilistischen Erwartungen. Ob es gut oder schlecht geschrieben ist, finde ich uninteressant. Interessant ist, was darin zum Ausdruck kommt. Also versuchte ich, schnell zu schreiben und unterhalb meiner eigenen Standards, dafür näher am Leben.” Der Norweger im Interview zu seinem Mammut-Schreib-Projekt.
    Beitrag: “Ein Bedürfnis nach Revanche”
  14. Rainald Goetz – Klage. In diesem Buch, meint David Hugendick, lärmt die Gegenwart so oft, “dass es bisweilen kaum auszuhalten ist.” Aber der aktuelle Büchner-Preisträger lärmt halt besonders gut. AMORE!
    Beitrag: “Tiefenamputiertheit”
  15. Roberto Bolaño – 2666. “Aber oh Wunder: Bolaño lesen, das gilt auch für das von Christian Hansen bewunderungswürdig übersetzte 2666, ist ganz leicht. Er verzichtet auf hochtrabende Stilistik und geht seinen Lesern nie mit überlegener Besserwisserei auf die Nerven”, meint Heinrich von Berenberg. D`accord!
    Beitrag: “Ästhet und Folterknecht”

Magda Szabó: Hinter der Tür

Gesten der Freundschaft, die übersehen werden, Zuneigung, die misslingt: Ein bewegender Roman über das menschliche Scheitern.

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“Unsere wechselseitige Zuneigung war fast so etwas wie Liebe, obwohl wir enorm viele Zugeständnisse machen mußten, um uns gegenseitig zu akzeptieren. Jede Arbeit, die nicht mit den Händen und dem Einsatz körperlicher Kraft verbunden war, kam Emerenc wie Nichtstun vor, ja sogar wie ein Schwindel. Ich meinerseits habe die Leistung körperlicher Arbeit immer anerkannt, konnte sie aber gegenüber geistiger Tätigkeit nie als höherwertig begreifen (…).
Bücher waren das Fundament meiner Welt, Buchstaben waren meine Maßeinheit, doch empfand ich sie keineswegs als alleinseligmachend, wie für die alte Frau die eigene Vorstellung vom Leben das Maß aller Dinge war.”

Magda Szabó, „Hinter der Tür“


Zwei Frauen, zwei Leben, zwei Welten. Die Schriftstellerin trifft auf die alte Hausmeisterin, man nähert sich zögernd an, gelangt mühsam zu einer Vertrautheit, eine Zuneigung zwischen der Weichen und der Harten entsteht. Beinahe ein Kammerspiel, ein Herz-Kammerspiel. Denn der wesentliche Raum des Romans liegt hinter einer Tür. Dort hält Emerenc, die Hausmeisterin, Zeugnisse einer traumatischen Vergangenheit verschlossen. Ein Zimmer, das von Flucht, Vertreibung, Verfolgung, Verlusten erzählt. Zu viele Verluste, ein verstummtes Herz, das sich der jüngeren Frau nur zögerlich öffnet. Bis der Bruch kommt: Emerenc liegt, vom Schlaganfall gefällt, hilflos in der Wohnung. Will nichts anderes, als alleine und in ihrem Begriff von Würde sterben. Der Einbruch in die Wohnung ein Vertrauensbruch, eine falsch ausgeführte Geste des Helfens. Das Innerste wird entblößt, das Zimmer den Voyeuren geöffnet, ein Herz, das – zur Schau gestellt – mit einem Schlag zerbricht.

„Ich bin schuld an Emerencens Tod. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß ich sie nicht umbringen, sondern retten wollte.“

Eva Haldimann schreibt im Nachwort der Suhrkamp-Ausgabe, die Romane von Magda Szabó seien Trauerarbeiten. (Nicht zu vergessen die politische Dimension dieses Buches: Wie sehr prägt die Geschichte das Leben eines Menschen?). „Hinter der Tür“ liegt die Trauer über die missverständlichen Gesten der Liebe. Die größte Traurigkeit von allen: Wenn Zuneigung misslingt.

Eine Leseempfehlung für diesen Roman der ungarischen Autorin (1917-2007), der 2011 von István Szabó mit Helen Mirren als Hausmeisterin Emerenc und Martina Gedeck in der Rolle der Schriftstellerin verfilmt wurde.

Zum vertieften Einlesen: Bei „Zeilenkino“ werden in einer fundierten Rezension Buch und Verfilmung verglichen und besprochen.


Bibliographische Angaben:

Magda Szabó
Hinter der Tür
Übersetzt von Hans-Henning Paetzke
Suhrkamp Verlag, 2012
ISBN: 978-3-518-46289-8

Ágota Kristóf: Das große Heft

So schmal das Werk, so enorm die Wirkung. Die Sprache ist von einer glasklaren, präzisen Nüchternheit. Kein Wort zu viel in diesem düsteren Werk.

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„Das große Heft“ ist zunächst einmal ein schmales Heft. Knappe 170 Seiten zählt der Roman, der zwar aus einer chronologisch erzählten Geschichte besteht, aber auch stückweise gelesen werden kann – die Kapitel sind wie kleine in sich abgeschlossene Kurzerzählungen, Miniaturen mit maximaler Nachwirkung. Von manchen kann der Roman der gebürtigen Ungarin Ágota Kristóf (1935 – 2011) vielleicht sogar nur stückweise gelesen werden: Denn so schmal das Werk, so groß der Nachhall. Die Sprache ist von einer glasklaren, präzisen Nüchternheit. Kein Wort zu viel in diesem düsteren Werk. So klar und hart, dass damit die seelische Schutzschicht auch geübter Leser geschnitten werden kann.

Geschildert wird die „Entwicklung“ eines Zwillingspaares, das in Kriegszeiten von der Mutter aus der belagerten Stadt auf das scheinbar sicherere Land zur Großmutter gebracht wird. Entwicklung deshalb in Anführungszeichen, weil uns – den sicher in sein zivilisiertes Leben eingehüllten Leser – der Werdegang der Brüder zunächst wie eine Retardierung anmuten muss. Ein Rückfall in barbarische Grausamkeit. Die beiden Kinder gelangen in eine archaisch anmutende Welt. Bei der Großmutter, die sie als „Hundesöhne“ betitelt, heißt es, zunächst auch ohne Krieg vor Ort um das nackte Leben kämpfen zu müssen – um das tägliche Brot, den Schlafplatz, wärmende Kleidung im Winter.

Das Leben reduziert auf das Notwendigste – dies auch verdeutlicht in den meist kargen Kapitelüberschriften:

„Großmutter“

Großmutter wäscht sich nie. Sie wischt sich den Mund mit dem Zipfel ihres Kopftuchs ab, wenn sie gegessen oder wenn sie getrunken hat. Sie trägt keine Unterhose. Wenn sie urinieren muß, bleibt sie stehen, wo sie sich gerade befindet, macht die Beine breit und pißt auf die Erde unter ihren Röcken.

„Der Schmutz“

Bei uns zu Hause, in der Großen Stadt, wusch unsere Mutter uns oft. Unter der Dusche oder in der Badewanne. (…) Bei Großmutter ist es unmöglich, sich zu waschen. Es gibt kein Badezimmer, es gibt nicht einmal fließendes Wasser. Man muß das Wasser aus dem Brunnen im Hof pumpen und es in einem Eimer tragen. Es gibt keine Seife im Haus, auch keine Zahnpasta oder Waschpulver für die Wäsche.

Die Zwillinge sind klug genug zu wissen, dass sie sich behaupten müssen, wollen sie nicht untergehen: Gegen die Großmutter, den Briefträger, den Pfarrer, die Magd des Pfarrers.

Übungen in Grausamkeit

Anfangs hängen sie an den Resten ihres alten Lebens, erstreiten sich Papier und Stifte, später geht es dagegen um Schuhe für den Winter, Essen für den Tag, Munition für den Kampf. Sie trainieren und bilden sich praktisch selbst, werden Überlebenskämpfer. Ihr Training spiegelt sich ebenfalls in den Kapitelüberschriften wieder: „Übungen zur Abhärtung des Körpers“, „Übung in Blindheit und Taubheit“, „Übung in Fasten“, „Übung in Grausamkeit“. Mehr und mehr fällt die dünne zivilisatorische Schicht ab in dieser grausamen Schule des Lebens: Selber Objekt und Opfer des Missbrauchs, unter anderem durch einen Besatzungsoffizier und die Pfarrhaushälterin, wenden die Zwillinge ihr Schicksal, drehen den Spieß um. Dass man sich als Leser wiederum nicht in Abscheu von ihnen wendet, hat zweierlei Ursachen – zum einem ihre Unzertrennlichkeit, die menschliche Bindung zwischen ihnen, zum anderen ihr gelegentliches Eintreten für andere Geschlagene und Geprügelte.

Die Zwillinge sind das Paar aus Gut und Böse

Dennoch müssen sie bis zum bitteren Schluss sprichwörtlich über Leichen gehen: Der Krieg zieht auch in das Dorf ein, die Mutter wird im Vorgarten von einer Granate zerfetzt, die Nachbarstochter zu Tode vergewaltigt, der Vater stirbt im Grenzstreifen, die Großmutter an ihrer eigenen Verbitterung. Auch wenn die Zwillinge sich letzten Endes trennen müssen, damit einer über die Grenze, in die Freiheit gelangt – sie sind die Überlebenden. Als Zwillingspaar verkörpern sie Gut und Böse, die Frage, die sich am Ende stellt, ist: Kann man in Zeiten der Finsternis Gut und Böse trennen? Vielleicht wollte uns die Autorin mit diesem eigenartigen, grausamen Buch zeigen: Auch in jedem Leser steckt dieser Zwilling. Welcher zum Vorschein kommt, hängt von den Verhältnissen ab. Die Zwillinge sind Opfer und Überlebende des Krieges – ihm mussten sie Kindheit, Mutterliebe, Wärme, gesicherte Umstände opfern. Sie werden in einen archaischen Zustand zurückgeworfen.

Man liest im großen Heft von schrecklichen Gewalttaten und Zuständen – durch die nüchterne Sprache noch potenziert. Doch mit ihrer klaren Erzählweise erschüttert Ágota Kristóf den insgeheimen Glauben, dies sei „nur“ Literatur. Denn solche Grausamkeiten fanden statt – und finden irgendwo auf dieser Welt auch in diesem Moment statt. Und wir „Zwillingsleser“ sind nur geschützt durch einen dünnen Firn.

Ágota Kristóf erfuhr dies an eigener Person: 1935 geboren, erlebte die Ungarin die Auswirkungen des Weltkrieges und des Nationalsozialismus als Kind. 1956 die Flucht vor einem anderen totalitären Regime in die Schweiz. Fortan begann die Schriftstellerin auf Französisch zu schreiben. So entstand auch „Das große Heft“ in dieser später erworbenen Schreibsprache – und dennoch ein brillantes Buch. Um welchen Krieg es sich handelt, um welche Armee, die das Dorf überrennt und befreit, bleibt ungenannt. Auch das Verschwinden und der Abtransport ganzer Familien und Bevölkerungsgruppen wird nicht mit dem Holocaust benannt. Diese Verortung des Romans in das Wüten während der Nazi-Jahre läge nahe. Aber die Namens- und Schmucklosigkeit macht deutlich: Dieses Buch ist zugleich eine Parabel für jeden Krieg und jede Grausamkeit, die zu jeder Zeit irgendwo auf der Welt geschehen kann.


Die Werke von Ágota Kristóf erscheinen in deutscher Übersetzung beim Piper Verlag – hier gibt es auch Leseproben und einen Trailer zur Verfilmung aus dem Jahr 2013: http://www.piper.de/buecher/das-grosse-heft-isbn-978-3-492-30433-7