Ein Wolkenbruch von einem Buch, ein Jahrhundertwerk: Die Insel des zweiten Gesichts von Albert Vigoleis Thelen

„Wenn ein Deutscher sich an einer historischen Stätte niederläßt, schöpft er tief Atem, krempelt die Hemdärmel hoch, falls er nicht schon hemdärmelig die Stätte betreten hat, zückt seine Bleifeder und schreibt eine Ansichtskarte. Das ist schon so, seit es auf der Welt Deutsche und Ansichtskarten gibt, zwei Schöpfungen, die sich ergänzen.“

Albert Vigoleis Thelen, „Die Insel des zweiten Gesichts“.

Mal abgesehen davon, dass es heute eher Selfies und Whatsapp-Fotos sind, die verschickt werden: Manche Dinge ändern sich nie. Und so pilgern wie in den 1930er-Jahren, als sich der in Süchteln am Niederrhein geborene Schriftsteller Albert Thelen (den Vigoleis eignet er sich als Pseudonym und Alter Ego im Laufe seines abenteuerlichen Lebens später an, in Anlehnung an das mittelalterliche Versepos Wigalois des Wirnt von Grafenberg) auf Mallorca zeitweise auch als Reiseführer durchschlug, auch heute noch Scharen von Touristen nach Valldemossa, um dort ihr Mallorca-Bildungsprogramm zu absolvieren. Die Besichtigung der Klause, wo George Sand mit Frédéric Chopin einen Winter lang fröstelte und das unverheiratete Paar unter der Ablehnung der erzkatholischen Mallorquiner litt, gehört zum literarischen Bildungsprogramm eines Aufenthalts auf der Balearen-Insel. Wenn auch die wenigsten von ihnen „Un Hiver à Majorque“ gelesen haben dürften. Und unter uns: Es lohnt das Lesen nicht. Sowieso nicht im Vergleich zur Insel des zweiten Gesichts, dem eigentlichen Mallorca-Buch, „das größte Buch dieses Jahrhunderts“, wie Maarten ‘t Hart, ein Thelen-Aficionado, bekannte. Wer des Holländischen mächtig ist, lausche und schaue hier.

In Gefahr, ob der Begeisterung über diesen barocken Brocken von Buch in den „Kaktusstil“ seines Verfassers zu verfallen (dazu später noch eine Anmerkung), zurück zum Vergleich George Sand und Albert „Don Vigo“ Thelen: Es ist jedenfalls eine schreiende Ungerechtigkeit der Literatur, dass die kalte Kartause in jedem Reiseführer zu finden ist, aber kaum einer an die Calle del General Barceló No. 23 erinnert. Oder gar an den „Turm der Uhr“, ein Horst für eine kriminelle Schmugglerbande und Bordell zugleich – gut, diesen zu verorten, dürfte auch schwierig sein, schrieb Thelen doch später selbst darüber: „der Witz ist nur der, daß ich selbst tarnend hatte schreiben müssen, und ich verschleierte die katasteramtliche Örtlichkeit, denn schließlich deckte ich Dinge auf, mit denen sich Behörden auch nach Jahren noch beschäftigen können…. So griff ich zum Schleier der Maja in einem Buch, das von der Wahrheit lebt und worin alles der Wirklichkeit nachgebildet ist…” (AV Thelen: Brief an die Redaktion, MERIAN Mallorca, Heft 3 März 1960).
Quelle: http://www.vigoleis.de/content/insel/0/67.htm

Doch hier kommen Don Vigo und seine Herzensdame Beatrice zeitweilig unter, als sie völlig abgebrannt und ohne einen Peso sind, freilich ohne sich an den Machenschaften im Turm zu beteiligen. Als sie sich mit Gelegenheitsarbeiten – sie als Sprachlehrerin, er als Reiseführer und Sekretär für andere prominente Mallorca-Exilanten, darunter Harry Graf Kessler und Hermann Graf Keyserling – etwas besser durchschlagen, wenn auch nach wie vor kaum für täglich Brot, geschweige denn einen zweiten Tisch oder Stuhl sorgen können, folgt der Umzug in die Straße des Generals. Doch zurück zum Anfang: Wie gelangen Albert Vigoleis und Beatrice (die über dies ungleich länger als George und Frédéric miteinander verbunden blieben, nämlich bis zum Rest ihres langen Lebens) überhaupt auf diese Insel?

Das Buch in nüchternen Worten beschrieben: 1931 erreicht Beatrice, die ihren Albert Vigoleis in Köln kennengelernt hatte, ein Telegramm ihres Bruders. „Liege im Sterben, Zwingli“, schreibt der Luftikus, der als Hotelmanager auf Mallorca tätig ist. Das damals noch unverheiratete Paar eilt stante pede zur Hilfe – um den Bruder zwar etwas mitgenommen, aber durchaus leibhaftig anzutreffen. Seine lebensbedrohliche Erkrankung ist die Liebe zur Hure Pilar, die ihn nicht nur nach Strich und Faden ausnimmt, sondern regelmäßig auch mit fliegendem Geschirr, Mobiliar und einem Messer bedroht. Zwar gelingt es Beatrice, den Bruder aus den Klauen Pilars zu befreien und alle Schulden zu begleichen, aber der Preis ist heiß und hoch: Danach sitzen Beatrice und ihr Don Vigo auf dem Trockenen, nicht einmal mehr Geld zur Rückreise bleibt. Aus dem geplanten Besuch wird ein Daueraufenthalt, der bis 1936 währt. Auch deshalb, weil die Machtergreifung der Nationalsozialisten alles in der ehemaligen Heimat verändert: Albert Vigoleis Thelen macht aus seiner Abscheu keinen Hehl, bricht mit seiner katholischen Familie am Niederrhein, die sich bereitwillig anschließen lässt und mit seinen Wurzeln. Als der Spanische Bürgerkrieg beginnt, muss sich das Paar unter abenteuerlichen Umständen dem Zugriff der Faschisten entziehen, ihre Flucht führt sie durch halb Europa bis nach Portugal, wo Thelen als Gutsverwalter und Übersetzer des von ihm hoch geschätzten Mystikers und Dichters Texeira de Pascoaes überlebt.

„Die Insel des zweiten Gesichts“ umspannt diesen Mallorca-Aufenthalt, endet, finis operis, 1936:
„Die Natur sorgte für einen letzten Effekt, der bei allem Gleisen doch nicht zu theatralisch genommen sein will. Wieder heulten die Sirenen auf, und im selben Augenblick schloß sich die Wolke. Wer hatte sie fallen sehen? Ein weißlicher Schein umhüllte uns, starr war die Planke, lautlos die Welt. Unsichtbar über uns blaute der glühende Meertag, und unten wallte die Nacht, die das Ziel verhüllt.
Das Ziel hieß: Freiheit.“

Die Kurzzusammenfassung erfasst nicht einmal annähernd, was dieses fast 1000-seitige Werk an Leben und Literatur in sich birgt. „Thelen brennt ein Sprachfeuerwerk ab, das in der Literaturgeschichte seinesgleichen sucht. Mit Hilfe eines Wortschatzes, der der umfangreichste in der gesamten deutschen Literatur sein dürfte“, schreibt der Thelen-Kenner und Germanist Jürgen Pütz. Inzwischen dürfte es mehr literatur- und sprachwissenschaftliche Arbeiten über die Verwendung neuer Wortschöpfungen, Wiederbelebung altdeutscher Worte und dem artistischen Umgang damit bei Thelen geben, als aktive Leser seines Werks. Was jammerschade wäre. Jürgen Pütz nennt in seinem Nachwort zur Ausgabe im Claasen Verlag einige Beispiele:

„Alleine für Zwinglis Freundin Pilar hält Thelen zahlreiche Synonyme bereit: Schlunte, Zaupe, Zauche, Lunze, Schindkracke, Bettunzel, Schöke, Hehre, Strunze.“

Wer so mit Wörtern umzugehen vermag, der braucht Raum. Doch nicht nur dieses führt dazu, dass „Die Insel des zweiten Gesichts“ zum ausufernden Leseerlebnis wird, von dem man sich wünscht, es möge nicht so schnell enden (was es in der Tat auch nicht tut – es ist eines dieser Bücher, die man immer wieder lesen kann und dabei immer wieder Neues entdecken wird). Es ist auch dieser mäandernde, digressive Erzählstil, den Thelen pflegt, der zum Volumen beiträgt. Immer wieder schießt er bei seinen Anekdoten vom Inselleben vor und zurück, führt uns in die Welt seiner niederrheinischen Familie oder auf das portugiesische Gut, integriert kunstvoll Abschweifungen und Ablenkungen von der eigentlichen Inselerzählung. Thelen selbst nennt das „Kaktusstil“:

„(…) es bilden sich Ableger, ins Wilde hinein, wie beim Kaktus, der gerade da Augen setzt, wo man sie nicht erwartet.“

Es braucht fast zwanzig Jahre, bis Albert Vigoleis Thelen, der bis dahin nur einen Gedichtband veröffentlichen konnte, die Mallorquiner Ereignisse in diese Mischung aus Autobiographie und romanhafter Erzählung goss. Ein Beispiel autofiktionaler Literatur, die heute wieder so en vogue ist – doch an Thelen reicht keiner heran, so funkensprühend, lebensprall, ausufernd, exorbitant ist dieses Buch. Ein Solitär, aber leider auch ein „One-Hit-Wonder“: Wiewohl die 1953 zugleich in den Niederlanden und Deutschland erschienene „Insel“ ein Jahr später mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet wurde, obgleich Thomas Mann, Paul Celan und Siegfried Lenz das Buch über die Maßen lobten, der große Erfolg blieb Thelen versagt. Mit ausschlaggebend dafür war, dass das Buch nicht in den Zeitgeist der Nachkriegs-Autoren passte, wie auch Agnes Steinbauer in einem Beitrag für den Deutschlandfunk hervorhob:

„Sein ausladend-verästelter Erzählstil, den er selbstironisch Kaktusstil nannte, passte nicht ins literarische Profil der frühen Nachkriegsjahre. Bei einer Lesung 1954 in Bebenhausen kam es zu einem Eklat, den Thelen nie verwand. Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich: „Ich wurde von Hans Werner Richter sehr unfreundlich empfangen, ja ich darf es wohl sagen und ich muss es ja auch schließlich sagen, denn es entspricht der Tatsache und der Wahrheit: es war ungezogen.“ Richter – Vorsitzender der Gruppe 47 – hatte sich mit sarkastischen Bemerkungen über Thelens altertümelndes „Emigrantendeutsch“ mokiert.“

Oder, wie Jürgen Pütz es formuliert: „Regentropfen hätten sie toleriert, aber es kam ein Wolkenbruch.“

Diesem Wolkenbruch sind einige der schönsten, komischsten, tragischkomischen und gescheiterten Figuren zu verdanken, die man sich in der deutschsprachigen Literatur erlesen kann: Angefangen vom Autor selbst, der in mir das Bild eines melancholischen und zugleich witzigen Pierrots hervorruft, der vor Fantasie und Sehnsucht sprüht. Saludos a Don Vigo! Aber daneben auch die Beatrice mit ihren Inka-Wurzeln, der frustrierte ehemalige Kampfflieger Martenstein, der an einem Roman schreibt, in dem er eine Affenarmee aufmarschieren lässt, die anarchistischen Uruguayer, die regelmäßig mit ihren selbstgebastelten Bomben scheitern, die angebliche amerikanische Backpulver-Millionärin, von der sich Don Vigo adoptieren lassen will und der pornosüchtige jüdische Exilant Silberstein, um nur einige zu nennen: Was für ein köstliches Welttheater sich da entfaltet!

„Die Insel des zweiten Gesichts“: Wenn ich vor die Wahl gestellt würde, welches Buch ich auf einen Inselaufenthalt mitnehmen dürfte, dann wäre es ohne Zweifel dieses.

Literarische Orte: Mann in Marzipan

Mann_Marzipan2Zugegeben: Es gibt in Lübeck bedeutsamere Orte für Literaturliebhaber als das Obergeschoss des Cafés Niederegger. Das Buddenbrookhaus natürlich. Das Günter Grass-Haus beispielsweise. Oder man spaziert mit der entsprechenden App gemeinsam mit Thomas, Christian und Tony an alle jene Orte in der Hansestadt, die im ersten Roman von Thomas Mann eine bedeutende Rolle spielen.

Aber auch bei diesem Gang durch die Altstadt kommt man an dem Café, dessen Name durch eine Lübecker Spezialität weltberühmt wurde, kaum vorbei. Im 2. Stock wartet das Haus in seinem Marzipan-Museum mit einer besonderen Überraschung auf: Mann in Marzipan. Kaum zu glauben: Der strenge Thomas zuckersüß (aber beileibe nicht zum Anbeißen).

Mann_Marzipan3Er befindet sich dort als lebensgroße Marzipanfigur in ungewöhnlicher Gesellschaft, als Marzipan-Liebhaber residierend zwischen Wolfgang Joop und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Freilich, über die künstlerische Ausgestaltung lässt sich streiten. Und auch darüber, ob Thomans Mann tatsächlich ein so großer Liebhaber dieser (und anderer) Süßigkeiten war, wie es der Museumstext suggeriert. Denn Mann beschrieb beispielsweise die weihnachtliche Mandel-Crème der Buddenbrooks als “üppige Magenbelastung aus Mandeln, Zucker und Rosenwasser” und vermutete bei Marzipan, dass das Rezept “zu diesem Haremskonfekt über Venedig an irgendeinen alten Herrn Niederegger nach Lübeck gekommen ist”.

Für was das “Haremskonfekt” nicht alles herhalten musste unter Literaten! 1910 beschimpfte Theodor Lessing seinen Kollegen aus der Hansestadt als “hochgezüchteten Marzipan-Mann”. Thomas Mann soll gelassen reagiert haben.

Wer Lust hat, sich selbst an der Mandel-Crème zu versuchen: Marion von den Blogs “Schiefgelesen” und “Schiefgegessen” hat sich an dem Rezept versucht: Mandel-Crème aus Thomas Mann “Buddenbrooks”.


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Erich Mühsam: Sich fügen heißt lügen

Der Gefangene

Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen:
Sich fügen heißt lügen!

Ich soll? Ich muß? – Doch will ich nicht
nach jener Herrn Vergnügen.
Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht.
Rebellen kennen bessre Pflicht,
als sich ins Joch zu fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Der Staat, der mir die Freiheit nahm,
der folgt, mich zu betrügen,
mir in den Kerker ohne Scham.
Ich soll dem Paragraphenkram
mich noch in Fesseln fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Stellt doch den Frevler an die Wand!
So kann’s euch wohl genügen.
Denn eher dorre meine Hand,
eh ich in Sklavenunverstand
der Geißel mich sollt fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Doch bricht die Kette einst entzwei,
darf ich in vollen Zügen
die Sonne atmen – Tyrannei!
dann ruf ich’s in das Volk: Sei frei!
Verlern es, dich zu fügen!
Sich fügen heißt lügen!

Erich Mühsam, August 1919.

„Erich wie? Mühsam. Erich Mühsam. Tatsächlich wissen heute Viele mit dem Namen nichts mehr anzufangen. Auch in den Reihen der Buchhandlungen sucht man meist vergeblich nach ihm. Ein Symptom dafür, dass die kulturelle Erinnerungsarbeit außerhalb einiger kleiner linksintellektueller Kreise hier jahrzehntelang geschlafen hat. Oder – schlimmer Verdacht – gar schlafen wollte?“

So stand es 2003 in der „Zeit“ zu lesen, als zum 125. Geburtstag des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam ihm die Stadt München eine Ausstellung widmete. 2018 lenkt zumindest das Gedenkjahr an die 100 Jahre zurückliegende Revolution in Bayern und das kurze Experiment der Räterepublik wieder das Augenmerk auf diese Namen: Erich Mühsam, Gustav Landauer, Kurt Eisner. Eine Regentschaft der Poesie, schnell niedergeknüppelt.

Wer war dieser Mann, der zeitlebens den aufrechten Gang übte?
Biographisches in aller Kürze:
1878 in Berlin geboren, Kind jüdischer Eltern (1926 trat er aus dem Judentum aus), aufgewachsen in Lübeck. Dort wird der sprachlich begabte Schüler, der früh schon eigene Texte schreibt, 1896 vom Gymnasium wegen „sozialistischer Umtriebe“ verwiesen. Dem Wunsch des Vaters – der eine zeitlang die Lübecker Löwen-Apotheke, heute auch aufgrund ihrer Ausstattung ein Anziehungspunkt für Touristen, betrieb – beginnt Mühsam eine Lehre zum Apothekergehilfen. Das Verhältnis zum Vater bleibt schwierig, wie aus Mühsams Tagebüchern zu erlesen ist:

“Meines Vaters zweiundsiebzigster Geburtstag. Das Datum weckt in mir Gefühle, die fernab sind von kindlicher Freude und fröhlicher Mitfeier. Bei allen guten Gefühlen, die ich mir noch für meinen Vater erhalten habe, bei allem Respekt vor vielen Zügen seines Charakters, bei aller Sympathie, die wohl im Blut liegt, bei allem Mitleid an den mancherlei Nöten die er trägt, an denen selbst, zu denen ich Ursache bin – das Gefühl der Dankbarkeit, das doch im Empfinden des Kindes gegen die Eltern als das natürlichste gilt, ist mir völlig verloren gegangen. Wenn ich mich frage, wofür soll ich ihm danken? so fällt mir in der Tat nichts weiter ein außer der Tatsache, daß er mich gezeugt hat, und die Gedanken, die sich hieran anschließen, sind so bitter, daß sie mir Franz Mohrsche Betrachtungen nahelegen. Wahrhaftig! Daß er mich ernährt hat, erhebt ihn, der es ohne Not konnte, nicht über andre Menschen, nicht über arme Tagelöhner, die viele Kinder vor Hunger schützen und liebend betreuen. Daß er mir einige Schulbildung ermöglichte, solange bis ich selbst mich voll Ekel aus der Schule davonmachte, das ist kein Grund zu Dankgesängen. Tat er es doch gewiß nicht, um mich zu dem zu machen, was ich werden wollte und mußte, zu dem, was ich ward. Für seine Erziehung? Es steigt etwas wie Haß in mir auf, wenn ich daran zurückdenke, wenn ich mir die unsagbaren Prügel vergegenwärtige, mit denen alles, was an natürlicher Regung in mir war, herausgeprügelt werden sollte. Man kannte meine Neigung, Bücher zu lesen. Nie erhielt ich welche geschenkt, und als man dahinter kam, daß ich nachts heimlich aufstand, an den Bücherschrank der Eltern ging und mir die Werke Kleists, Goethes, Wielands, Jean Pauls herausholte, da verschloß man den Schrank und nahm mir die einzige Möglichkeit, meine tiefe Sehnsucht zu befriedigen. Geld bekam ich nie in die Hand.”

2. September 1910

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Gedenktafel für Erich Mühsam an einem Wohnblock in Oranienburg, Berliner Straße Ecke Erich-Mühsam-Straße. Bildquelle: By Jumbo1435 – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14039283

Ab 1901 lebt er in Berlin, lernt dort den Schriftsteller Gustav Landauer (Ehemann von Hedwig Lachmann) kennen, zu dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbindet. Hier fällt die Entscheidung, dem bürgerlichen Beruf nicht nachzugehen, hier wird Erich Mühsam zum freischaffenden Schriftsteller.

“Ich wollte Schriftsteller werden, beichtete ich meiner Mutter, als ich glaubte, ich würde es in der Apothekerlehre nicht mehr aushalten. Tränen, Begütigungen, Aufregungen. Schließlich hieß es: gut, mach dein Gehilfenexamen, dann darfst du Schriftsteller werden. Die Mutter starb. Um den Vater in seinem Gram nicht zu kränken, gab ich meiner Schwester Margarete das heilige Versprechen, bis zum Examen würde ich mich von aller Literatur und allen Interessen, die mich bewegten fernhalten, bis zum Gehilfenexamen. Ich hielt das Versprechen. Was es mich gekostet hat, kann kein Mensch ermessen. Ich machte auch das Examen. ¾ Jahre darauf tat ich, was ich tun wollte und mußte. Ich ging nach Berlin als Gehilfe und sprang von dort heraus – in die Neue Gemeinschaft. Jetzt war ich Schriftsteller. Mein Vater in Verzweiflung. Er wollte mich aushungern.”

2. September 1910

Nach Wanderjahren, die ihn nach München, Wien, Paris, Zürich führen, kommt er 1909 nach München. 1915 heiratet er Kreszentia Elfinger, seine “Zensl”: Obwohl anderen Frauen nach wie vor nicht abgeneigt, wird sie seine innige Lebensgefährtin, die ihm auch während der Jahre der Haft Stütze und Hilfe ist. Eines seiner humorvollen Gedichte gibt vielleicht auch die Richtung dieser Beziehung vor:

So warb der Sportsmann Max sein Weib Marie:
“Willst du es mit mir wagen, meine Teure?
Begleite mich zur ewigen Kahnpartie:
Ich rudre dich durchs Leben, und du steure!”

 

1918 wird Erich Mühsam erstmals zu sechs Monate Festungshaft wegen politischer Betätigung verurteilt. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, nach der Entlassung wieder politisch aktiv zu werden. 1919 wird er, an der Seite seines Freundes Gustav Landauer, einer der führenden Köpfe der Münchner Räterepublik. Nach deren Niederschlagung wird Mühsam zu 15 Jahre Festungshaft verurteilt, fünf Jahre davon, bis zur Amnestie, verbringt er im Gefängnis in Niederschönenfeld (das Gefängnis zwischen Augsburg und Donauwörth existiert heute noch).

Am 15. Oktober 1921 schreibt er in sein Tagebuch:
“Vorgestern waren 30 Monate herum, seit ich von Zenzls Seite aus dem Bett geholt wurde. 2½ Jahre in Haft! Eine nette Spanne Zeit, die mir vom Leben gestohlen wurde. Heut aber ist ein Jubiläum, das auch nicht stillschweigend übergangen werden soll: 1 Jahr Niederschönenfeld! Der Teufel hol’s. Ein Jahr Daumenschrauben, immer fester, immer enger.”

1924 kaum entlassen, nimmt Mühsam, der inzwischen nach Berlin zurückgekehrt ist, seine politischen Tätigkeiten sofort wieder auf. Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wird Mühsam verhaftet, seine Bücher vom Regime verbannt und verbrannt. Knapp anderthalb Jahre „Schutzhaft“ übersteht Mühsam, ohne von seinen politischen Überzeugungen einen Deut abzurücken. In der Nacht vom 9. auf 10. Juli 1934 wird er von SS-Leuten im KZ Oranienburg ermordet. Zu Tode geprügelt und dann aufgehängt, erzählen Überlebende der KZ-Haft später.

Seine Worte brennen heute noch:

„Anarchie ist Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat. Die anarchische Gesellschaft setzt an deren Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.

Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben. Sie küssen die Talare der Priester und die Stiefel der Fürsten, weil sie keine Selbstachtung haben und ihren Verehrungssinn nach außen produzieren müssen.“

Das Zitat entstammt einem Aufsatz zur Anarchie, erschienen im Kain-Kalender 1912 – die von Erich Mühsam herausgegebene Zeitschrift „Kain“ mit dem Untertitel „Zeitschrift für Menschlichkeit“ erschien von 1911 bis 1919, allerdings nicht in den Kriegsjahren.

Doch das politische Engagement ist nur eine Seite dieses Schriftstellers, der so viele Talente in sich trug – auch als Kabarettist und mit seinen Zeichnungen wußte er zu unterhalten.

Erinnernswert sind beispielsweise seine Schüttelreime:

„Man wollte sie zu zwanzig Dingen
in einem Haus in Danzig zwingen.“

Mühsam schüttelte neben (oder auch trotz) der zeitaufwändigen politischen Agitationsarbeit scheinbar mühelos noch zahlreiche humorvolle, satirische oder auch ganz liebevolle Texte aus dem Ärmel. Unter anderem schrieb er, beispielsweise gemeinsam mit Hanns Heinz Ewers, als “Onkel Franz” auch für Kinder. Eines seiner Kindergedichte ist „Der Faulpelz“:

Der Faulpelz

Otto, Otto, lerne!
Lerne dein Gedicht!
Tust du es nicht gerne,
Hilft’s dir dennoch nicht.

In der Schule morgen
Weißt du dir es Dank. –
Otto sitzt in Sorgen
Auf der Gartenbank.

Otto sitzt in Kummer
Unterm Lindenbaum;
Und er sinkt in Schlummer,
Weiß es selber kaum.

Fanny und Lenore
Treiben mit ihm Spaß,
Kitzeln ihn am Ohre
Mit dem Zittergras.

Otto’s Geist ist ferne,
Und er merkt es nicht; –
Otto, Otto, lerne!
Lerne dein Gedicht!

Eines seiner bekanntesten Gedichte ist von zeitloser Aktualität:

Der Revoluzzer

War ein mal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: “Ich revolüzze!”
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus.
zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
schrie: “Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehn,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt! –
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!”

Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.


Weitere Informationen:

Tagungen, eine Schriftenreihe, ein Erich-Mühsam-Preis, der Aufbau eines Archivs – dem hat sich die Erich-Mühsam-Gesellschaft verschrieben, die einen Platz im Lübecker Buddenbrookhaus fand (Mühsam und Thomas Mann waren am dortigen Katharineum Schulkameraden): www.erich-muehsam-gesellschaft.de

Seine umfangreichen Tagebücher, die einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Zeitgeschichte leisten, sind in den vergangenen Jahren beim Verbrecher Verlag erschienen. Online zu finden sind sie hier.

Bild zum Download: Stolperstein für Erich Mühsam in Lübeck


 

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Literarische Orte: Thomas Mann in Bayern

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Hinweistafel am Mann-Haus in Bad Tölz. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Manche Schriftsteller verortet man unbewusst in bestimmte Landschaften. Oder anders ausgedrückt: Ihr Werk ist geprägt von der Landschaft, in der sie lebten, in der sie arbeiteten. Man denke nur an Theodor Storm oder an Fontane.

Aber bei anderen bringe ich dagegen Lebensorte, Temperament und dessen literarischen Ausdruck nur schwer zusammen. Thomas Mann in Bayern? Obwohl der Hanseat 30 Jahre dort, also die längste Zeit seines Lebens, seinen Lebensmittelpunkt hatte, so verbinde ich mit seinem Namen mehr oder wenig sofort Lübecker Backsteingebäude oder ein Hiddenseer Reetdachhaus.

Ich selbst kann mir Thomas Mann nur schwer als entspannten Landmann, Wanderer in Nagelschuhen, durch die Voralpen streifend und an einem der bayerischen Seen entspannend, vorstellen. Und doch gab es das auch. Nach dem Tod von Thomas Manns Vater 1891 zog seine Mutter – die in Brasilien aufwuchs und Lübeck immer als zu eng empfand – zwei Jahre später mit den jüngeren Geschwistern von Thomas Mann nach München. Thomas folgt 1894 nach und zog in die Stadt, die ihn ebenso prägte wie Lübeck, obwohl er wohl im Herzen, sicher aber im Habitus immer ein Hanseat blieb.

Literarische Spuren von Bayern finden sich in seinem Werk zuhauf: Schon in seinem Debüt „Buddenbrooks“ wird der Norden, sprich die Hansestadt Lübeck, mit München konterkariert. Man denke allein an den Hopfenhändler Permaneder: Die wenig schmeichelhafte Überspitzung des Typs des gemütlichen, gutmütigen, aber auch bauernschlauen Münchners. Dass diese Figur mit so spitzer Feder gezeichnet ist, lag sicher auch daran, dass Thomas Mann zu jener Zeit auch für den „Simplicissimus“ arbeitete.

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Skulptur von Quirin Roth in Gmund am Tegernsee. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Hauptsächlicher Wohnort in Bayern ist und bleibt für Thomas Mann München: Hier wird er, nach einem kurzen beruflichen Abstecher in eine Versicherungsanstalt, zum freien Künstler, hier lernt er Katia Pringsheim kennen, hier baut er, dem ein eigenes Haus wichtig ist, seine Villa im noblen Viertel Bogenhausen. Damals freilich noch nicht ganz so nobel. Eine Ahnung davon erhält man in „Herr und Hund“ (1918). In dieser, einer seiner längsten Erzählungen, schildert Mann so ausführlich und akribisch wie selten anhand der Spaziergänge mit seinem Lieblingshund „Bauschan“ die Umgebung, in der er lebt:

„Und doch war die Sache schon so weit gediehen, daß diese Straßen ohne Anwohner ihre ordnungsgemäßen Namen haben, so gut wie irgendeine im Weichbilde der Stadt oder außerhalb seiner; das aber wüßte ich gern, welcher Träumer und sinnig rückblickende Schöngeist von Spekulant sie ihnen zuerteilt haben mag. Da ist eine Gellert-, eine Opitz-, eine Fleming-, eine Bürger-Straße, und sogar eine Adalbert-Stifter-Straße ist da, auf der ich mich mit besonders sympathischer Andacht in meinen Nagelschuhen ergehe (…)“

Die Adalbert-Stifter-Straße in München-Bogenhausen ist immer noch da, die 1913 erbaute Villa der Manns jedoch gibt es nur noch in einer Rekonstruktion: Das Gebäude war bei einem Bombenangriff zerstört worden, Thomas Mann ließ es 1952 vollends abreißen und verkaufte das Grundstück. 2001 wurde es nach den Original-Bauplänen wieder erbaut, aber ist seither als Luxusimmobilie in Privatbesitz.

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Das Mann-Haus in Bad Tölz.

Ein anderes Haus, das sich Mann in Bayern bauen ließ, gibt es jedoch noch im Originalzustand: Die „kleine“ Villa in Bad Tölz, für die schnell wachsende Familie zunächst ein wunderbares Domizil in der Sommerzeit, dann wurde es aber von Kind zu Kind enger. Zumal hier auch „Bauschan“ als weiteres Familienmitglied hinzukam:

„Ein ansprechend gedrungenes, schwarzäugiges Fräulein das, unterstützt von einer kräftig heranwachsenden Tochter in der Nähe von Tölz eine Bergwirtschaft betreibt, vermittelte uns die Bekanntschaft mit Bauschan und seine Erwerbung.“

Dem Hund aus Bad Tölz setzt der Schriftsteller in „Herr und Hund“ ein Denkmal. Ein Denkmal für Herr und Hund ist dagegen nicht in Bad Tölz zu finden, sondern in Gmund an Tegernsee. Seit 2001 steht hier die Skulptur von Quirin Roth und erinnert so daran, dass der Tegernsee, die Badewanne der Münchner, früher schon ein beliebtes Ausflugsziel war – weniger für die Schickeria, sondern für die Münchner Bohème rund um die Mannschaft des „Simplicissimus“. Thomas Mann lernte die Gegend bereits als Kind kennen, als seine Eltern in Wildbad Kreuth zur Sommerfrische waren. Auch später zog es ihn immer wieder in die Region. Die beiden „Ludwigs“ – Ganghofer und Thoma – die vor ihrem Ruck ins Deutschnationale auch für die Satirezeitung schrieben, siedelten hier an, in seinem Haus in Tegernsee frönte der Karikaturist Olaf Gulbransson der Freikörperkultur und schwang gerne auch nackt die Sense, um das Gras zu mähen.

Zurück nach Bad Tölz: Ein Thomas Mann-Museum gibt es hier leider nicht (wer im Ort ist, kann das „Bulle von Tölz-Museum“ besuchen, ob es sich lohnt, vermag ich nicht zu sagen), auch kann das Landhaus, das sich Mann 1909 für seine junge Familie bauen ließ und das sie bis 1917 nutzten, nicht besichtigt werden. Dennoch lohnt sich ein Blick auf das Grundstück, wenn man sowohl die privaten Notizen von Thomas Mann aus jener Zeit als auch die Erinnerungen der älteren Kinder an das Haus, an Land und Leute kennt. Erika Mann, die Rastlose, kam in einigen ihrer Texten auf diese Landschaft ihrer Kindheit zurück. In einer 1930 entstandenen „Liebeserklärung an Bayern“ schreibt sie:

„Wenn irgendwo ein Wiesenweg, eine Bergkette, eine Viehweide uns besonders zu Herzen sprach, erkannten wir bald mit dem Heimatlichen die Ähnlichkeit, – fast wie bei Tölz (…).“

Und Golo Mann sagt in „Erinnerungen und Gedanken“:

„Es dauerte dann etwa fünfunddreißig Jahre, bis ich Tölz wieder sah. Anfang der fünfziger Jahre war das meiste noch wie eh und je, die vier Kastanien und „Hüttchen“, letzteres renoviert, das Haus nach außen hin unverändert. Wie sehr seine Verzierungen „Jugendstil“ waren, bemerkte ich erst jetzt.“

Die Villa, seit 1926 im Besitz eines Ordens, dient inzwischen als Erholungsheim für Ordensschwestern und ist öffentlich leider nicht mehr zugänglich. Bad Tölz bemüht sich anderweitig, um an den berühmten Bewohner, wenn dieser auch nicht zu lange hier lebte, zu erinnern. So wird wohl in diesem Oktober noch in der Tölzer Stadtbibliothek ein Thomas-Mann-Zimmer eröffnet – eingerichtet mit Mobiliar und Gegenstand aus dem „Mausloch“. So bezeichnete Mann ein Haus, das der Kunsthändler Georg Martin Richter in der bayerischen Gemeinde Feldafing gekauft hatte. Thomas Mann beteiligte sich mit 10.000 Mark an dem Kauf und konnte sich, wenn es ihm in München zu trubelig wurde, hierher zum Schreiben zurückziehen. Zwischen 1919 und 1923 war er mehrfach dort, dabei entstanden wesentliche Teile des Zauberbergs.

Erwähnt werden müssen, wenn es um Thomas Mann und Bayern geht, zwei Institutionen: Zum einen die Monacensia in München mit ihrer umfassenden Familie-Mann-Bibliothek sowie der neu erarbeiteten Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“. Und der Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer: Keiner kennt so sehr die Spuren großer Schriftsteller in Bayern wie er, insbesondere aber diese von Thomas Mann. Seit Jahren ist er Vorsitzender des Thomas-Mann-Forums München und gibt die Thomas-Mann-Schriftenreihe heraus. In dieser ist auch der Band „Nicht auf der Rasenkante gehen!“ von Daniel Lang, eine Arbeit über die Manns in Bad Tölz und die Geschichte des Hauses, erschienen.


Weitere Informationen:

Daniel Lang, “Nicht auf der Rasenkante gehen!”: Link zum Buch

Thomas Mann in Bad Tölz: https://www.bad-toelz.de/de/kultur-veranstaltungen/kunst-und-literatur/thomas-mann.html

Literarische Spaziergänge mit Dirk Heißerer: https://www.lit-spaz.de/

Monacensio München: http://www.monacensia.net/Aktuelles.htm


Bilder zum Download:

Bild 1, Tafel am Landhaus in Bad Tölz
Bild 2, Denkmal in Gmund
Bild 3, Kopf Thomas Mann


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#MeinKlassiker (34): Die Buddenbrooks – eine Familie verfällt und lebt doch für immer weiter

Unzählige Male wieder aufgelegt, gelesen und besprochen, mehrfach verfilmt, aber auch immer wieder als “überholt” und “überschätzt” geschmäht – und dennoch: Die “Buddenbrooks” ist einer der großen Romane der deutschen Literatur. Und es ist schön, dass er – und mit diesem, seinem ersten Roman – nun auch Thomas Mann in der Reihe #MeinKlassiker angekommen ist. Zu verdanken haben wir dies Ines Daniels, die lange mit zum Team bei “Feiner reiner Buchstoff” gehörte, nun seit aber fast einem Jahr einen eigenen Blog namens “letteratura” betreibt. Dort gilt ihr Leseinteresse vor allem der zeitgenössischen Literatur – hier aber schreibt sie über ein zeitloses Werk, eines der großen Bücher der deutschen Literatur:

Als ich darüber nachdachte, welchen Klassiker ich als #MeinKlassiker bezeichnen würde, welche Lektüre mich nachhaltig beeindruckt hatte, so dass ich immer noch an sie zurückdenke, da kam mir recht bald „Buddenbrooks“ in den Sinn. Es muss um die zwanzig Jahre her sein, dass ich mich mit dem Wälzer zurückzog und – so die Erinnerung – komplett versank in dieser Familiengeschichte, in der alles mit der Zeit den Bach heruntergeht, heißt es doch wenig geheimnisvoll im Untertitel: „Verfall einer Familie“. An Einzelheiten erinnerte ich mich fast gar nicht, als ich den Roman erneut zu lesen begann, mit einer Ausnahme: dem Tod Hannos. In meiner Erinnerung fand dieser irgendwann in der Mitte des Romans statt, hatte ich damals nicht auf den verbleibenden Seiten stets danach gesucht, dass die Figuren sich an ihn erinnern? Dass er wieder und wieder erwähnt würde? Dass sie so um ihn trauern würden, wie ich getrauert hatte?

Bei der Wiederlektüre des Romans um den letzten Jahreswechsel herum und inzwischen altersmäßig deutlich weiter entfernt von Hanno zum Zeitpunkt seines Todes (der mich vermutlich auch gerade wegen dieser Nähe damals so ergriffen hatte), stellte ich fest, dass die Erinnerung getrogen hatte. Hanno ist nur der letzte in einer langen Reihe von Todesfällen in Thomas Manns frühem Roman – und da sich die Geschichte über mehrere Generationen erstreckt, ist es nur natürlich, dass einige Figuren das Zeitliche segnen im Verlauf der vielen, vielen Seiten.  

„Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ erschien 1901, als Thomas Mann gerade einmal 26 Jahre alt war. Angesichts der Fülle des Stoffs, des umfangreichen Personals, das er unterbringt, der Virtuosität, mit der er vor- und zurückschaut und Dinge an- und vorausdeutet, ein erstaunliches Alter. Nun gibt es ganze Bibliotheken mit Sekundärliteratur zu Thomas Mann und seinem wohl berühmtesten (und 1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten) Roman, doch soll es hier um eine umfassende Analyse ja auch gar nicht gehen. 

Unerwartet war bei meiner aktuellen Lektüre des Romans, dass er zunächst wenig in mir auslöste. Ich las Manns nüchternen, doch auch virtuosen Stil, fieberte mit seinen Figuren, doch was wollte und sollte ich zu dem Roman sagen, zu dem alles schon gesagt wurde? Die Geschichte musste ruhen, um erneut ihre Wirkung zu entfalten, die mich zuvor quasi übermannt hatte – womöglich bin ich damals viel unbedarfter an die Lektüre herangegangen. 

Ein Klassiker zeichne sich unter anderem dadurch aus, dass er zeitlos sei, dass er uns auch heute noch etwas sagen könne, so war auch im Zuge von #MeinKlassiker schon zu lesen. Die Buddenbrooks leben ihr Leben im 19. Jahrhundert, doch sind sie in dem, was sie sich wünschen, in ihrem Streben, in den Schwierigkeiten, das Private und das Geschäftliche unter einen Hut zu bringen und dabei den Konventionen gerecht zu werden, nicht immer allzu weit von uns heute entfernt, auch wenn sich natürlich einiges geändert hat. Eine Scheidung zum Beispiel stellt nicht mehr die gleiche Schande dar, die möglichst durch eine erneute Verheiratung wettgemacht werden muss. Toni, die sogar zweimal geschieden wird, ist eine der Figuren, die mir neben ihren beiden so unterschiedlichen Brüdern Thomas und Christian und natürlich Hanno, der tragischsten Figur der Geschichte, am eindrücklichsten in Erinnerung bleiben.  

Und es sind vor allem die letzten Kapitel, die letzten Seiten des Romans, die den tiefsten Eindruck hinterlassen. Thomas, der immer versucht hat, ein rationaler Geschäftsmann zu sein, der immer hart gearbeitet hat, drohen seine Gewissheiten zu entgleisen. In seinem Bruder, dem wehleidigen, hypochondrischen Christian hat er immer sein Gegenstück gesehen – eines, das er verachtete, im Grunde aber auch ein Stück weit beneidete. Christian erlaubte sich ein freieres Leben, das Thomas sich schon von vornherein selbst verbot. Es ist erschütternd, mitzuerleben, wie Thomas letztendlich an der Einhaltung der Regeln, die ihm die Gesellschaft zwar auferlegt, deren strengster Überwacher er aber selbst ist, zugrunde geht.  

Ihre Schwester Toni bleibt mir einerseits durch ihre Naivität, andererseits aber auch durch ihren Pragmatismus in Erinnerung. Sie ist letzten Endes Optimistin, der es als junge Frau verwehrt wird, aus Liebe zu heiraten und stattdessen später zweimal geschieden wird. Letztlich macht sie sich das Glück ihrer Tochter zur Lebensaufgabe. 

Hanno hingegen scheint von Anfang an wie nicht geschaffen für das Leben, er kränkelt, ist schüchtern, bringt keine guten Leistungen in der Schule und ist ein Außenseiter. Er und seine Mutter Gerda sind die einzigen in der Familie, die musikalisch begabt sind und so aus der Rolle fallen. Hanno ist eine äußerst tragische Figur und diejenige, mit der man aus dem Roman entlassen wird.  

„Buddenbrooks“ erzählt uns viel über das gesellschaftliche Leben, über Klassen und soziale Schichten. Mich interessiert dabei am meisten, wie die Figuren damit umgehen, was von ihnen erwartet wird, wie sie ihr Leben meistern und die Probleme, die sich für sie ergeben, lösen. Wenn am Ende das Familienunternehmen und damit auch die Familie selbst „verfallen“ ist und man sich die Frage stellt, was dies für das gesamte gesellschaftliche System bedeutet, dann ist die Familie auf ein paar wenige Mitglieder zusammengeschrumpft. Wer nicht die nötige charakterliche Stärke besitzt, um in der Geschäftswelt zu bestehen, der ist letztlich nicht lebensfähig. Bezeichnenderweise gilt das auch für Thomas Buddenbrook, der doch eigentlich alle Voraussetzungen mitbrachte, um erfolgreich eine Firma zu leiten. 

Meine zweite Lektüre der „Buddenbrooks“ um die zwanzig Jahre nach der ersten war eine mit verschobenem und erweitertem Blickwinkel, und auch diejenige einer Leserin, die inzwischen anders liest als damals. Eine Lektüre, die ihre Wirkung nur langsam entfaltete und die sich vor allem auf die Hauptfiguren konzentrierte – nicht mehr so ausschließlich auf Hanno, aber natürlich auch auf ihn. Und wenn ich den Roman in weiteren zwanzig Jahren erneut lesen werde? Was werde ich dann wohl aus dieser Geschichte für mich mitnehmen? Ich freue mich darauf, denn ich bin sicher, ein Roman wie die „Buddenbrooks“ wird nie seine Kraft und Aktualität verlieren.

Ines Daniels
https://letteraturablog.wordpress.com/

#MeinKlassiker (10): Jan Haag gesteht seine wahre Liebe – Effi Briest

Jan Haag bloggt – ich habe nochmals nachgeschaut – seit Ende 2008. Ohne großen Aufhebens, ohne großen Rummel um Blog und Person. Dafür aber mit viel Fachwissen und Liebe zur Literatur: Thomas Mann, Arno Schmidt, Günter Grass und Hermann Hesse sind regelmäßig bei CON = LIBRI präsent. Für mich ist sein Blog mittlerweile schon eine Quelle, will ich mich über einen der großen Namen informieren, CON = LIBRI als Sekundärliteratur. Da findet man Beiträge, die ebenso gut in einer Literaturzeitschrift erstveröffentlicht werden könnten – beispielsweise die Serie zu Hermann Hesse und Ulm. Es hat mich daher sehr gefreut, dass Jan für #MeinKlassiker verriet, wem seine wahre Liebe gehört:

Fontane lesen? Geht das heute überhaupt noch? Zugegeben, der Einstieg in einen Fontane-Roman ist für unsere Lesegewohnheiten vielleicht etwas zäh. Beginnt er doch meist mit einer ausführlichen, zu detailliert wirkenden Beschreibung von Schauplätzen der behutsam einsetzenden Handlung. Erst nach und nach erfasst der Erzählstrom den Leser und er taucht ein in Fontanes Preußen des 19. Jahrhunderts. Eine autokratische, von strengen Normen geprägte Zeit. Eine Zeit, in der die Entwicklung hin zu all den individuellen und gesellschaftlichen Errungenschaften, die wir inzwischen für unverzichtbar halten, gerade erst begonnen hatte.

Der Roman “Effi Briest” wurde bereits fünfmal verfilmt und dem einen oder der anderen ist die Handlung bereits von daher weitestgehend bekannt. Etwa aus der spröde-genialen Fassbinder-Adaption von 1974, die sich dramaturgisch streng an die Textvorlage hält. Oder der 1968 in der DDR entstandenen Interpretation mit einer hinreißenden Angelica Domröse in der Titelrolle. Oder der aktuellsten Version von 2009, in der Julia Jentzsch die Hauptrolle verkörpert. Eine misslungene, banale Interpretation, die sich optisch anbiedert und zu bildhaft und offensichtlich zeigt, was Fontane allein mit seiner Sprache in der Phantasie der Leser entstehen lassen kann.

Wovon erzählt dieses Buch? Von unerfüllten Wünschen, könnte man sagen, um damit einen zeitlosen Aspekt hervorheben; von einer arrangierten Kinderehe, um aktuelle Bezüge herzustellen. Von patriarchalischen Strukturen, die bis heute nicht restlos verschwunden sind. Von gesellschaftlichen Zwängen, unter denen immer die Falschen zu leiden haben.

Es sind die 1880er Jahre im sandigen Brandenburg. Der alteingesessene Adel fürchtet um seine Privilegien. Selbstbestimmte Lebensentwürfe für Frauen sind in weiter Ferne. Effi Briest, die eben noch eine heiter-leichte Kinder- und Jugendzeit verbringen durfte, wird, gerade 17-jährig, an den Baron Geert von Innstetten verheiratet. Der nicht mehr ganz junge Adelige hatte einstmals Effis Mutter verehrt. Die beiden kamen sich durch verschiedene Umstände nicht näher und die Angebetete heiratete den jovialen, zu modernen Ideen neigenden, aber ausgesprochen entscheidungsschwachen von Briest. Innstetten derweil ist stolz wie Bolle ob der Möglichkeit, Versäumtes nachholen und die frische Tochter ins Ehebett nehmen zu können.

Effi wird von der Entwicklung völlig überrumpelt, ihr Leben vom einen auf den anderen Tag komplett umgekrempelt, als es mit dem Angetrauten in die hinterpommersche Provinz geht. Das Paar bekommt eine Tochter und lebt in einem Haus das der jungen Mutter überhaupt nicht behagt, sie beunruhigt, ihr Alpträume verursacht. Sie fühlt sich einsam und isoliert. Nur Gespräche mit dem örtlichen Apotheker, der sie platonisch verehrt, bieten etwas Ablenkung und Anregung.

Eines Tages wird der verheiratete, leichtlebige Major von Crampas nach Kressin abgeordnet. Er wirbt mehr oder weniger offen um die attraktive Effi, die sich schließlich auf ein ebenso heimliches wie kurzes Verhältnis einlässt. In der Folge belasten sie schwere Schuldgefühle. Als sie mit ihrem Mann nach Berlin umziehen muss, schreibt sie dem Major: “Ihr Tun mag entschuldbar sein, nicht das meine. Meine Schuld ist sehr schwer… Vergessen Sie das Geschehene, vergessen Sie mich.”

Jahre später, während seine schwächelnde Gattin auf Kur weilt, entdeckt Geert von Innstetten zufällig Briefe seiner Frau an von Crampas und das Unheil nimmt seinen von Konventionen diktierten Verlauf. Dem Duell der beiden Männer folgt die Trennung der Eheleute. Erst nach einigen Irr- und Umwegen, und gegen den Widerstand der Mutter, kehrt Effi in ihr Elternhaus zurück. Mit den Worten “komm Effi!” hat sich der alte Briest gegen die Ehefrau durch- und über die gesellschaftlichen Vorgaben hinweggesetzt. Seine Tochter indessen ist eine gebrochene Frau. Sie wird krank und siecht dahin. Ein reales Ereignis in Berliner Adelskreisen diente Fontane als Vorlage für den Roman.

“Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen” nennt der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Burkhard Spinnen die Frauengestalten in Fontanes Romanen, und deutet damit an, dass sich die Lektüre dieser Bücher nach wie vor so sehr lohnt. “Irrungen, Wirrungen” und “Frau Jenny Treibel” sind zwei weitere “Frauenromane” Fontanes, die er vor “Effi Briest” geschrieben hat, sie jedoch historisch einige Jahre später und in der Großstadt Berlin ansiedelt. Die weiblichen Protagonistinnen sind hier selbstbewusster, initiativer, Fontanes Sprache voll leichtem Witz und sanfter Ironie.

“Eine Romanbibliothek …, beschränkte man sie auf ein Dutzend Bände, auf zehn, auf sechs, – sie dürfte “Effi Briest” nicht vermissen lassen.” So schrieb der Fontane-Verehrer Thomas Mann. Und es gibt ja dieses Gedankenspiel, in dem man sich zu entscheiden hat, welche drei Bücher man auf eine einsame Insel mitnähme. Mit drei Büchern würde ich mich niemals auf eine einsame Insel verbannen lassen. Mich müsste ein mindestens mittelgroßer Container begleiten und darin wären neben vielen anderen gedruckten Lebensbegleitern, die auszuwählen immer noch schwer genug fiele, mindestens drei Bücher Theodor Fontanes.

Doch das ist wahrlich “ein weites Feld”. Ein geflügeltes Wort, das einst der Dichter Effis Vater in den Mund legte und mit dem dieser gerne seine mangelnde Entschlussfähigkeit kaschierte.

Zu Fontane habe ich erst spät gefunden. Die Lektüre von „Effi Briest“ war mein Schlüsselerlebnis. Inzwischen habe ich alle Romane gelesen – manche mehrfach. Es gibt zwei Frauenfiguren der deutschen Literatur, die mich immer begleiten werden: Tony Buddenbrook und Effi Briest. Beide scheitern, jede auf ihre Weise. Woran scheitern sie? An den „Verhältnissen“? Nein. Sie scheitern an „ihren“ Männern. Den Vätern, den Brüdern, den Ehegatten. Zwei schreibende Männer haben daraus exemplarische Literatur gemacht. Bewegend und großartig.

Jan Haag
https://litos.wordpress.com/


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Erika und Klaus Mann: Das Buch von der Riviera

Erika Mann

Bild: (c) Michael Flötotto

„Entschuldigen Sie, wir haben Sie ein bißchen kreuz und quer geführt, Ihnen zwar im Vorübergehen manches gezeigt, aber es war kein rechtes System drin. – Wo esse ich? Wo wohne ich? Wo trinke ich meinen Cocktail? Wo kaufe ich mir einen Kragen? Wo tanze ich? Wo langweile ich mich? Wo gebe ich, um Gottes willen, mein Geld aus?“

Erika und Klaus Mann, „Das Buch von der Riviera“, 1931, Rowohlt Taschenbuch.

Auf die Manns konnte man sich als Reisender Anfang der 1930er Jahre verlassen – keine der Fragen bleibt unbeantwortet im Buch von der Riviera. Dieser literarische Reiseführer schmeckt nach Sonne. Man meint, das Meer zu riechen. Der Duft von Bouillabaisse steigt in die Nase. Der Geschmack von südlichen Früchten. Fischgeruch und Blumenduft, dazwischen betörendes Parfum und Angstschweiß, wenn die Roulettekugel klackert.
Und doch, bei allem Laissez-faire und aller Leichtigkeit wird einem beim Lesen weh ums Herz. Weiß man doch um die Vergänglichkeit der Dinge. Das Ende des Seins. Die Riviera, sie ist nicht mehr, so wie sie einmal war. Schon anno 1931, als dieses Buch entstand, verblasste der Glanz früherer Tage, die Belle Epoque, die Glanzzeit dieser Küste, liegt zurück. Jahre später werden manche der Orte, insbesondere Marseille, Sammelpunkte der Verzweifelten, Flüchtenden und Wartenden, die auf eine Schiffspassage, ein Visum, ein Schlupfloch aus dem Mauseloch hoffen, die den brennenden Kontinent verlassen müssen.

„Cannes hat viele Gesichter“, schreibt das Autoren-Duo in seinem Buch. Für einen der Beiden trägt die Stadt eine tödliche Maske: Klaus Mann arbeitet hier 1949 an seinem letzten, unvollendet gebliebenen Roman, unterzieht sich dann noch einige Tage einer Entziehungskur in Nizza und kehrt in diese Stadt zurück, in die „man“ hingehen kann: 1931 ist damit noch „le monde“, sind die oberen Zehntausend gemeint, 1949 ist es eine Rückkehr zum Sterben. Am 21. Mai nimmt Klaus Mann sich mit Schlaftabletten das Leben. Seine letzte Ruhestätte nach einem unruhigen, getriebenen Leben ist auf dem Friedhof Cimetière du Grand Jas zu finden.

Doch als Erika und Klaus Mann im Auftrag des Piper Verlages die Côte d` Azur bereisen, um einen Band der Reihe „Was nicht im `Baedeker´ steht“ zu schreiben, ist die Welt halbwegs noch in Ordnung. Das Buch sprüht vor französisch-südlicher Leichtigkeit. Immer wieder wird dieser spritzig-witzige Text ironisch durchbrochen. So heißt es denn auch:

„Cannes hat viele Gesichter. Schauen Sie doch in die kleine Austernstube „Le Caveau“ (auch ziemlich in der Nähe des Hafens), wo Sie für ein paar Francs frische, wenn auch etwas grüne huîtres bekommen: so was an verräucherter Gemütlichkeit war ja noch gar nicht da, das ist schon direkt Rothenburg ob der Tauber.“

Man kann es sich so gut vorstellen, dieses junge, überschäumende, elegante, kreative Paar auf seinen Streifzügen durch die eleganten Hotels, die Kasinos, die kleinen Bars, die billigen Kaschemmen, die Rotlichtviertel. Wieder einmal sind die so eng Verschwisterten, beinahe Zwillinge (es trennt sie nur ein Lebensjahr), aus der Enge des großbürgerlichen Milieus ausgerückt, der Strenge des „Großmeisters“ entkommen. Dessen Name öffnet zwar auch an der Riviera Türen, wirft aber auch seine Schatten – nicht zuletzt einer jener Schatten, an denen Klaus zerbrechen wird. Doch auch wenn der Nobelpreisträger über manches literarische Unternehmen seiner beiden Ältesten die Nase rümpft – wenn an der blauen Küste das Geld zur Neige geht, schießt Thomas Mann aus dem fernen München neues zu.

Natürlich ist „Das Buch von der Riviera“ nicht nur ein Reiseführer, der von Marseille, Toulon, Cannes und Nizza bis Monte Carlo führt, sondern auch ein „Who is who“ der feinen Gesellschaft und der Bohème, die sich dort tummelt:

„Der kleine, geistreiche Balte, der dort drüben über ausgefallene literarische Leckerbissen spricht, ist der Zeichner Rolf von Hoerschelmann, eine der berühmtesten Schwabinger Koryphäen; und die lange Figur, die dort hinten naht, ist kein geringerer als Aldous Huxley, dessen Romane richtunggebend für die junge englische Literatur sind, und kostbarster Bestandteil der europäischen. Hier nennen ihn die Leute Uelex, weil es ihnen bequemer ist, es klingt eher münchnerisch, als provençalisch. Die Angelsachsen sind eine Clique für sich, die sich aber mit der französisch-deutschen gelegentlich berührt und vermischt. Sie ist im Trinken noch stärker, als die der anderen Nationen. Der Lyriker Campbell, der einen großen Namen bei seinen Landsleuten hat, soll darin das Phantastischste leisten.“

Es ist freilich nicht die ganz große Literatur, die die Geschwister mit diesem Auftragsbuch verfasst haben, oft ein wenig ermüdend, dieses Stippvisitieren einer Lokalität nach der anderen, dieses „name-dropping“. Aber eher stellt sich die Müdigkeit in der Art nach einem faulen, sonnenverbrannten Tag am Strand ein, dieses leise Gähnen, das ein Vorzeichen ist für den Appetit auf einen Aperitif, ein Abendessen im Freien und mehr Meer. Das Buch lässt einen die imaginären Koffer packen – trotz der beinahe seherischen Warnung der Manns:

„Die Konturen dieser Landschaft werden auf den Bildern von Derain und vieler anderer von der Nachwelt geliebt werden, wenn hier alles von großen Hotels zugebaut sein wird und die Bohème sich bis an den Kongo flüchten muß.“

Das bei Rowohlt erschienene Taschenbuch ist übrigens ein Reprint der Originalausgabe und beinhaltet auch Zeichnungen von Walther Becker, Rudolf Großmann, Henri Matisse und anderen.

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Literarische Orte: Das Goethe-Haus in Weimar.

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Das Wohnhaus am Frauenplan. Bild: Klassik Stiftung Weimar

„Da war der unregelmäßige Kleinstadt-Platz, auf dessen Katzenköpfen die Räder rasselten, die Seifengasse, das gestreckte Haus mit leicht abbiegenden Seitenflügeln, an dem Charlotte mit Amalie Ridel schon mehrmals vorübergegangen war: Parterre, Bel-Etage und Mansardenfenster im mäßig hohen Dach, mit gelb gestreiften Einfahrtthoren in den Flügeln und flachen Stufen zur mittleren Hausthür hinauf.“

„Charlotte hörte nicht hin. Sie war beeindruckt von der Noblesse des Treppenhauses, in das man eingetreten war, dem breiten Marmorgeländer, den in splendider Langsamkeit sich hebenden Stufen, dem mit schönen Maß verteilten antiken Schmuck überall. Auf der Treppenruhe schon, wo in weißen Nischen Broncegüsse anmutiger Griechengestalten, davor auf marmornem Postament, ebenfalls in Bronce, ein in vortrefflich beobachteter Pose sich wendender Windhund standen, erwartete August von Goethe mit den Bedienten die Gäste, – (…)“

„Auch zu Häupten der Staatstreppe war´s edel-prächtig und kunstreich. Eine Gruppe, die Charlotte als „Schlaf und Tod“ zu bezeichnen gewohnt war, zwei Jünglinge darstellend, von denen einer dem andern den Arm um die Schulter legte, hob sich dunkel glänzend ab von der hellen Fläche der Wand zur Seite des Entree`s, welchem ein weißes Relief als Sopraport diente, und vor dem ein blau emailliertes „Salve“ in den Fußboden eingelassen war. „Nun also“ dachte Charlotte ermutigt. „Man ist ja willkommen. Was soll`s da mit taciturn und marode? Aber schön hat`s der Junge bekommen – !“

Alle Zitate: “Lotte in Weimar”, Thomas Mann, 1939

Der Junge, Johann Wolfgang von Goethe, ist da längst schon 67 Jahre alt.  Eine Dichterberühmtheit, Staatsdiener, staatstragend, repräsentierend. So trifft er auf seine einstige Jugendliebe, jene Lotte aus dem „Werther“. Thomas Mann griff den historisch verbürgten Besuch der Charlotte Kerner anno 1816 in Weimar auf und spann darum eine Mischung aus ironisch-gefärbtem Charakterbild des längst schon in den Poeten-Olymp entrückten Großmeisters, süffisanter Beobachtung seines Hofstaates, griff aber ebenso zur Selbstanalyse, eine Betrachtung des Schriftstellers zwischen Dichtung und Wahrheit und zugleich wurde der Roman zu einer Auseinandersetzung mit dem „Deutschsein“. Davon jedoch in einer eigenen Besprechung ein anderes Mal mehr.

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Goethes Arbeitszimmer am Frauenplan. Bild: Klassik Stiftung Weimar

Was mich an diesem Buch über seinen Ton, seinen Stil hinaus fasziniert, ist die genaue Beobachtungsgabe Manns, seine Liebe zum Detail. Er schrieb „Lotte in Weimar“, das 1939 erschien, in den Jahren des Exils – und doch so, als sei er vor Ort, in der Stadt der Weimarer Klassik gewesen. Besonders deutlich machen dies die Beschreibungen des Hauses am Frauenplan. Hier lebte Goethe ab 1782 fast 50 Jahre lang bis zu seinem Tod. Seinem Status gemäß war der vordere Teil der Zimmer repräsentativ eingerichtet – bis hierher und nicht weiter gelangt auch Charlotte bei dem Empfang, den ihr einstiger Jugendfreund ihr gewährte. In den privaten Gemächern ging es bescheidener zu, insbesondere waren diese Zimmer das Reich der Christiane von Goethe bis zu ihrem Tod 1816. Danach richtete Goethe hier seine Sammlungen ein, die auch heute zu einem kleinen Teil in dem als Museum zugänglichen Wohnhaus zu sehen sind.

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Ziemlich groß: Der Junokopf. Bild: Klassik Stiftung Weimar

Wenn man unversehens auf die riesige Juno trifft, dann kann man als unbedarfte Besucherin zunächst schon einen kräftigen Schrecken bekommen – sie ist für meinen Geschmack etwas zu kolossal, dieses Abbild griechischer Idealität. Doch Goethe war ganz stolz auf die Gute. So schrieb er 1787 aus Rom an Charlotte von Stein:

„Seit gestern hab ich einen kolossalen Junokopf in dem Zimmer oder vielmehr nur den Vorderteil, die Maske davon. Es war dieser meine erste Liebschaft in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch. Stünd ich nur schon mit dir davor. Ich werde ihn gewiss nach Deutschland schaffen und wie wollen wir uns einer solchen Gegenwart erfreuen. Keine Worte geben eine Ahndung davon, er ist wie ein Gesang Homers.“ 1823 erhielt er dann den Frauenkopf für sein Haus in Weimar geschenkt.

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Der Garten am Frauenplan. Bild: Klassik Stiftung Weimar.

Thomas Mann hatte erst zehn Jahre nach Erscheinen seines Romans wieder Gelegenheit, seine Detailgenauigkeit vor Ort zu überprüfen: 1949 hielt er sich erstmals nach dem Exil wieder für einige Tage in Weimar auf. Anlässlich des 200. Geburtstages von Goethe erwarteten ihn sowohl in Frankfurt (West-Sektor) und Weimar (Ost-Sektor) Ehrungen. In beiden Städten hielt er seine berühmte Goethe-Rede: Ein Plädoyer für die politische Vernunft und das Maßhalten im Sinne Goethes. Als Exilant, zudem als einer, der für die Einheit Deutschlands eintrat, war Mann aber längst selbst schon Objekt politischer Irrationalität geworden: „Das ist nicht Literaturkritik mehr, es ist der Zwist zwischen zwei Ideen von Deutschland, eine Auseinandersetzung, nur anläßlich meiner, über die geistige und moralische Zukunft dieses Landes.“

Für Thomas Mann hatte man bei seinem Besuch 1955 in Weimar eigens das „Hotel Elephant“ wiedereröffnet – jenes Traditionshaus, in dem er seine Roman-Lotte logieren ließ (die im echten Leben freilich bei den Verwandten in Weimar weilte). Eine stark gekürzte Theaterversion des Romans bringt das Deutsche Nationaltheater regelmäßig im Hotel Elephant selbst zur Vorstellung: Im Mittelpunkt steht dabei Lotte, die sich insgeheim doch erhofft, hinter der Werther-Dichtung noch ein Stück Wahrheit zu erhaschen – was war sie einst wohl für ihn, den damals jungen Verehrer? Das vergnügliche Zwei-Personen-Stück lässt die politische Seite des Romans zwar aus – aber für Weimar-Besucher ist es ein unterhaltsamer Auftakt und macht Lust, sich vor allem auch mit der Frage zu beschäftigen, wie man sich als unfreiwillige literarische Berühmtheit an Lottes Stelle wohl fühlen würde…

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Literarische Orte: Tod und Amüsement in Davos und München.

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Bild: Birgit Böllinger

Lebewohl, Hans Castorp, des Lebens treuherziges Sorgenkind! Deine Geschichte ist aus. Zu Ende haben wir sie erzählt; sie war weder kurzweilig noch langweilig, es war eine hermetische Geschichte. Wir haben sie erzählt um ihretwillen, nicht deinethalben, denn du warst simpel. Aber zuletzt war es deine Geschichte; da sie dir zustieß, mußtest du`s wohl irgend wohl hinter den Ohren haben, und wir verleugnen nicht die pädagogische Neigung, die wir in ihrem Verlaufe für dich gefaßt, und die uns bestimmen könnte, zart mit der Fingerspitze den Augenwinkel zu tupfen bei dem Gedanken, daß wir dich weder sehen und hören werden in Zukunft.

Fahr wohl – du lebest nun oder bleibest! Deine Aussichten sind schlecht; das arge Tanzvergnügen, worein du gerissen bist, dauert noch manches Sündenjährchen, und wir möchten nicht hoch wetten, daß du davonkommst. Ehrlich gestanden, lassen wir ziemlich unbekümmert die Frage offen. Abenteuer im Fleische und Geist, die deine Einfachheit steigerten, ließen dich im Geist überleben, was du im Fleische wohl kaum überleben sollst. Augenblicke kamen, wo dir aus Tod und Körperunzucht ahnungsvoll und regierungsweise ein Traum von Liebe erwuchs. Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?

FINIS OPERIS.

Finis operis – das Werk mag zu Ende sein, der Leser mit dem Werk noch lange nicht. „Der Zauberberg“ von Thomas Mann: Der Mount Everest der klassischen Moderne. Wer ihn besteigt, den lässt der Berg nicht los – man kann sich nicht einfach so abseilen aus diesem Jahrhundertroman, da hat einer verbale Haken und Ösen gelegt, die den Leser, der den Gipfel, sprich das Finale erreicht, lange an sich binden.

Lange ist es her, dass ich mich in diesem Opus verstiegen habe – und doch, jetzt beim Besuch der aktuellen Zauberberg-Ausstellung im Literaturhaus München genügten einige optische und akustische Anreize und ganze Gesteinsbrocken dieses Romans liegen wieder frei da. Was in meinen Augen für die Wertigkeit, für die Bedeutung des Textes, die er für mich hatte und hat, spricht.

“Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.”

Zuviel darf man jedoch von einer Literaturhaus-Ausstellung nicht erwarten: Keine vollständige Erschließung eines so komplexen Romans, keine Interpretationshilfen und Deutungen, keine Werkgeschichte – wer das sucht, der ist mit der beim S. Fischer Verlag erschienenen Fassung innerhalb der Werkausgabe, dem dazugehörigem Kommentarband und den Erläuterungen von Michael Neumann sowie der entsprechenden Sekundärliteratur besser bedient. Die Ausstellung kann allenfalls eine Einstiegshilfe sein oder Lust darauf machen, die Höhen von Davos wieder einmal zu erklimmen – und diesen Zweck erfüllt sie recht unterhaltsam. „Tod und Amüsement“ (nach einem Zitat Manns zu seinen Darstellungsabsichten beim Schreiben des Romans) lautet der Untertitel zu der Schau, die noch bis zum 26. Juni in München zu sehen ist.

Die Kuratoren und Ausstellungsgestalterinnen, so stand es im Münchner Merkur zu lesen, „verstiegen sich eben nicht in den Klüften des wissenschaftlichen Hochmassivs, sondern blieben im Davoser Sanatorium für geldige Tuberkulosekranke. Die Berge rings um diesen eigentümlichen Mikrokosmos bleiben imposante Kulissen auf Großfolie und im Video – und lassen nur milde ahnen, dass sie symbolisch gewaltig aufgeladen sind.“

Von einer Videofahrt mit der Räthi-Bahn gelangt man als Besucher immer tiefer in das Innere eines Sanatoriums und seine Verstrickungen: Von der Sonnenliege bis zum Röntgenapparat, von der Ruhekur bis zu den nächtlichen Ausschweifungen. Die Ausstellung teilt sich auf in verschiedene Themenkomplexe, aber einen eigentlichen roten Faden gibt es nicht – und das ist für mich die Schwäche der Schau: Zuviel gestreift, zu wenig vertieft. So erfährt man einiges über die Entstehungsgeschichte – 1912 besuchte Mann seine Katia während ihres Kuraufenthaltes in der Schweiz. Seine Skepsis gegenüber der geldbringenden Kurpfuscherei verbarg er nicht – doch was zunächst als amüsante „short story“ im Gegenentwurf zum “Tod in Venedig” angelegt war, wuchs sich bis zur Veröffentlichung 1924 zu einem über 1000-Seiten-Werk aus.

Mit Film- und Tondokumenten, Tagebuchauszügen und umfangreichen Fotomaterial werden die Tage der Manns in Davos veranschaulicht, treten die Menschen zutage, die Mann letztlich das Material für seine Typen lieferten. Frau Stöhr, Naphta und Settembrini, die verrucht-verführerische Madame Chauchat und nicht zuletzt wird an Mynheer Peeperkorn nochmals der damalige Skandal um das Buch aufgezeigt – herrlich ist es zu lesen (bzw. über die Audioführung zu hören), welche bebende Erregung Gerhart Hauptmann plagte, der sich in dem den Alkohol zugeneigten Kaufmann wiedererkannte. Beinahe schäumt er über „den Lumpensammler“, den  jüngeren Literaturnobelpreisträger, der zu allem Überfluss auch noch „schlechtes Deutsch“ schreibt.

Tod und Eros, Tuberkulose und Tändeleien, die Musik als „Paradigma aller Kunst“ und der Film als Inspiration, schaurig anzusehende Medizingeräte: An Information rund um einige der Zauberberg-Stationen mangelt es nicht. Die philosophischen Aspekte dieses Mammuts, die Reflektionen über die Zeit im Roman (“Luxuriös ist oder war alles dort oben, auch der Begriff der Zeit”, so Mann 1939), die mir ins Gedächtnis eingebrannt sind, und vor allem die Bedeutung des Zauberbergs als der Götterdämmerungs-Roman, der erschien in jener Zwischenzeit, als zweimal die Welt brannte – das kommt in der Ausstellung zu kurz, war wohl auch nicht ihr Anliegen.

Da hilft nur eines – von wegen “FINIS” und Ziel erreicht, das erneute Lesen des Zauberbergs möge beginnen…

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#VerschämteLektüren (11): Die Beatgeneration und ihre Sudelbücher

Auf seinem Blog bukowski.space stellt Matthias die Schriftsteller vor, die die amerikanische Subkultur literarisch erfassten und prägten: Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs bis hin zum “dirty old man” Charles “Hank” Bukowski. Da meint man doch (jedenfalls ich als unverdorbenes bayerisches Landei), es könne keine verschämten Lektüren mehr geben. Aber nichts da – auch Matthias zieht was unter der Bank hervor:

Anders als Gerhard Emmer im vorigen Beitrag musste ich zum Thema #VerschämteLektüren nicht «eine Weile vor der Bücherwand stehen» und überlegen, was zum Thema passen könnte. Es sind eindeutig die Jerry Cotton Kriminal-Romane aus der Reihe des Bastei-Verlages, die ich in den 70ern unter der Schulbank konsumierte, weil sie zu Hause für einen Skandal gesorgt hätten. «Stehen» (ich gestehe: wie unter der Schulbank) würde auch allenfalls ich selbst, handelte es sich doch um eine Hefte einer Reihe, die schon rein physikalisch betrachtet keine Standfestigkeit aufwies und die heute nicht einmal in meinen «Archiven» zu finden sind, geschweige denn auf einem Regalbrett oder unter dem Küchentisch – obschon: ich habe nichts zu verbergen …

Heute ist «Jerry Cotton Classic» eine neue Reihe, in der teilweise lang verschollene Jerry Cotton-Romane aus der Frühzeit der Serie wieder dem Publikum zugänglich gemacht werden. Die Romane spielen in einer Zeit, in der Jerry und Phil noch geraucht, Hüte getragen und sich den einen oder anderen Whiskey genehmigt haben. Das Internet war damals genauso Zukunftsmusik wie Handys und Computer.

«Ab hier ermitteln Sie» – in den Krimiserien von Bastei (Shop, Leseprobe, Archiv):
http://www.bastei.de/indices/index_allgemein_209.html

Eine weitere Parallele zu Emmer steht im Raum. War es doch die Lektüre/das Vorlesen auf dem Hocker neben der Badewanne: Die Prosa des «dirty old man»  und den von Emmer ausgeklammerten «Naked Lunch», die eine Beziehung beendete (London 1997, begonnen mit «Alice’s Adventures in Wonderland»). Da traf der deutsche Fan des Andernacher Poeten auf die Frau, die es immerhin bis zur Hälfte des Zauberberges schaffte (meiner 11-fachen #nichtVerschämteLektüre) und dann aufgab.

Ich las weiter in den «Sudelbüchern» von Gernhardt u.a.:

«Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer, die Hässlichkeit erfreut durch Dauer.» (Aus: «Nachdem er durch Metzingen gegangen war» von Robert Gernhardt). Oder: Rettet die Welt vor schlechten Frisuren.

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