MICHAEL KLEINHERNE: Absinth

Michael Kleinherne zeichnet in seinem neuen Roman die Geschichte einer Beziehung in allen ihren Facetten nach: “Absinth” erzählt von der großen Liebe und ihrem Scheitern.

“Ich sehe dir eine Weile zu, bis ich nach meiner Urlaubslektüre greife und versuche, in den Text einzutauchen. Merkwürdigerweise habe ich Murakamis Aufziehvogel mitgenommen, die Geschichte einer Trennung. In dem Roman zeigen sich die Risse zwischen beiden Partnern Schritt für Schritt, bei uns beiden kommt es mir vor, als fiele mir ein Schleier vom Gesicht, der die Risse zwischen uns bisher verborgen hat, und nun scheint es bereits eine Kluft zu sein. Du liegst da auf dem Rücken, die Hände hinter dem Nacken verschränkt, und hörst System of a Down oder ähnlichen Lärm, mit geschlossenen Augen, und ich vernehme nur das rhythmische, aus den Kopfhörern herausdrängende Hämmern des Nu Metal.”

Michael Kleinherne, “Absinth”


In einem fast lakonischen Ton erzählt Michael Kleinherne in seinem neuen Roman die Geschichte einer Beziehung, die nach dem Rausch der ersten Verliebtheit von Schatten umwölkt ist. Marius und Maria sind schon länger ein Paar. Doch während einer Reise in die Toskana bemerkt Marius, dass Maria sich ihm zunehmend entfremdet. Dennoch vermag er die Signale nicht richtig zu deuten und so ist er fast überrascht, dass sich ihre Beziehung, kaum zurück aus diesem letzten gemeinsamen Urlaub, für immer verändert.

“Absinth” ist ein zugleich tiefgründiger und kurzweiliger Roman über die große Liebe und ihr Scheitern. Kleinherne schildert mit wenigen, aber treffenden Worten die familiären Verstrickungen und Fesseln, die Maria und Marius gefangen halten und entspinnt so das Psychogramm einer komplizierten Beziehung. Lähmende Eifersucht, selbstmörderische Trauer sowie die unglaublichen Momente des Glücks – all diese Emotionen nehmen beim Lesen gefangen. Und so ist “Absinth” auch eine fesselnde Geschichte, die man kaum aus der Hand legen möchte.


Zum Autor:

Michael Kleinherne, 1964 in Westfalen geboren, lebt in Bayern. Er arbeitet dort nach Studium und Promotion als freier Autor und Journalist sowie als Dozent für Kreatives Schreiben und Englisch. 2002 erhielt er den Reportagepreis der Akademie der Bayerischen Presse in München. An der Universität Eichstätt-Ingolstadt leitet er seit 2012 das von ihm ins Leben gerufene jährliche Festival LiteraPur. 2015 war er auf Einladung der University of Dallas Gastautor am Dallas Goethe Center. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

2012 erschien sein Kurzgeschichtenband Drehpause im jos fritz.verlag, Freiburg. 2014 kam die Novelle Daniel, 2016 der Roman Die Aktion und 2020 der Roman Der Mann auf dem Foto im Bayerischen Poeten- & Belletristik-Verlag heraus. Verschiedene Kurzgeschichten sind in unterschiedlichen Anthologien veröffentlicht worden.


Stimmen zum Buch:

Michael Kleinherne im Interview mit Dr. Uwe Kullnick bei Literatur Radio Hörbahn

“Wer sich auf die Lektüre einlässt, wird mit großer Erzählkunst im kleinen Format belohnt.” – Britta Röder bei booknerds

“Michael Kleinherne schafft es, uns mit der Geschichte um das langsame
Scheitern zu fesseln.” – Sabine Ertz, Redakteurin beim Saarländischen Rundfunk


Bibliographische Angaben:

MICHAEL KLEINHERNE

Absinth
Kulturmaschinen Verlag
geb. 154 S., Lesebändchen, Schutzumschlag, ISBN 978-3-96763-227-9, 21 €
kart. 154 S., ISBN 978-3-96763-226-2, 13 €
Erscheinungstermin: 19.9.2022

Kulturmaschinen Verlag
Sven j. Olsson
sven.j.olsson@kulturmaschinen.com
+49(0)1773135938
https://kulturmaschinen.com/


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Autor

Lukas Bärfuss: Koala

Mit seinem Roman “Koala” verarbeitet der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss den Suizid seines Brudes. Ein sehr persönliches Buch, ein wichtiges Thema.

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Bild von sarah_00 auf Pixabay

„Ich hätte mir einen Abschiedsbrief gewünscht, einige Zeilen, die ein für alle Mal die Gründe dargelegt hätten, weshalb er freiwillig aus dem Leben geschieden war. Dieses Schreiben, so stellte ich mir vor, hätte mich von meinen Fragen erlöst (…).“

Lukas Bärfuss, “Koala”

Sprechen, nicht schweigen. Auch schreiben, nicht schweigen, kann ein Versuch sein, mit diesem schwer erträglichen Lebenseinbruch umzugehen. Lukas Bärfuss hat diesen Versuch mit seiner romanhaften Erzählung „Koala“ nach dem Suizid seines Bruders unternommen. Wie im Leseheft zur Longlist zum Deutschen Buchpreis 2014 zu lesen ist, hat das Nachdenken jedoch kaum dabei geholfen, mit der Erschütterung zurande zu kommen, im Gegenteil, sagt Bärfuss:

„Die literarische Auseinandersetzung mit einem Thema vertieft die Wunden und vergrößert die Fragen.“

In einem Interview mit der „Welt“ sagt Bärfuss dagegen:

„Ich muss mit dieser Tat umgehen und entwickelte mit der Zeit eine Faszination für die eigene Sprachlosigkeit. Ich habe keinen Austausch gefunden, mit niemanden, obwohl es einige Menschen in meiner Bekanntschaft gibt, die auf diese Weise jemanden verloren haben.“

Also dennoch: Schreiben über das Unerklärliche ist besser doch als Schweigen, als Verdrängen, als Wegschieben – denn die Fragen, die auch Bärfuss in seinem schmalen Buch benennt, holen immer wieder ein. Dazu nochmals Elisabeth Brockmann:

„Suizid ist eine Todesart, die sehr viel mit dem eigenen Leben zu tun hat. Man fragt sich: Hab` ich versagt? Hab` ich etwas übersehen? Warum lässt du mich allein?“

Erfolgreicher Autor mit breitem Spektrum

Lukas Bärfuss, 1971 in der Schweiz geboren, wird vor allem als Dramatiker und Theaterautor gefeiert, aber auch sein 2008 erschienener Debütroman „Hundert Tage“ wurde zu einem großen Erfolg. Umso schwerer taten sich nun etliche Kritiker mit diesem sehr persönlichen Buch, zu unfassbar die Form der Erzählung, so wenig in Schubladen einzuordnen, schwankend zwischen einer Autobiographie, Historischem und Naturgeschichte. Von Euphorie bis zum Verriss (ein für mich enttäuschend unverständiger, oberflächlicher Artikel in der Zeit) reichen die Stimmen der Feuilletonisten. Wenig verwunderlich also, dass „Koala“ es nicht in die Shortlist zum Buchpreis geschafft hat.

Aber was soll`s: Das Lesen und Leben lässt sich nicht in Listen messen. Das Leben lässt sich nicht mal überlisten. Denn: Ob auch der „Freitod“ (ein schreckliches Wort, sind doch jene Menschen, die ihn begehen, zuvor alles andere als frei und ist es fraglich, ob „danach“ die Freiheit kommt) ein Ausweg ist, eine Befreiung, auch dies zählt zu den großen Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Und um die dieser im Grunde hochphilosophische Roman kreist. „Koala“ ist ein Buch, das in mir lange nachwirken wird – und deshalb von mir meinen ganz persönlichen Buchpreis erhält.

Heinrich von Kleist und der eigene Bruder

Bärfuss trifft bei einem Vortrag in seiner Heimatstadt über einen der berühmtesten Selbstmörder der Literatur – Heinrich von Kleist – ein letztes Mal seinen Halbbruder. Sie sind sich fremd, haben sich wenig zu sagen. Wochen später erreicht ihn die Nachricht über den Suizid des Bruders, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit beginnt, es setzen die Selbstvorwürfe über die Entfremdung ein, die ganzen Emotionen kommen hoch, die Angehörige durchleben. Schonungslos, auch sich selbst gegenüber, dabei die Sprache des Schriftstellers:

„Und wenn auch die Gründe privat sein mochten, der tote Körper war öffentlich, eine Verwaltungssache, eine gesellschaftliche Affäre. Eine Leiche musste aus dem Haus in die Gerichtsmedizin getragen werden. Es würde eine Akte anzulesen sein, doch selbst wenn die Leiche verbrannt oder vergraben war, blieb der Tote eine unerledigte Sache. Man wurde mit einem Selbstmörder nicht fertig, niemals. Daran entzündete sich mein Zorn, ich war wütend, dass ich mich nicht mit den Kindern an den Gämsen erfreuen konnte, die hoch oben von Fels zu Fels sprangen, sondern stets von neuem in den Mahlgang der Gedanken gezwungen wurde.“

Ein Ex-Junkie mit wenig Interessen

Der Mahlgang der Gedanken kreist um das Motiv: Der Bruder einer, der sich dem System verweigerte, ein Ex-Junkie, der sich mit einem brotlosen Job über Wasser hielt, der wenige Freunde hatte, wenig Interessen außer einigen Comicheften, der nichts hinterlässt. Ein Außenseiter, ein Einzelgänger, als „Original“ abgestempelt, ein scheinbar leeres Leben, das mit einer Überdosis Heroin beendet wird. Nichts wird erklärt.

Bärfuss ist zu klug, um platt zu psychologisieren. Die schwierige Kindheit der Halbbrüder, die unbeständige Mutter, deren wechselnden Männer, das Gefühl der Ablehnung und Ausgrenzung, die die beiden von der Mutter erfahren, Schicksalsschläge, ein Unfall, charakterliche Disposition – all dies Mosaiksteine, die dennoch nicht erklären können, warum der eine leben will, der andere nicht. Letztendlich bleibt die Tat unerklärlich, müssen Erklärungsversuche im Ungefähren stecken bleiben:

„Ich fand einen Begriff für jenes Gefühl, das mich seit dem Tod des Bruders gefangen hielt, und ich nannte das Gefühl Einsamkeit. Ich fand sie bald in allem, nicht nur im Leben des Bruders, in jedem Leben, die meinem eigenen, in den Leben, die ich teilte und betrachtete. Ich erkannte in der Einsamkeit den Preis und die Strafe, ich sah, wie diese Einsamkeit zunahm unter meinen Freunden. Ich erkannte darin die Krankheit meiner Zeit, die Ursache des Unglücks, das jeder, der ein offenes Herz hatte, empfinden musste. Am Ende war jeder allein, das spürte ich, und ein Ende gab es alle Tage.“

Und als Leser spürt man an solchen Absätzen, in welcher Unsicherheit und Ungewissheit der Autor bei diesen Zeilen schwebt. Das Ringen um Worte, um einen Zustand des Zweifels – am Leben, an der Welt – benennen und überwinden zu können. Sicheren Boden unter den Füssen findet Bärfuss erst wieder in Australien.

Ein Spitzname aus der Kinderzeit

Der „Koala“ unternimmt hier eine Volte. „Koala“, das ist der Spitzname, den der verstorbene Bruder als Kind im Pfadfinderlager erhielt. Fast die Hälfte des Buches geht Bärfuss dem Beutelbär auf die Spur. Von den Anfängen dieses urzeitlichen Tiers, dessen Anpassungsleistung, dem Überleben, der fast vollendeten Ausrottung, der Vereinnahmung und Verniedlichung. Zugleich schreibt er hier eine Kurzgeschichte der Anfänge Australiens als Straflager der Briten, die Inbesitznahme des Landes im Namen der Queen. Der Koala, der sich eigentlich verweigert, der sein Heil in der Flucht sucht – nicht von ungefähr wird das Tier zum Bruder-Stellvertreter, lassen sich Parallelen ziehen.

Um dann wieder auf die große, die eine Frage zurückgeworfen zu sein: Welchen Zweck hat das Leben?

„George Perry, der englische Schneckenforscher, schrieb, unter allen seltsamen Tieren, die aus der Neuen Welt bekannt seien, gebühre dem Koala bestimmt ein besonderer Platz, und wenn man seinen ungeschickten und unbeholfenen Körper betrachte, ganz abgesehen von seiner seltsamen Physiognomie und seinem bizarren Lebenswandel, dann fehle einem jede Erklärung, zu welchem Zwecke der große Autor der Natur ein solches Wesen erschaffen haben mochte.“

Verweigerung in einer Leistungsgesellschaft

Die Frage nach dem Zweck: Sie mündet in Reflektionen über Arbeit, die einerseits Struktur und Sinn vergeben zu mag, die andererseits aber als Wertmaßstab in unserer Gesellschaft pervertiert ist. Wir definieren uns über unsere Arbeit, der Wert des Menschen wird an Leistungsvermögen und Karriereverlauf gemessen. Wer nichts arbeitet, ist nichts wert. Ich arbeite, also bin ich? Koala – der Bär und der Bruder – verweigern sich dem. Und scheinen zum Untergang verurteilt.

„Und Faulheit war, so lernte ich, nicht hinzunehmen. Wer auf ihr bestand, musste vernichtet werden. Sein Friede wurde ihm genommen und seine Garderobe, man zerlegte ihn und versilberte die Überreste. Nur in geringer Zahl, in Zoos und Naturreservaten, zu plüschigen Kuscheltieren entstellt in harmlosen Kinderbüchern, ertrug man die Kreaturen der Faulheit. Das Prinzip ihrer Existenz, die Ehrgeizlosigkeit, sollte sich nicht frei entwickeln dürfen, zu groß war die Gefahr und die Provokation.“

Bärfuss beschreibt in diesen Bildern einen ewigen Kreislauf – die Angst der Menschen vor dem Leben, vor dem Tod. Die Angst vor der Einsamkeit. Die Angst vor der Sinnlosigkeit. Und kommt auf ein lapidares, auch für ihn unbefriedigendes Fazit:

„Die Medizin gegen die Angst war der Fleiß.“

Ein Teufelskreislauf – Beschäftigung, um der Angst nicht ausgesetzt zu sein, Arbeit als Sinn des Lebens. Wer, wie sein Bruder, diese Hilfskrücke gegen die Angst jedoch verweigert, lebt gefährdet. Auf den letzten Seiten ringt Bärfuss nochmals um Erklärungen:

„Er gab keine Ruhe, er ruhte nicht, er gab keinen Frieden, es gab kein letztes Bild im Fotoalbum, jedes Bild im Album seines Lebens war das letzte, das die ganze Existenz beinhaltete, seine Existenz hatte sich in keine Erzählung gerundet, nichts hatte sich vollendet, kein Sinn sich gezeigt, keine Moral ließ sich schließen aus dem, was er vorgelebt hatte.“

„Koala“ ist ein schmales, dafür aber umso gehaltvolleres und sprachmächtiges Buch.
Ein Buch über die wesentlichen Fragen, die aufbrechen angesichts des Verlusts eines Menschen. Was macht das Leben aus?
Auch Bärfuss findet nicht die eine, die alles erklärende Antwort. Aber er findet für sich eine Lösung, um weiterzumachen. Der letzte Satz der Erzählung lautet:

„Ich stieg in den Wagen, fuhr nach Hause, setzte mich an den Schreibtisch und machte mich an die Arbeit.“

Weiterführende Links:

Mein Dank an Claudia von DasGraueSofa, die mich über ihr Longlist-Leseprojekt auf den „Koala“ gebracht und mir das Buch zur Verfügung gestellt hat. Bei ihr finden sich noch weitere Angaben zu Lukas Bärfuss und Koala:
http://dasgrauesofa.wordpress.com/2014/08/22/lll-2014-kurzportrat-2-lukas-barfuss-koala/

Ich empfehle sehr das Interview mit Bärfuss in der Welt:
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article125726580/Ich-fuerchte-mich-immer-noch-vor-diesem-Buch.html

Und hier die Adresse zur Selbsthilfeorganisation AGUS: http://www.agus-selbsthilfe.de/

Informationen zum Buch:

Lukass Bärfuss
Koala
Wallstein Verlag, 2014
ISBN 978-3-8353-0653-0