Wolfgang Borchert: Schischyphusch

Lebensfroh, verspielt, bunt – auch so schrieb der früh verstorbene Schriftsteller Wolfgang Borchert, ganz anders, als es sein berühmtes Drama vermuten lässt.

dessau-4195467_1920
Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Er wußte nicht: Hab ich nun eben Schischyphusch geschrien? Oder nicht? Hab ich schechsch Aschbach gekippt, ich, der Kellner dieschesch Lokalsch, mitten unter den Gäschten? Ich? Er war unsicher. Und für alle Fälle machte er eine abgehackte kleine Verbeugung und flüsterte: „Verscheihung!“ Und dann verbeugte er sich noch einmal: „Verscheihung. Ja. Verscheihen Schie dasch Schischyphuschgeschrei. Bitte schehr. Verscheihen der Herr, wenn ich schu laut war, aber der Aschbach, Schie wischen ja schelbscht, wenn man nichtsch gegeschen hat, auf leeren Magen.
Bitte schehr darum. Schischyphusch war nämlich mein Schpitschname. Ja, in der Schule schon.
Die gansche Klasche nannte mich scho.“

Wolfgang Borchert, „Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels“

Da begegnen sich zwei: Der eine Herr, der andere Diener. Der eine wohlhabend, der andere vom Leben gebeutelt. Da ist der Onkel: Lebenslustig, abenteuerlustig, überhaupt lustig. Kraftvoll, kraftstrotzend, trotz Kriegsversehrung, alles an ihm ist groß, auffallend, laut. Und der andere, jener Kellner: Klein, grau, niedergedrückt. Alles an ihm etwas schäbig. Vom Leben gezeichnet.

Sprachfehler als einendes Element

Das Einzige, was sie eint – ein Sprachfehler. Dem Onkel haben sie in Frankreisch die Zungenschpitze weggeschosschen, der Kellner trägt die sch-Laute scheid Geburt mit schich herum. In einem Gartenlokal geraten sie aneinander – jeder fühlt sich vom anderen bei der Bestellung („Alscho: Schwei Aschbach und für den Jungen Schelter oder Brausche. Oder wasch haben Schie schonscht?“) „veruscht“. Ist es die Hitze, der Lärm, sind es die fordernden Gäste, man weisch esch nicht. Doch an diesem Tag ist für den kleinen Kellner das Maß voll: Einmal wehrt er sich, einmal begehrt er auf, läßt die vermutete Veralberung wegen seines Sprachfehlers, der ihn seit seiner Kindheit Witzen aussetzt, nicht auf sich sitzen. Und hat Glück: Er trifft nicht auf den Typ eines autoritären Herrenmenschen, sondern auf diesen großzügigen, lebenslustigen Onkel (erzählt ist die Geschichte aus der Perspektive eines Kindes, des Neffen). Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Eine anrührende Geschichte, humorvoll, zärtlich im Ton, die von Freundschaft, Toleranz und von Würde spricht. Und eine Erzählung, wie ich sie von Wolfgang Borchert nicht vermutet hätte – so lebensfroh, so kindlich auch im besten Sinne, so bunt.

Bekannt für „Draußen vor der Tür“

Wie wohl viele kenne ich das Drama „Draußen vor der Tür“ des viel zu früh verstorbenen Hamburger Schriftstellers (1921 – 1947). Die dramatische Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der keinen Platz mehr findet in der Heimat. Das Drama war Schulstoff zu meiner Zeit. Die Lektüre ist mit persönlichen Erinnerungen verknüpft, die bis in die heutigen Tage meine Borchert-Wahrnehmung prägten – ich las es in einer Zeit, als ich häufig bei meiner Großmutter essen war. Und die kochte auch in den 70ern immer noch so, als stünde draußen vor der Tür der nächste Krieg. Eine von Kriegsnot, Lebensmittelknappheit und zurückliegender Armut geprägte Küche: Eierflockensuppe. Allenfalls Sonntags ein magerer Braten, Resteverwertung am Montag dann. Borchert, das war für mich bislang: Bedrückende Atmosphäre. Der Geruch nach Kohl und Eierflockensuppe.

Und nun diese Erzählung, deren Stimmung wunderbar unterstrichen wird durch die Illustrationen von Birgit Schössow. Die Hamburgerin, die unter anderem auch für den New Yorker arbeitet, hat zarte, pastellfarbene Töne für dieses durchgehend bebilderte Buch gewählt. Ihre Figuren – Kinder in Matrosenanzügen, Frauen in Flatterkleidern – lassen den Schwung, die schwunghafte, lebendige Seite der 1920er-Jahre wieder auferstehen. Ein – im positiven Sinne – hübsches Buch. Das zudem eine gute Anregung für mich ist, endlich – ohne Kohlgeruch in der Nase – mehr zu lesen von Wolfgang Borchert.

 Informationen zum Buch:

Wolfgang Borchert
Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels
Mit Illustrationen von Birgit Schössow
Atlantik Verlag, 2016

Buchtrailer: