ULLA COULIN-RIEGGER: Es wird so unbemerkt zu spät

Ulla Coulin-Riegger vermag es, psychologische Themen in unterhaltsame Literatur zu verpacken. In ihrem neuen Roman wird ausgerechnet ein engagierter Psychiater von Burnout betroffen: “Es wird so unbemerkt zu spät” ist eine märchenhafte Satire auf unsere Leistungsgesellschaft.

Bereits mit ihrem vielbeachteten Debütroman „Mutters Puppenspiel“, der unter anderem in der FAZ besprochen wurde, hat die Psychologin und systemische Verhaltenstherapeutin Ulla Coulin-Riegger bewiesen, mit welchem Geschick sie psychologische Themen in gute Literatur verpacken kann.

Nun erscheint mit „Es wird so unbemerkt zu spät“ ihr zweiter Roman, der erneut auf ungewöhnliche Weise ein Thema aufgreift, das viele Menschen betrifft: Burnout entwickelt sich in unserer Leistungsgesellschaft zur neuen Volkskrankheit.

Wie diese Krankheit sich bei einem Menschen einnisten kann, zeigt die Schriftstellerin interessanterweise am Beispiel eines Psychotherapeuten, der seinen eigenen Patienten aus deren Lebens- und Schaffenskrise helfen soll: Rafael Lenz, der einen typischen Patriarchen-Vater und eine anspruchsvolle Ehefrau im Nacken hat, merkt selbst viel zu spät, dass er sich mit dem Virus des „Ausgebranntseins“ angesteckt hat – und sein Ehrgeiz, den Menschen in einer eigenen Klinik mit ungewöhnlichen Methoden helfen zu wollen, endet in einer burlesk anmutenden Katastrophe.

Schriftstellerin Angelika Overath, die den Roman vorab gelesen hat, ist begeistert: „Auch wo die Autorin sezierend kritisch ist, schreibt sie mit Empathie. Man spürt die Herzensgeste der Gnade. Und weil Ulla Coulin-Riegger durch ihr genaues, witziges, traurig- und lachenmachendes Erzählen uns zum Nachdenken bringt, könnte dieser kluge Text eine Chance bieten, etwas an unserem Leben zu ändern.“

Und Ulla Coulin-Riegger sagt über ihre Motivation zu ihrem zweiten Roman:
„Mit den Mitteln der Psychotherapie gegen die mächtigen Versprechungen und Drohungen einer Leistungsgesellschaft antreten zu müssen, mag gelegentlich zur Sisyphusarbeit ausarten und den engagiertesten Therapeuten Momente der Resignation und eigener Erschöpfung durchleben lassen. Es reizte mich, diese Erfahrung im Rahmen eines Romans zu verarbeiten, und an der Seite meines Protagonisten den Traum von einem selbstfürsorglicheren und Einspruch erhebenden Menschen zu träumen, der, vielleicht schon bald, durch die Generation Z ein bisschen wahr werden könnte.“


Zur Autorin:

Ulla Coulin-Riegger, 1950 in Stuttgart geboren, studierte Psychologie an der Eberhard-Karls-Uni-versität in Tübingen und absolvierte danach eine Ausbildung zur Psychotherapeutin. Seit 1996 ist sie als Verhaltenstherapeutin und systemische Verhaltenstherapeutin tätig und führte bis vor kurzem eine eigene Praxis in Leinfelden-Echterdingen. Bereits in jungen Jahren begann sie auch mit dem Schreiben. Ihren ersten Text über eine narzisstische Mutter bot sie aber erst spät zur Veröffentlichung an. Nach dem Erfolg von „Mutters Puppenspiel“ ist „Es wird so unbemerkt zu spät“ ihr zweites Buch.


Stimmen zum Buch:

“Erschöpfung ist ein schlimmer mentaler Zustand, bei dem natürlich auch Angst entsteht. Und das musste ich einfach aufschreiben. So entstand die Idee zu meinem neuen Roman, in dem ein Psychotherapeut versucht, die ausgebrannten menschlichen Seelen zu retten.” – Ulla Coulin-Riegger im Interview bei “SPIEGEL Psychologie”

“Mit Es wird so unbemerkt zu spät ist Coulin-Riegger ein Zeugnis für die transformative Kraft des Geschichtenerzählens gelungen.” – Katharina Horrer in der Heidenheimer Zeitung, 29. Juni 2023

4,5 von 5 Therapiesitzungen vergibt Sarahs Lesereise:
“Ein Buch, dass die Augen öffnet und den Leser anschließend bewusster durch den Alltag gehen lässt.”

“Die Autorin Ulla Coulin – Riegger, selbst Psychologin und Psychotherapeutin, hat ein sehr empathiebehaftetes Buch geschrieben, bei welchem aber auch Humor, Witz und Traurigkeit nicht fehlen.” – Andrea Schumacher bei Instagramm

“Sehr humorvoll und dennoch emotional wertschätzend beschreibt die Verhaltenstherapeutin und Autorin Ulla Coulin-Riegger die Geschichte von Rafael Lenz.” – Besprechung auf dem Blog “Goldene Seiten”.

“Die Charaktere gehen dem Leser unter die Haut, die Problematik des Burnout Syndrom und mögliche Konsequenzen bleiben im Gedächtnis und stimmen nachdenklich. Leseempfehlung!” – Renie empfiehlt den Roman bei der Community watchaREADIN

Weitere Interviews und Buchpräsentationen in der Heidenheimer Zeitung, SWR, Leserkanone.de


Bibliographische Angaben:

Ulla Coulin-Riegger
Es wird so unbemerkt zu spät
Molino Verlag, 2023
Hardcover, 212 Seiten
20,00 €
ISBN: 978-3-948696-45-0


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Autorin.

FLORIAN L. ARNOLD: Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke

„Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke“ von Florian L. Arnold spielt mit den Begriffen und der Sprache. „Roman“ als Genrebezeichnung trifft dieses unterhaltsame Gesamtkunstwerk nur unzureichend. Was die beste Bezeichnung dafür wäre? Das gehört wohl in das Lexikon „Über das gesammelte Nichtwissen der Welt in Wort und Bild“.

Alles beginnt vermutlich an einem Donnerstag in einem Augsburger Friseursalon, der plötzlich in Flammen steht. Genaues weiß man nicht. Doch einen Mann ficht die sich dadurch ausgelöste Katastrophe nicht besonders an. Er schreibt, in sich selbst versunken, an einem Lexikon „Über das gesammelte Nichtwissen der Welt in Wort und Bild“. Eine Herkulesaufgabe, die er nicht zu Ende bringen wird. Doch immer wieder finden sich in Raum und Zeit Menschen, die dem Nichtwissen auf den Grund gehen wollen und das Lexikon fortsetzen.

Dies ist, grob umrissen, die Rahmenhandlung des Gesamtkunstwerkes unter dem Titel „Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke“ von Florian L. Arnold (Autor und Bildender Künstler), nun frisch im axel dielmann – verlag erschienen. „Roman“ als Genrebezeichnung trifft dieses unterhaltsame, schräge und auch spannende Buch nur unzureichend. Was die beste Bezeichnung dafür wäre? Das gehört wohl in das Lexikon „Über das gesammelte Nichtwissen der Welt in Wort und Bild“.

„Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke“ ist ein bis ins Detail gestaltete Buch, das auch aus dem engen Zusammengang mit der Typographie und seinen Illustrationen lebt. Das ist das eine. Das andere ist, dass es etwas höchst selten Gewordenes kann und dies auch ausgiebigst tut: fabulieren! Was auch sonst könnte dazu führen, eines der fantastischsten Projekte der Neu- und Altzeit, der Gegenwart und des Futur II zu bewältigen: den im seinerseits schon fabulierwütigen Untertitel bezeichneten „wahre[n] Bericht über die Entstehung und Vernichtung des einzigen Lexikons zur Beseitigung der modernen Ratlosigkeit, ungeschönt in Worte gesetzt“, abzuliefern. – Um nichts weniger geht es hier.

„Eines Tages hatte Dr. Sperz feststellen müssen, daß sich im Inneren seines Hauses eine neue Realität gebildet hatte: Sie reichte von der Küche bis ins Wohnzimmer, sonderte einen betörenden Duft von frischen Orangen, Zimt und trockenem Laub ab und breitete sich im Verlauf weniger Tage auf das ganze übrige Haus aus. – Dr. Sperz ging hinaus und verglich diese neue Realität mit seiner eigenen gewohnten Realität und fand, daß diese neue Realität viel besser zu ihm passe. Also verließ er das Haus nicht mehr, sondern setzte sich an seinen Schreibtisch und begann ein Buch zu schreiben, das er Die Kunst des Augenrollens nennen wollte.“

Der Verlag schreibt dazu: „Dies ist kein Buch für irgendwelche Leser. Hier muss man harte Krimi-Liebhaberin sein, zugleich den Historischen Roman als Leibspeise vergöttern, den Gesellschaftsroman des Jahrhunderts suchen, der intensivsten Liebesgeschichte als Lebensform so dringend bedürftig sein wie eines ordentlich gebundenen Groß- und Universal-Lexikons und vor allem der Reise-Literatur jederzeit den Vorzug vor jeglichem Fernsehgericht geben. Wer dann noch die geistigen Segnungen des zeitgenössischen Märchens schätzt und es als Vorzug von Literatur ansieht, dass sie zugleich unterhalten und bilden kann, indem sie allzeit eine weitere in Bann schlagende Figur um die Ecke der Buchseitenkante springen lässt, du liebe Zeit: der und die ist auf diesen schillernden Seiten bestens aufgehoben.“

Florian L. Arnold ist nach eigenen Angaben ein Nachtarbeiter mit österreichischen Wurzeln. Er lebt in auf der Grenze von Ulm zu Neu-Ulm. Als freier Zeichner, Buchillustrator, Sprecher und Schriftsteller ist sein Name nicht nur auf seinen eigenen Büchern zu finden, als Covergestalter und Illustrator wird er von vielen unabhängigen Verlagen regelmäßig angefragt. Mehr über seine vielfältige Arbeit findet sich auf http://www.florianarnold.de/

Informationen zum Buch:

Florian L. Arnold
Die Wirklichkeit endet an der nächsten Ecke
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt a. Main, Juli 2022
Hardcover mit Lesebändchen, zahlreiche Illustrationen, Überformat, 24,00 €
ISBN: 978-3-86638-330-2

Das Buch erscheint auch als vom Autor signierte, handkolorierte Vorzugsausgabe, Details dazu direkt beim Verlag: http://www.dielmann-verlag.de/


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

Kristof Magnusson: Ein Mann der Kunst

Mit milder Ironie zeichnet Kristof Magnusson in seinem dritten Roman ein Bild kulturbeflissener Bildungsbürger und schwieriger Künstler. Herrlich unterhaltsam!

Bild von Kai Pilger auf Pixabay

„Die Hansens waren also intensiv damit beschäftigt, sich vorzubereiten. Sich einzulesen, was eines ihrer Lieblingsworte war, wobei Martha Hansen eine noch größere, protestantisch-textbegeisterte Ernsthaftigkeit an den Tag legte als ihr Mann. Das Wichtigste war dabei für Martha Hansen stets: ein kritisches Bewusstsein!
Und Martha Hansens kritisches Bewusstsein vertrug sich eben nicht mit dem kritischen Bewusstsein, das KD Pratz auf seinen Bildern so deutlich zur Schau stellte. Immer wieder, gerade wenn sie nun in dem Heft die älteren Bilder von KD Pratz betrachtete, sagte sie: »Das Bild spricht nicht zu mir.«

Kristof Magnusson, »Ein Mann der Kunst«

Wer sich ab und an auf Vernissagen, kulturellen Veranstaltungen oder aber im Gehege eines Kunstvereins tümmelt, der wird an diesem Roman ein besonderes Vergnügen haben. Mit milder Ironie und sehr scharfsichtig nimmt Kristof Magnusson, der zunächst vor allem durch seine Theaterkomödien bekannt wurde, in seinem inzwischen dritten Roman die Kunstszene aufs Korn. Das ist herrlich zu lesen, nah an der Realität und äußerst unterhaltsam.

Der Plot: Ein Frankfurter Kunstverein, der sich für das kleine, aber ambitionierte Museum Wendevogel einsetzt, bekommt ein Grundstück vererbt. Landes- und Bundesmittel werden in Aussicht gestellt, wenn dort ein eigener Anbau für die Werke des Malerfürsten KD Pratz entsteht. Der als schwierig geltende Künstler, der seit Jahren zurückgezogen auf einer Burg im Rheingau lebt, ist unter den Mäzenaten jedoch nicht unumstritten. Also geht es auf zu einer Busfahrt für Kulturbeflissene, eine Butterfahrt für Geld- und Kunstleute gewissermaßen, um den Künstler vor Ort in seinem Atelier zu begutachten. Ein Vorhaben, das im kreativen Chaos endet …

Kunstliebhaberinnen auf Butterfahrt

Ich-Erzähler „Consti“, seines Zeichens Architekt und Sohn der kunstbegeisterten, alleinerziehenden, feministisch-grün angehauchten Psychotherapeutin Ingeborg, begleitet die Mutter, eine frustrierte Museumsassistentin, einen ehrgeizigen Museumsleiter, ein „Einstecktuch“ (sprich Geldsack) sowie einige weitere prägnante Typen auf dieser Wochenendreise. Das ist plastisch beschrieben, mit viel Gespür für die einzelnen Figuren – man sieht sie förmlich vor sich, die Damen in lockeren Leinen- und bunten Seidengewändern, bestückt mit auffälligem Holzhalsschmuck und Designerbrillen, die Herren im Rollkragenpullover oder legerem Freizeitlook.

Als die Gruppe mit dem ewig grantigen Maler zusammentrifft, stoßen zwei Welten aufeinander und Erzähler Constantin wird mehr und mehr zum Vermittler zwischen den beiden Parteien.

»KD Pratz tat mir leid. Es war eine Gemeinheit von uns, ihn mit der Aussicht auf sein eigenes Museum aus seiner Isolation zu locken. Seinen Ruhm, seine Produktivität, seine besten Bilder verdankte er dieser Isolation, nun sollte er sie aufgeben, uns nett empfangen und gleichzeitig weiterhin den entrückten, genialischen Einsiedler geben.«

Künstlerischer Narzissmus

Was Constantin hier wohl unterschätzt: Die Entrücktheit ist Teil der Show, der Imagebildung. Und angetrieben ist der Künstler von seinem ihm eigenen Narzissmus – ein eigenes Museum, da macht selbst ein KD Pratz Kompromisse. Mit seinem KD Pratz hat Magnusson einen Künstler erschaffen, der durchaus an lebende Vorbilder erinnert, mich zu allererst übrigens an Markus Lüpertz. Magnusson selbst stellt andere Bezüge her:

»Provokant könnte man sagen, dass KD Pratz detailverliebter als Gerhard Richter ist, archaischer als Anselm Kiefer und expressiver als Georg Baselitz.«

Lover von Marina Abramović

Durch eine kurzfristige Beziehung mit Marina Abramović, die der Autor seinem Künstler gönnt, gewinnt die Kunstfigur KD Pratz zudem noch mehr an Realitätsnähe. Sein Liebesleben, sein Umgang mit Frauen und die Art, sie darzustellen, führt jedoch zum Eklat zwischen der kritischen Ingeborg und dem egomanischen Künstler – und so scheint am Ende der Traum von einem KD Pratz-Museum ebenso ins Wasser zu fallen wie die Kunstwerke, die er in den vergangenen Jahren schuf: Eine spontane „life performance“, bei der die Kunstvereinsmitglieder angeführt von KD Pratz dessen Bilder im Rhein versenken, gehört zu den amüsanten Höhepunkten dieses Romans.
Ob es doch noch zu einem KD-Pratz-Museum kommt? Das sei hier nicht verraten. Nur so viel: Es gibt einen herrlich übertriebenen Showdown im Guggenheim in New York – und alle sind zufrieden.

„Ein Mann der Kunst“ ist eine schwungvoll geschriebene Satire, die das Kunstleben und die Mechanismen des Kunstmarkts mit liebevollem Spott beschreibt. Prädikat: Unterhaltsam!

Informationen zum Buch:

Kristof Magnusson
Ein Mann der Kunst
Verlag Antje Kunstmann, 2020
Hardcover, 240 Seiten, 22,00 Euro
ISBN: 978-3-95614-382-3

Tom Zürcher: Mobbing Dick

Was wie ein harmloses Coming-of-Age-Buch beginnt, endet im Fiasko: Die herrlich überdrehte Satire steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Nachts sitzt Dick im Büro und schreibt die Notizen fürs Archiv um. Er hofft jedes Mal, das letzte Tram zu erwischen, aber er schafft es selten. Zuhause kann er nicht einschlafen, obwohl er todmüde ist. Die Bank kocht in seinem Kopf weiter und die Fantastischen diktieren Müll und Mist. Ich muss hier raus, sagt er sich, die Kammer macht mich fertig.“

Tom Zürcher, „Mobbing Dick“, 2019.


Was für ein grandioser Spaß! Ein Roman, so irrwitzig im ursprünglichen Sinne dieses Wortes, irre und witzig, irre witzig, so überdreht jedenfalls ist mir seit „Die Verschwörung der Idioten“ kaum mehr etwas untergekommen. Ein abgefahrenes Spektakel, ausgerechnet angesiedelt hinter der biederen Fassade eines Kleinfamilienhauses in Witikon und den soliden Mauern einer Züricher Bank.

Dick – allein schon sein Vorname ein schweres Erbe, ist er doch der Heldenverehrung seiner Eltern für den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney zu verdanken – will vor allem nur eines: Geld verdienen, raus aus dem engen Elternhaus, rein in eine eigene Wohnung, dem kontrollsüchtigen, geizigen Vater und der überfürsorglichen Mutter entrinnen. Er bricht sein Jurastudium ab, bewirbt sich bei einer Bank, wird ohne große Qualifikation sofort genommen und ist erst einmal glücklich. Was sich bei Dick – der im Verlauf des Romans jedoch immer dünner wird – in einer Fressattacke manifestiert. Als „Banker“ dürfen es da zum Einstand auch mal die teuren Cremeschnitten aus der Konditorei „Sprüngli“ sein, die er im Wesentlichen jedoch selber futtert.

Seltsam verschrobene Ideen

Doch aus der großen Freiheit und den Träumen vom Aufstieg auf der Karriereleiter wird absolut nichts: Die Bank entpuppt sich als kafkaesker Käfig, eine Anstalt der Sinnlosigkeit, in der das Produktivste, was die einzelnen Angestellten zu unternehmen scheinen, das Spinnen der nächsten Intrige ist. Viel Gewese gibt es um das Bankgeheimnis. Ein eigens erfundener „Vreneli“-Code dient dazu, die Kundengespräche per Hand zu protokollieren. Wem das im Zeitalter der Digitalisierung verschroben vorkommt: Das ist es. Das Abfassen hunderter handschriftlicher Adressumschläge, das Schreiben von Protokollen, das Training von Schönschrift: Dick muss mehr Papier produzieren, als er Staub fressen kann. Aber auch das gehört zur satirischen Überspitzung, mit der Tom Zürcher in seinem dritten Roman das Tun und Treiben in dieser seltsamen Geldanstalt zeichnet.

Klaustrophobisch eng wird es für Dick auch an seiner neuen Wirkungsstätte: Die „Fantastischen Fünf“, herrlich überspitzt dargestellte Finanzhyänen mit dem entsprechenden Jargon, lassen den jungen Mann gerne in der fensterlosen Kammer, in der er den Verhandlungen mit Kunden zuhören muss, schwitzen. Als das längst schon marode Bankhaus von Amerikanern übernommen wird, nimmt der Konkurrenzkampf unter den „Fanta 5“ existentielle Züge an, Dick selbst gerät mitten in das Gefecht und macht sich zudem durch Fehlspekulationen quasi zum Sklaven der Bank. Erneut will er wieder nur eines: Raus. Selbst der Rückzug zu den Eltern, Studium und finanzielle Abhängigkeit vom Vater erschiene ihm die bessere Alternative.

Doch es gibt kein Entkommen: Mit Versprechen auf mehr Gehalt und Aufstieg wird Dick, der in der Personalakte als „naiv“ und „gutgläubig“ bezeichnet wird, geködert, einem Esel gleich, dem man die Mohrrübe vorhält, durch die Arena gezogen. Mehr und mehr durch den Wind gedreht, verliert Dick, zunehmend auf Wodka statt auf Cremeschnitten, die Kontrolle über sich. Sein Alter Ego „Mobbing Dick“ gewinnt die Oberhand, zieht als aufgespeedeter Racheengel durch das nächtliche Zürich und terrorisiert Kollegen wie Familie zunächst nur mit relativ harmlosen Stalking-Telefonaten. Doch Wahn und Wirklichkeit verwischen zusehends, aus dem Spaß wird Ernst: Das Ganze endet in einem Fiasko, das mit einer erotisch ansprechenden Vorgesetzten, einem Zahnarztstuhl, einem Teppichklopfer und einem unvermutet aufgetauchten Familienkonto mit 5 Millionen Franken zu tun hat. Mehr sei dazu an dieser Stelle nicht verraten.

Aufstieg und Fall eines Naivlings

Wie Tom Zürcher diesen Aufstieg und Fall seines jungen Helden zeichnet, ist von einem unwahrscheinlichem Tempo, viel Wortwitz und absurden Dialogen geprägt. Was wie ein harmloses Coming-of-Age-Buch beginnt, wird zum aberwitzigen Roman und einer absurden Tragikomödie, die im Grunde vor allem eines aufzeigt: Verlass dich nicht auf Loyalität und Solidarität unter Kollegen. Offengelegt werden die Mechanismen, die in hierarchisch strukturierten und auf Leistung ausgelegten Unternehmen im menschlichen Umgang wirksam werden. Und das sind eben nicht die besten Charaktereigenschaften, die da zu Tage treten. Zürcher erzählt dies trocken, fast nüchtern, in rasantem Präsenz, stilistisch unverschnörkelt.

Vielleicht mag gerade dies dem Roman, der auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis steht, bei der Auswahl der Jury für den Gewinnertitel nicht zum Vorteil gereichen. Vielleicht ist er dafür auch eine Spur zu absurd. Man weiß es nie. Für mich ist das Buch auf jeden Fall ein Gewinnertitel, denn es war für mich nach anfänglicher Skepsis eine große, positive und unterhaltsame Überraschung.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat in diesem Jahr 20 Buchbloggerinnen und Blogger gebeten, eine Art „Patenschaft“ für einen der 20 Titel auf der Longlist zu übernehmen. Die Titelauswahl fand per Los statt. „Mobbing Dick“ war für mich daher tatsächlich ein Überraschungsei, beinahe wie eine Cremeschnitte aus dem „Sprüngli“.

Über die weiteren Titel sowie die Rezensionen dazu, Autoreninterviews und andere Infos ist alles auf dem Blog zum Buchpreis zu finden: https://www.deutscher-buchpreis-blog.de/


Bibliographische Angaben:

Tom Zürcher
„Mobbing Dick“
Elster & Salis Verlag, 2019
24,00 Euro, Hardcover, 288 Seiten
ISBN 978-3-906195-83-4

Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm

Der 1931 beim Ernst Rowohlt Verlag erschienene Roman hat alles, was eine gute Satire braucht: Witz, Tempo, eine turbulente Handlung, starke Typen.

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Bild von Michael Kauer auf Pixabay

„Ich kannte diese Stadt noch“, dachte er, „als sie noch aussah fast wie eine Stadt, als man noch nicht Haus bei Haus abgerissen hatte, als noch das Wollager im Hohen Hause war und die Planwagen in der Klosterstraße standen, am Hackeschen Markt noch die Hollmannsche Schule war und alles dort voll Gärten. Es ist kein Platz mehr für den Menschen und seine Sehnsucht.“ Er wanderte weiter, kam an den Schloßplatz und ging die Französische Straße lang. Niemand begegnete ihm. Er war zurückgekehrt nach 1000 Jahren in die verfallene Stadt. Unbewohnt waren die Häuser, nur manchmal stand ein alter Gott davor in bortenbesetzter Uniform, der Schlüssel hielt. Nie mehr würden hier Menschen atmen. Das Lachen starb, als die Menschen zugrunde gingen. Er nur allein war aufgeweckt. Er war müde, die Sohlen brannten ihm. „Müde Füße“, dachte er, „das mildeste Tun ist, die Füße zu waschen. Wir haben aufgehört zu wandern, wir haben keine müden Füße mehr, wir haben niemanden, der sie uns wäscht, verratenes Herz, getäuschtes Vertrauen in den großen Städten.“

Gabriele Tergit, „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“


Ein wenig lässt der melancholische Gedankengang des Redakteurs Miermann an Georg Heyms „Gott der Stadt“ denken – der expressionistische Furor, mit dem Heym bereits 1910 die menschenfressende Metropole beschrieb, klingt in diesen Zeilen ebenfalls durch. Und macht deutlich, wer in diesem Roman aus der Weimarer Republik tatsächlich die Hauptrolle spielt: Nicht der titelgebende Volksliedsänger Käsebier, nicht der gescheiterte Schriftsteller Miermann, nicht das ganze Panoptikum an Bauspekulanten, vom Konkurs bedrohten Bankern, windigen Medienleuten und halbseidenen Damen. Sondern sie steht im Mittelpunkt, die Stadt, DIE Stadt der Weimarer Republik an sich, Berlin.

Witz, Tempo und starke Typen

Der 1931 beim Ernst Rowohlt Verlag erschienene Roman hat alles, was eine gute Satire braucht: Witz, Tempo, messerscharfe Dialoge, eine turbulente Handlung, starke Typen. Erzählt wird vordergründig von Aufstieg und Fall des nur mittelmäßig begabten Alleinunterhalters Käsebier. Eine über ihn verfasste Story dämmert bei der Berliner Rundschau vor sich hin, rutscht als Platzhalter eher zufällig in die Zeitung, wird aber von einem aufstiegsgierigen freien Journalisten hochgeputscht – die Maschine kommt ins Rollen, es gibt kein Halten mehr: Käsebier wird von der Halbwelt und der feinen Welt entdeckt, bekommt Auftrittsverträge, eine Welttournee, Grundstücksspekulanten planen ein Käsebier-Varieté am Kurfürstendamm, Käsebier-Biographien werden verfasst, Käsebier-Puppen finden reißenden Absatz, das Käsebier-Merchandising läuft auf Hochtouren. Doch die Blase platzt so schnell, wie sie sich entwickelt hat – das Publikum findet einen neuen Liebling, am Ende ist eine Zeitung plattgemacht, eine Bank geht Konkurs und Käsebier verschwindet in der Provinz.

Alle, die in diesem Zirkus auftreten, sind „Menschen der Zeit“, wie ein altgedienter Journalist anmerkt:

„Der Erfolg ist eine Sache der Suggestion und nicht der Leistung.“
Miermann würde sagen: „Dieser einzige Satz erklärt den ganzen Faschismus, ihr seid feige Sklaven, ihr braucht Autorität.“

Man schluckt ein wenig bei diesem fein eingestreuten Bosheiten, den locker formulierten Zwischentönen, die ihre eigene Wahrheit in sich bergen: Denn der ganze Käsebier-Rummel erinnert an die It-Girls und Boys von heute, der Bauwahn an die Gentrifizierung der Städte der 2000er-Jahre, die Krise der Berliner Rundschau an die Verlagskrisen unserer Zeit. So merkt denn auch Nicole Henneberg in ihrem Nachwort „Die sieben fetten Jahre im Leben einer Generation“ an:

„Heute ist diese Geschichte wieder brennend aktuell: Es ist haargenau dieselbe Krise, unter der jetzt die Printmedien ächzen, und die vermeintlichen Problemlösungen gleichen sich bis ins Detail, bis zur Neueinführung wöchentlicher Mode-, Kosmetik- und Klatsch-Seiten in bis dahin ernsthaften Blättern.“

Ein Stück Realsatire

Gabriele Tergit (1894 – 1982) hatte mit ihrem Roman durchaus ein Stück Realsatire verfasst, aus eigenem Erleben als Journalistin, die den Untergang ihrer Zeitungsredaktion zusehen musste, geschöpft. Tergit war neben „Sling“ (Paul Schlesinger), die Gerichtsreporterin der Weimarer Zeit, ungewöhnlich in jenen Jahren, war der Gerichtssaal doch noch eine reine Männerdomäne. Die freie Autorin und Literaturkritikerin Nicole Henneberg schreibt über diese interessante Autorin, die neben zahlreichen Feuilletonberichten, Reportagen, auch drei Romane und ihre Erinnerungen verfasst hatte:

„So wird sie die erste deutsche Gerichtsreporterin, und erst durch ihre nachdenklichen, klugen Schilderungen, die stets das gesellschaftliche Umfeld eines Falles und vor allem den erstarkenden rechten Nationalismus von Richtern und Staatsanwälten im Blick behalten, wird die Gerichtsreportage zu einer literarischen Gattung.“

Ihre genaue Beobachtungsgabe, die „Straßenweisheit“, die sie auch im Gerichtssaal lernt, aber vor allem ihr rascher Geist und ihr Witz prägen auch den Käsebier-Roman und machen ihn auf eine besondere Art und Weise auch höchst unterhaltsam. Dies zeigt ein Blick ins Wohnzimmer des Ehepaares Käsebier:

„Sie hatte hochblondes Haar, trug Stöckelschuh und sehr grelle Kleider. Sie war Feuer und Flamme für den Kurfürstendamm: „Denn ne große herrschaftliche Wohnung, weißt du, wo wir`n schönes Büfett stellen können, und ne neue Küche möchte ich dann auch haben, nich? (…)
Aber Männe, ich versteh dich nich? Was willste denn. Sie machen`n Tonfilm für dich. Du bist berühmt. Du warst im Wintergarten. Was klebste denn hier an de Hasenheide? Kannst doch Caruso werden, ladet dich Hindenburg ein, singste vorm König von England, bei uns is et ja nischt Rechtes mehr so ohne gekröntes Haupt.“

So locker der Roman daherkommt – er spricht eine deutliche Sprache, ist kritisch und hochpolitisch. Für ihre deutliche antifaschistische Haltung zahlte Gabriele Tergit einen hohen Preis, zumal sie auch noch aus einer jüdischen Familie stammte: Schon am 4. März 1933 versucht ein SA-Kommando ihre Wohnung zu stürmen, am nächsten Tag gelingt der Journalistin und Schriftstellerin die Flucht nach Prag. Ab 1935 lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Palästina, später siedelt die Familie nach London um. Sie teilt das Schicksal vieler Künstler, die von den Nationalsozialisten vertrieben wurden: Sie wird in Deutschland vergessen, erst spät beginnt man sich wieder für ihr Werk zu interessieren.


Bibliographische Angaben:

Gabriele Tergit
Käsebier erobert den Kurfürstendamm
Schöffling Verlag
ISBN: 978-3-89561-484-2