ULRIKE HEIDER: Die grausame Lust

In ihrem neuen Buch „Die grausame Lust“ geht die bekannte Autorin Ulrike Heider den Philosophien und Ideologien auf den Grund, die sich um das Phänomen des Sadomasochismus ranken. Es ist eine kritische und aufklärerische Erwiderung auf den erotischen Irrationalismus von Philosophen und Literaten, beginnend bei Marquis de Sade, seinem Schüler Georges Bataille und seiner Schülerin Pauline Rèage, Verfasserin der Geschichte der O., bis hin zur Gegenwart und zum Erfolg von „Fifty Shades of Grey“.

Seit den prüden 1950er-Jahren, als es noch den Kuppelparagrafen gab, scheint eine Enttabuisierung sexueller Praktiken erfolgt zu sein. In ihrem neuen Buch „Die grausame Lust“ geht die bekannte Autorin Ulrike Heider den Philosophien und Ideologien auf den Grund, die sich um das Phänomen des Sadomasochismus ranken. Es ist eine kritische und aufklärerische Erwiderung auf den erotischen Irrationalismus von Philosophen und Literaten, beginnend bei Marquis de Sade, seinem Schüler Georges Bataille und seiner Schülerin Pauline Rèage, Verfasserin der Geschichte der O., bis hin zur Gegenwart und zum Erfolg von „Fifty Shades of Grey“. „Mit dem enormen Verkaufserfolg dieses zwischen Kitsch und Pornografie schwankenden Romans wurde der Sadomasochismus endgültig salonfähig. Gleichzeitig war und ist das Bild, das sich die Menschen von der Sexualität machen, bis in den Mainstream hinein davon geprägt. Harmloser (Blümchen)Sex gilt seither Vielen als langweilig, SM- oder BDSM-Praktiken dagegen als unkonventionell, abenteuerlich und innovativ“, so Ulrike Heider.

Doch führt diese scheinbare sexuelle Befreiung tatsächlich zu mehr Selbstbestimmung der Akteure oder ist die Ideologie von SM-Befürwortern Ausdruck einer Entwicklung, die in einer Leistungsgesellschaft von Konkurrenz, Macht, Ohnmacht, Leistungszwang und Gewalt geprägt ist? Provokant hinterfragt sie dabei auch die liberale Haltung des linken und feministischen Milieus, wo SM als Ausdruck persönlicher Freiheit befürwortet wird. Diesen Fragen geht Ulrike Heider in ihrem klugen und spannend zu lesendem Essay „Die grausame Lust“ nach.

Zur Autorin:

Ulrike Heider wuchs in Frankfurt/Main auf, beteiligte sich dort an der Studentenbewegung und war in den 1970er-Jahren Hausbesetzerin. 1978 promovierte sie an der Universität Frankfurt als Politologin. Von 1976 bis 1982 lehrte sie an den Universitäten von Frankfurt und Kassel. Seit 1982 arbeitet sie als freie Schriftstellerin und Journalistin. 1988 übersiedelte sie nach New York und war dort Visiting Scholar an der Columbia University. Seit 2012 lebt sie in Berlin. Sie schreibt Bücher, Essays und Radiosendungen zu den Themen, Schüler- und Studentenbewegung, Anarchismus, afroamerikanische Politik und Sexualität, zum Beispiel: „Der Schwule und der Spießer. Provokation, Sex und Poesie in der Schwulenbewegung“, Männerschwarm, Berlin, 2019, „Vögeln ist schön – Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt“, Rotbuch, Berlin 2014 und „Schwarzer Zorn und weiße Angst. Reisen durch Afroamerika“, Fischer, Frankfurt am Main, 1996.

Stimmen zum Buch:

«[ein] Buch, das erstaunt und falsche Erwartungen überzeugend widerlegt, stellt es doch alles andere als eine apologetische Darstellung und Rechtfertigung sadomasochistischer Verhaltensweisen dar.»
Micha Brumlik in «Frankfurter Rundschau», 25.1.2023

«‹Die grausame Lust› erinnert daran, dass die falsche Gesellschaft menschenfeindliche Tendenzen unablässig hervor bringt; dass diese Tendenzen sich in immer neue ideologische Gewänder kleiden und daher auch kein linkes, feministisches oder sonstwie progressives Selbstverständnis gegen sie gefeit ist…»
Oliver Schott in «konkret», 4/2023

Ulrike Heider im Interview mit Marco Kammholz in der «Jungle.World» und am 22.04.2023 in einem ganzseitigen Interview in der “nd” (Neues Deutschland)

“Ulrike Heider betrachtet das sexuelle Begehren im Spiegel der gesellschaftlichen Maskerade wie einst Marcel Proust in »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Während Proust literarisch seziert, geht Ulrike Heider ideologiekritisch vor. In ihrem Essay »Die grausame Lust« betrachtet Heider die Jahrzehnte von den 60er Jahren bis heute. Der aktuelle sadomasochistische Trend beginnt ihrer Ansicht nach in den 80er Jahren – als Begleiterscheinung des neuen Konservatismus.” – Elfriede Müller in der nd, 26.4.2023

Bibliographische Angaben:

Ulrike Heider

Die grausame Lust. Sadomasochismus als Ideologie
Schmetterling Verlag GmbH, Stuttgart, Januar 2023
246 Seiten, kartoniert,
19,80 EUR
ISBN 978-3-89657-033-8


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Autorin.

NATASCHA STURM: Tatys kleine Kräuterfibel 2

Obwohl das Wissen um Heilkräuter und ihre Wirkung eine große Aufmerksamkeit erfährt, gibt es zu dieser Thematik noch wenige Bücher, die sich direkt an Kinder wenden. „Tatys kleine Kräuterfibel“ füllt diese Lücke wunderbar.

Ein erzählendes Sachbuch für Kinder (ab 8 Jahren) und für Erwachsene über Heilkräuter und Heilpflanzen. Mit vielen Rezepten, einem Sachregister und Illustrationen.

Schon gewusst, dass Ringelblütenblätter früher als Safranersatz verwendet wurden? Dass Thymian Mut und Tapferkeit verleiht? Oder wie man Holunderpunsch herstellt und Ringelbütenmuffins wohl schmecken? All das und noch viel mehr erfährt die kleine Elfe Taty bei ihren neuen Abenteuern in Vinlanda.

Obwohl das Wissen um Heilkräuter und ihre Wirkung eine große Aufmerksamkeit erfährt, gibt es zu dieser Thematik noch wenige Bücher, die sich direkt an Kinder wenden. „Tatys kleine Kräuterfibel“ füllt diese Lücke wunderbar. Bereits mit dem ersten Band von „Tatys kleine Kräuterfibel“ landete Autorin und Verlegerin Natascha Sturm einen schönen Erfolg: Das 2018 erschienene Buch gibt es nun bereits in der 4. Auflage.

Nun ist endlich eine Fortsetzung dieser Geschichte da, mit der Kinder märchenhaft in die Welt der Heilkräuter eingeführt werden: „Tatys kleine Kräuterfibel 2“ erschien vor wenigen Tagen im Neissuferverlag. Von Baldrian bis Thymian werden in Band 2 zwölf neue Heilpflanzen vorgestellt. Jedes Kräuterkapitel enthält viel Wissenswertes über die jeweilige Heilpflanze mit Hinweisen zur Teezubereitung und vielen Rezepten. Einen Überblick über die Wirkungsweise der vorgestellten Heilkräuter bietet das Kapitel „Was hilft wann?“.

Tatys kleine Kräuterfibel 2 richtet sich an Kinder ab 8 Jahren, deren Eltern und Großeltern, kann im Kindergarten und in der Schule eingesetzt werden und ist darüber hinaus für jeden interessant, der mehr über Kräuter und Heilpflanzen wissen möchte.

Zur Autorin: In Kassel geboren, wuchs Natascha Sturm im Taunus auf. Neben ihrer kaufmännischen Tätigkeit interessierte sie sich schon immer für die Naturheilkunde. Nach Abschluss ihres Heilpraktikers spezialisierte sie sich auf dem Gebiet der Heilpflanzenkunde. 2015 gründete sie in Görlitz, wo sie mit ihrer Familie lebt, den Neissuferverlag, dessen Programm liebevoll illustrierte und hochwertig produzierte Kinder- und Familienbücher umfasst.

Zur Illustratorin: Den ersten Kontakt mit Kunst und Gestaltung hatte Juliane Wedlich schon früh durch ihren Großvater, einen Bildhauer. Ab 2003 absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin in Berlin. Seit 2011 lebt sie als freischaffende Grafikerin und Illustratorin in ihrer Heimatstadt Görlitz.


Pressestimmen:
Vorgestellt wurde das Buch unter anderem in dem Magazin “Kinder in der Stadt” (Ulm), bei Radio Dresden und in der Sächsischen Zeitung.
In der Dresdner Morgenpost durfte Taty am 11. Juli 2021 über eine Doppelseite hinweg unter dem Titel “Es ist ein Kraut gewachsen” tolle Tipps geben.
Und im Magazin “NaturApotheke” gibt es eine neue Rubrik “Naturkind” – Natascha Sturm wird diese Seiten mit Buchtipps aus dem Neissuferverlag und ihrem Fachwissen bereichern.

Und beim Blog “Zwiebelchens Plauderecke” heißt es: “Natascha Sturm entführt uns in eine Welt der Feen und untermalt die lehrreichen Abbildungen und Tipps mit lustigen Geschichten voller Fantasie. So macht Kräuterkunde richtig Spaß. Die Verwendung der einzelnen Pflanzen ist kindgerecht erklärt. Für viele gibt es einfache Rezepte, die sich problemlos gemeinsam ausprobieren lassen.

“Absolut gelungen” findet Monika Abbas bei MonerlS-bunte-Welt diese kleine Kräuterfibel: “Es macht große Freude, die Rezepte auszuprobieren und die herrlichen Illustrationen zu betrachten!”


Bibliographische Angaben:

Tatys kleine Kräuterfibel 2
Text: Natascha Sturm
Illustrationen: Juliane Wedlich
Neissuferverlag
200 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-9821546-4-0
Preis: 15,00 €


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

Eddy de Wind: Ich blieb in Auschwitz

Der holländische Arzt Eddy de Wind überlebte Auschwitz. Schon 1946 veröffentlichte er seinen Bericht, der jedoch erst im Jahr 2020 in deutscher Sprache erschien.

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Bild von Peter Tóth auf Pixabay

„Sie haben ihre Arbeit schlecht gemacht. Nach kurzer Zeit, nach einer Stunde vielleicht, bin ich wieder zu mir gekommen. Ich lag in der Grube, inmitten von lauter ermordeten Frauen, und habe noch gelebt. Da habe ich gespürt, dass sich meine Haltung verändert hat, dass ich am Leben bleiben muss, am Leben bleiben will, um davon zu erzählen. Um allen davon zu erzählen, die Menschen davon zu überzeugen, dass das hier wirklich passiert ist…“

Eddy de Wind, „Ich blieb in Auschwitz. Aufzeichnungen eines Überlebenden 1943 – 1945“.

Dies ist ein Buch, das sich einer gängigen Besprechung entzieht.
Es ist ein Buch, das einen auch heute noch beim Lesen, da die Geschehnisse über ein dreiviertel Jahrhundert zurückliegen, mit Entsetzen und Fassungslosigkeit erfüllt.

Und ein Buch, das Scham auslöst:
Scham darüber, dass das darin Geschilderte tatsächlich geschehen konnte.
Scham darüber, dass dieser Bericht, als er 1946 erstmals und 1980 erneut in den Niederlanden erschien, scheinbar nur wenige Menschen erreichte und interessierte.
Und auch Scham darüber, dass die Hoffnung seines Verfassers, dieses Buch möge mit „einem neuen Humanismus den Weg“ bereiten, nicht erfüllt wurde.

Berichte aus der Hölle von Auschwitz

Bereits vor 30 Jahren hatte Eddy de Wind eine Neuauflage seines Berichtes aus der menschlichen Hölle angestrebt, weil, so heißt es im Nachwort der jetzigen Auflage, er sich zunehmen Sorgen macht „über etwas, das er eigentlich nie mehr erleben wollte, über das Wiederaufflammen von Intoleranz und politischer Gewalt – auch in Westeuropa.“ Wieviel Grund zur Sorge hätte der holländische Arzt und Psychoanalytiker erst heute, in diesen Tagen, da von manchen Politikern der Nationalsozialismus ganz offen als „Vogelschiss“ und das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet wird und Faschisten in fast allen europäischen Ländern ihre Wiederauferstehung feiern?

Gerade deshalb ist es wichtig, dass dieses Buch gerade jetzt wieder erscheint – erstmals in deutscher Übersetzung (durch Christiane Burkhardt) im Piper Verlag sowie in weiteren zwanzig Ländern.

Die Niederlande unter nationalsozialistischer Besatzung

Eddy de Wind (1916 – 1987) ist der letzte jüdische Student, der an der Universität in Leiden noch seinen Abschluss machen kann. Noch kann der junge Mann einige Monate in Amsterdam in Freiheit verbringen. Doch der Zugriff der nationalsozialistischen Besatzer wird immer enger. Um seiner Mutter, die im Lager Westerbork inhaftiert ist, helfen zu können, meldet sich de Wind als Freiwilliger im Arztdienst für dieses Lager – als er ankommt, ist seine Mutter jedoch bereits schon nach Auschwitz deportiert. Ein Schicksal, das auch ihn und seine Frau Friedel, der er in Westerbork kennengelernt hat, wenig später trifft.

In seinem Zeitzeugenbericht schildert de Wind die Verhältnisse in Auschwitz, in dem er von 1943 bis 1945 zahllose Grausamkeiten am eigenen Leib erlebt und miterleben muss, aus beinahe sachlicher, distanzierter Sicht – in einer nüchternen Sprache, in der sich jedoch die ganze Inhumanität, die dieser Todesmaschinerie innelag, erst richtig enthüllt.

„Es ging zum alten Krematorium, das zweihundert Meter vom Lager entfernt war. Es wurde nicht mehr benutzt. Seit alle Vernichtungen in Birkenau organisiert wurden und in Auschwitz bloß noch eine „normale“ Sterblichkeit herrschte, kamen die wenigen Leichen abends auf den Leichenwagen, der damit zu den Öfen von Birkenau fuhr.“

In der darauffolgenden Szene zeigt sich der ganze bürokratische Wahnsinn, der das Lagerleben und Lagersterben regelt – Eddy de Wind, der sich in seinen Aufzeichnungen Hans nennt, wird zu einem besonderen Einsatz eingeteilt:

„In einem der Räume des Krematoriums türmten sich Blechbehälter – die Urnen der Polen, die hier verbrannt worden waren. Die Familie bekam anschließend die Todesnachricht und konnte die Urne anfordern. Aber im Laufe der Jahre hatten sich vierzigtausend Urnen angesammelt, die jetzt in einen anderen Raum gebracht werden mussten.
Die Männer bildeten eine lange Menschenkette durch die Kellerräume, in denen die drei großen Öfen standen. Sie warfen sich die Urnen zu wie Käse- oder Brotlaibe. Noch nie hatte Hans so viele Tote in den Händen gehabt wie in diesen Stunden.“

Eddy de Wind erzählt von den Massentötungen, von der Ausbeutung der Menschen als Arbeitssklaven, von Hunger, Erschöpfung und zugleich der dem Lager innewohnenden Monotonie. Er macht in seinem Bericht die Hierarchie sichtbar, die unter all den Insassen die Juden an die unterste Stufe setzt, den SS-Mann als „Krönung der arischen Schöpfung“ dagegen zu allem berechtigt:

„Wer hat noch nie einen Betrunkenen gesehen, der seinem jaulenden Hund einen Tritt versetzt? Der Hund jault dann noch lauter, und obwohl der Mann betrunken ist, spürt er zu Recht, dass das Tier ihn wegen seiner Brutalität anklagt. Zu aufrichtiger Reue ist der Mann nicht imstande, dennoch weckt das anklagende Jaulen unangenehme Gefühle, die er mit einem stets brutaleren Auftreten überspielt. Fester treten, lauter jaulen – so lange, bis der Hund totgetreten ist.“

Das Berührende an diesem Text ist es, dass hier ein Mensch aus der Vergangenheit zu uns spricht, der unwürdiger behandelt wurde wie ein Tier – und der doch, wie andere seiner Leidensgenossen auch, seine Würde behielt, seine Menschlichkeit. Eddy de Wind erzählt auch von der Solidarität unter den Häftlingen, von ihrem Überlebenswillen, der natürlich auch vom Gedanken an Rache angetrieben wird. Und den Erzähler selbst hält das Wissen aufrecht, dass seine Frau Friedel nur einen Block entfernt noch unter den Lebenden ist und sich zudem lange den grausamen Experimenten der Lagerärzte unter Leitung des Dr. Mengele entziehen kann. Um mit ihr nur ab und an einige Worte und Lebensmittel wechseln zu können, dafür riskiert Eddy de Wind regelmäßig sein Leben.

Todesmarsch und Überleben

Erst 1945, als die russischen Befreier kommen, erlebt das Ehepaar eine wirkliche Trennung: Friedel begibt sich, entgegen seines Rats, auf einen der Todesmärsche, auf die die SS Abertausende ihrer Gefangenen jagt, er dagegen versteckt sich im Lager und überlebt so die letzten Tage in Auschwitz. Es grenzt an ein Wunder, dass das Paar sich nach seiner Rückkehr in die Niederlande wiederfand, auch wenn die Ehe den durchlittenen Alptraum nicht überstand.

Eddy de Wind begann mit seinen Aufzeichnungen bereits, als die Deutschen aus Auschwitz abgezogen waren. Eine kleine Ironie des Schicksals: In einer Kladde der Deutschen hielt er all die Gräuel fest, deren Zeuge er wurde. So spricht aus diesem Buch die authentische Stimme eines Zeitzeugens, der, obwohl er selbst später als Psychiater und Psychotherapeut traumatisierten Kriegsopfern half, wusste, dass dieses Trauma in einem Menschenleben nicht zu überwinden ist, dass es kein Vergessen geben kann – „Ich blieb in Auschwitz“ ist ein Titel, der alles dazu sagt.

Informationen zum Buch:

Eddy de Wind
Ich blieb in Auschwitz
Piper Verlag 2020
Übersetzt von Christiane Burkhardt
240 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 20,00 Euro
EAN 978-3-492-07001-0

Weitere Besprechungen:
Deutschlandfunk Kultur

Jürgen Goldstein: Blau

Jürgen Goldstein verführt zum “absichtslosen Flanieren” durch seine Wunderkammer: Eine Textsammlung zur Bedeutung der Farbe “Blau”. Ein großes Lesevergnügen.

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Bild von frankspandl auf Pixabay

„Am Anfang war kein Blau. Die Höhlenmalereien unserer Vorfahren, entstanden vor Zehntausenden von Jahren kennen Rottöne, sie schwelgen in Braun und Ocker, für sie wurde Schwarz verwendet – nicht aber Blau. Das ist weder Zufall noch ein reiner Mangel an blauen Farbstoffen: Blau scheint lange Zeit in der Entwicklungsgeschichte des Menschen eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Michel Pastoureau nennt es im Rahmen der europäischen Geschichte die „unauffällige Farbe“ und verzeichnet erst ab dem 12. Jahrhundert einen Bedeutungszuwachs.“

Jürgen Goldstein, „Blau. Die Wunderkammer seiner Bedeutungen“

Am Anfang war kein Blau. Und heute? Alle tragen Blue Jeans. Weit hergeholt, diese Assoziation? Dann sollte man sich von Jürgen Goldstein zum Lesen verführen lassen: Denn „Blau“ ist ein Buch, das seine Leser klug und intelligent auf eine überraschende Reise mit überraschenden Wendungen ins Blaue hinein mitnimmt.

In der Einführung zu seiner wunderbaren Essaysammlung spricht Jürgen Goldstein über das Glück des Flaneurs, „kein Ziel haben zu müssen.“ Die Lebenskunst, eine „souveräne Absichtslosigkeit“ auszuüben, sie kommt in unserem durchgeplanten Alltag oftmals zu kurz. Selbst das Lesen – das eine besondere Art des horizonterweiternden Müßiggangs sein könnte – fällt häufig einem Zwang zur Effizienz zum Opfer: Es soll uns weiterbringen, Wissen erweitern, Anstöße geben und ein Sachbuch sollte möglichst mit neuen Forschungsergebnissen oder zumindest mit innovativen Hypothesen aufwarten.

Ein kulturphilosophischer Text

Dem Zwang zur zielgerichteten Optimierungslektüre nimmt der kluge Autor Goldstein mit seinen kulturphilosophischen Texten von vornherein jede Grundlage, so ganz anders ist dieses „Blau“ angelegt – nämlich als „Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen“.

Der Professor für Philosophie, 2016 für sein Buch über Georg Forster mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, lädt die Leser zum Flanieren ein, zu einem kulturgeschichtlichen Bummel auf den Spuren der Farbe „Blau“. Eine literarische Fahrt ins Blaue im besten Sinne – ohne eindeutiges Ziel, ein Vorbeischlendern, ein Verharren, Pausieren dort, wo es einem gefällt, um am Ende des Tages (Buches) wie Picasso sagen zu können:

„Ich suche nicht – ich finde.“

Refugien des Außergewöhnlichen

Dieses Zitat führt nicht von ungefähr in den Prolog ein: Jürgen Goldstein möchte sein Buch als „Wunderkammer“, wie es sie in der Spätrenaissance und dem Barock gab, verstanden wissen: „Refugien“ des Außergewöhnlichen, die beim Betrachter Staunen, Neugier auf das Fremde und kulturellen Wissensdurst anregen sollten.

Die Wunderkammern fielen dem modernen Systematisierungsdrang der Museen zum Opfer. „Man geht wohl nicht zu weit, wenn man in dem Untergang der Wunderkammern den symbolischen Ausdruck eines bedenklichen Siegeszuges des modernen Ordnungswillens erkennt.“ Eine Entwicklung, die Goldstein für „unseren Umgang mit Kultur“ für „verheerend“ hält, sei doch Kultur „vom Prinzip her auf Vielfalt angelegt“.

Der durchstrukturierten Kulturvermittlung setzt Goldstein nun also eine blaue Wunderkammer entgegen:

„Mit dem eigenwilligen Ordnungsprinzip der Wunderkammer ist nun eine Möglichkeit eröffnet, nicht nur Dinge, sondern auch Bedeutungen von Dingen und Phänomenen so zu gruppieren, dass sie sich gegenseitig in verblüffenden Konstellationen ergänzen.“

Keine durchstrukturierte, chronologisch angeordnete Kulturgeschichte des „Blaus“ also, sondern ein assoziativer Spaziergang ins Blaue – dass Blau als Farbe erst allmählich Bedeutung gewann, dies erfährt man so nebenbei. Wobei dies dem Prinzip des Bandes entspricht – Wissenstropfen, die an geeigneter Stelle fallen gelassen werden, die dazu anregen, weiterzulesen, selbst weiter zu recherchieren, vor allem aber: selber zu denken.

Vom blauen Planeten zu Blue Moon

Und tatsächlich lassen sich zwischen den einzelnen Texten rund um die Farbe Blau, die zunächst so lose nebeneinander stehen, trefflich blaue Seidenfäden spinnen, ergibt das Ganze ein eng verwobenes Blaumuster. Vom unverstellten Jubel der Astronauten der Apollo 8, als sie das erste Mal den blauen Planeten in seiner Pracht sehen, über die Bedeutung des „Blue Moon“ bis hin zu Frida Kahlos blauem Haus, in dem die Künstlerin schmerzensgeplagt auf ihr Ende wartet und hofft, „nie wiederzukehren“, spannt sich der thematische Bogen. Der vor allem zeigt, wie in der Kultur des 20. Jahrhundert die Farbe Blau mit Bedeutungen und Zuschreibungen aufgeladen wurde.

Blaustimmungen: Der Blues transportierte sie, der Jazz, die Rhapsodie in Blue. Das Blau als die Farbe des humorvollen Widerstands bei Yves Klein, der Lebensbejahung über den Tod hinaus bei Paul Klee, als Farbe der unstillbaren Sehnsucht der Romantiker. Goldstein streift durch die Künste, erzählt – immer elegant-schwungvoll – von den „Blue Notes“, den „Blue Jeans“, von „Kind of blue“, verknüpft geschickt Literatur, Musik, Bildende Kunst und Zeitgeschichte. Die Eigenwilligkeit des Autors zeigt sich unter anderem an einer bemerkbaren Leerstelle: „Der blaue Reiter“, den wahrscheinlich jeder kulturell Interessierte in einem Buch wie diesem erwartet, er wird nur ganz am Rande, in Zusammenhang mit Else Lasker-Schülers blauem Klavier erwähnt.

Man vermisst den blauen Reiter nicht zwingend: Die Welt hat so viel mehr an Blautönen zu bieten. Jürgen Goldstein stellt ein Zitat von Uwe Kolbe voran:

„Wer nach dem Blau fragt, der meint das ganze Leben.“

Informationen zum Buch:

Jürgen Goldstein
Blau. Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen
Matthes &Seitz Verlag, 2017
ISBN: 978-3-95757-383-4

Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln

Verschwundene Seefahrer, abgestürzte Pilotinnen, abgesetzte Diktatoren: Inselgeschichten wimmeln vor Tragik. Tolle Inselgeschichten, kurz, präzise, pointiert.

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Bild von LuisValiente auf Pixabay

“Dieser Atlas ist somit vor allem ein poetisches Projekt. Wenn der Globus rundherum bereisbar ist, besteht die eigentliche Herausforderung darin, zu Hause zu bleiben, und die Welt von dort aus zu entdecken.”

Judith Schalansky, “Atlas der abgelegenen Inseln”


Judith Schalansky im Vorwort zum “Atlas der Abgelegenen Inseln”. Dieses literarisch-kartographische Experiment erschien 2009 im mare Verlag.Das Buch gibt es inzwischen auch als Taschenbuchausgabe –  zu empfehlen für Bibliophile ist jedoch das gebundene Exemplar, das auch von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet wurde.

Wie schön, dass uns Judith Schalansky an ihren Entdeckungsreisen – seien es zu Inseln rund um den Globus oder auch zur heimischen Flora und Fauna – immer wieder teilhaben lässt. Vor der Fahrt zu den abgelegenen Inseln muss man jedoch gewappnet sein. Es erwartet uns kein Tripp auf die Malediven mit Vollpension, weißem Muschelstrand, dezenter Musik und immer während blauem Himmel. “Das Paradies ist eine Insel. Die Hölle auch.”

Mehr Hölle als Himmel

Und auf den meisten Inseln, die Judith Schalansky vorstellt, geht es eben mehr oder weniger höllisch, selten jedoch himmlisch zu: Kaum auszuhalten auf dem Eiland “Einsamkeit” im Nordpolarmeer, Iwojima, gezeichnet von den Spuren des Krieges und bekannt aus Clint Eastwoods gleichnamigen Film. Oder St. Helena – muss man nicht mehr viel zu sagen. Napoleon war es dort furchtbar öde.

Verschwundene Seefahrer, abgestürzte Pilotinnen, abgesetzte Diktatoren: Inselgeschichten wimmeln vor Tragik. Judith Schalansky hat zu jedem Eiland ein wunderbares Portrait geschrieben: Kurz, knapp, präzise, pointiert. So schön lesbar und unterhaltsam, dass man eigentlich gottfroh ist, diese Inselgeschichten in aller Sicherheit zuhause lesen zu können, ohne auf große Abenteuerfahrt zu müssen. Jahrelang hat die Autorin dafür in Bibliotheken und Archiven recherchiert, Karten und Begleitmaterial studiert – dafür gebührt ihr eigentlich auch Dank von jedem Reiseveranstalter: Ein Atlas an Orte, an die man niemand leichtfertig hinsenden sollte.

Trotzdem ruft der Begriff “Insel” bei vielen Menschen zunächst Sehnsüchte wach, ruft Bilder von Blumenkränzen und Hulahoop-Reifen hervor. Bestes Beispiel: Meine Buchhändlerin. Beim Abkassieren verlor sie mit dem Blick auf das Buch minutenlang jede Aufmerksamkeit. Raffinierterweise ist die Taschenbuchausgabe auch aufgemacht wie ein kleiner Langenscheidt. “Ach, Inseln, Urlaub! Wo steht das Buch?” – “Ja, hier bei Ihnen – hinten in der Ecke für besondere Bücher!” – “Ich muss mal wieder weg, das hole ich mir.” – “Ähmm, das ist kein Reisebuch…”. War ihr nicht zu vermitteln, dass das zwar ein tolles Buch ist, aber die Reiseziele nicht zu empfehlen sind – das Wort Insel überdeckte alles.

Ein wunderschönes Buch

Jedenfalls – der Atlas ist ein schöner Leseausflug. So oder so. Und das muss man auch mal schaffen: Mit zwei Büchern in enger Zeitfolge von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet zu werden. Judith Schalansky ist es gelungen – mit ihrem Atlas der abgelegenen Inseln, zunächst erschienen bei mare. Und natürlich mit “Hals der Giraffe” bei Suhrkamp. Beides wunderschöne Bücher, habtisch, optisch, inhaltlich – Judtih Schalansky schreibt einen blendenden Stil, hat einen Sinn für das Skurrile und viel trockenen Humor. Schalansky, die Kunstgeschichte studiert hat, widmete sich zunächst dem Buchdesign – was ein Glück, möchte man sagen, dass sie auch selber schreibt. Eine, die beides kann – eine Wortbildkünstlerin.

Und für alle, die jetzt schon die Winterferien planen, hier ein kurzer Ausflug zur Weihnachtsinsel:
“Die Regenzeit lockt sie aus ihren Höhlen. Jedes Jahr im November machen sich 120 Millionen geschlechtsreife Krabben auf den Weg zur See. Ein roter Teppich breitet sich über die Insel aus. Mit Tausenden von Schritten krabbeln sie über Asphalt und Türschwellen, klettern über Mauern und Felswände, schieben ihre feurigen Panzer auf zwei starken Scheren und acht dünnen Beinen seitwärts zur See und werfen kurz vor Neumond ihre schwarzen Eier in die Brandung. Nicht alle kommen ans Ziel. Ihr Feind lauert überall: Woher er kommt, weiß niemand genau. Irgendwann war die Gelbe Spinnerameise da, von Besuchern eingeschleppt. Die Invasoren sind nur vier Millimeter groß, aber ihre Armee ist vernichtend. (…) Auf der Weihnachtsinsel herrscht Krieg.


Bibliographische Angaben:

Judith Schalansky
Atlas der abgelegenen Inseln
mare verlag, 2009
ISBN: 978-3-86648-117-6