Rachel Kushner: Telex aus Kuba

„Telex aus Kuba“ ist der Debütroman von Rachel Kushner. Die Revolution ihr Thema, erzählt aus der Perspektive amerikanischer Teenager. Mit kleineren Schwächen.

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Bild von Juan Cuba auf Pixabay

„Auch wenn eine Liebe, die sich auf Besitzergreifung gründete, eine Form von tiefer Ignoranz war – es berührte ihn dennoch. Die Amerikaner hatten die Vegetation, die Daiquiris, die kubanische Musik eindeutig geliebt. Er spürte es in ihrer leeren Stadt, das Gespenst ihrer naiven und imperialistischen Liebe.“ 

Rachel Kushner, „Telex aus Kuba“


Revolution, Baby! Diese Frau brennt. Zumindest brennt sie eine Menge nieder: „Flammenwerfer“ hieß der 2013 in den USA erschienene Roman, mit dem Rachel Kushner Furore machte. Nach dessen Erfolg im deutschsprachigen Raum wurde nun auch ihr Debüt übersetzt. Und „Telex aus Kuba“ beginnt sogleich mit einem veritablen Flächenbrand. Man schreibt 1958. Eine Handvoll Revolutionäre fackelt die Zuckerrohrfelder der United Fruit Company in Preston ab. Der örtliche Company-Manager rotiert, den amerikanischen Botschafter in Havanna interessiert es dagegen einen Scheiß: Man nimmt die paar bärtigen Jungs in Khakianzügen, die gegen Batista, den Handlanger der Vereinigten Staaten zu Felde ziehen, nicht allzu ernst. Schwerer Denkfehler: Gegen Ende des Romans verbreitet Fidel Castro revolutionäres Pathos:

Revolution als literarisches Thema

„So oft ist unsere Revolution schon verraten worden“, sagte er. „1898, als die Amerikaner sich hier einluden, um unser Kuba wie eine Hafenhure zu vergewaltigen. Frei verfügbar, syphilitisch und nur der Verachtung wert. 1952, als Batista das Volk verriet. Wieder und wieder entpuppten sich jene, die reinen Herzens zu sein behaupteten, als Diebe und Gesindel. Zum ersten Mal seit vier Jahrhunderten wird diese Republik frei sein. Zum ersten Mal überhaupt wird sie ihrer Revolution treu bleiben. Vaterland oder Tod: Es liegt an uns.“ 

In „Flammenwerfer“ verknüpfte Rachel Kushner die amerikanische Avantgarde- und Underground-Szene der 1970er-Jahre mit der radikalen Linken in Italien. Aber auch in ihrem Debüt war also schon Aufstand und Revolution der Gegenstand: Vor den „Roten Brigaden“ widmete sie sich der „Bewegung des 26. Juli“, von Kuba der Sprung nach Italien. Man darf auf den nächsten Roman gespannt sein, zumal sich an „Telex aus Kuba“ und „Flammenwerfer“ auch eine deutliche literarische Entwicklung festmachen lässt, die Autorin von Mal zu Mal sicherer in der Beherrschung ihres Plots zu werden scheint. Dass die Amerikanerin (auch) eine politische Schriftstellerin ist, lässt sich anhand ihrer Sujets schon vermuten, ihre Interviews und öffentlichen Aussagen untermauern dies. Und machen deutlich, wo ihre Sympathien liegen.

Kuba, das Trauma der USA

In den Vereinigten Staaten, zu dessen großen kollektiven Traumata immer noch die gescheiterte Schweinebucht-Invasion anno 1961 zählt, macht man sich mit einem Roman über Kuba – zumal mit deutlichen Sympathien für die Befreiungsbewegung – wahrscheinlich nicht nur Freunde. Wurde doch auf der karibischen Insel der amerikanische Traum mit Karacho zertrümmert – das passt als Thema wenig zum gegenwärtigen politischen Slogan „Make America great again“. Doch das Buch wurde vom Feuilleton und von zahlreichen Lesern begeistert aufgenommen, eine Verfilmung ist geplant. Das verwundert nicht: „Telex aus Kuba“ gibt mit seiner überwiegend rasanten Erzählweise, mit seinen verschiedenen Perspektiven, seinen Nebensträngen und dem ganzen Konglomerat aus gebrochenen, sinistren und halbseidenen Figuren großartigen cineastischen Stoff her.

Rachel Kushner kann schreiben, richtig gut schreiben, wenn auch der „Erstling“ noch hier und da etwas vermissen lässt. Zunächst bedient sie sich eines ziemlich cleveren Kunstgriffes: Der Roman wird überwiegend aus der Sicht zweier amerikanischer Teenager erzählt, die mit ihren Familien in der amerikanischen „Kolonie“ leben. Das ist schlau – denn so simuliert sie einen jugendlichen, unvoreingenommenen, ja auch naiven Blick auf die Zustände. K.T., der Sohn eines United Fruit-Managers, erzählt eher im Plauderton von Partys, Badeausflügen, Sommerhäusern und Yachten, vom Umgang mit den einheimischen Dienstboten und den feinen Klassenunterschieden, die auch die Amerikaner unter sich pflegen. Sein weiblicher Gegenpart Everly hat einen feineren, schärfen Blick für die Ungereimtheiten ihrer Welt: Die Dominanz der weißen Männer, gesellschaftlich, politisch, familiär. Die Frustration der Ehefrauen, die Langeweile und Lieblosigkeit in Geschwätz und Alkohol ertränken. Die Ausbeutung der Arbeiter, die Ausbeutung der Natur.

Wirtschaftliche Kolonialisierung

Kushner fährt eine Vielzahl von Figuren auf – Manager, Geschäftsleute, dubiose Gestalten, Waffenhändler, vernachlässigte Ehefrauen, Prostituierte, moderne Sklavenhändler, weiße Kriminelle, die in den Staaten mit Haftbefehl gesucht werden, auf Kuba jedoch gut leben können. Sie zeigt die Strukturen auf, die zwangsläufig zu einem Aufstand führen mussten: Obwohl Amerika nie offiziell Kolonien hatte, hatte es Kuba zu seiner Kolonie gemacht. Die Statthalter sind die großen amerikanischen Unternehmen – sie pflanzen im Grunde mit ihrem rücksichtslosen Vorgehen die Saat, aus der die Revolution wächst. Das Leben und gesellschaftliche Treiben der Amerikaner während ihrer letzten Tage auf Kuba, das Rachel Kushner aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Dies allein hätte im Grunde genügt, um ein gutes Mosaik zusammenzusetzen, um die Botschaft des Romans zu transportieren.

Doch mit einem französischen Waffenhändler mit SS-Erfahrung und dem Hang zu einer Nachtclub-Tänzerin, die wiederum jedoch mit den Revolutionären paktiert, führt Kushner eine weitere Ebene ein, macht Ausflüge in das Spionage-Thriller-Genre. Und hier liegt die große Schwäche des Romans: Er driftet auseinander, wird dabei auch streckenweise langatmig und diffus. Selbst kleinere Slapstickszenen mit einem betrunkenen Hemingway und der Auftritt weiterer prominent-dekadenter Figuren retten diese Seite des Romans nicht. Und wo der Franzose erotisch wird, geht auch die ansonsten vielgepriesene Sinnlichkeit von Kushners Erzählstil flöten. Solcherart spricht er zu seiner Geliebten:

„Eine verfeinerte Essenz ihrer selbst, deren Gesellschaft er nach der groben Materialität der Zwiesprache ihrer Körper bewusst wähle und in Ehren halte. Einer schönen Zwiesprache, wie er hinzufügte. Er genieße die Zwiesprache mit ihrem Körper sogar ungeheuer. Doch sie beide als ineinander verschlungenes Fleisch seien nur ein Aspekt der Sache, und die ätherische Verbindung, die sich in ihrer Abwesenheit ereigne, ein anderer.“ 

Während der Waffenhändler darüber sinniert, ihren Körper in seiner Phantasie „marinieren“ zu lassen, wünscht man sich als Leserin, was sich auch das Mädchen wünscht: Er möge sich doch ausnahmsweise klar ausdrücken.

Kurzum: Ohne diesen Nebenplot wäre „Telex aus Kuba“ ein richtig guter Roman, so ist er ein anständiges Debüt. Und lässt auf weitere revolutionäre Geschichten von Rachel Kushner hoffen.


Bibliographische Angaben:

Rachel Kushner
Telex aus Kuba
Übersetzt von Bettina Arbarbanell
Rowohlt Verlag, 2017
ISBN: 978-3-498-03446-7