Franck Maubert: Caroline – Alberto Giacomettis letztes Modell

“Caroline” bietet einen ganz eigenen, persönlichen Zugang zum Spätwerk Alberto Giacomettis. En Interview mit seinem letzten Modell, seiner Geliebten Caroline.

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Bild von StockSnap auf Pixabay

„Das Portrait ist unvollendet, ihr Oberkörper starr aufgerichtet. Alberto hat den kleinen Glanz ihrer Augen noch nicht erfasst, die ersten drei Sitzungen haben nicht ausgereicht. Ihr Oberkörper nimmt die ganze Höhe der Leinwand ein, und der Kopf zieht sich vielleicht mehr als gewöhnlich in den Hintergrund zurück. Den Kopf bezeichnete Alberto als einen «Kern von Gewalt». Ihre Augen bestehen aus einer bestimmten Anzahl von Überlappungen, kleinen harten senkrechten Strichen. Die Augen bleiben das zentrale Element, im Übrigen ist der Körper ätherisch, beinahe farblos. Aber was heißt bei Giacometti vollendet oder unvollendet?“

Franck Maubert, „Caroline – Alberto Giacomettis letztes Modell“, Piet Meyer Verlag, 2012.

Auch in ihrer Liebe lag ein Kern von Gewalt: 1959 lernt der Schweizer Künstler Alberto Giacometti (1901 – 1966), der seit 1922 überwiegend in Paris lebt, bei einem seiner nächtlichen Streifzüge durch die Kneipen im Quartier de Montparnasse die wesentlich jüngere Caroline kennen. Die Prostituierte, die versucht, in der Stadt an der Seine dem Elend der Provinz zu entfliehen, wird Giacomettis letzte Geliebte und sein letztes wichtigstes Modell: Es entstehen rund 20 Portraits, zahlreiche Zeichnungen und Grafiken, auch eine Bronzebüste.

Eines dieser Bilder zieht den Schriftsteller und Kunsthistoriker Franck Maubert bei einem Besuch im Musée d`Art Moderne in seinen Bann:

„Dort rief mich ein Lichtschein, und diese sitzende Frau sah mich an, sah nur mich an und wurde stärker als alles andere.“

Jahrzehnte später sitzt Maubert dieser Frau tatsächlich gegenüber: In Nizza trifft er Caroline Tamagno, alt, glücklos, verarmt. Aber immer noch einen Rest des Charmes ausstrahlen, der wohl auch Giacometti in seinen Bann zog – ein Charme, gepaart mit traurigen Augen. Verschwunden scheinen jedoch die unbändige Lebenslust und der Freiheitswille, mit dem sie ihren Liebhaber in Atem hielt – Maubert erzählt in seinem schmalen Buch, in Frankreich mit dem „Prix Renaudot Essai“ ausgezeichnet, eine melancholische  Geschichte. Die Geschichte einer Liebe, die nur noch wehmütige Erinnerungen hervorruft. Caroline sagt dem Zuhörer, für sie sei es das Glück mit großem G gewesen, auch wenn niemand sonst diese Liebe verstanden hätte. Maubert ist ein guter, zurückhaltender Beobachter. Er studiert die Frau gründlich und auch ein wenig distanziert, als betrachte er ein Kunstwerk, zugleich aber fühlt er sich in ihren Charakter ein, spürt die Widersprüchlichkeiten, auch ihre dunklen Seiten.

„Wolken, kleine Dunstflocken, zerfasern den Himmel. Caroline sackt in sich zusammen, und ihr Kopf scheint zu schrumpfen wie der einer Skulptur von Alberto. Ein Glanz in ihren Augen, eine kleine Sekunde lang, und die Hoffnung nimmt ab, das Leuchten schwindet.“

Von 1961 bis 1965 besucht Caroline Giacometti beinahe täglich in dessen Atelier, eine „amour fou“, deren Bande auch gegen den Widerstand von Annette, Giacomettis Frau, und dessen Bruder Diego immer enger werden: Der wesentlich ältere Liebhaber versorgt Caroline mit Geld, lässt sich von ihren Halbwelt-Freunden ab und an ausnehmen, schenkt ihr ein Auto, hilft ihr manches Mal aus der Bredouille. Er nimmt sie mit in den Louvre, den das Mädchen aus prekären Verhältnissen erstmals besucht, und auf Reisen, unter anderem nach London, durch ihn lernt sie die Kunst und Künstler, beispielsweise Francis Bacon kennen.

Es scheint jedoch mehr als die bekannte Geschichte vom wohlhabenden älteren Mann und der jungen Frau zu sein – als Giacometti, vom Krebs gezeichnet, in einer Klinik in Chur im Sterben liegt, kommt Caroline, ist in seiner letzten Stunde bei ihm, und ist – wenn auch hinter der Gattin, den Verwandten, den Kollegen – bei seiner Beerdigung. Was ihr bleibt? Ein einziger zerknüllter Zettel, ein handschriftlicher Gruß Giacomettis. Kein Bild, keine Skizze, nicht einmal eines ihrer Portraits. Und auch keine Aufmerksamkeit: An die Musen der berühmten Künstler erinnert sich die Geschichte meistens nicht. Sie wäre vergessen, hätte Maubert nicht diesen Text leisen, intimen Text geschrieben, der die Gesprächssituation mit all ihren Wendungen, mit den Zweifeln und Fragen, die bleiben, lebendig werden lässt. Was verband die beiden, Alberto und Caroline? Wann war es bei ihr Berechnung, wann Gefühl? Und was fand er in ihr, der Künstler?

Für Caroline jedenfalls war dies gewiss: „Ich war seine Maßlosigkeit“.

„Caroline“ erschien nun als jüngster Band in der Reihe der „Nicht so kleinen Bibliothek“ im Piet Meyer Verlag. Der Reihentitel ist ein feines, ein wenig ironisches Understatement für eine ziemlich großartige Bibliothek – hier finden sich literarische Texte über große Künstler, die einen ganz eigenen Blick auf deren Schaffen eröffnen. Literarische Preziosen, liebevoll aufgemacht und schön gearbeitet, mit zahlreichen Abbildungen, biographischen Angaben, mit erläuternden Nachworten und weiteren Informationen.

So kann ich aus der Reihe auch das Buch „Paul Klee – Frühe Begegnung“, eine temperamentvolle, lebhafte Verbeugung von Walter Mehring vor seinem Zeitgenossen, wärmstens empfehlen sowie die erste Monographie, die 1917 über Ernst Ludwig Kirchner erschien. Was die drei Bücher vereint: Alle bieten sie einen Blick auf Künstler, der – sei es wegen des persönlichen Zugangs, sei es wegen der Zeitgenossenschaft der Autoren – noch nicht verstellt ist von kunsthistorischer Überhöhung oder späterer Musealisierung.

Informationen zur nicht so kleinen Bibliothek und “Caroline”:
http://www.pietmeyer.ch/nichtsokleinebib.php

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Jürgen Goldstein: Blau

Jürgen Goldstein verführt zum “absichtslosen Flanieren” durch seine Wunderkammer: Eine Textsammlung zur Bedeutung der Farbe “Blau”. Ein großes Lesevergnügen.

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Bild von frankspandl auf Pixabay

„Am Anfang war kein Blau. Die Höhlenmalereien unserer Vorfahren, entstanden vor Zehntausenden von Jahren kennen Rottöne, sie schwelgen in Braun und Ocker, für sie wurde Schwarz verwendet – nicht aber Blau. Das ist weder Zufall noch ein reiner Mangel an blauen Farbstoffen: Blau scheint lange Zeit in der Entwicklungsgeschichte des Menschen eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Michel Pastoureau nennt es im Rahmen der europäischen Geschichte die „unauffällige Farbe“ und verzeichnet erst ab dem 12. Jahrhundert einen Bedeutungszuwachs.“

Jürgen Goldstein, „Blau. Die Wunderkammer seiner Bedeutungen“


Am Anfang war kein Blau. Und heute? Alle tragen Blue Jeans. Weit hergeholt, diese Assoziation? Dann sollte man sich von Jürgen Goldstein zum Lesen verführen lassen: Denn „Blau“ ist ein Buch, das seine Leser klug und intelligent auf eine überraschende Reise mit überraschenden Wendungen ins Blaue hinein mitnimmt.

In der Einführung zu seiner wunderbaren Essaysammlung spricht Jürgen Goldstein über das Glück des Flaneurs, „kein Ziel haben zu müssen.“ Die Lebenskunst, eine „souveräne Absichtslosigkeit“ auszuüben, sie kommt in unserem durchgeplanten Alltag oftmals zu kurz. Selbst das Lesen – das eine besondere Art des horizonterweiternden Müßiggangs sein könnte – fällt häufig einem Zwang zur Effizienz zum Opfer: Es soll uns weiterbringen, Wissen erweitern, Anstöße geben und ein Sachbuch sollte möglichst mit neuen Forschungsergebnissen oder zumindest mit innovativen Hypothesen aufwarten.

Ein kulturphilosophischer Text

Dem Zwang zur zielgerichteten Optimierungslektüre nimmt der kluge Autor Goldstein mit seinen kulturphilosophischen Texten von vornherein jede Grundlage, so ganz anders ist dieses „Blau“ angelegt – nämlich als „Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen“.

Der Professor für Philosophie, 2016 für sein Buch über Georg Forster mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, lädt die Leser zum Flanieren ein, zu einem kulturgeschichtlichen Bummel auf den Spuren der Farbe „Blau“. Eine literarische Fahrt ins Blaue im besten Sinne – ohne eindeutiges Ziel, ein Vorbeischlendern, ein Verharren, Pausieren dort, wo es einem gefällt, um am Ende des Tages (Buches) wie Picasso sagen zu können:

„Ich suche nicht – ich finde.“

Refugien des Außergewöhnlichen

Dieses Zitat führt nicht von ungefähr in den Prolog ein: Jürgen Goldstein möchte sein Buch als „Wunderkammer“, wie es sie in der Spätrenaissance und dem Barock gab, verstanden wissen: „Refugien“ des Außergewöhnlichen, die beim Betrachter Staunen, Neugier auf das Fremde und kulturellen Wissensdurst anregen sollten.

Die Wunderkammern fielen dem modernen Systematisierungsdrang der Museen zum Opfer. „Man geht wohl nicht zu weit, wenn man in dem Untergang der Wunderkammern den symbolischen Ausdruck eines bedenklichen Siegeszuges des modernen Ordnungswillens erkennt.“ Eine Entwicklung, die Goldstein für „unseren Umgang mit Kultur“ für „verheerend“ hält, sei doch Kultur „vom Prinzip her auf Vielfalt angelegt“.

Der durchstrukturierten Kulturvermittlung setzt Goldstein nun also eine blaue Wunderkammer entgegen:

„Mit dem eigenwilligen Ordnungsprinzip der Wunderkammer ist nun eine Möglichkeit eröffnet, nicht nur Dinge, sondern auch Bedeutungen von Dingen und Phänomenen so zu gruppieren, dass sie sich gegenseitig in verblüffenden Konstellationen ergänzen.“

Keine durchstrukturierte, chronologisch angeordnete Kulturgeschichte des „Blaus“ also, sondern ein assoziativer Spaziergang ins Blaue – dass Blau als Farbe erst allmählich Bedeutung gewann, dies erfährt man so nebenbei. Wobei dies dem Prinzip des Bandes entspricht – Wissenstropfen, die an geeigneter Stelle fallen gelassen werden, die dazu anregen, weiterzulesen, selbst weiter zu recherchieren, vor allem aber: selber zu denken.

Vom blauen Planeten zu Blue Moon

Und tatsächlich lassen sich zwischen den einzelnen Texten rund um die Farbe Blau, die zunächst so lose nebeneinander stehen, trefflich blaue Seidenfäden spinnen, ergibt das Ganze ein eng verwobenes Blaumuster. Vom unverstellten Jubel der Astronauten der Apollo 8, als sie das erste Mal den blauen Planeten in seiner Pracht sehen, über die Bedeutung des „Blue Moon“ bis hin zu Frida Kahlos blauem Haus, in dem die Künstlerin schmerzensgeplagt auf ihr Ende wartet und hofft, „nie wiederzukehren“, spannt sich der thematische Bogen. Der vor allem zeigt, wie in der Kultur des 20. Jahrhundert die Farbe Blau mit Bedeutungen und Zuschreibungen aufgeladen wurde.

Blaustimmungen: Der Blues transportierte sie, der Jazz, die Rhapsodie in Blue. Das Blau als die Farbe des humorvollen Widerstands bei Yves Klein, der Lebensbejahung über den Tod hinaus bei Paul Klee, als Farbe der unstillbaren Sehnsucht der Romantiker. Goldstein streift durch die Künste, erzählt – immer elegant-schwungvoll – von den „Blue Notes“, den „Blue Jeans“, von „Kind of blue“, verknüpft geschickt Literatur, Musik, Bildende Kunst und Zeitgeschichte. Die Eigenwilligkeit des Autors zeigt sich unter anderem an einer bemerkbaren Leerstelle: „Der blaue Reiter“, den wahrscheinlich jeder kulturell Interessierte in einem Buch wie diesem erwartet, er wird nur ganz am Rande, in Zusammenhang mit Else Lasker-Schülers blauem Klavier erwähnt.

Man vermisst den blauen Reiter nicht zwingend: Die Welt hat so viel mehr an Blautönen zu bieten. Jürgen Goldstein stellt ein Zitat von Uwe Kolbe voran:

„Wer nach dem Blau fragt, der meint das ganze Leben.“


Informationen zum Buch:

Jürgen Goldstein
Blau. Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen
Matthes &Seitz Verlag, 2017
ISBN: 978-3-95757-383-4

Paul Klee: Gedichte

Dichter malen mit Worten. Maler schreiben mit Bildern. Manche können beides. So Paul Klee (1879-1940), der dichtende Maler, malende Dichter, Dichtermaler.

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“Der Luftballon”, 1926. Bildquelle: Wikimedia Commons

“Je schreckensvoller die Welt ist, desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.“

Dichter malen mit Worten. Maler schreiben mit Bildern. Manche können beides. So Paul Klee (1879-1940), der dichtende Maler, malende Dichter, Dichtermaler. Er wirkt nicht nur durch sein bildnerisches Werk. Auch durch seine Tagebücher. Vor allem jedoch durch seine Gedichte. Klee war schon früh ein intensiver Leser, verfasste bald eigene Texte. Das Schreiben wird intensiver, als er seine spätere Frau Lily Stumpf kennenlernt. In den Tage-, den sogenannten „Geheimbüchern“, sind um die Jahrhundertwende zahlreiche Gedichte an und über „Eveline“ zu finden. Und, so meint sein Sohn Felix später, der vielfach Begabte sei sich „in seiner künstlerischen Entwicklungszeit“ nicht immer in klaren gewesen, „ob er zur Musik, zur Malerei oder zur Dichtung“ greifen sollte. Die Malerei wird sein Hauptmedium werden – doch der spielerische, fast schon dadaistische Umgang mit Sprache bleibt ein Erkennungsmerkmal Klees, sei es in seinen verschnörkelten Bildtiteln oder in den „Schriftbildern“.

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Paul Klee als Soldat, 1916. Bildquelle: Wikimedia Commons

In diesem Beitrag möchte ich mich auf eine Lebensphase Klees konzentrieren, die für ihn – wie für andere Künstler seiner Generation – prägend wurde: Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges.

Auch Paul Klee wird von der Kriegsmaschinerie erfasst, ist ab 1916 zum Militärdienst verdonnert. Er kommt als Kunstmaler bei den „Königlich-Bayrischen Fliegertruppen“ an verschiedenen Orten in Einsatz, muss die Tarnbemalung der Kampfflugzeuge ausbessern.

Ab Januar 1917 ist er auf einem Flugplatz bei Augsburg stationiert, auch hier als Maler, Schreiber und gelegentlich als Fotograf.

Perversion des Krieges: Flugschüler fallen ständig mit ihren Maschinen vom Himmel, verunglücken tödlich während der Ausbildung. Das Flugzeug als neues technisches Kampfmittel wird hinter der Front erprobt, auch hier um den Einsatz des Lebens. Klee muss diese Trümmerreste fotografisch dokumentieren, hält sich das mit kaum verdeckten Zynismus vom Leib:

“Habe heute den kaputten Aeroplan aufräumen helfen, auf dem zwei Flieger vorgestern ihr Leben lassen mußten. Er war übel zugerichtet. Die Arbeit war ganz stimmungsvoll.”

Sich wappnen durch Distanz zum Geschehen?

„Ich bin gewappnet,
ich bin nicht hier,
ich bin nicht in der Tiefe,
bin fern…
ich bin so fern…
Ich glühe bei den Toten.“ (1914).

(Alle Gedichtzitate aus: „Gedichte“, Paul Klee, Herausgeber Felix Klee, erschienen im Arche Verlag)

Wie jedoch das Schreckliche in der Kunst ausdrücken? Wie das Grauen, das eine Katastrophe auslöst, in Wort und Bild festhalten? Klee, der noch 1914 mit August Macke zur berühmten Tunisreise aufbricht – „Die Farbe hat mich!“ – kommt zurück in ein Europa, das bereits brodelt. Wenige Monate später ist nichts mehr, wie es vorher war. Anders als seine Malerkollegen Franz Marc und August Macke lässt Klee sich nicht vom Hurra-Patriotismus anstecken. Klee bleibt der kühle Skeptiker, dem diese Aufwallungen wohl schon vom Charakter her fremd sind. August Macke fällt bereits im September 1914 in der Champagne, Franz Marc am 4. März 1916 in Verdun. Dieses Datum hat für Klee eine besondere Bedeutung: Einen Tag später, am 5. März, erhält er seinen Einberufungsbefehl.

Dabei ist er Pazifist. Heute wird dazu oft der Zusatz gestellt: Ein „passiver“. Was hat das zu bedeuten? Kriegsdienstverweigerung gab es zu Zeiten des 1. Weltkrieges nicht. Verweigern gab es in einem Staat, der letztendlich Militärstaat war, nicht. Wer verweigerte, wurde als Psychopath eingestuft, von Militärärzten wieder fronttauglich gemacht. Klees deutscher Vater hatte sich nie um die Einbürgerung seines Sohnes in die Schweiz, wo Klee geboren war, bemüht. Also war für den Künstler, der damals in München lebte, der Weg vorgezeichnet. Er hatte Frau und Kind. Hätte er desertieren sollen?

Traum

Ich finde mein Haus: leer,
ausgetrunken den Wein,
abgegraben den Strom,
entwendet mein Nacktes,
– gelöscht in die Grabschrift.
Weiß in weiß.
(1914).

Spurensuche im Werk: Da ist der Widerstand durchaus zu spüren.

 “Ich habe diesen Krieg längst in mir gehabt. Daher geht er mich nichts an. Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten, mußte ich fliegen. Und ich flog. In jener zertrümmerten Welt weile ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt. Somit bin ich abstract mit Erinnerungen’.”

Dieser Tagebucheintrag von 1915 wird oftmals dafür angeführt, dass Klee ein kühler, beinahe distanzierter Beobachter des von ihm als „wahnsinnig“ bezeichneten  Krieges gewesen sei, fast ungerührt geblieben sei von der „Urkatastrophe“. War es so?

Es scheint auch, als verlasse die in Tunesien gefundene Farbe wieder das Bild. Kleinformatige Zeichnungen, oft auf amtlichem Vordruckpapier, auf Flugzeugmaterial hergestellt, Entwürfe ohne Farbe, aber nicht farblos. Dies war freilich auch dem Materialmangel geschuldet. Und inhaltlich eben durchaus nicht distanziert vom Geschehen rings um ihn. Schon die Titel sprechen Bände: „Die beiden Schreie“, „Der Tod für die Idee“ oder auch „Fitzlibutzli“, diese Ironisierung des Kaisers Wilhelm II, der Titel angelehnt an das Gedicht von Heinrich Heine, an den „vitzlibutzli“.

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“Fitzlibutzli”, 1918, Bildquelle: Wikimedia Commons

Klee desertiert anders, muss wohl auch Abstand nehmen durch die Flucht nach Innen. Denn während der gesamten Einsatzzeit hängt wie ein Damoklesschwert die Möglichkeit, dass er doch an die Front versetzt wird, über ihm. Nicht von ungefähr in dieser Zeit auch seine Lektüre, beispielsweise „Robinson Crusoe“. Kleine Fluchten mit Hilfe der Literatur? Oder der Künstler, gefangen auf einer seltsamen Insel? Denn dem Grauen an der Front gegenüber steht der langweilige Alltag, der Stumpfsinn und Bürokratismus in der Kaserne, die Entfernung zur Familie, der Stubendienst. Anhand vieler Postkarten, die Klee an seine Frau und den Sohn schreibt, wird deutlich, welche Einschränkungen die kreative Seele in dieser fremden Welt erleben muss. Aber er hat auch Glück – Vorgesetzte, die sein Talent respektieren, ihm gewisse Freiheiten geben. Selbst die Arbeit an Ausstellungen ist möglich. Es entstehen „Schubladenbilder“ – Skizzen, die er in der Schreibstube fertigt, die er schnell in eine Schublade schieben kann, wenn jemand kommt.

Klee behält also Bodenhaftung. Das „Fliegen“ in seinen Tagebucheintragungen ist nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Der Flug, das Abheben, dies meint zum einem die Distanz in der Kunst zur Realität:

 “Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten, musste ich fliegen. Und ich flog.”

Auch die religiösen, die mythischen Themen nehmen zu. „Und es ward Licht“ heißt ein Bild. Klee entdeckt später weitere Flugobjekte, in seinen letzten Lebensjahren werden die Engelsbilder zu einem wichtigen Bestandteil seines Schaffens.

Elend

Land ohne Band,
neues Land,
ohne Hauch
der Erinnerung,
mit dem Rauch
von fremden Herd.
Zügellos!
wo mich trug
keiner Mutter Schoß.
(1914)

Doch ganz realitätsabgewandt ist Klee, wie oben schon angeführt, eben nicht.
„Der Krieg fördert die Production im ethischen Sinne“, schreibt er. Was meinen soll: Die Auseinandersetzung mit dem Kriegs-Wahnsinn findet durchaus ihren Niederschlag, wenn auch nicht so eindeutig und plakativ erkennbar wie in Noldes „Soldaten“ oder Beckmanns „Kriegserklärung“. Bei Klee geschieht dies verschlüsselter, weniger deutlich, erkennbar jedoch an einigen stilistischen Mitteln: Winkelformationen, Zickzack-Linien, die auch aggressiv zu deuten sind, tauchen in dieser Zeit auf – und interessanterweise hören die auch kurz nach dem Krieg wieder auf. Symbole für Bedrohung, Angst, für Krieg und Zerstörung. Mit Mitteln des Konstruktivismus gegen die allgemeine Destruktion.

Eine deutliche Sprache spricht das Bild “Der Held mit dem Flügel”: Eine verstörende Radierung, die einen missgestalteten Krieger mit verkümmertem Engelsflügel zeigt.

Klee notiert dazu am Bildrand:

“Von der Natur mit einem Flügel besonders bedacht, hat er sich daraus die Idee gebildet, zum Fliegen bestimmt zu sein, woran er zugrunde geht.”

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