Hans Christoph Buch: Sansibar Blues

In „Sansibar“ treffen Welten aufeinander, amerikanische und ostdeutsche Geheimdiplomatie im Wettstreit. Eine burleske Geschichte, geschmeidig erzählt.

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Bild: (c) Michael Flötotto

„… und als du auf der Dachterrasse ein nasses Laken zur Seite schiebst, stockt dir der Atem beim Rundblick über die Stadt: Hinter rostroten Wellblechdächern blaut das Meer, dessen Brandung ein Fischerboot durchsticht, während eine Flotte von Dhaus vor der Hafeneinfahrt kreuzt, die bunt geflickten Segel von der Abendbrise gebläht.“

Hans Christoph Buch, „Sansibar Blues oder: Wie ich Livingston fand“

Ostafrika im Hirne,
Togo, der Amok tanzt:
das ist die weiche Birne
mit fremder Welt bepflanzt;
die istrisch dunklen Meere
vor dem großen Vestibül,
sein Vater fuhr eine Fähre:
historisches Lustgefühl.

„Ostafrika“ von Gottfried Benn, 1. Strophe.

Entstanden ist das Gedicht „Ostafrika“ in den 1920er Jahren in einer Reihe von Texten, in denen Benn Sehnsuchtsorte umschrieb – geprägt vom „Exotismus“ und Vorstellungen, die auch die Intellektuellen in der deutschen Kolonialmacht umtrieben.

Sansibar – der Name klingt wie ein exotisches Versprechen, verheißt den Duft von Gewürzen, den Wind der Wüste, ruft Bilder von Inselparadies und lockendem Afrika hervor. Doch die Hauptfiguren in Hans Christoph Buchs Roman wollen vorwiegend eines: Nichts wie weg da.

Sansibar als Tummelplatz für Spione

Ein amerikanischer Diplomat und ein DDR-Gesandter, der zwar den sprechenden Namen „Hans Dampf“ hat, aber alles andere als ein solcher ist, eine Sultanstochter und ein Sklavenhändler, Che Guevara und Ryszard Kapuscinski geben sich in diesem Roman quasi die Klinke in die Hand. Durch die wechselnden Erzählstimmen und Zeitläufe ist die burleske, bunte Erzählung zwar nicht ganz einfach zu lesen, doch in sich geschlossen – die Fäden laufen zusammen, ergeben eine stimmige Komposition. Zumal sich der 1944 geborene Schriftsteller Hans Christoph Buch intensiv mit der kolonialen Vorgeschichte Afrikas auseinandergesetzt hat und den Kontinent wohl kennt wie seine Westentasche. Empfohlen sei von H. C. Buch, der, wenn er nicht auf Reisen ist, in Berlin lebt, auch sein Romanessay „Apokalypse  Afrika oder Schiffbruch mit Zuschauern“, erschienen 2011 in der Anderen Bibliothek.

Sansibar, die vor Tansania liegende Insel, spielte für Ostafrika lange eine bedeutende Rolle, vor allem als Zentrum des Sklavenhandels, der unter der Herrschaft des Sultans von Oman „florierte“. Kleine historische Anekdote am Rande, die auch von HCB entsprechend verarbeitet wird: Am 27. August 1896 kam es zum kürzesten Krieg der Weltgeschichte, dem nur 38 Minuten dauernden Britisch-Sansibarischen Krieg. Der Krieg begann um 9:00 Uhr morgens. Nachdem der Sultan von Sansibar gestorben (oder vergiftet worden) war, beanspruchte sein Cousin Khalid ibn Barghash den Thron für sich. Der britische Admiral Sir Harry Rowson ließ daraufhin nach einem Ultimatum so lange den Palast des selbsternannten Sultans von See aus mit Schiffsgeschützen beschießen, bis dieser die Flucht ergriff. Auch das zweite bedeutende historische Datum – der Sansibar-Vertrag von 1890, mit dem die Deutschen gegenüber den Briten ihre Gebietsansprüche über Sansibar zugunsten Helgolands fallen ließen – findet in der Blues-Romanze seinen Niederschlag.

Das vorletzte Abenteuer von Che Guevara

Um so richtig in das Buch eintauchen zu können, alle Finten und Finessen, die HCB legt, erfassen zu können, um das Muster aus Fiktivem und Tatsächlichem zu erkennen, sind schon gewisse historische Kenntnisse und Erläuterungen notwendig – dies macht die Lektüre nicht einfach, ohne Hilfestellung und Hintergrund bleibt es bei dem Lesen einer vergnüglichen, amüsanten tour de force über das Eiland.

Marko Martin dröselte das Text-Gewebe in seiner Rezension bei Deutschland-Radio etwas auf:
Verbürgte Tatsache jedenfalls ist, dass eine der Töchter des Sultans Sayid bin Said Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem Hamburgischen Kaufmann durchbrannte und als konvertierte Protestantin namens Emily Ruete ihre späteren Tage an der Nordsee und der Berliner Spree verbrachte. Von da brachen dann 100 Jahre später DDR-Diplomaten und Stasi-Experten nach Sansibar auf, um dem dort gerade installierten sozialistischen Regime marxistische Ideologie und effektives Foltern beizubringen, während gleichzeitig ein gewisser Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che, auf Sansibar sein vorletztes Revolutions-Abenteuer vorbereiten sollte: eine Kongo-Expedition, die freilich genauso scheitern würde wie Dr. Livingstones oder Morton Stanleys Versuche, dem so genannten „schwarzen Kontinent“ sein Geheimnis zu entreißen.

Wem spätestens hier nun der Kopf schwirrt, sei beruhigt, denn Hans Christoph Buchs Stil ist von einer verführerischen (wiewohl doppelbödigen) Geschmeidigkeit, die dem ewigen menschlichen Tohuwabohu immer wieder eine elegant-subversive Note abzugewinnen weiß. Auch wenn in diesem versiertem Große-Jungen-Streich von Roman die Figuren-Psychologie öfters der Schnurre, der überraschenden Wendung und dem Plot geopfert wird – es ist ein pures Vergnügen, wie hier jemand Historisches auseinander nimmt und nach eigenem Gusto wieder zusammenfügt, ohne dass auch nur einmal staubtrocken Papierenes durch die Zeilen wehen würde.“

Zum Weiterlesen über den Autoren selbst empfiehlt sich dessen Internetseite: http://www.hans-christoph-buch.de/

Informationen zum Buch:

Hans Christoph Buch
Sansibar Blues oder: Wie ich Livingstone fand
Die Andere Bibliothek, 2008
ISBN: 978-3821862187