DITHA BRICKWELL: Engeltreiber

Ditha Brickwell, die unter anderem bereits mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnete Schriftstellerin, holt mit ihrem neuen Roman “Engeltreiber” die Welt des gebeutelten 20. Jahrhunderts auf die literarische Bühne.

Mit ihrem neuen Roman „Engeltreiber“ holt Schriftstellerin Ditha Brickwell das Welttheater des 20. Jahrhunderts auf die Bühne. Anhand zweier Lebensgeschichten spannt Brickwell einen weiten Bogen über Jahrzehnte der Weltgeschichte, die von Krieg, Not und den Härten der Nachkriegszeit geprägt waren, ihre Figuren treibt es durch die Hauptstädte Europas, Wien, Paris, Berlin… von den Umständen bedrängt, nehmen sie doch ihr Leben in die Hand…

Mit ihrer bildreichen Sprache erzeugt Ditha Brickwell bei den Lesern Empathie für ihre Figuren, sie durchbricht den düsteren Hintergrund der geschilderten Zeit mit komischen Momenten und warmherzigem Humor. „Engeltreiber“ erzählt von der Perlenfädlerin Genoveva, Tochter zugewanderter mährischer Bauern, denen in Oberösterreich Missachtung und Ausgrenzung entgegenschlägt. Und von Leo, dem alleingelassenen Sohn reicher Eltern, der in Künstlerkreise, die Abhängigkeit von einer Frau und materielle Not gerät. Die Wege der beiden kreuzen sich, sie schildern einander Episoden vom tapferen Überleben und geben sich Halt. Entlang der Wirklichkeit erzählt hören wir Stimmen im Originalton – aus dem Milieu der Armut und aus den Wiener Künstlerkreisen der kreativen Sechziger Jahre, deren Mitglied Ditha Brickwell war. Als Leser dieser Lebensgeschichten erahnt man den Ursprung unserer heutigen Krisen – wie die apokalyptischen Reiter brechen sie hervor: Pandemie, Hunger, Krieg.

Engeltreiber ist der erste Band der Trilogie Dunkelreise – drei Bücher über drei Epochen  und deren Charaktere –starke Frauen und fantasievolle Jugendliche, jüdische Familien und ihre widerständigen Helfer, Künstler und Weltwanderer…sie alle sind unterwegs auf der Suche nach besserem Leben.


Zur Autorin:

1941 in Wien geboren, studierte Architektur, Städtebau und Bildungsökonomie in Wien, Berlin und New York. Sie arbeitete in Helsinki, Tel Aviv und Paris sowie für den Berliner Senat und die EU in Brüssel, um neue Perspektiven für verarmte Stadtregionen zu entwickeln. Seit 1987 schreibt sie Romane, Essays und Erzählungen. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Wien und Berlin.

Publikationen (Auswahl): 
Die Welt unter meinen Zehen, Zwölf Geschichten aus hundert Jahren. Drava 2019; 
Fedjas Flucht, Roman, Drava 2018; 
Die Akte Europa – eine Utopie geht verloren, Essay-Roman,
Wieser 2010 (ausgezeichnet mit dem Bruno-Kreisky-Preis); 
7 Leben – Frauen biographien, Freimut & Selbst 2005; 
Der Kinderdieb, Roman,Deuticke 2001; 
Angstsommer, Roman, Mandelbaum Wien 1999. 


Stimmen zum Buch:

Ditha Brickwell im Interview mit Joachim Scholl im Deutschlandfunk Kultur.

“Konzeption, Umfang und Detailfülle des Romans sind gewaltig, aber auch Brickwells Sprachgewalt imponiert. Die Autorin stattet ihr Erzählen mit ständig neuen Wortschöpfungen aus, wechselt mühelos Tonarten und Perspektiven. Sie gewährt ihren Geschichten großzügig Raum, um sie mit sprachlicher Virtuosität auszustatten.” – Britta Röder bei den booknerds

“Eine Lektüre-Perle, die Geschichten und Stimmungen kunstvoll aneinanderreiht, wie die weibliche Hauptfigur im Buch.” – Barbara Pfeiffer bei Kulturbowle


Informationen zum Buch:

Ditha Brickwell

Engeltreiber
Roman
Drava Verlag, 2023
Hardcover, 474 Seiten
ISBN: 978-3-99138-021-4

Drava Verlag:
8.-Mai-Straße 12
A-9020 Klagenfurt / Celovec
https://www.drava.at/

Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für Verlag und Autorin.

Isabella Krainer: Vom Kaputtgehen

Die Biographie eines österreichischen “Jedermenschen”, von der Wiege bis zur Bahre, durchschreitet Isabella Krainer mit ihrem Gedichtzyklus “Vom Kaputtgehen”.

Bild: Michael Flötotto

lebenswahrheit

freunde
die menschen
unter den
leuten

Isabella Krainer, “Vom Kaputtgehen”


Die Biographie eines österreichischen “Jedermenschen”, von der Wiege bis zur Bahre, durchschreitet Isabella Krainer mit ihrem Gedichtzyklus, der im Innsbrucker Verlag Limbus erschienen ist. Dort bietet die Reihe “Limbus Lyrik” zeitgenössische Poesie in schöner Optik – die Bücher bestechen durch ihr Äußeres und die Reihe hält etliche Entdeckungen bereit.

“Vom Kaputtgehen” ist der erste Lyrikband der 1974 geborenen Kärtnerin Isabella Krainer, deren Texte nach Selbstauskunft zwischen “Politsprech und Dialektlandschaft” pendeln. Und der Titel ist Programm: Ein glückliches Leben ist dem Jedermann, der Jederfrau, deren Lebenslauf in den vier Kapiteln “gehschule”, “marschbefehl”, “laufpass” und “endspurt” beschrieben wird, nicht beschieden.

Das verdeutlichen schon die Anfänge:

freiheit wäre übertrieben

neun monate
fluchtwasser

und plötzlich
auf bewährung
draußen

Man muss aufmerksam lesen, um den Witz, die Wortspielereien wahrzunehmen. Die Gedichte, meist kurz, knapp und pointiert, wären manches Mal eher als Aphorismen zu bezeichnen, manches Mal sind sie allzu plakativ. Doch hinter dem manchmal all zu Offensichtlichen tun sich weitere Ebenen und tiefe Abgründe auf – Krainers Gedichte sind auch “gradmesser” eines gesellschaftlichen Zustands. Durch den Ansatz, entlang eines Lebens zu schreiben, bekommt der Band in sich etwas Rundes, Geschlossenes, das nicht von ungefähr mit den mahnenden Worten einer Seherin endet: schau so gern beim leben zu – anstatt ein eigenes Leben zu leben.

Richtig stark ist die Lyrikerin dort, wo sie zur Mundart greift:

söba schuid

wennst es nimma
aushoitst
weilst di damit
aufhoitst
dass dir olles
aufhoist
bis dann amoi
umfoist


Informationen zum Buch:

Isabella Krainer
Vom Kaputtgehen
Limbus Verlag Innsbruck, 2020
Gebunden mit Lesebändchen, 96 Seiten, 15,00 Euro
ISBN 978-3-99039-170-9

Homepage der Autorin: https://isabellakrainer.com/

Fritz Rosenfeld: Johanna

Fritz Rosenfeld gehört zu den Vergessenen der österreichischen Literatur. Sein Roman “Johanna” (1924) ist ein bewegendes, hartes Frauenportrait.

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Bild von liggraphy auf Pixabay

„Am nächsten Tag erfuhr sie, daß sie fort müßte.
Statt eines Essers gab es nun bald zwei, statt eines Arbeiters keinen. Das war eine unrentable Änderung. Ließ man das angehen, so züchtete man nur das Unkraut. Energisch mußte man vorgehen, ein für allemal Ordnung machen.“

Fritz Rosenfeld, „Johanna“

An diesem Frauenschicksal, das der österreichische Autor Fritz Rosenfeld 1924 in einem 39-teiligen Roman in der „Salzburger Wacht“ entfaltete, ist nichts Tröstliches, absolut nichts, das Hoffnung oder Optimismus erwecken würde. „Johanna“ steht stellvertretend für eine im Grunde noch archaische Gesellschaft an der Schwelle zur Industrialisierung: Wer nicht das Glück der wohlsituierten Geburt hat, der gilt als Einzelner nichts, umso weniger, wenn man eine Frau ist.

Das Stigma der Armut haftet an Johanna, Tochter eines Tagelöhners, von Geburt an: Das kleine Mädchen, früh zur Waise geworden, wird eines Tages sozusagen wie ein Paket in der Dorfgemeinde ihrer Eltern abgestellt – dort, wo sie geboren wurde, kann man einen zusätzlichen Esser nicht gebrauchen, dort, wo ihre Eltern herkamen, nimmt man die menschliche Bürde nur ungern an.

Dass über ihrem weiteren Werdegang nur Unheil haften wird, das lässt der damals noch sehr junge Autor (als Fritz Rosenfeld die literarische Welt betritt, war er gerade 22 Jahre alt) in beinahe expressionistischer Manier in seinem Eingangskapitel erahnen:

„Über den Himmel jagen Wolkenfetzen, grelle Blicke zucken durch die Nacht, der Regen peitscht die aufgeweichte Straße, der Sturm heult wilde Gesänge in den Tannenwipfeln, aus dem Walde dröhnt das Fallen gebrochener Bäume, hie und da kreischt ein Tierlaut auf, hallt als endlos gezogener Schrei durch das Dunkel.“

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Ein Start, als säße man in jener Zeit in einem der Wiener Kinos, gebannt auf das Geschehen der Leinwand blickend, bis endlich die Protagonistin ins Bild tritt. Fritz Rosenfeld hatte einen Blick für die Bilder, die die Welt bewegen, entwickelte er sich doch zu einem der profundesten Film- und Theaterkritiker im Wien jener Jahre.

Geprägt von seinem politischen Denken – er engagierte sich früh in der sozialdemokratischen Bildungsarbeit und schrieb vor allem für die Wiener Arbeiter-Zeitung, deren Feuilletonchef er kurzfristig bis zu seiner Emigration war – lehnte er das amerikanische Kino mit seinen Stoffen – „verlogene, heuchlerische Tugend- und Demutspredikt, mit weltfremdem, rosenrotem Optimismus übergossen“ – ab, interessierte sich für die russischen Filme, für Eisenstein, für Chaplin, all jene, die die Wirklichkeit der Massen auf die Leinwand brachten.

So kann man auch „Johanna“ beinahe als Vorlage für ein Drehbuch lesen, als Filmstoff für ein bedrückendes Sozialdrama. Denn die Abwärtsspirale, die ihr Leben nimmt, ist ihr im Grunde bereits in die Wiege gelegt, einen Ausweg gibt es für Menschen ihrer Herkunft in jenen Tagen nicht. Sie wird in der Dorfgemeinde nur solange geduldet, solange sich ihre Arbeitskraft und ihr Körper ausbeuten lassen. Als sie schwanger wird, wird sie in die Stadt abgeschoben, ohne Geld und ohne Unterstützung – der Weg in die Prostitution ist vorgezeichnet.

Wieviel Unglück sich im kurzen Leben dieser Frau ballt, die immer wieder an Menschen gerät, die ihre Unwissenheit ausnützen, ist kaum glaubhaft – doch muss man „Johanna“ eben auch als exemplarisches Frauenschicksal lesen, anhand dem der Autor verdichtet die Problematiken, denen das „Proletariat“ jener Tage ausgesetzt ist, aufzeigt. Das ist literarisch nicht immer ganz rund, manchmal etwas zu pathetisch und kolportagehaft. Und fragwürdig wird es dort, wo Rosenfeld etwas schwülstig über das eigene sexuelle Empfinden Johannas schreibt: Als sei sie tierhaft getrieben, beinahe so, als stünde ihr als Frau kein eigenes Begehren zu.

Trotz dieser Mängel ist „Johanna“ ein eindrucksvolles Portrait, ein beinahe niederschmetterndes Zeitbild, das eine andere Wahrheit und im Grunde – betrachtet man andere sozialkritische Bücher und Filme der 1920er-Jahre – die eigentliche Realität dieser Zeit wiedergibt.

Fritz Rosenfeld (1902 – 1987) entstammte einer jüdischen, österreichisch-ungarischen Familie. Wiewohl ungeheuer produktiv – unter seinem Pseudonym Fritz Feld verfasste er beispielsweise, bis ins hohe Alter hinein, unzählige Kinder- und Jugendbücher – zählt auch er heute zu den vielen Vergessenen, denen nach dem Nationalsozialismus, nach Flucht und Exil, die Anknüpfung an das literarische und journalistische Schaffen im deutschsprachigen Raum nicht mehr gelang.

Literaturwissenschaftler Primus-Heinz Kucher, Herausgeber der Neuausgabe von „Johanna“, schreibt in seinem Nachwort:

„Seine literaturwissenschaftliche Vernachlässigung gründet in der akademischen Tendenz zur Reproduktion kanonischer AutorInnen und Texte. Zudem wurde er Opfer der Ausgrenzungsmechanismen einer provinziell denkenden Wiederaufbau-Generation nach 1945.“

Ein sehr ausführliches Portrait von Kucher über Fritz Rosenfeld ist in einem umfassenden Internetarchiv der Universität Klagenfurt, das sich um „Transdisziplinäre Konstellationen in der österreichischen Literatur, Kunst und Kultur der Zwischenkriegszeit“ kümmert, nachzulesen: Fritz Rosenfeld in „Litkult 1920er“.

Und wie bei allen diesen wiederentdeckten Titeln aus dem österreichischen Verlag „edition atelier“ ist die Gestaltung einen eigenen Hinweis wert: Das Coverbild von Jorghi Poll, ganz in der Manier des Jugendstils, ist ein kleines Kunstwerk für sich.

Informationen zum Buch:

Fritz Rosenfeld
Johanna
Edition Atelier Wien
Gebunden, Halbleineneinband, Lesebändchen, 20,00 €
auch als E-Book erhältlich
ISBN: 978-3-99065-029-5


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Stefan Zweig: Der Amokläufer & Episode am Genfer See

Ein wunderschön gestalteter Band mit zwei Novellen von Zweig, die verdeutlichen, wie aktuell der große österreichische Schriftsteller immer noch ist.

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Stefan Zweig, portraitiert von Michael Hahn. Foto: Birgit Böllinger

„Die geistige Einheit unserer Welt?? Welch ein absurdes Thema! Spreche ich da nicht über ein Phantom? Existiert sie wirklich? Hat sie je existiert? Wird sie je realisierbar sein?

Leider, ich gestehe es, ist sie nicht sehr sichtbar im gegenwärtigen Augenblick, diese moralische Einheit unserer Welt – im Gegenteil, selten war die Atmosphäre der Welt (insbesondere unseres alten Europas) so vergiftet von Misstrauen, Uneinigkeit und Angst. Mit Unruhe nimmt man jeden Morgen die Zeitung zur Hand, mit einem Seufzer der Erleichterung legt man sie nieder, wenn nichts besonders Gefährliches sich ereignet hat, nur manchmal glaubt man die schwarzen Schwingen des drohenden Kriegs über seinem Schlafe rauschen zu hören.“

Stefan Zweig aus: „Die geistige Einheit Europas“.

Wenn man diesen Vortrag von Zweig, 1936 in Rio de Janeiro gehalten, heute liest, muss man sich die Augen reiben: Wort für Wort beschreibt der große österreichische Autor unsere gegenwärtige Situation. Mag man heutzutage auch keine Zeitung mehr lesen, sondern Nachrichten im Internet, mag es die wunderbare Sprache Zweigs sein, die manchem etwas antiquiert erscheinen mag: die Worte verlieren dennoch nicht ihre Gültigkeit und Aktualität.

Zweigs „Welt von gestern“ erscheint wie die „Welt von heute“:

„Woche für Woche, Monat für Monat kamen immer mehr Flüchtlinge, und immer waren sie noch ärmer und verstörter von Woche zu Woche als die vor ihnen gekommenen.“

Zwar spricht Zweig hier, in seinen „Erinnerungen eines Europäers“, von der jüdischen Bevölkerung, die versucht, aus dem nationalistischen Deutschland zu fliehen – doch an dem Kapitel „Sie standen an den Grenzen“ wird deutlich, was Flucht und Heimatverlust bedeuten, damals wie heute.

Der Verlag „Topalian & Milani“, der schon einmal mit „Die unsichtbare Sammlung“ einen wunderbaren bibliophilen Band mit zwei Erzählungen Zweigs herausgab, begeistert nun erneut mit einem absolut schön gestalteten Buch, einem Buchkunstwerk, das zwei Novellen des Autors beinhaltet.

Ergänzt durch die beiden oben zitierten Aufsätze zeigt dieser Band die politische und moralische Aktualität des Österreichers, der sich, verzweifelt über das Leben im erzwungenen Exil, 1942 das Leben nahm, an zwei Erzählungen. Auch die beiden ausgewählten Novellen für das stimmig illustrierte Buch, „Der Amokläufer“ und „Episode am Genfer See“, zeigen, warum Stefan Zweig ein Autor der Moderne ist: Er taucht förmlich in die Psyche seiner Figuren ein, er geht bis an ihren Seelengrund und die gewählten Thematiken, Machtmissbrauch eines Mannes über eine Frau und die Lage eines Flüchtlings, sind nach wie vor aktuell.

Mag „Der Amokläufer“, der allein von der Länge der Erzählung aus schon mehr Raum einnimmt, die spannendere Geschichte sein, an der Zweigs ganze Kunst des erzählerischen Gestaltens deutlich wird, so ist die „Episode am Genfer See“ die deutlich anrührendere Erzählung. Am schweizerischen Ufer des Sees strandet ein nackter, unbekannter Mann, ein Russe, als Soldat in den Krieg gezwungen, der nur noch nach Hause zu seiner Familie möchte. Mit welchen Vorbehalten die Bevölkerung reagiert, wie wenig Bereitschaft da ist, dem Mann über das Notwendigste – Kleidung und Essen – hinaus zu helfen, wie sehr dieser aber wiederum unter seiner „Sprachlosigkeit“, seinem Heimweh und seiner Isolation leidet, dies alles schildert Zweig in wenigen, einprägsamen Szenen. Eine Geschichte, die auch heute noch dazu beizutragen vermag, sich in die Ausnahmesituation eines Flüchtlings hineinzudenken. Dass beide Erzählungen tragisch enden, dies sei an dieser Stelle noch vermerkt.

Es ist also auch heute immer noch ein großer Gewinn, Stefan Zweig zu lesen. Und mit diesem vorliegenden Buch liegt auch eine der schönsten Neuausgaben vor, die es von Zweigs Erzählungen gibt: Handwerklich und optisch von der Auswahl der Schriften bis hin zum Papier aufwendig und wunderschön gemacht, wie man es von dem 2015 gegründeten Verlag inzwischen schon erwartet.

Die Illustrationen von Michael Hahn sind überwältigend – sie greifen die jeweilige Atmosphäre der Geschichten auf, arbeiten beispielsweise beim „Amokläufer“ mit Motiven der indonesischen Bilderwelt, aber ebenso bei den Portraits der Kolonialherrschaften mit Elementen des Jugendstils und Art déco. Über die Arbeit Hahns mache man sich am besten selbst ein Bild, direkt hier: www.hahn-illustration.de

Informationen zum Buch:

Stefan Zweig
Der Amokläufer/Episode am Genfer See
Topalian & Milani, 2019
Hardcover, Großformat, 176 Seiten,
durchgehend illustriert von Michael Hahn, 28,00 Euro
ISBN: 978-3-946423-07-2


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Tonio Schachinger: Nicht wie ihr

Gastautor Florian Pittroff ist hellauf begeistert: Ein Roman zu seiner Leidenschaft hatte es auf die Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis geschafft.

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Bild: Florian Pittroff, http://www.flo-job.de

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

Gastautor Florian Pittroff, selbst ein riesiger Fußballfan, ist hellauf begeistert: Ein Roman zu seiner Leidenschaft hatte es auf die Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis geschafft. Und obendrein ist der Roman in seinen Augen sogar “ein urgeiles Buch”.

Sein Urteil:

Tonio Schachinger legt ein herrliches Buch über Fußball mit Migrationshintergrund vor. Wenn man angefangen hat, kann man das 300 Seiten starke Werk nicht mehr so wirklich zur Seite legen.

Das liegt auch daran, dass es mittellange bis kurze Kapitel beziehungsweise Unterteilungen gibt, die das zügige Weiterlesen ziemlich fördern. Immer denkt man, „ach, ein Kapitel lese ich noch“ und dann ist das Buch auch schon zu Ende.

Fußballstar als Hauptfigur

Im Mittelpunkt des Romans steht Ivica „Ivo“ Trifunović, 27 Jahre alt und ein internationaler Fußballstar. Ivo sieht sich als Mittelpunkt der Welt, er ist besonders cool drauf, besonders gut im Spiel und er verdient 100.000 Euro die Woche, fährt einen Bugatti, hat eine Ehefrau und zwei Kinder, die er über alles liebt. Doch als seine Jugendliebe Mirna ins Spiel kommt, gerät das sichere Gerüst ins Wanken….

Es ist die lässige und witzige Erzählweise von Tonio Schachinger, die den Leser immer bei der Stange hält. Gespickt mit Wiener Schmäh und herrlichen Fußballmetaphern gibt der Roman Einblick in das Drama Profifußball gepaart mit einem Schuss Kapitalismus.

Skurril treffend und sensationell gut sind die Vergleich, die Tonio Schachinger für seinen Fußballprotagonisten erfunden hat: Die Geborgenheit in der Familie ist ein Cordon Bleu, der Fußball eine einzige Serie: „Wer immer zusieht, erkennt wenn was Bedeutendes passiert. Jeder Verein ist eine Serie, jede Liga eine große Serie und Ivo spielt in der spannendsten von allen, bei Games of Thrones“.

Fußballer sind arme Schweine

Es ist aber nicht immer alles amüsant und lustig – Fußballer sind eigentlich arme Schweine: „Heute vor einem Jahr war Ivo ganz oben: seit September fix qualifiziert für die EM, Doppeltorschütze im Derby gegen Liverpool, hat einem traurigen Steven Gerrard respektvoll die Hand geschüttelt, war glücklich. Heute ist Ivo niedergeschlagen, und morgen wird er es auch sein und übermorgen und überübermorgen, und genau deshalb ist er niedergeschlagen, weil alle Tage gleich sind“.

Und da passt dann auch folgendes Zitat recht gut, warum man denn überhaupt Fußballprofi wird. Für Ivo hat das nur bedingt mit Talent zutun. „Entscheidend ist das man ein langweiliger Mensch ist. Je langweiliger, je weniger Interessen abseits des Platzes, desto besser“.

Voll kluger, akzentuierter Anspielungen erzählt Tonio Schachinger vom Fußball, von Ivo, von Rassismus: „Ivo, jetzt bist du ein richtiger Österreicher!“ (…) und in Wahrheit steht dort damit jedes Mal, wenn er etwas falsch macht: „Ivo, jetzt bist du wieder ein richtiger Tschusch!“, von Sexismus und Kapitalismus. Nur wer Erfolg hat ist ein Großer. Wer keinen hat oder keinen mehr hat: Vergiß ihn!

Das Buch sollte man nicht vergessen, sondern lesen! Sonst gibt es die Rote Karte!


Informationen zum Buch:

Tonio Schachinger
“Nicht wie ihr”
Kremayr & Scheriau Verlag 2019
Hardcover, 304 Seiten, 22,90 Euro
ISBN: 978-3-218-01153-2


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

www.flo-job.de