F. Scott Fitzgerald: Die Liebe des letzten Tycoon

Hollywood, „Goldgräberstadt im Lotusland“: Fitzgerald fristete seine letzten Jahre als Drehbuchschreiber. Und hinterließ den Tycoon, seinen letzten Roman.

lucius-munatius-plancus-4429647_1920
Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Er grüßte zurück und winkte dem Menschenstrom zu, der in der Dunkelheit vorbeifloß, und ich denke mir, daß er dabei ein bißchen wie Napoleon vor seiner Alten Garde ausgesehen hat. Es gibt keine Welt, die ohne Helden auskommt, und Stahr war ein Held. Die meisten dieser Männer waren schon lange hier, und bereits in den Anfängen, auch während des großen Umbruchs zum Tonfilm hin und schließlich in den drei Depressionsjahren hatte er dafür gesorgt, daß ihnen kein Leid geschah. Die alten Loyalitäten gerieten allmählich ins Wanken – auch er war schließlich nicht ohne Makel -, trotzdem war er ihr Mann, der letzte der ganz Großen, und die Grüße, die ihn von den Vorüberziehenden erreichten, waren gedämpfte Ovationen.“

F. Scott Fitzgerald, „Die Liebe des letzten Tycoon“, 1940.

Hollywood, die Traumfabrik. Hollywood, das ist, so ein Zitat aus dem letzten Roman F. Scott Fitzgeralds, „die Goldgräberstadt im Lotusland“. Hollywood, Babylon. Menschenfressermaschine. Das Geschäft mit den Träumen frisst seine eigenen Kinder und Helden: So auch jenen Monroe Stahr, dem vermutlich nur deswegen ein Überleben im Buch gegönnt war, weil der Roman unvollendet bleiben musste: Fitzgerald starb 1940 über den Entwürfen, ausgezehrt, von seinem jahrelangen Alkoholismus ausgebrannt und zudem als Autor beinahe schon vergessen.

Wie viele andere Schriftsteller auch, hatte sich Fitzgerald von Hollywood als Drehbuchautor einfangen lassen. Doch die wenigsten kamen mit dem System – oft ließen die Studios mehrere Autoren parallel an einem Skript arbeiten, künstlerische Leistung wurde zur Ware und wenig wertgeschätzt – und in den Schreibfabrikenzurecht. Viele konnten sich gerade so über Wasser halten, die Konkurrenz war groß, zumal neben den amerikanischen Schriftstellern auch während des Zweiten Weltkriegs mehr und mehr intellektuelle Emigranten sich hier einen Neuanfang erhofften – Bertolt Brecht sang ein Lied davon in den Hollywood-Elegien.

Irving Thalberg diente als Vorbild

Doch trotz seiner kritischen Einstellung wollte F. Scott Fitzgerald einen Heldenroman schreiben: Vorbild für Monroe Stahr war Irving Thalberg, der legendäre Mitbegründer der MGM-Studios, der 1936 verstorben war. Unter Thalberg, der Perfektionist und kreativer Kopf mit einem Gefühl für künstlerische Leistung war, entstanden einige der wichtigsten Filme dieser Ära: „Anna Karenina“, „Ein Mensch der Masse“, „Menschen im Hotel“, „Mata Hari“. Ein Visionär, der auf Qualität setzte – und dadurch auch an den Kinokassen erfolgreich war. Doch dem entgegen standen die Verfechter der billigen Massenproduktion, Masse statt Klasse. Thalberg verstarb früh an seinem angeborenen Herzleiden – und hinterließ eine beträchtliche Lücke im Filmschaffen.

Vielleicht sah Fitzgerald Parallelen zu sich selbst: Er, der strahlende Held der Literaturwelt in den roaring twenties, stets jedoch (zunächst aufgrund des aufwendigen Lebensstils, dann wegen der teuren Hospitalkosten für seine psychisch erkrankte Frau Zelda) auch gezwungen, sich in die Niederungen der literarischen Massenproduktion zu begeben. Nach den enormen Erfolgen seiner ersten Bücher war ausgerechnet „The great Gatsby“, den er als bis dahin ernsthaftesten Roman seinerseits wertete, beim Publikum durchgefallen. Die Erzählungen, die er Anfang der 1930er Jahre schrieb und mit denen er zeitweise zum bestbezahlten Schriftsteller seiner Tage wurde, nahm er selbst wenig ernst. Auch wenn darunter wunderbare Stücke sind, Diamanten so groß wie das Ritz. „Der letzte Tycoon“ sollte für den vergessenen Helden der 1920er nochmals ein Neuanfang sein, er wollte damit den literarischen Rang erreichen, den er zeitlebens erstrebte – wahr- und ernstgenommen werden als Autor.

Er kam mit dem System Hollywood zurecht

Alles deutete auf Neuanfang: Er war ab Anfang 1940 wohl trocken, Sheilah Graham, seine neue Lebensgefährtin, unterstützte ihn in seiner Arbeit, und auch mit dem System Hollywood kam er zurecht. Doch sein Herz war zu schwach, ähnlich wie das Thalbergs, wie jenes dessen literarischen alter egos, Monroe Stahr. Man darf jedoch nicht zu viel Biographisches und Autobiographisches hineindeuten in die literarische Kunstfigur, wie Verena Lueken in einer Diogenes- Ausgabe 2006 bemerkt:

„Fitzgerald hat nie direkt mit, oder besser: unter Thalberg gearbeitet, und er hat sehr in den Schreibfabriken Hollywoods gelitten. Aber er bewunderte Thalberg für dessen Intelligenz und Autorität und schätzte sicher auch dessen glänzendes Aussehen und tadellose Manieren. Mit Monroe Stahr entwirft er eine Figur, in der er die wichtigsten Lebensdaten und die besten Eigenschaften Thalbergs mit inneren Wirklichkeiten kombiniert, die aus seinem eigenen Leben stammen (…). Stahrs Verhältnis zu Frauen erinnert eher an Fitzgeralds Geschichte mit den Frauen, die er liebte. Die tote Minna, die Stahr nicht losläßt, trägt Züge der kranken Zelda, mit der kein Leben mehr möglich ist. Kathleen wiederum ist deutlich von Sheilah Graham inspiriert, die Fitzgerald zum ersten Mal auffiel, weil sie einen silbernen Gürtel trug. Monroe Stahr ist nicht Thalberg, und die Liebe des letzten Tycoon sollte kein Portrait seines Lebens werden. Stahr ist eine fiktive Figur, doch zusammengeschmolzen aus einem Vorbild, eigenen Erlebnissen und einer romantischen Vision vom großen Einsamen, der Ausnahmegestalt, die außerhalb jeder Ranküne steht und jeder Schweinerei.“

Elegante Melancholie

Die romantische Vision vom Einsamen, diese Mischung aus flatterhaften, flapsigen Dialogen,

– „ich mag die Menschen und mag es, wenn sie mich mögen, aber ich trage mein Herz an der Stelle, die Gott dafür vorgesehen hat, nämlich nach außen hin unsichtbar“ –

zugleich die dezente Melancholie und die Eleganz der Sprache: Auch „der letzte Tycoon“ ist, obwohl unvollendet, ein typischer, wenn nicht gar gereifter Fitzgerald.

Die Geschichte selbst wird von einer jungen Frau, Tochter von Stahrs Kompagnon, erzählt, die den einsamen Manager beinahe schon backfischhaft anhimmelt. Sie erlebt, wie Stahr bei einem Erdbeben in Los Angeles zufällig jene Kathleen erblickt, die seiner verstorbenen Frau aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheint. Obwohl Kathleen vorhat, aus Pflichtgefühl einen anderen zu heiraten, erleben sie wenige Stunden und Tage miteinander – Tage, in denen Stahr zugleich mit anderen Produzenten, Filmbossen, Finanziers und Gewerkschaftern harte Kämpfe durchzufechten hat. Hier gilt es, Nerven zu bewahren, einen dicken Panzer zu zeigen – der so dick ist, dass auch Kathleen diesen nur für Momente durchbrechen kann. So liegt in dieser Geschichte, die Glanz und Schimmer einer Hollywood-Komödie zu versprechen scheint, bereits der Niedergang. Und dennoch: Auch dieser Roman ist ein Juwel aus der Hand des eigentlich gebrochenen Helden, Fitzgerald.

Hingewiesen sei auch auf die wunderbare Verfilmung von Elia Kazan mit Robert de Niro in der Hauptrolle.