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Birgit Böllinger

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Schlagwort: Michael Krüger

Das Herbstprogramm der Edition Faust

Der Herbst wird bunt bei der Edition Faust: Unter anderem stehen neue Gedichte von Jan Röhnert, ein Roman der syrischen Autorin Najat Abed Alsamad und ein frecher Comic über eine nicht ganz so heilige Maria auf dem Programm.

Poetisch, geheimnisvoll, unheimlich, frech, provozierend und nachdenklich machend: Das Herbstprogramm in der Edition Faust spricht auf vielen Ebenen Geist und Emotionen an.

Mit „Erdtagzeit“ erscheint bei dem Frankfurter Verlag nach „Wolkenformeln“ (2014) ein zweiter Band mit Gedichten von Jan Röhnert. Michael Krüger, neben Raoul Schrott und Jan Wagner einer der Bewunderer von Röhnerts Lyrik meint dazu: „Ich freue mich immer auf die neuen Gedichte von Jan Röhnert – nicht zuletzt deshalb, weil ich immer neugierig bin, welchen Vögeln er diesmal zugehört hat beim Dichten.“

„Sie (siehe: »Walle! Walle!« und »Novalis’ Vasen«)“ ist der verheißungsvolle Titel von neuen Gedichten und Essays aus der Feder von Sascha Anderson. Traumhafte Sequenzen, skurrile Episoden, aber auch schauerliche Szenen verknüpft die Bildende Künstlerin und Schriftstellerin Ankalina Dahlem in „Reverso“, einem Roman, bei dem sich 71 Short Cuts in ein großes Ganzes fügen.

Mit dem Roman „Kein Wasser stillt ihren Durst“ von Najat Abed Alsamad gibt die Edition Faust erneut einen Einblick in die arabische Literatur. Für das Buch wurde die syrische Schriftstellerin, die in Deutschland lebt, 2018 mit dem Katara-Preis für Romane ausgezeichnet. Übersetzt wurde es von Larissa Bender.

Ebenfalls eine starke Frauenstimme kommt aus einem ganz anderen Genre: Mit „Just Mary“ legt die italienische Comic-Zeichnerin und Street-Art-Künstlerin Paola Morpheus einen Comic vor, der die Muttergottes von einer ganz neuen Seite zeigt: Frech, aufmüpfig und im Kampf gegen das Patriarchat.


Erdtagzeit: Das von der Sonne durchschossene Blätterdach auf der Flugbahn der Mauersegler. Die Epoche, in der ein Meer zu Sandstein vertrocknet. Der vor unseren Fenstern tobende Krieg. 

Diese Gedichte sind Zeitzeugen des Lichts, das es seit viereinhalb Milliarden Jahren gibt, Zeitzeugen der Schwerkraft, welche die Erde auf ihrer Umlaufbahn hält, Zeitzeugen des Lächelns in einem Vorortzug, das zwischen zwei Stationen über die Gesichter huscht.

Jan Röhnerts Poesie durchdringt auch in seinen neuen Gedichten die Schönheiten und Abgründe unserer Innen- und Außenwelten auf eine höchst sinnliche als auch tief analysierende Weise, die einzigartig ist in der deutschsprachigen Dichtung der Gegenwart.

Von Jan Röhnert erschien 2014 der Gedichtband »Wolkenformeln« in der Edition Faust.

Jan Röhnert
Erdtagzeit
Gedichte
112 Seiten, Gebunden
ISBN 978-3-949774-23-2
Erscheint Anfang Oktober 2023

Jan Röhnert, 1976 in Gera/Thüringen geboren, ist Literaturwissenschaftler, Essayist, Übersetzer, Autor von Reiseprosa und Lyriker, der u.a. mit dem Lyrikdebütpreis des LCB, einem Harald-Gerlach-Stipendium, dem Darmstädter Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis und dem Lyrikpreis der RAI Südtirol ausgezeichnet wurde. Er unterrichtet an der TU Braunschweig und lebt in Leipzig. Zu seinen Veröffentlichungen zählen die Gedichtbände Metropolen (Hanser 2007), Wolkenformeln (Edition Faust 2014), Breughels Affen (Elif 2019), der Naturkunden-Band Vom Gehen im Karst (Matthes & Seitz 2021) und die Tagebücher Notes from Sofia (Azur 2011), Am Sirenenkap. Rilkes Capri-Gedichte (Schwabe 2021).


Wie bei jedem echten Abenteuer erscheint uns die Poesie Sascha Andersons mit jedem Wort zugänglich und doch unvertraut. Erinnerungen verflechten sich mit Reflexionen und dem fliehenden Sinn nachforschenden Fragen. Mit jeder seiner zahlreichen literarisch-philosophischen Anspielungen erschließt er uns ein Deutungsfenster und eine Tür zur Erkenntnis. Und doch bewahrt jedes Gedicht sein Geheimnis. Wer es liest, kann sich durch die Wirkung seiner Sprachbilder aktivieren lassen.

Sascha Anderson
Sie (siehe: »Walle! Walle!« und »Novalis’ Vasen«)
Neue Gedichte und Essays …
Über ein der Erwähnung nicht wertes Stöckchen zu springen
Broschur, 80 Seiten
ISBN 978-3-949774-22-5
Erscheint Ende September 2023

Sascha Anderson, geb. 1953 in Weimar, lebt in der Nähe von Frankfurt am  Main. 1969–1971 Lehre als Schriftsetzer und Drucker, 1974 Volontär bei der DEFA, 1975–1977 Filmhochschule Potsdam-Babelsberg (Autor). Ab 1981 freischaffender Schriftsteller. 1987–1995 arbeitete er als Privatsekretär für A. R. Penck. 1990–2008 Herausgeber, Lektor, Typograph. Auszeichnungen: 1987 Thomas-Dehler-Preis (gemeinsam mit Jürgen Fuchs), 1989 Arbeitsstipendium für Berliner Schriftsteller, 1991 Stipendium der Villa Massimo in Rom.


Die Prosa von Ankalina Dahlem, aus Traumfetzen, Märchenmotiven und Schnipseln der Gegenwart gewoben, erzählt von Begebenheiten, die einen kaum mehr loslassen. Ohne zu psychologisieren, taucht die Autorin in die Psyche ihrer Figuren, mischt – wie der Traum – Zauberhaftes mit Alltäglichen, Naheliegendes mit Fernem. So entstehen Miniaturen, die miteinander auf unheimliche Art zu kommunizieren beginnen, gefangene Träume, die den Leser, die Leserin fesseln, einnehmen, entführen. Das Herz ist der Schlüssel zur Welt – doch manchmal öffnet er auch grausame, unheimliche Räume.

»Reverso« versammelt insgesamt einundsiebzig „Short Stories“, von einer Rahmenerzählung zusammengehalten, die selbst wieder Traum ist. Dieser Roman ist die vierte Veröffentlichung der Autorin; zuletzt ist von ihr bei Edition Faust 2019 die Traumnovelle »Universe far« erschienen.

Ankalina Dahlem
Reverso
Short Cuts
Roman in 71 Episoden
Gebunden, 176 Seiten, mit Zeichnungen der Autorin
ISBN 978-3-949774-24-9
Erscheint im September 2023

Ankalina Dahlem studierte Malerei und Bildhauerei am Pasadena Art Center, an der Städelschule Frankfurt und an der Staatlichen Kunstakademie Karlsruhe. Nach ihrem Studium erhielt sie zahlreiche Stipendien. 2015 erschien ihr erster Roman »Zurück nach Lima«. Sie lebt in Frankfurt am Main und Zürich.


Najat Abed Alsamad erzählt in ihrem Roman »Kein Wasser stillt ihren Durst« vom Leben der drusischen Gesellschaft in der südsyrischen Provinz und gleichnamigen Stadt Suwaida. Aus der Perspektive einer Frau, die sich gegen die gesellschaftlichen Traditionen auflehnt und dafür zur Strafe in die Kellerkammer ihres Elternhauses gesperrt wird, berichtet die Autorin über Bräuche, Traditionen und Mythen der Drusen.

Diese Religionsgemeinschaft, die heute in Südsyrien, im Libanon, auf den syrischen, von Israel besetzten Golanhöhen sowie in geringer Zahl in Jordanien beheimatet ist, hatte sich im 11. Jahrhundert von der ismailitischen Schia abgespalten, schlug dann aber eine eigene Entwicklung ein. So etwa glauben die Drusen an die Seelenwanderung und interpretieren den Koran anders als Sunniten und Schiiten. Auch eine Konversion zum Drusentum ist nicht möglich, da alles von Gott vorbestimmt ist.

Der Roman gibt Einblick in die verschiedenen Traditionen und Bräuche dieser Religionsgemeinschaft und schildert in Rückblicken nicht nur die Liebesgeschichte der beiden Protagonisten Hayat und Nasser, sondern auch die geologische Geschichte der Region, in der Wasser und ausbleibende Regenfälle die Entwicklung des Landes beeinflussten. Der klimatische Wandel erschwerte zunehmend den Landbau der fruchtbaren Region und führte trotz Einsatz von moderner Technik und Wissenschaft dazu, dass nachwachsende Generationen das Regenfeldbaugebiet verließen.

Passagen aus der oralen Erzähltradition, die einzelnen Kapiteln im Buch vorangestellt sind, geben zudem einen beklemmenden Einblick in das Leben der Frauen, die sich den von Männern geprägten Traditionen unterordnen müssen.

Najat Abed Alsamad
Kein Wasser stillt ihren Durst
Roman
Aus dem Arabischen von Larissa Bender
Geunden, 288 Seiten
ISBN 978-3-949774-27-0
Erscheint im Oktober 2023

Najat Abed Alsamad ist eine syrische Schriftstellerin und Gynäkologin, geboren in Suwaida, Syrien, lebt in Deutschland. B.A. in arabischer Sprache und Literatur von der Universität Damaskus. Hat mehrere Romane und Sammlungen von Erzählungen veröffentlicht, die seit 1994 von Verlagen in Syrien, im Libanon und in den Vereinigten Arabischen Emiraten veröffentlicht wurden. Ihre Artikel, Studien und Forschungen erschienen in arabischen Zeitungen, Websites und Thinktanks. Gewinnerin des Katara-Preises für Romane im Jahr 2018 für ihren Roman „La Ma’a Yarwiha“ („Kein Wasser stillt ihren Durst“).


Mary beschert Gott, ihrem Sohn Jesus, dem Papst und der katholischen Kirche mit dem Smartphone so manch eine Überraschung. Denn sie akzeptiert die patriarchalische Ewigkeit nicht. Sie ist weder mild noch friedfertig oder gar Opfer. Gnadenlos und unnachgiebig klopft sie Glaubenslehren und Einstellungen auf ihre Überlebensfähigkeit im Heute ab. Aus der Perspektive einer modernen Frau nimmt sie Themen wie das traditionelle christliche Familienkonzept, unbefleckte Empfängnis, Genderfragen, Abtreibung, Sexualität, Liebe und schließlich die Fragen nach der Veränderbarkeit starren, überholten Denkens sturer Männer im Himmel und in kirchlichen Institutionen auf Erden unter die Lupe. Die junge Italienerin Paola Morpheus legt mit ihren Comic-Geschichten eine äußerst ironisch-witzige Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Probleme vor.

Paola Morpheus
Just Mary
Comic
Aus dem Italienischen von Andrea Richter
Broschur, durchgehend vierfarbig, 136 Seiten
Format: 180 x 255 mm
ISBN 978-3-949774-28-7
Erscheint im Oktober 2023

Paola Morpheus, geboren 1989 in Catanzaro/Italien, ist eine satirische Comic-Zeichnerin, bad animator und Steet-Art-Künstlerin.


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag

Autor Birgit BöllingerVeröffentlicht am 30. August 2023Kategorien Aktuelles aus der Edition FaustSchlagwörter Ankalina Dahlem, Comic, Gedichte, Jan Röhnert, Larissa Bender, Literatur, Lyrik, Michael Krüger, Najat Abed Alsamad, Paola Morpheus, Roman, Sascha Anderson, SyrienSchreibe einen Kommentar zu Das Herbstprogramm der Edition Faust

STANISLAW BARANCZAK: Ethik & Poetik

Stanisław Barańczaks Essaysammlung Ethik&Poetik ist das Zeugnis eines literarischen und kritischen Ringens mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts – ein Ringen um die Literatur und deren erhofften Rolle bei der Wiederherstellung eines ethischen Wertesystems. Der Band liegt nun erstmals in deutscher Übersetzung vor.

Bewegt von der ernsthaften Sorge um die ethische Integrität von Literatur, die immer dann am stärksten gefährdet zu sein scheint, wenn Schriftsteller*innen in die Klauen der Politik geraten und zwischen Gehorsam und Widerstand wählen müssen, ist Stanisław Barańczaks frühe Essaysammlung Ethik und Poetik (EA 1979) das Zeugnis eines literarischen und kritischen Ringens mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts – ein Ringen um die Literatur und deren erhofften Rolle bei der Wiederherstellung eines ethischen Wertesystems. An Klassikern wie Thomas Mann, Ossip Mandelstam, Dietrich Bonhoeffer, Czesław Miłosz, Miron Białoszewski, Wisława Szymborska, Zbigniew Herbert und anderen mehr zeichnet Barańczak in “Ethik&Poetik” jene poetischen Überzeugungen nach, für die deren Autor*innen mit Schreibverbot, Exil oder Tod bezahlen mussten.

„Auf dem großen Gruppenfoto des polnischen Geistes im 20. Jahrhundert, wie wir es kennen, war immer eine Leerstelle, ein weißer Fleck: Er war für Stanisław Barańczak reserviert, den leidenschaftlichen Dichter, Denker, Übersetzer und Essayisten – sowie politischen Aktivisten bereits vor der Solidarność-Zeit. Zusammen mit Ryszard Krynicki, Adam Zagajewski, Julian Kornhauser, Ewa Lipska und anderen bildete er eine „neue Welle“ der polnischen Kultur, in der Ethik und Ästhetik einen unauflöslichen Pakt eingegangen waren. Zu meiner großen Freude erscheint nun die erste Auswahl von Barańczaks Arbeiten in deutscher Sprache. Wer diesen gastfreundlichen Intellektuellen Nimmersatt nicht mehr persönlich kennenlernen konnte, hat nun endlich Gelegenheit, ihm über seine Arbeit näherzukommen. Und das Gruppenfoto ist nun (fast) vollständig“ schreibt Michael Krüger, einer der Herausgeber zu diesem Buch, das nun in der Edition Faust erschienen ist.

Stanisław Barańczak wurde 1946 in Posen geboren. Er studierte Polonistik an der Adam-Mickiewicz-Universität, an der er 1973 mit einer Dissertation über Miron Białoszewski promovierte. Sein Debüt als Dichter lieferte er bereits 1965. Er gehörte 1976 zu den Gründern des KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter). Der prominente Vertreter der polnischen Neuen Welle / Generation 68 gilt als einer der bedeutendsten Lyriker, Übersetzer und Essayisten der polnischen Gegenwartsliteratur und wurde mehrfach national wie international prämiert. Stanisław Barańczak ist 2014 in Newtonville, Massachusetts, gestorben.


Stimmen zum Buch:

“Das ist schließlich das große Wunder mutiger und aufrichtiger Menschen, zu denen wir Baranczak zählen dürfen: Jahrzehntelange allumfassende Propaganda konnte nicht verhindern, dass sie existieren, sich entwickeln und aufklärerisch tätig werden; und das heißt, dass es unter allen Umständen immer Hoffnung gibt, so düster die Gegenwart auch aussehen mag. Baranczak war mit seiner Kritik am kommunistischen Polen, die er in seinen vielen Texten übt, ein ethischer Visionär: Er wusste, dass er auf der Seite der Guten steht, und dass seine Sache eines Tages notwendig gewinnen musste.” – Arne-Wigand Baganz

12. Juli 2023:Marta Kijowska widmet Stanisław Barańczak und dessen Essays einen ausführlichen und kenntnisreichen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

“Das ist Ethik, das ist Poetik: Das ist das, was in der heutigen deutschen Dichtung zu selten ans Licht dringt, nämlich: „Der Kern der Sache (…), dass in der heutigen Welt gerade das dichterische Denken am häufigsten zum Gegenpol jeglicher Form des dogmatischen Denkens wird“, wie Baranczak schreibt.” – Artur Becker in der Frankfurter Rundschau


Stanisław Barańczak
Ethik und Poetik
Essays
Herausgegeben von Alexandru Bulucz, Ewa Czerwiakowski, Michael Krüger
Aus dem Polnischen von Jakub Gawlik und Mateusz Gawlik
Broschur, 416 Seiten, € 28,–ISBN 978-3-945400-46-3


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Edition Faust.

Autor Birgit BöllingerVeröffentlicht am 20. April 20236. September 2023Kategorien Aktuelles aus der Edition FaustSchlagwörter Alexandru Bulucz, Edition Faust, Essay, Ewa Czerwiakowski, Literatur, Lyrik, Michael Krüger, Ossip Mandelstam, Polen, Polnische Literatur, Stanisław Barańczak, Thomas Mann, Wisława Szymborska2 Kommentare zu STANISLAW BARANCZAK: Ethik & Poetik

Heinrich Hoffmann: Der Struwwelpeter

Der Struwwelpeter war kaum erschienen, schon war er umstritten. Und während Erwachsene bis heute diskutieren, lesen Kinder es weiterhin.

“Konrad!“ sprach die Frau Mama, „ich geh aus und du bleibst da. Sei hübsch ordentlich und fromm, bis nach Haus ich wieder komm.“

Der Struwwelpeter war kaum erschienen, schon war er umstritten: „Jämmerliches Machwerk“, „Schmutzliteratur“, „albernes Buch“, lauteten die harschen Urteile. Der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann jedoch blieb stur. Er hatte das ganze Buch für seinen Sohn getextet und gemalt und bedingte sich bei der Drucklegung aus, dass – obwohl er selbst auch eingestand, dass manches „dilettantisch“ sei – das Buch unverändert blieb.

Erschreckte es bei seinem Erscheinen 1845 vor allem die Schöngeister, die im Buch Stellen des „Gemeinen und Ekelhaften“ zu finden meinten, war es in den 1970er Jahren (und eigentlich noch bis heute) umstritten aufgrund seiner „schwarzen Pädagogik“: Zu schlimmes Unheil drohe hier unwillfährigen Kindern.

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Bildquelle: Wikimedia/Struwwelpeter-Museum Frankfurt

Dies ist die Ebene, auf der Erwachsene über Kinderbücher diskutieren. Welches Kind aber glaubt im Ernst, dass beim Daumenlutschen der Schneider mit der Riesenschere um die Ecke lauert? Oder auf Suppenverweigerung binnen sieben Tagen der Hungertod folgt? Und ging es überhaupt darum, Kinder einzuschüchtern und zu ängstigen mit diesem Buch?

Maria Beig und Bruno Bettelheim über das Kinderbuch

Die Schriftstellerin Maria Beig schildert ihre Leseerfahrung so: Sie war nicht wegen der Grausamkeiten, sondern hauptsächlich deswegen empört, weil die Eltern Paulinchen alleine zuhause ließen und der Suppenkasper nicht einmal ein Butterbrot bekam. Eine Spontanumfrage im Bekanntenkreis ergab: Alle Eltern machen sich Gedanken, ob der „Struwwelpeter“ für ihre Kinder zumutbar ist – und die meisten Kinder wollen ihn trotzdem lesen. Die Eltern sind meist auch gestruwwelpeterisiert – und keiner kann sich an Alpträume erinnern. Es kommt auf die Familie an: Wer das Vertrauen haben kann, dass die Struwweleien in erster Linie Geschichten sind, der kann diese Geschichten auch genießen.

Bruno Bettelheim („Kinder brauchen Märchen“) vertrat sogar die These, dass solche Struwweligkeiten helfen könnten, Kindern ihre schwache Seite zu zeigen: Ihren Jähzorn, ihre Aggressivität, deren Auswirkungen auf andere sie so kennenlernen. Das scheint mir zwar etwas an den pädagogischen Struwwelhaaren herbeigezogen, aber wer weiß – vielleicht können die Erzählungen doch eine Anregung sein, sich über die Voraussetzungen des Miteinanders zu unterhalten.

Die Figuren – Hans-Guck-in-die-Luft und Zappel-Philipp – haben jedenfalls bislang noch jede Zeitkritik überstanden, der Struwwelpeter ist nach wie vor ein Klassiker: Irgendwie scheint er doch mitten in die kindliche Seele zu treffen. Verleger und Schriftsteller Michael Krüger sagt dazu, was Kinder von Büchern wollen:
„Es muss komisch sein. Es muss spannend sein. Und es muss eine ganz tolle Geschichte erzählt werden. Man kann also nicht gerade mit Becketts Romanen Kinder erfreuen“.

Robert Gernhardt und sein fliegender Robert

Auch zum Struwwelpeter hatte Robert Gernhardt, der große Satiriker, eine ganz eigene Sichtweise:
„Ich halte übrigens beide Bücher (gemeint ist auch Max und Moritz) für hervorragend, unabhängig von den schrecklichen Ausgängen: Die Verfasser arbeiten mit Witz und Pointen, und möglicherweise haben sie in ihrer gnadenlosen Sichtweise ja sogar recht: Möglicherweise endet jeder Versuch, sich dem System zu widersetzen letal bzw. blutig, doch es sind immer offene Wunden; während jene Wunden, die durch die Anpassung geschlagen werden, unsichtbar sind und bleiben.“

Und manchmal gibt es bei Heinrich Hoffmann ja auch noch ein winziges Türchen für die Subversion – sei es in der Geschichte vom Hasen und Jäger oder vom fliegenden Robert: Einfach Wegschweben ist manchmal die beste Lösung.

Autor Birgit BöllingerVeröffentlicht am 18. Februar 202026. Mai 2023Kategorien 19. JahrhundertSchlagwörter Deutsche Literatur, Frankfurt, Heinrich Hoffmann, Kinderbuch, Maria Beig, Michael Krüger, Robert Gernhardt, Struppelpeter, Struwwelpeter18 Kommentare zu Heinrich Hoffmann: Der Struwwelpeter

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