
“My dear, I don`t give a damn.”
Man müsste schon vollkommen ignorant sein, um keinen “damn” darauf zu geben, dass „Vom Winde verweht“ nicht nur eine der weltweit bekanntesten Liebesgeschichten, sondern im Grunde ein zutiefst rassistisches Machwerk ist. Mir ging es wohl so wie vielen anderen: Ich kannte zunächst den Film, der zwar auch von Stereotypen und Klischees geprägt ist, aber denn doch die übelsten Passagen der Romanvorlage ausklammert. Die weißbemäntelten Typen vom Ku-Klux-Klan: Sie hätten sich neben Vivian Leigh und Clark Gable wohl auch allzu lächerlich im Breitwandformat ausgenommen. So bereitete mir die spätere Lektüre der 1936 erschienenen Romanvorlage doch eine heftige Überraschung: Romantik aus, Rassismus an.
Ein literarisches One-Hit-Wonder
Die Rezeption des Films – der Klassiker aller Schmachtfetzen – verstellt bis heute den Blick auf das Buch: Doch wer den Roman von Margaret Mitchell mit hellwachem Sinn liest, müsste eigentlich Scarlett, Rhett und die ganze Südstaaten-Sippschaft mit Verve in den Wind schießen. Eins vorneweg: Stilistisch brachte mir das Südstaatenepos, das viel Lokalkolorit, Bürgerkriegsszenen und jede Menge Schmalz bietet, keinen frischen Wind, geschweige denn eine kleine Prise. Völlige Flaute, mehr als 1000 Seiten eher Lesequal. Starr gezeichnete Charaktere bis hin zur Karikatur, holperige Dialoge, langatmige Frequenzen – sprachlich liegt der “Schinken” nicht gerade leicht im Magen. Man darf sich an Szenen wie diesen ergötzen:
„Seine schwarzen Augen suchten in ihrem Gesicht und wanderten hinunter zu den Lippen. Scarlett schlug die Augen nieder und wurde aufgeregt. Nun würde er sich die Freiheiten herausnehmen, die Ellen vorausgesagt hatte.“
Die Welt der „alten“ Südstaaten war schon längst untergegangen, als Margaret Mitchell ihr literarisches One-Hit-Wonder schrieb. Sie selbst, geboren 1900, hatte dies nie erlebt, aber in ihrer wohlhabenden Familie in Atlanta die Legende von der “guten, alten Zeit” gehört. Und so ist ihr 1936 erschienenes Südstaatenepos vor allem nach dem Muster gestrickt: Früher war alles besser und die Welt in Ordnung. Damals, als die weißen Plantagenbesitzer noch edle Herren waren, die Damen mit dem Fächer wedelnd auf schattigen Veranden Schutz vor der Sonne suchten, derweil der schwarze, etwas unbeholfene Butler kühle Limonade brachte und auf den treudoofen Baumwollpflücker auf dem Feld herabschaute. Bis die bösen Yankees kamen und die Schwarzen partout befreien wollten.
Ku-Klux-Klan eine tragische Notwendigkeit?
Mitchell beließ es jedoch nicht bei einem sentimentalen Rückblick und Südstaatenromantik. Sondern packt in ihren Wälzer einseitige Klischees über „die Schwarzen“ und merkwürdige Ansichten über den Ku-Klux-Klan. Im Roman heißt es, der Klan sei von „tragischer Notwendigkeit“ – ein Instrument der Notwehr, da der Norden versuche, dem Süden „die Herrschaft der Neger aufzuzwingen, von denen viele vor kaum einem Menschenalter noch in den Urwäldern Afrikas gelebt hatten.“ (Das Zitat wurde aus diesem Artikel entlehnt: “Vom Winde verweht 3 – jetzt mit Rassismus“)
Wem dabei – auch in der Parallele zu manchen üblen Äußerungen, wie sie heute rechtspopulistische Politiker über Migranten fallen lassen – nicht die Haare zu Berge stehen, dem sollte eine Aussage der Autorin zu denken geben:
„Margaret Mitchell schrieb um 1929 Sätze wie diese: „Die große Anzahl der Sittlichkeitsverbrechen an Frauen brachte die Männer des Südens in kalte, bebende Wut und rief über Nacht den Ku-Klux-Klan ins Leben.“ (Zitat aus: s.o.)
So ist das Buch, wie Elke Schmitter in dem Mitchell-Portrait „Der Trotz als Herzschrittmacher“ (enthalten in: „Leidenschaften. 99 Autorinnen der Weltliteratur, btb Verlag, 2013) schreibt, “trotz Genauigkeit im Detail hemmungslos parteilich. Der Ku-Klux-Klan wird als Selbsthilfegruppe gedemütigter, eigentlich wohlerzogener Bürger vorgestellt, das Bürgerrecht für Schwarze als eine weltfremde Idee – nicht, weil es diesen an Menschlichkeit fehlte, doch sind sie, wie nicht nur Scarlett versichert, im Grunde wie Kinder, die man hüten muss…”
Zehn Jahre Arbeit an dem 1000-Seiten-Epos
Zehn Jahre schrieb Mitchell an ihrem einzigen Roman – das zähe Ringen merkt man dem Buch beim Lesen durchaus an. Als es dann endlich erschien, beurteilte das „Time“ Magazin es als „unverzeihlich rassistisch”. Dennoch wurde der Roman mit Preisen überschüttet, so mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award, und aus dem Stand zu einem Verkaufsschlager. Die Verfilmung durch Victor Fleming, die 1939 in die Kinos kam, räumte zehn Oscars ab und wurde zu einem der kommerziell erfolgreichsten Streifen der Filmgeschichte.
Vor drei Jahren schrieb Marc Pitzke anlässlich des 75. Jahrestages der Filmpremiere:
„Gone with the Wind“ ist eines der rassistischsten Machwerke Hollywoods: Es romantisiert das wohl düsterste Kapitel der US-Geschichte – was jetzt (…) relevanter ist denn je. Die Parallelen sind beklemmend. Vielen Weißen fehlt das Bewusstsein, das die USA überhaupt ein Problem haben: Damals akzeptierten sie den Rassismus nonchalant als Lebensart – heute leugnen sie, dass es ihn überhaupt gibt.“
Man bedenke: Dieser Artikel stammt noch aus der Ära Obama.
2020 erschien das Epos in einer neuen Übersetzung – nicht nur der Titel veränderte sich dadurch. Die neue Fassung in deutscher Sprache ist jedoch nicht unumstritten: “So lädt die in vielem so famos gelungene Neuübersetzung von «Vom Wind verweht» nicht nur dazu ein, einen unterschätzten Klassiker der US-Literatur neu zu entdecken, sondern auch über heutige Übersetzungspraktiken zu debattieren”, urteilt Rainer Moritz in der NZZ.