Friedrich Hölderlin – Heimkunft

Heimkunft erschien 1802 erstmals in “Flora. Teutschlands Töchtern geweiht von Freunden und Freundinnen des schönen Geschlechts”.

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Bild von Th G auf Pixabay

Freilich wohl! das Geburtsland ists, der Boden der Heimat,
Was du suchest, es ist nahe, begegnet dir schon.
Und umsonst nicht steht, wie ein Sohn, am wellenumrauschten
Tor’ und siehet und sucht liebende Namen für dich,
Mit Gesang ein wandernder Mann, glückseliges Lindau!
Eine der gastlichen Pforten des Landes ist dies,
Reizend hinauszugehn in die vielversprechende Ferne,
Dort, wo die Wunder sind, dort, wo das göttliche Wild
Hoch in die Ebnen herab der Rhein die verwegene Bahn bricht,
Und aus Felsen hervor ziehet das jauchzende Tal,
Dort hinein, durchs helle Gebirg, nach Komo zu wandern,
Oder hinab, wie der Tag wandelt, den offenen See;
Aber reizender mir bist du, geweihete Pforte!

Friedrich Hölderlin, „Heimkunft“, Auszug aus der 4. Strophe.

Lindau, Pforte des Landes, Pforte zum See, den die Einheimischen gerne auch das „schwäbische Meer“ nennen. Hölderlin ging beim Anblick des Hafens das Herz auf, Mörike schwärmte von der vergnüglichen Stadt, Michel de Montaigne mochte das Essen. Und auch für mich seit meiner Kindheit ein Sehnsuchtsort, ein Ort zur Seelenbaumelei.

#VerschämteLektüren (23): Christiane und der liebe Augustin

Mit ihrer verschämten Lektüre führt uns Christiane Schlüter nach Lindau an den Bodensee auf Spuren eines ganz besonderen Gesellen: O du lieber Augustin…

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Das Augustin-Denkmal in Lindau. Bild: Birgit Böllinger

EIN GASTBEITRAG VON CHRISTIANE SCHLÜTER

Ein Kollege hatte mir vor Jahren den “lieben Augustin” aus Lindau (nicht zu verwechseln mit dem Wiener “Ach Du lieber Augustin, alles ist hin…) in die Hand gedrückt – das sei ein wunderbares Buch für Bodenseeliebhaber. Und so nahm ich es seither auch wahr: Als kleinen, verschmitzten, lebensfrohen Schelmenroman, den man allenfalls am “Schwäbischen Meer” kennt. Doch nun wurde ich eines Besseren belehrt – das Buch ist laut Kindlers Literatur Lexikon nicht nur seit drei Jahrzehnten Bestandteil der Deutschlektüre an amerikanischen Universitäten, sondern traf auch im fernen Frankfurt eine Schülerin mitten ins Herz. Lest hier die Geschichte einer besonderen Leidenschaft:

Christiane Schlüter und ihr lieber Augustin

Verschämt war diese Lektüre nie. Nur ein wenig aus der Zeit gefallen, wie ihr Held auch. Augustin Sumser ist Spieldosenmacher und mit einer Rokokoseele auf die Welt gekommen. Als er zwölf Jahre alt ist, beginnt die Französische Revolution, und alle Welt empfindet fortan heroisch. Nur Augustin nicht. Er lebt ein flatterleichtes Leben am Ufer des Bodensees und stellt immer nur so viele Spieldosen her, wie er zum Leben braucht. Der ideale Gegenentwurf zur Burn-out-Existenz.

Ich lernte ihn kennen, als ich mit 14 in der Büchersammlung meiner Oma stöberte – um die Mitte der 70er-Jahre. Das Wort Burn out war noch nicht erfunden, in meinem Frankfurter Gymnasium zerfielen Schüler- und Lehrerschaft in rechts und links, einmal stand die Polizei mit Wasserwerfern vor dem Schulhof. Ich aber las „Der liebe Augustin. Die Geschichte eines leichten Lebens“. Ich wanderte mit dem Helden um den Bodensee, lächelte über seine vielen kleinen Amouren und beweinte mit ihm seine beiden großen Lieben. Ein bisschen aus der Zeit gefallen, wie gesagt.

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Die beeindruckende Augustin-Sammlung von Christiane Schlüter.

Bis heute ist dieses Buch für mich das perfekte Beispiel dafür, wie etwas leicht und schön sein kann und trotzdem ganz und gar unkitschig. Das liegt zum einen an der Sprache, die genauso leicht ist wie das Leben, das sie beschwört. Zum anderen gibt Horst Wolfram Geißler, der Schöpfer des Augustin, seinem Helden einige Schicksalsschläge mit, weshalb die Idylle so ungebrochen eben doch nicht ist. Das Idyllische speist sich vielmehr daraus, wie Augustin seine Welt sieht: heiter und dabei unaufdringlich weise. Und schließlich findet das Ganze zwar in einer höchst realen Gegend statt: an den Ufern des Bodensees. Aber der Erzähler öffnet den Vorhang zu diesem Schauplatz mit einem Augenzwinkern, indem er sagt: Leute, diese Geschichte spielt in einer anderen Welt. Einer, die es so vielleicht nie gab.

Als ich Jahre nach der Lektüre zum ersten Mal am Bodensee war, bin ich auch nach Lindau gefahren, wo der liebe Augustin gewohnt haben soll. Ich fand ein Häuschen in der Altstadt, eine Skulptur am Hafen und in einer Buchhandlung die aktuelle Ausgabe des Augustin. Daheim standen schon fünf andere: Ich hatte angefangen, die Ausgaben zu sammeln. Ein befreundeter Bibliothekar versorgt mich bis heute damit, inzwischen besitze ich 35 Exemplare und habe begonnen, meine Sammlung nach Tausendern weiter zu untergliedern. Anfallende Doubletten schenke ich weiter. Und ich freue mich, wenn ich auf Leute treffe, die den Augustin ebenfalls mögen, so wie jetzt Birgit Böllinger. Ab und zu aber, wenn ich das Bedürfnis habe, mal wieder aus der Zeit zu fallen, lese ich das Buch erneut. Natürlich das allererste Exemplar aus dem Bücherschrank meiner Oma. Es gibt Lieben, die vergehen nie.

Christiane Schlüter


Was ich über mich sage:

Ich stelle immer nur so viele Texte her, wie ich zum Leben brauche … Nein, stimmt nicht. Schreiben ist für mich nicht nur Profession, sondern Passion. Deshalb entstehen neben Ratgebern, Sachbüchern, Geschenkbüchern, Memoirs und Reden auch Texte wie der obige, und dazu manches noch Verschämte. Außerdem wichtig: meine Kurse in Autobiografie und Journalismus, wo wir übers Schreiben auch reden. Und vor allem das Psychodrama als kreative Methode, neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen – auf dem Papier wie im echten Leben. Die ganze Mischung findet sich hier: www.christiane-schlueter.de.